Über den Kiez hinaus

Ein neues Buch stellt Ansätze für Organisierung im Stadtteil vor, die aufs Ganze zielen
Über gewerkschaftliche Organizing-Konzepte wurde in den letzten Jahren viel diskutiert. Organisierung kann aber auch im Stadtteil stattfinden. Der Berliner Politikwissenschaftler Robert Maruschke liefert nun eine gut lesbare Einführung in Geschichte, Theorie und Praxis dieses »community organizing«, das soziale Bewegungen in den USA entwickelt haben. Er grenzt sich dabei von liberalen Ansätzen wie etwa Bürgerplattformen ab, die nicht »von unten« wachsen, sondern die Bewohner in bestehende Strukturen einbinden sollen. Kritischer als andere Linke sieht er auch den amerikanischen Pionier der Stadtteilorganisierung, Saul Alinsky. Dieser propagiere zwar konfrontative Aktionsformen, stelle aber »Staat und Kapital« nicht in Frage und distanziere sich überdies von linken Gruppen, kritisiert Maruschke.

Statt dessen wirbt Maruschke für ein transformatorisches Organizingkonzept, das er bei einem Aufenthalt in den USA kennengelernt hat. Es hat zum Ziel, kapitalistische Strukturen zu überwinden, »revolutionär« zu sein. Dass die Praxis diesem Anspruch nicht immer entspricht, wird in dem Buch nicht verschwiegen. So betonen zwar viele transformatorische Organizinggruppen, nicht mit Repräsentanten von etablierten Organisationen zusammenzuarbeiten, beteiligten sich aber dennoch an der Wahlkampagne für Präsident Obama.

Im letzten, etwas kurz geratenen Kapitel behandelt Maruschke die Frage, wie sich Stadtteilorganizing auf Deutschland übertragen lässt. Positive Beispiele sieht er bereits, etwa in Berlin die Initiativen »Kotti & Co« sowie die Kampagne gegen Zwangsräumungen. Bei einer Veranstaltung in der Hauptstadt diskutierte Maruschke vor wenigen Tagen über Community Organizing als Modell für den Mieterkampf. Aus seiner Sicht kommt es nicht darauf an, nun alle mietenpolitischen Auseinandersetzungen mit einem neuen Label zu versehen. Doch die Initiativen könnten von dem Konzept lernen, dass eine langfristige Basisarbeit nötig sei. Dabei sei es für die Gruppenmitglieder wichtig, sich über ihre unmittelbare Alltagsarbeit hinaus mit der Geschichte sozialer Bewegungen sowie der kapitalistischen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Das sei Voraussetzung für eine gesellschaftliche Praxis, die über das Bestehende hinausweist.

Robert Maruschke: Community Organizing – Zwischen Revolution und Herrschaftssicherung, Edition Assemblage, Münster 2014, 110S., 9,80 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/935587.ueber-den-kiez-hinaus.html
Peter Nowak

Mieter/innen protestieren vor der CDU-Bundeszentrale

„Ich wohne seit 46 Jahren in einer Wohnung  der Bundesfinanzverwaltung. Heute vertreten durch die Bundesverwaltung für Immobilienaufgaben. Hier habe ich mit meinem Ehemann unsere 2 Kinder großgezogen.     …  Nun  sind wir über  70 Jahre alt geworden und  werden  mit dem wahrscheinlichen  Verlust unserer Wohnung konfrontiert.“   Diese Sätze schrieb  die Rentnerin Babara Tharra in einen Brief  an Bundeskanzlerin Merkel.  Am  Nachmittag des  4. Juni  wurde er während einer Kundgebung in der Bundeszentrale der CDU abgegeben. Über 70 Menschen waren anwesend, darunter viele Mieter/innen der  Großgörschenstraße 25, 26, 27 und der  Katzlerstraße 10 + 11.  In einem der Häuser wohnt auch Frau Tharra. Wie sie befürchten auch die mehr als 50 anderen Mietparteien ihre Vertreibung.   Die Mieter/innen wandten sich  direkt an die Bundeskanzlerin, weil die Häuser  der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben  (BImA)  gehören. „Wir haben die Briefabgabe  und die Kundgebung genutzt,  um  dagegen zu  protestieren, dass sich die Bundesregierung  am Anheizen der Mietpreise beteiligt“, erklärt Antje Grabenhorst gegenüber MieterEcho. Die langjährige Gewerkschafterin ist Pressesprecherin der Interessengemeinschaft Großgörschenstraße/Katzlerstraße (IG  GroKA), in der sich viele Mieter der betroffenen Häuser organisiert haben.
„Rentner, die mehr 4  Jahrzehnte in den Häusern wohnen sind dort ebenso aktiv wie junge Ehepaare mit Kleinkindern“, berichtet Grabenhorst. An den Fenstern der Wohnungen hängen schon seit Wochen Transparente, auf denen unter Anderem zu lesen ist:“Auch wir Rentner wollen bleiben“ und „Merkel, wach auf“.

