Extremismusklausel für Sportler?

Als Konsequenz aus der Diskussion über das Umfeld der olympischen Ruderin Nadja Drygalla soll der Staat mehr Macht bekommen

Eigentlich war man bisher davon ausgegangen, dass Sportler sich an der Olympiade beteiligen wie Fußballspieler an den Europa- und Weltmeisterschaften, weil sie sich mit anderen Sportlern in ihren jeweiligen Disziplinen messen wollen. Die Politik gehörte gemeinhin nicht dazu. Daher war es schon immer peinlich anzusehen, wenn Sportfunktionäre oder auch ausgewählte Sportler besondere politische Belange vertreten sollten. So kam es vor der diesjährigen Fußball- EM zu manchem Spreizschritt, weil sich Berufene einerseits für die Demokratie in der Ukraine einsetzen wollten, andererseits aber doch darauf zu achten hatten, dass die EM-Veranstalter und Sponsoren nicht zu stark vor den Kopf gestoßen würden. Die Sportler mussten also Diplomaten werden.

Man könnte in dieser Rolle einen Fortschritt gegen über der Weltmeisterschaft 1978 sehen. Damals wurde die WM in Argentinien ausgetragen, wo zu dieser Zeit eine blutige Militärdiktatur herrschte. Aber die Forderungen von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, sich doch für die Gefangenen einzusetzen, wurde von einigen Kickern nicht nur brüsk abgelehnt, sondern sogar mit Hohn und Spott kommentiert. Unpolitisch war die deutsche Elf aber schon damals nicht. Schließlich hatten sie in den Spielpausen Zeit, den ewigen NS-Nostalgiker und Freund der argentinischen Militärjunta Hans-Ulrich Rudel rein privat zu einem Besuch in ihrem Quartier zu empfangen. Dieser Besuch löste 1978 einen Skandal aus.

33 Jahre später sind die Nazis der Generation Rudels weitgehend tot und die zweite und dritte Generation macht nun Ärger. Der Anlass sind die privaten Beziehungen der Ruderin Nadja Drygalla zu einem ehemaligen Aktivisten der neonazistischen Freien Kameradschaften und zeitweiligem NPD-Mitglied. Die Diskussion war kaum aufgebrandet, da verließ die Sportlerin schon das olympische Team. Damit war die Debatte nicht zu Ende.

SPD-Politiker warfen den Sportgremien vor, nicht rechtzeitig über die Personalie Drygalla informiert zu haben. Und bald darauf begann auch die Debatte, ob es sich bei dem öffentlichen Hype nicht um eine jener Übungen in hilflosem Antifaschismus handelt, bei dem am Ende mehr Kontrolle und Gesinnungsprüfung herauskommt. Spätestens nachdem das Bundesinnenministerium eine Extremismusklausel für öffentlich finanzierte Sportverbände ins Gespräch brachte, drängt sich dieser Verdacht noch deutlicher auf.

Schließlich sind die Pläne, wie das Ministerium betont, schon älter. So wird der Fall Drygalla also als gute Gelegenheit dafür gesehen, solche Pläne auch in die Tat umzusetzen. Schließlich will niemand ausgewiesene Vertreter der Rechten im Olympiateam haben. Aber hier zeigt sich schon die Schieflage der gesamten Debatte. Es geht nicht um irgendwelche Äußerungen oder Handlungen von Drygalla sondern um das politische Umfeld ihres Lebensgefährten. So wurde gleich Entwarnung gegeben, als nun offiziell bestätigt wurde, dass dieser die NPD mittlerweile verlassen hat. Dass ein längjähriger Aktivist der Freien Kameradschaftsszene zur NPD-Mitgliedschaft nur ein taktisches Verhältnis hat und dass Aus- und Wiedereintritte dort nicht selten sind, blieb dabei unerwähnt. Auch die politischen Ansichten von Drygalla und ihren Lebensgefährten waren kaum Gegenstand der Debatte, es ging um Organisationen und Mitgliedschaften.

Kein brauner Fleck auf deutsches Olympiateam

Und da sollte kein brauner Fleck auf das deutsche Olympiateam fallen. Hier wird auch eine weitere problematische Seite der gesamten Debatte deutlich. Es wird unhinterfragt davon ausgegangen, dass die Sportler nicht für sich und ihr Sportteam, sondern für die Nation Deutschland in den Wettkampf ziehen. Daher wurden auch bei der Fußball-EM die Lippenbewegung der deutschen Spieler beim Singen der Nationalhymne genau registriert und gerügt, wenn sie nicht genügend deutlich mitsangen. So wäre es auch nur konsequent, wenn dann auch die Sportler auf das deutsche Grundgesetz eingeschworen werden sollen, wie es ja bei Beamten bereits der Fall ist und bei zivilgesellschaftlichen Organisationen, wenn sie Gelder bekommen sollen, geplant ist…

Es gab anlässlich der Fußball-EM erneut Kritik an der Verschmelzung von Spiel und „Patriotismus“ – dem Einschwören von Sportlern und Fans auf die Nation. Die Kritiker müssten nun auch im Fall Drygalla gegen eine Extremismusklausel für Sportler eintreten, weil damit die Athleten auf eine heikle Weise von der Nation vereinnahmt werden. Mit dem Kampf gegen Rechts im Sport hat das sehr wenig zu tun. Der wird sowieso erfolgreicher von zivilgesellschaftlichen Organisationen im Umfeld von Fußballspielen praktiziert. Dabei geht es weniger um Mitgliedschaften in rechten Organisationen, sondern um nationalistische und rassistische Alltagspraktiken, die nicht an Organisations- und Parteimitgliedschaften gebunden sind.

Der hilflose Antitotalitarismus, der im Fall Drygalla von Politik, Sportverbänden und Teilen der Medien praktiziert wird, behindert eine solche Arbeit der zivilgesellschaftlichen Gruppen eher, die ja schließlich ebenfalls einer Extremismusklausel mit merkwürdigen Auswüchsen unterliegen (Führt Extremismusklausel zu Misstrauen und Beschnüffelung?), die nun besser installiert werden kann.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152542

Peter Nowak