Steven Taylor: Die Pandemie als psychologische Herausforderung. Psychosozial-Verlag, 185 S., br., 19,90 €.

Angstmachen als Strategie

Steven Taylor stellt Ansätze für ein psychosoziales Krisenmanagement vor. In einem eigenen Kapitel wird die »Regelbefolgung durch Angsterzeugung« diskutiert, die Taylor als häufige Strategie bei Gesundheitsfördermaßnahmen bezeichnet.

Steven Taylor, US-Professor für Klinische Psychologie, begann die Arbeit an der englischen Fassung seines Buches im Frühjahr 2018. Im Oktober 2019, kurz vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie, erschien der Band unter dem Titel »Die Pandemie als psychologische Herausforderung«. In kurzen Kapiteln wird, auch für Laien verständlich, präzise erklärt, was eine ….

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Gegen das Arbeitnehmerpatriarchat

Über eine etwas verkürzte Geschichte der DGB-Frauen von Sibylle Plogstedt
„Trotz aller gesellschaftlichen Fortschritte: Der Internationale Frauentag hat seine Existenzberechtigung nicht verloren“, hieß es in einer Erklärung des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg zum 8. März 2013. Das war nicht immer so. 1980 wollte der DGB-Bundesvorstand verhindern, dass sich gewerkschaftliche Frauen an den Aktionen zum 8.März beteiligen. Schließlich werde der in der DDR gefeiert und Clara Zetkin, die als wichtige Initiatorin gilt, war nach 1919 Mitglied der Kommunistischen Partei, lautete die Begründung. Nachdem örtliche gewerkschaftliche Initiativen die Vorstandsanweisung ignorierten und die Zahl der BesucherInnen gewachsen war, beschloss der DGB, eigene Aktionen zum 8. März zu organisieren. Dabei war man aber bemüht, eine neue Geschichte dieses Tages zu kreieren. Ein historisches Gutachten machte darauf aufmerksam, dass der Anlass für den Internationalen Frauentag ein Streik von Textilarbeiterinnen in den USA gewesen ist. Zetkins Rolle in der Durchsetzung des 8. März’ als Kampftag der proletarischen Frauenbewegung wurde einfach ausgeblendet. Diese heute weitgehend vergessenen Querelen um den 8. März im DGB finden sich dankenswerterweise in dem von Sibylle Plogstedt verfassten Buch „Wir haben Geschichte geschrieben“ wieder. Die Autorin war als undogmatische Linke in der außerparlamentarischen Bewegung aktiv und Mitbegründerin der Frauenzeitung Courage. Die hatte, anders als die heute bekanntere Emma, schon früh Kontakte auch zu Frauen in der Gewerkschaftsbewegung gesucht.
Kein Geld für Geschichte
Mit ihrer Geschichte der Frauen im DGB leistet Plogstedt Pionierarbeit. Dabei hatten die DGB-Frauenausschüsse bereits 1980 den Beschluss gefasst, ihre eigene Geschichte aufzuschreiben. Allerdings verfügte die Frauenabteilung über keinen eigenen Etat. Diese Episode ist durchaus symptomatisch für den Umgang des DGB-Apparates mit der eigenständigen Organisation der Frauen, wie Plogstedt im Detail nachweist. Sie geht chronologisch vor und beschreibt die Geschichte der gewerkschaftlichen Frauen von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Jahr 1990. Dieses Jahr ist tatsächlich auch für die DGB-Frauen eine Zäsur. Erstmals stehen sie nicht mehr unter der Ägide einer CDU-Frau. Die Ära von Maria Weber war beendet. Dass für mehr als vier Jahrzehnte ein CDU-Mitglied für dieses Amt zuständig war, ist keineswegs der Wille der DGB-Frauen gewesen. Vielmehr zeigt Plogstedt, wie die sich anfangs dagegen wehrten. Doch der männlich geprägte DGB-Vorstand wollte zwei „Minderheiten“ auf einem Posten unterbringen: Frauen und CDU/CSU-Mitglieder mussten in den Führungsgremien einer Einheitsgewerkschaft, wie sie die DGB-Spitze verstand, berücksichtigt werden. Die dagegen aufbegehrenden Frauen wurden vom zuständigen Sekretär brüsk zurückgewiesen. „Frauen durften nur im Rahmen der allgemeinen