Seit Mai befürchten viele Mieter/innen, dass sie aus ihren Wohnungen vertrieben werden sollen. Damals erfuhren sie, dass  die Wohnungsbaugesellschaft GEWOBAG, die Interesse am Erwerb der Häuser bekundete hatte, ihr  Kaufangebot zurück zog,  weil  der er von der   BImA geforderte Preis zu hoch war.
Dafür machen die Mieter/innen, die von der Politik gesetzten Vorgaben verantwortlich,  an die sich die  BImA beim Verkauf der Wohnungen orientieren muss. Danach ist sie  zur wirtschaftlichen Verwertung der Wohnungen verpflichtet und muss sie zum Höchstpreis  veräußern.  „Für die Mieter/innen war der Rücktritt der GEWOBAG ein Alarmsignal“, erklärte   Grabenhorst. Gerade viele ältere Mieter/innen  verbinden mit dem  Name  der Wohnungsbaugesellschaft noch irgendeine Vorstellung von sozialem Wohnungsbau.  Nun befürchten sie, dass die Häuser an Investoren verkauft werden, die der hohe Preis nicht abschreckt, weil sie auf Mieterinteressen keine Rücksicht nehmen wollen.   Schreckensbilder von Sanierungsmaßnahmen, die die Mieter/innen zum Verlassen der Wohnungen  oder zum Leben auf einer Baustelle zwingen, machen die Runde. Doch diese Vorstellungen haben die Bewohner/innen auch aktiviert und wütend gemacht. Auf ihrer Kundgebung haben sie  mehrere Forderungen formuliert. Die  Mietshäuser sollen – wenn überhaupt –  ausschließlich an gemeinnützige, kommunale oder genossenschaftliche Wohnungsgesellschaften veräußert werden. Diese müssen die sozialverträgliche Vermietung sicherstellen, um eine Verdrängung der Bestandsmieter/innen durch unverhältnismäßige Mietsteigerungen zu verhindern. Entsprechend muss der Haushaltsausschuss seine Anweisungen an die BImA ändern. Den Mieter/innen  ist klar, dass diese Forderungen nicht durch einen  Brief an Merkel  umgesetzt werden. Die Kundgebung vor der CDU-Zentrale wird nicht ihre letzte Aktion gewesen, kündigen sie bereits an.

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/grossgoerschenstr-bima.html

MieterEcho online 05.06.2014

Peter Nowak

Berliner Mieter wenden sich an Merkel

Union soll Wahlversprechen umsetzen

Mieter wollen vor der CDU-Zentrale gegen das Anheizen der Mietpreise durch die Bundesregierung protestieren.

»Die Union hat vor der Wahl versprochen, dass sie sich für eine Senkung der Mietpreise einsetzt. Jetzt wollen wir testen, was dieses Versprechen wert ist«, meint Erika Kranzler. Die Rentnerin wohnt seit zwei Jahrzehnten in der Großgörschenstraße 27 im Berliner Bezirk Schöneberg. Die Union hätte eine optimale Gelegenheit ihre Ankündigung umzusetzen. Denn das Haus gehört der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Daher haben die Mieter in einer ihrer Versammlungen beschlossen, sich mit einem Brief direkt an Angela Merkel zu wenden. Am 4. Juni soll er um 17.30 Uhr in der CDU-Zentrale abgegeben werden.

»Wir haben die Briefabgabe mit einer Kundgebung verbunden, auf der wir dagegen protestieren, dass sich die Bundesregierung am Anheizen der Mietpreise beteiligt«, erklärt Antje Grabenhorst gegenüber »nd«. Die langjährige Gewerkschafterin ist Sprecherin einer Protestgruppe, die sich IG Groko nennt und in der sich Mieter von fünf bundeseigenen Häusern in Schöneberg zusammengeschlossen haben. »Rentner, die drei Jahrzehnte in den Häusern wohnen, sind dort ebenso aktiv wie junge Ehepaare mit Kleinkindern«, berichtet Grabenhorst.

An den Fenstern der Wohnungen hängen Transparente, auf denen zu lesen ist: »Auch wir Rentner wollen bleiben.« Denn seit Mai befürchten viele Mieter, dass sie aus ihren Wohnungen vertrieben werden sollen. Dafür machen sie die von der Politik gesetzten Vorgaben verantwortlich, an die sich die Bundesanstalt beim Verkauf der Wohnungen orientieren muss. Demnach muss sie zum möglichen Höchstpreis veräußern. Die Wohnungsbaugesellschaft GEWOBAG, die Interesse an den Häusern bekundet hatte, trat deshalb vor einigen Monaten vom Kauf zurück. Der gefordert Preis war zu hoch.

»Für die Mieter war die Absage der GEWOBAG ein Schock«, sagt Grabenhorst. Für viele Ältere sei der Name noch irgendwie mit sozialem Wohnungsbau verbunden gewesen. Nun befürchten sie, dass die Häuser an Investoren verkauft werden, die auf Mieterinteressen keine Rücksicht nehmen. Schreckensbilder von Sanierungsmaßnahmen, die die Mieter zum Verlassen ihrer Wohnung oder zum Leben auf einer Baustelle zwingen, machen die Runde. Doch diese Szenarien haben die Bewohner auch wütend gemacht.

Mit der Kundgebung vor der CDU-Zentrale gehen sie nun an die Öffentlichkeit. Sie wollen dabei deutlich machen, dass die Verwertungsinteressen von Wohneigentum nicht über den Mieterinteressen stehen dürften. Die Mietshäuser sollen, wenn überhaupt, ausschließlich an gemeinnützige, kommunale oder genossenschaftliche Wohnungsgesellschaften veräußert werden, fordern die Mieter. Sozialverträgliche Mieten müssten garantiert werden, um die Verdrängung der bisherigen Bewohner durch unverhältnismäßige Steigerungen zu verhindern.

Ein Brief an Merkel wird nicht ausreichen, um diese Forderungen umzusetzen. Das ist der Mieterinitiative auch klar. Daher erhofft sie sich Unterstützung von anderen Berlinern.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/934912.berliner-mieter-wenden-sich-an-merkel.html

Peter Nowak

Peter Nowak

Neue Wohnungen kontra freies Feld?

