In der Zehlendorfer Waldsiedlung wird über braune Vergangenheit informiert
»Die friedvolle Atmosphäre, welche die in den Landschaftsraum eingebettete Siedlung dem unbefangenen Betrachter heute vermittelt, macht es schwer, ihre Geschichte in Erinnerung zu rufen. Diese ist unmittelbar mit ihrer Entstehungszeit im Nationalsozialismus verwoben.« Diese Sätze stehen auf einer Informationsstele, die an der Kreuzung Argentinischen Allee/Ecke Teschener Weg in der Waldsiedlung Krumme Lanke in Zehlendorf eingeweiht wurde.
Die Initiative ging vom Kulturamt Steglitz-Zehlendorf aus, das bisher schon drei Informationsstelen zu geschichtlichen Themen in dem Stadtteil erarbeitet hat. Doch noch nie war die Diskussion im Vorfeld so kontrovers wie in der Waldsiedlung. Denn ein Teil der Bewohner möchte möglichst nicht daran erinnern, dass der heute hochattraktive Wohnort am Rande Berlins in den 30er Jahren als SS-Kameradschaftssiedlung entstanden ist. Bis zum Ende des NS-Regimes waren mehr als 90 Prozent der Bewohner SS-Leute und ihre Familien. Ziel war es, eine Siedlung zu schaffen, »in der die Angehörigen der SS ausreichend und gesunden Wohnraum finden, der insbesondere den Aufstieg der Familien zu fördern geeignet ist«, schrieb Ende der 30er Jahre Reichsführer SS Heinrich Himmler über das Wohnprojekt.
Man solle endlich die Vergangenheit ruhen lassen, meinte ein Anwohner bei einer Bürgerversammlung. Schließlich stehe die Siedlung schon siebzig Jahre. Sieben Jahre davon habe sie SS-Zwecken gedient. Ein anderer Anwohner fürchtete, durch die Debatte könnten Neonazis angelockt werden. Dabei sei man froh, dass die Waldsiedlung nicht mehr mit ihrer Vergangenheit in Verbindung gebracht wird.
In den frühen 50er Jahren hieß das Areal in der Bevölkerung noch die SS-Siedlung. Damals war allerdings ein Großteil der führenden Nationalsozialisten geflohen. Die Alliierten hatten nach 1945 bevorzugt Verfolgte und Widerstandskämpfer in den Wohnungen untergebracht. Die 99-jährige Dora Dick lebt noch heute in der Wohnung, die ihr als jüdischer Emigrantin und kommunistischer Widerstandskämpferin nach Rückkehr aus dem britischen Exil zugewiesen wurde. Ihr Sohn Antonin Dick kann sich gut an die Schulzeit erinnern. Dazu gehört, dass bald nach Beginn des Kalten Krieges einige SS-Leute Anspruch auf ihre ehemaligen Wohnungen und Teile des Mobiliars erhoben hatten.
Dass an die braune Vergangenheit der Siedlung erinnert wird, begrüßt Dick. Er kritisiert allerdings, dass die dort noch lebenden NS-Gegner nicht von Anfang an in das Projekt einbezogen worden sind. »Weder meine Mutter noch ich wurden eingeladen, als es um die Planung der Stele oder die Diskussion um den Text ging«, moniert Dick. Sabine Weißler vom Kulturamt ist von der Auseinandersetzung nicht überrascht. »Schließlich sind historische Themen kontrovers, eine einheitliche Meinung kann es da gar nicht geben.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/162202.eine-stele-des-anstosses.html
Peter Nowak