Respekt für Mieter, bitte

Bewohner der Wisbyer Straße 6 organisieren sich gegen neuen Eigentümer Sascha Klupp

Die Inter Group ist für Mieter ein rotes Tuch. Bewohner wehren sich gegen Sanierungen, Politiker versprechen Prüfung des Bauantrags.

Zwei Drittel der 33 Wohnungen des Gebäudes stehen leer. Die offenen Türen geben einen Blick auf abgetragene Decken und Wände. Doch an einigen Wohnungstüren sind handgemalte Schilder angebracht. »Respekt bitte, hier wohnen Menschen«, steht dort geschrieben. Seit im Januar 2014 die Inter Stadt- und Wohnungsbau Grundbesitz GmbH Eigentümerin der Wisbyer Straße 6 in Prenzlauer Berg geworden ist, kann von einem respektvollen Umgang mit den Mietern keine Rede mehr sein. Cornelia Hentschel, die seit 25 Jahren in dem Haus wohnt, versucht seit zwei Wochen, die Folgen des schweren Wasserschadens zu beheben, der durch Bauarbeiten in der darüber liegenden Wohnung verursacht worden ist. Ob es ein Versehen oder eine gezielte Entmietungsstrategie war? Die noch verbliebenen zehn Mietparteien in dem Haus waren nach dem Eigentümerwechsel gewarnt. Denn der Geschäftsführer der Inter Group, Sascha Klupp, ist für viele Mieter ein »rotes Tuch«, wie es ein Bewohner der von Luxussanierungen betroffenen Gleimstraße 52 in einem Fernsehinterview formulierte. Ein Großteil der Mieter des Hauses hatte sich im Frühjahr 2012 an die Öffentlichkeit gewandt und über Entmietungsstrategien der Inter Group berichtet. Diese Methoden fanden auch in dem Film »Betongold« Eingang, der vergangenes Jahr Premiere hatte. Die Regisseurin Katrin Rothe wohnte in der Bergstraße 62, bis die Inter Group dort die Verwaltung übernahm.

150 bis 200 Euro pro Quadratmeter waren auch den Mietern in der Wisbyer Straße 6 geboten worden, wenn sie eine Mietaufhebungsvereinbarung unterzeichnen. Die Mehrheit der Bewohner des Hauses lehnte diese Angebote aber ab. Sie begannen, sich zu organisieren, kontaktierten Anwälte und Bezirkspolitiker. Am Mittwoch besuchte Pankows Grünen-Stadtrat Jens-Holger Kirchner mit einigen seiner Kollegen das Haus. Seine Behörde werde den Bauantrag noch einmal genau unter die Lupe nehmen, sagte Kirchner nach der Besichtigung. Sollte sich der Verdacht belegen lassen, dass die Sanierungsmaßnahmen nicht mit dem genehmigten Antrag übereinstimmen, könnte ein Baustopp die Folge sein, sagte der Baustadtrat. – Eine nd-Anfrage an die Inter Group blieb bisher unbeantwortet.

Kirchner wollte den Mietern indes nicht zu viele Hoffnungen machen. Er verwies darauf, dass in der letzten Zeit die Rolle der Vermieter deutlich gestärkt worden sei. Auch Michail Nelken von der Linkspartei nahm an dem Besuch teil. »Ich bin hier, um die Mieter zu unterstützen«, sagte der stadtentwicklungspolitische Sprecher der LINKEN im Bezirk Pankow.

Doch für den Geschäftsführer von Inter Group, Sascha Klupp, könnte es noch weitere Probleme geben. Noch während sich die Politiker in dem Haus von den Mietern informieren ließen, ging ein großes Aufgebot von Polizei und Zoll dem Verdacht der illegalen Beschäftigung auf der Baustelle nach. Über die Ergebnisse wollten die Beamten keine Angaben machen. Mittlerweile soll Klupp auch ein Haus in der Kreuzberger Wrangel- straße erworben haben. Noch ist seine Firma nicht im Grundbuch eingetragen. Doch die Mieter haben bereits eine erste Versammlung einberufen und wollen sich mit Initiativen in der Nachbarschaft vernetzen. Gegen den »Mann fürs Grobe« genannten Klupp wird auch dort Widerstand geleistet.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/933505.respekt-fuer-mieter-bitte.html

Peter Nowak

Brunnen 6/7 ist bedroht

Eigentümer verlangt von den Bewohnern des Hausprojekts in Mitte 15 Prozent mehr Miete

Es ist so etwas wie die letzte Trutzburg in der fast vollständig durchgentrifizierten Rosenthaler Vorstadt in Mitte: Doch jetzt soll auch das alternative Hausprojekt Brunnenstraße 6/7 weichen.

Das Plakat fällt auf. »Wir bleiben alle – gegen Zwangsräumung und Vertreibung« lautet der Slogan. Solche Aufrufe zu Protesten und Veranstaltungen gegen die Vertreibung von Mietern aus den Innenstadtteilen hängen zahlreich an den Wänden zum Eingang des alternativen Hausprojektes Brunnenstraße 6/7 in Mitte. Ab sofort können die Bewohner der Häuser allerdings selbst bestens Unterstützung gebrauchen. Denn die Gawehn Grundstücksverwaltung, der der Häuserkomplex in der Nähe des Rosenthaler Platzes gehört, hat allen Mietern des alternativen Wohnprojektes angekündigt, dass die Miete zum 1. Mai um 15 Prozent erhöht werden soll.

»Die Steigerung bewegt sich im gesetzlichen Rahmen«, sagt Moritz Heusinger dem »neuen deutschland«. Der Rechtsanwalt vertritt die Mieter der Brunnenstraße 6/7. Klein beigeben wollen die Bewohner des einst bundesweit bekannten Hausprojektes indes nicht. Vorerst zahlen die Bewohner der verschiedenen Hausflügel weiter die Miete in der bisherigen Höhe. Ob die Mietanhebung tatsächlich Bestand hat, hängt von der Auslegung des Vertrags ab, den die Gawehn Grundstücksverwaltung Ende der 1990er Jahre mit dem Verein zum Erhalt der Brunnenstraße 6/7 (VEB 7) geschlossen hat. Über den Verein koordinieren sich die verschiedenen Bewohner der Wohngemeinschaften und Hausflügel.

Das Projekt entstand während der Instandbesetzerbewegung in Ostberlin. Bereits 1991 schlossen die damaligen Bewohner Mietverträge mit der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM). Nach jahrelangen ungeklärten Eigentumsverhältnissen kaufte Gawehn den Komplex mit insgesamt neun Häusern für drei Millionen DM. Die Hoffnung des Käufers, die Mieter schnell vertreiben zu können, erfüllte sich allerdings nicht. Stattdessen folgten jahrelange juristische Aus- einandersetzungen. Häufiger kam es zu handfesten Reibereien: Vor 15 Jahren beispielsweise eskalierte der Konflikt zwischen Eigentümern und den Bewohnern schon einmal. Es gab mehrere Polizeieinsätze, einen Teil der Wohnungen und der Kneipen hatte Gawehn zumauern lassen. Nach der Räumung einiger Wohnungen durch Polizisten wurden die Mieter ausgesperrt und durften nur gegen Vorlage ihres Personalausweises in ihre Wohnungen zurückkehren. Zur Verhinderung weiterer Konflikte hatten Bezirkspolitiker damals Eigentümer und Bewohner zu einem Runden Tisch geladen, bei dem sich die Beteiligten auf einen für die Bewohner vorteilhaften Vertrag einigen konnten. »Die Übereinkunft war das Ergebnis eines Kompromisses. Der Hauseigentümer musste seine Profiterwartungen senken«, sagt ein Mitglied des VEB 7 heute.

Jetzt muss zunächst geklärt werden, ob der Vertrag, den die Gawehn Grundstücksverwaltung mit den Bewohnern geschlossen hat, die Mieterhöhung nur für zehn Jahre oder grundsätzlich ausschließt. »Die Formulierungen sind an dem Punkt unklar«, sagt Rechtsanwalt Heusinger. Der VEB 7 sieht in diesem Punkt auch eine politische Frage. Gawehn habe vom Senat unter der Bedingung Sanierungsgelder erhalten, sozialverträgliche Mieten und den Erhalt der Brunnenstraße als linkes Wohnprojekt zu ermöglichen. »Mit den Mieterhöhungsschreiben ist unser Projekt von einer kalten Räumung bedroht«, warnen die Bewohner. Sie fordern neue Gespräche mit den Eigentümern. Auf das Angebot haben sie bisher allerdings keine Antwort erhalten. Von »neues deutschland« auf die Mietererhöhungen angesprochen, wollte sich die Gawehn Grundstücks- verwaltung nicht äußern.

Die Bewohner sehen das Miet- erhöhungsschreiben als »bewusste Konfrontation«. Sie sagen, dass sie sich wehren wollen. »Wir haben uns damals nicht räumen lassen und werden auch heute nicht gehen!« Dabei setzt das Projekt auch auf die Solidarität in der linken Szene. Erste Reaktionen sind ermutigend: Denn nicht nur andere Hausprojekte, sondern auch Nachbarn signalisieren Unterstützung. Viele lehnen die weitere Umwandlung des einst alternativen Kiezes in eine touristische Eventzone ab. Das hat auch der Kampf um den Erhalt des Schokoladens gezeigt.

Unklar ist, ob die Bewohner wie noch vor 15 Jahren auf die Unterstützung des Bezirks rechnen können. Der zuständige Baustadtrat von Mitte, Carsten Spallek (CDU), erklärte auf »nd«-Anfrage, ihm sei der Konflikt nicht bekannt. Eine Vermittlung zwischen Mietern und Gawehn kann sich Spallek aber vorstellen, wenn auch der Eigentümer dazu bereit ist.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/931916.brunnen-6-7-ist-bedroht.html

Peter Nowak

Keine Rebellion für Kiezromantik

Bisher waren Modelle des Organizing ein Thema der Gewerkschaften, nun werden sie auch von Mieterorganisationen diskutiert.

Wie soll man Personen bezeichnen, die sich gegen Mieterhöhungen wehren, Initiativen gegen Vertreibung in ihrer Nachbarschaft gründen oder sogar bereit sind, sich einer Räumung zu widersetzen? Die Berliner Regisseure Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers haben mit »Mietrebellen« einen treffenden Begriff gefunden. In ihrem gleichnamigen Film, der vorige Woche in den Kinos angelaufen ist, stehen Menschen im Mittelpunkt, die in den vergangenen zwei Jahren in Berlin den Mietenprotest getragen haben. Die verrentete Gewerkschafterin ist ebenso vertreten wie der autonome Fahrradkurier. Der Film porträtiert Menschen, die früher vielleicht selbst nicht daran gedacht hätten, sich an Protesten zu beteiligen. Die Besetzer der Seniorenbegegnungsstätte »Stille Straße« in Pankow und die »Palisadenpanther«, die sich mit Erfolg gegen die Mieterhöhungen ihrer Seniorenwohnanlagen gewehrt haben, stehen für eine neue alte Protestgeneration. Doch wer organisiert die Rebellen? Sind diese Proteste politisch oder handelt es sich eher um eine Form der Sozialarbeit, wie ein Mitglied des Berliner Bündnisses »Zwangsräumungen verhindern« fragte? Der Politikwissenschaftler Robert Maruschke hat in seinem kürzlich erschienenen Buch auf beide Fragen eine Antwort gegeben, die schon im Titel »Community Organizing« vorweggenommen wird.

Über Konzepte des Organizing wurde bisher vor allem in Gewerkschaften diskutiert. Maruschke liefert nun eine knappe Einführung in die Geschichte, Theorie und Praxis der Stadtteilorganisierung. Beide Konzepte sind in den sozialen Bewegungen der USA entstanden. Maruschke unterscheidet zwischen einer staatstragenden und einer transformativen Idee des Organizing. Er beginnt mit der Settlement-Bewegung von 1884 und endet mit heutigen Plattformen für Bürger und ähnlichen »Mitmachfallen«, wie der Sozio­loge Thomas Wagner verschiedene Konzepte von Bürgerbeteiligung nennt, die Mitbeteiligung versprechen, aber vor allem der reibungslosen Durchsetzung kapitalistischer Zwecke dienen (Jungle World 42/2014). Affirmative Modelle des Organizing wollen soziale Akteure mit dem kapitalistischen Staat versöhnen, oft werden sie von Unternehmen finanziert. Auch den US-amerikanischen Bürgerrechtler und Wegbereiter des Community Organizing, Saul David Alinsky, ordnet Maruschke als Vertreter dieser affirmativen Variante des Organizing ein. Alinsky wird auch in Deutschland von linken Gruppen häufig als Pionier der Stadtteilorganisierung verehrt und unkritisch rezipiert. Der Grund dafür liegt in seinem Plädoyer für konfrontative Aktionsformen. Diese sollten jedoch lediglich dazu dienen, von offiziellen Institutionen als Gesprächspartner anerkannt zu werden.

Staat und Kapital hat Alinsky nie in Frage gestellt, von linken Gruppen distanzierte er sich. Im Unterschied dazu betonte der frühere Maoist Eric Mann, den Maruschke als Pionier des transformatorischen Organizing präsentiert: »Organizing muss revolutionär ausgerichtet sein. Es muss Individualismus und jede Form von Eigeninteresse in Frage stellen, was nicht heißt, dass es Eigeninteressen nicht einbinden kann.« Maruschke benennt auch die Widersprüche in der Praxis des transformativen Organizing. Einerseits betonen dessen Vertreter in den USA, nicht mit Repräsentanten von bestehenden Organisationen zusammenzuarbeiten und sich konfrontativ mit dem Staat auseinanderzusetzen, anderseits haben sie sich an der Wahlkampagne für Barack Obama beteiligt. Als Beispiel für transformatives Organizing in Berlin nennt Maruschke »Kotti & Co.« und die Kampagne gegen Räumungen. Auch wenn sich diese selbstorganisierten Mieterinitiativen das Konzept des transformativen Stadtteil-Organizing nicht zu eigen machen, könnten sie davon etwas übernehmen. So betonen die Vertreter des transformativen Organizing in den USA, dass auch Stadtteile von Klassenunterschieden sowie rassistischen und patriarchalen Unterdrückungsverhältnissen geprägt sind, was ein gutes Argument gegen den Trend zur Kiezromantik ist.

http://jungle-world.com/artikel/2014/18/49774.html

Peter Nowak

Community Organizing – ein Modell für den Mieterkampf?

„Mietrebellen“

„Der Markt ist eine Zumutung“

PROTESTKINO In „Mietrebellen“ zeichnen Matthias Coers und Gertrud Schulte Westenberg die Mieterproteste der letzten Jahre nach – und räumen mit Klischees über Betroffene auf

INTERVIEW PETER NOWAK

taz: Frau Schulte Westenberg, Herr Coers, wer sind eigentlich die „Mietrebellen“ Ihres gleichnamigen Films?

Matthias Coers: Wir haben mit dem Titel auf den Begriff der Mietnomaden reagiert, der von der Wohnungswirtschaft erfolgreich lanciert wurde. Damit wurde ein absolutes Nebenproblem aufgeblasen, um MieterInnen als BetrügerInnen zu diffamieren. Wir bezeichnen die MieterInnen als RebellInnen, die sich gegen Mieterhöhungen und Vertreibungen solidarisch wehren.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Gertrud Schulte Westenberg: Das betrifft alle MieterInnen, die wir im Film zeigen. Ich will exemplarisch die Rentnerin Rosemarie Fließ nennen, die sich wenige Tage vor ihrer eigenen Räumung an einer Demonstration gegen die Räumung der Familie Gülbol in Kreuzberg beteiligte, obwohl sie sich nur noch mit Mühe bewegen konnte.

Die Beerdigung von Rosemarie Fließ, die zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung starb, ist ein zentrales Element des Films

Coers: Der Tod von Rosemarie Fließ hat die Dramaturgie des Films verändert. Meine Grundidee war zunächst, in dem Film die unterschiedlichsten Menschen zu zeigen, die sich gegen ihre Vertreibung wehren und so den Zuschauern Mut zu machen. Dieses Konzept war durch den Tod von Rosemarie Fließ nicht mehr aufrechtzuerhalten. Wir setzten die Beerdigung an den Anfang und wollten damit deutlich machen, dass Zwangsräumungen keine Seltenheit sind – und mitunter auch tödlich sein können. Doch so wie die meisten Zwangsräumungen ohne öffentliche Aufmerksamkeit über die Bühne gehen, werden auch Krankheit, Trauer und Tod der Mieter nach dem Verlust der Wohnung in der Regel nicht wahrgenommen.

Schulte Westenberg: Ich war als Mieterin von einer Modernisierungsankündigung mit angedrohter Mieterhöhung konfrontiert, schloss mich meinen NachbarInnen zusammen – und wir hatten Erfolg. Diese eigene Erfahrung hat mich sensibel für den MieterInnenprotest gemacht. Ich habe Menschen kennengelernt, die sich gegen Mieterhöhung und Verdrängung engagieren und war davon stark beeindruckt. Ich dachte mir, dass die eine Arbeit machen, für die eigentlich die Politik zuständig ist. Das war meine zentrale Motivation für den Film.

Der Film konzentriert sich sehr stark auf die einzelnen Protagonisten. Warum fokussieren Sie sich so auf die einzelnen Charaktere, auf das Persönliche des Protests?

Coers: Damit wollten wir die Unterschiedlichkeit der Mietrebellen deutlich machen. Die migrantische Rentnerin gehört genauso dazu wie der Fahrradkurier aus der autonomen Szene. Wir wollten so auch der Vorstellung entgegentreten, dass Menschen, die ihre Wohnung verlieren, mit den finanziellen Realitäten nicht zurechtkommen. In Wirklichkeit sind die ökonomischen Realitäten auf dem Mietenmarkt eine Zumutung für immer größere Teile der Menschen, bis hin zur Mittelschicht. Wir haben MietrebellInnen in Pankow und Spandau ebenso kennengelernt wie in Kreuzberg und Neukölln.

„Mietrebellen“ läuft morgen in den Kinos an – ist das Thema nun für Sie auserzählt?

Schulte Westenberg: Mich würde ein investigativer Film reizen, der nachzeichnet, wie der soziale Wohnungsbau in Berlin von der Politik zielstrebig gegen die Wand gefahren wurde.

Coers: MieterInnen als selbstbewusste TeilnehmerInnen in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen werden mich auch weiter beschäftigen.

„Mietrebellen“. Von Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers. Zu sehen ist der Film ab heute im Lichtblick-Kino (18 Uhr) und im Moviemento (18.30 Uhr). Weitere Termine: mietrebellen.de
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2014%2F04%2F23%2Fa0099&cHash=a060d5ec1031d8497dc6cf4e920ab484
Interview: Peter Nowak

»Mietrebellen« im Kino

Gespräch mit Regisseur Matthias Coers

Heute um 18.30 Uhr hat im Kino Moviemento der Dokumentarfilm »Mietrebellen« Premiere, der die Berliner Mieterkämpfe der letzten beiden Jahren zeigt. Mit Regisseur Matthias Coers sprach Peter Nowak.

nd: Wie entstand das Konzept für den Film?
Coers: : Ich habe bereits seit Jahren Videoclips zu sozialpolitischen Themen gedreht. Meine Co-Regisseurin Gertrud Schulte Westenberg hatte bereits einen Film zur Hartz IV- und zur »Mietenproblematik gedreht. Wir haben uns bei der Videoarbeit kennengelernt.

Wir haben Ihr es geschafft, die Mietenrebellen vor die Kamera zu bekommen?
Anfangs gab es schon Zurückhaltung. Schließlich will niemand gerne in einer Notlage gezeigt werden, besonders, wenn er seine Wohnung verlieren soll. Doch gerade die aktiven Menschen haben uns auch vertraut und unsere positive Grundhaltung zu ihren Anliegen gespürt. So konnten wir eine Nähe herstellen, ohne die der Film nicht möglich gewesen wäre.

Der Film beginnt mit dem Tod der Rentnerin Rosemarie Fließ zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung. Hat dies die Konzeption des Films beeinflusst?
Der Tod der Rentnerin hat nicht die Grundstruktur, aber die Dramaturgie des Films verändert. Unsere Grundidee war zunächst, die unterschiedlichsten Menschen zu zeigen, die sich gegen ihre Vertreibung wehren. Dieses Konzept war durch den Tod von Rosemarie Fließ nicht mehr aufrechtzuerhalten. Wir setzten die Beerdigung an den Anfang. Es ist ein extremes Ereignis. So wie die meisten Zwangsräumungen ohne öffentliche Aufmerksamkeit über die Bühne gehen, werden auch Krankheit und Tod nach dem Verlust der Wohnung in der Regel nicht wahrgenommen.

Warum sind auf dem Ankündigungsplakat einige der Mietrebellen abgebildet?
Wir wollten ihre Unterschiedlichkeit zeigen. Die migrantische Rentnerin ist ebenso betroffen wie der autonome Fahrradkurier. Damit wollten wir der Vorstellung entgegentreten, Menschen, die ihre Wohnung verlieren, kommen mit den finanziellen Realitäten nicht zu recht. In Wirklichkeit sind die ökonomischen Realitäten auf Immobilienmarkt eine Zumutung für immer größere Teile der Menschen bis hin zur Mittelschicht.

Haben Sie die Hoffnung, dass der Film etwas verändert?
Sicher wird niemand nach dem Film aus dem Kinosessel aufstehen und sagen, jetzt wehre ich mich gegen meinen Vermieter. Er ist aber ein Lehrstück. Wenn die Menschen in der Nachbarschaft erfahren, dass jemand von Mieterhöhungen betroffen ist, wissen sie durch den Film, dass es eine Alternative dazu gibt, die Verhältnisse ohnmächtig hinzunehmen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/930932.mietrebellen-im-kino.html

Interview: Peter Nowak

500 gedenken Rosemarie Fliess

»Zwangsräumungen können tödlich sein«, hat eine Frau auf ein selbstgemaltes Schild gemalt. Sie gehörte zu den mehr als 500 Demonstranten, die am Sonnabend durch Kreuzberg und Nordneukölln zogen, um der 67-jährigen Rentnerin Rosemarie Fliess zu gedenken, die vor einem Jahr kurz nach ihrer Zwangsräumung gestorben war. Schon am Freitag hatten 20 Aktivisten der Erwerbslosenbewegung an Fliess erinnert. Beide Aktionen waren von einem großen Polizeiaufgebot begleitet worden. Am Samstag sorgten rigide Vorkontrollen für Unmut unter den Teilnehmern. Mehrere Demonstranten mussten Transparente und Fahnen zurücklassen, weil die Stangen zu lang waren. Das große Polizeiaufgebot konnte die kämpferische Stimmung nicht dämpfen. Immer wieder rief Ali Gülbol auf deutsch und türkisch zur Organisierung gegen Vertreibung im Stadtteil auf und bekam dabei viel Zustimmung von den Anwohnern. Gülbol war selbst Opfer einer Zwangsräumung geworden.

»Die Räumung der Gülbols und der Tod von Rosemarie Fliess haben die Bewegung gegen Zwangsräumung nicht gelähmt, sondern gestärkt«, sagte eine Demons- trantin. Mittlerweile würden auch völlig unpolitische Leute die Kampagne gegen Zwangsräumungen um Unterstützung bitten.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/930069.500-gedenken-rosemarie-fliess.html

Peter Nowak

Mieter mahnen erneut

WOHNEN Initiativen veröffentlichen das zweite mietenpolitische Dossier. Sie fordern ein Vetorecht gegen die Privatisierung kommunalen Wohnraums

„Ein Recht auf Stadt für Alle“ lautet der Titel des zweiten mietenpolitischen Dossiers, das am Montag veröffentlicht wurde. Es richtet sich an die Fraktionen im Abgeordnetenhaus und in den Bezirksparlamenten, aber auch an Stadtteilinitiativen und MieterInnenorganisationen.

Ende 2012 hatten zahlreiche MieterInnen das erste Dossier vorgestellt. Dort hatten sie zehn Lösungsvorschläge für Probleme aufgelistet, die MieterInnen besonders betreffen. „Eineinhalb Jahre später hat sich unsere Situation nicht verbessert. Die Frist für eine solidarische Stadt läuft ab“, begründet Gerlinde Walther von der Dossiergruppe die zweite Mahnung an die Politik.

Bereits im Vorwort weisen die VerfasserInnen auf die Verantwortung der Politik hin. Noch 2011 habe Klaus Wowereit hohe Mieten als ein Zeichen wirtschaftlicher Gesundung bezeichnet. In den vergangenen Monaten habe die Große Koalition „mit einer Mischung aus Irrwegen, Placebos und Ankündigungen“ auf die Wohnungsnot reagiert. Zu den Irrwegen zählen die MieterInnen auch die Konzentration des Senats auf den Wohnungsneubau. Damit würde das Problem der hohen Mieten nicht gelöst. „Freuen können sich Investoren und Banken“, heißt es.

Die VerfasserInnen des Dossiers fordern den Erhalt bestehender Wohnungen zu bezahlbaren Preisen. Ein Vetorecht gegen die Privatisierung kommunalen Wohnraums gehört ebenso in den Forderungskatalog des Dossiers wie eine Begrenzung der Mieterhöhung bei einer energetischen Sanierung.

Download unter http://mietendossier.blogsport.de

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F04%2F08%2Fa0111&cHash=fe91103bcd85fdc8e726841102088e13

Peter Nowak

Beginn des Organisierungsprozesses

Stadtpolitische Gruppen diskutierten über das Recht auf günstigen Wohnraum und akute Verdrängungsgefahren
Der Kongress »Wem gehört die Stadt?« lotete die Perspektiven von Mieterprotesten und Widerstand gegen Zwangsräumungen aus – selbstkritische Töne inklusive.

Im Mathematikgebäude der Technischen Universität Berlin sah es am Wochenende aus wie in den Hochzeiten des politischen Aktivismus. Zahlreiche Plakate und Transparente mit politischen Slogans waren aufgehängt. »Recht auf Stadt« und »Keine Verdrängung von Hartz-IV-Empfängern an den Stadtrand« war dort unter anderem zu lesen.

Und genau um diese Themen drehte sich ein dreitägiger Ratschlag, zu dem Mieterinitiativen und stadtpolitische Gruppen aufgerufen hatten. Der Kreis der Beteiligten reichte von der Initiative »A 100 stoppen«, die sich gegen den Autobahnbau wendet, über die in der außerparlamentarischen Linken verankerten Gruppen »andere zustände ermöglichen« (aze), Avanti und FelS bis zum Berliner Energietisch und den Palisadenpanthern. Die Seniorengruppe hatte in den letzten beiden Jahren mit zahlreichen Aktionen verhindert, dass für sie die Mieten in einer Seniorenwohnanlage in Friedrichshain unbezahlbar wurden. Dass sie sich auch nach ihrem Erfolg im letzten Jahr weiter als Teil der Mieterbewegung sehen, machte ein Mitglied der Palisadenpanther in seinem Kurzbeitrag bei der Vorstellungsrunde am ersten Tag des Ratschlags deutlich.

Viel Applaus erhielten auch die Delegierten des Bündnisses »Zwangsräumung verhindern«. Gleich zweimal mobilisierte es in der letzten Woche gegen eine Zwangsräumung. Beide Male wurden die Proteste mit einem großen Polizeiaufgebot beendet. Doch weitere Proteste sind nicht nur in Berlin in Vorbereitung. Am 12. April wird in Kreuzberg mit einer Demonstration an die Rentnerin Rosemarie F. erinnert, die im letzten Jahr zwei Tage nach einer Zwangsräumung verstarb. Am 16. April will sich das Berliner Bündnis in Köln an den Protesten gegen eine Zwangsräumung in der Rheinmetropole beteiligen. Der erste Räumungsversuch dort war gescheitert, nachdem sich zahlreiche Menschen dem Gerichtsvollzieher in den Weg gestellt hatten.

Dass sich der Protest bundesweit ausweitet, sehen die Aktivisten als Erfolg. Auf dem Ratschlag gab es aber auch viele selbstkritische Töne. Die berlinweite Vernetzung lasse noch zu wünschen übrig. Eine lange beworbene Demonstration im letzten Jahr habe zu wenig Ausstrahlung gehabt, meinten einige Redner. Zudem würden Anlaufpunkte für von Räumung bedrohte Mieter fehlen. In Kreuzberg hat die von Mietern errichtete Protesthütte diese Funktion übernommen. In anderen Stadtteilen könnten Mieterläden diese Rolle einnehmen.

Einige Teilnehmer vermissten die Berliner Mietergemeinschaft auf dem Ratschlag. Schließlich hatte diese Organisation im April 2011 unter den Titel »Vorsicht Wohnungsnot« eine Konferenz organisiert, die den Auftakt der Berliner Mieterproteste bildete. Fast drei Jahre später ist die Aufbruchsstimmung verflogen. Doch die Aktivisten haben auch gezeigt, dass die alltägliche Kleinarbeit eine wichtige Rolle spielt. Das kann die Erstellung eines Blogs ebenso sein wie die Beratung und Begleitung der von Räumung Betroffenen zu Hausbesitzern und Ämtern. »Der Ratschlag war der Beginn unseres Organisierungsprozesses«, brachte ein Mitglied des Vorbereitungskreises auf den Punkt.

Dass die Teilnehmerzahl hinter den Erwartungen der Organisatoren zurückblieb, ist für viele ein Ansporn, noch mehr Öffentlichkeitsarbeit außerhalb linker Kreise zu leisten.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/929364.beginn-des-organisierungsprozesses.html

Peter Nowak

Mietrebellen auf der Leinwand

Ein neuer Film zeigt den Protest der letzten Jahre

Bis auf den letzten Platz war das Berliner Kino Moviemento gefüllt. Dort hatte am vergangenen Sonntag der Film «Mietrebellen» Premiere. Viele der Protagonisten saßen im Publikum. Der 75-minütige Film liefert eine Übersicht der vergangenen zwei Jahre stadtpolitischen Protests und Widerstands in Berlin. Er beginnt mit einer traurigen Szene. Sie zeigt die Beerdigung von Rosemarie Fliess. Die 67-Jährige Rentnerin war im April 2013 gestorben, wenige Tage nachdem sie aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt wurde. Im Film erklärt sie wenige Tage vor ihrem Tod: «Ich bin ein Opfer der Zwangsräumung. Der Tod von Rosemarie Fliess hat kurzzeitig viele Menschen erschüttert und die Diskussion über ein Zwangsräumungsmoratorium zumindest für ältere und kranke Mieter angeregt.

Doch davon ist längst nicht mehr die Rede. Auch in Berlin werden täglich Menschen gegen ihren Willen aus ihren Wohnungen geräumt. Die Zahl derer, die sich dagegen wehren und an die Öffentlichkeit gehen, wächst langsam. Ihnen soll der Film Mut machen, was Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers gelungen ist. Die beiden Filmregisseure machen deutlich, dass sie auf Seiten der Mietrebellen stehen. Daher gelingt ihnen ein sensibles Porträt der Menschen, die sich an verschiedenen Orten der Stadt gegen Vertreibung wehren.

Die verrentete Gewerkschafterin Nuriye Cengiz, die um den Verbleib in ihrer rollstuhlgerechten Wohnung in Kreuzberg kämpfte, hat im Film ebenso ihren Platz wie die »Palisadenpanther« und die Initiative »Stille Straße«. Diese beiden Seniorengruppen aus Friedrichshain und Pankow wurden über Deutschland hinaus bekannt, weil sie sich erfolgreich gegen ihre Verdrängung wehrten. Am Schluss des Films bezeichnet ein Aktivist die aktuelle Diskussion um die Mietpreisbremse als eine Reaktion auf die Proteste. Regisseur Mattias Coers sieht darin eher ein Placebo. »Jedem, der sich mit dem Wohnungsmarkt kritisch auseinandersetzt, wird klar, dass die neuen Regelungen der sogenannten Mietpreisbremse schon von der Wahl der Begrifflichkeit her in erster Linie dazu gedacht sind, die Bevölkerung zu beruhigen.«

Damit das nicht gelingt und die Proteste weitergehen, liefert der kurzweilige Film neben Ermutigung auch Anregungen. So wird im Film gezeigt, wie Aktivisten im Schenkendorf im Umland von Berlin auf Spurensuche begaben. Dort hatte einer der Immobilienhändler, der die Zwangsräumungen von Wohnungen in Berlin vorantrieb, ein altes Schloss gekauft. Es steht seitdem leer und verfällt. Mehrere Dorfbewohner wollen das Schloss wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/929051.mietrebellen-auf-der-leinwand.html

Peter Nowak