Konferenzen des DGB entscheiden, aber die Bundesfrauenkonferenz selbst war dort nicht antragsberechtigt“ (S. 95), beschreibt Plogstedt das Dilemma. Die Erwartungen des männlichen DGB-Vorstands formulierte Kollege Karl auf der ersten Frauenkonferenz des DGB: „Ich bitte Sie Ihre Anträge und Wünsche so zu formulieren und zu adressieren, dass über ihre Konferenz nachträglich nicht ungünstig beurteilt wird“ (S. 95). Folge dieser bürokratischen Eingriffe: „Beim zweiten DGB-Kongress verstummten die Frauen“ (S. 103). Viele in der unmittelbaren Nachkriegszeit aktive DGB-Frauen meldeten sich bei den Gewerkschaftskongressen kaum noch zu Wort. Der Konflikt innerhalb der DGB-Frauengremien spitzte sich erst Mitte der 60er Jahre wieder zu. Während dort eine Mehrheit für eine Reform des Abtreibungsrechts votierte, lehnte es die Katholikin Maria Weber aus Gewissensgründen ab, den Beschluss nach Außen zu vertreten.
Abqualifizierung linker GewerkschafterInnen
Plogstedt hat eine Organisationsgeschichte der Frauen im DGB geschrieben, die man ohne historisches Vorwissen lesen kann. Man entdeckt dort manche lange vergessene Episode der DGB-Geschichte und stößt auf manche zu Unrecht vergessene Diskussion. So wird an Claudia Pinls 1977 erschienene Schrift „Das Arbeitnehmerpatriarchat“ erinnert, die präzise die antifeministischen Strömungen in den männlichen DGB-Funktionärsetagen beschrieb. Manche Gewerkschafterin bemerkte schon launig, dass das Ausmaß des gewerkschaftlichen Antifeminismus größer sei als die Abwehr gegenüber Frauen in bürgerlichen Organisationen. Es ist Plogstedts Verdienst, in ihrem Buch an diese Debatten zu erinnern. Allerdings sollten auch die kritischen Punkte in ihrem Buch nicht vergessen werden.
Mit der Konzentration auf die Organisationsgeschichte kommt die gewerkschaftliche Basisbewegung, die immer auch von vielen aktiven Frauen getragen wurde, deutlich  zu kurz. So wird beispielswiese Fasia Jansen, die im Ruhrgebiet jahrzehntelang viele gewerkschaftliche Kämpfe begleitet hat, darunter die Streiks für die 35-Stunden-Woche, wird in dem Buch gar nicht erwähnt.
Immerhin wird in einem kleinen Kapitel auf die Streiks der Heinze- und Pierburg-Frauen für gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit hingewiesen.
Könnte die Konzentration auf die gewerkschaftliche Organisationsgeschichte vielleicht auch damit zu tun haben, dass in den Streikbewegungen auch KommunistInnen oder LinkssozialistInnen aktiv waren? Denn die werden im Buch entweder gar nicht oder nur negativ erwähnt. Das zeigte sich an Plogstedts Darstellung Kaltstellens  der Gewerkschaftssekretärin Karin Roth. Die spätere SPD-Spitzenfunktionärin Anke Fuchs brachte die Gründe gut auf den Punkt: „Karin Roth wollte zu meiner Zeit bei mir eingestellt werden. Die war mir aber zu links. Die habe ich nicht genommen“ (S. 376). Plogstedt teilt die Ansicht von Fuchs und anderen Roth-KritikerInnen: „Roth zählte damals zu den Hoffnungsträgerinnen der traditionellen Linken in der IG-Metall. Kaum jemand war so umstritten wie sie“ (S. 376). Der Terminus traditionelle   Linke war damals zu einem Kampfbegriff geworden, mit den GewerkschaftsmitgliederInnen bezeichnet wurden, die für eine klassenkämpferische Gewerkschaftspolitik   eintraten und dabei auch zu  Bündnisse mit Gruppierungen links von der SPD bereit waren.  Dazu gehörte Karin Roth, die  seit 1972 SPD-Mitglied war,    in den 80er Jahren aber noch enge Kontakte auch zu linken Initiativen außerhalb der SPD hatte. Erst in den 90er Jahren trat  auch Karin Roth  den  Marsch  durch  sozialdemokratische Organisationen  an, war für   einige Jahre  Senatorin in Hamburg und danach Staatssekretärin in der rot-grünen Bundesregierung.
Plogstedt zeigt in ihrer Geschichte der DGB-Frauen auch, welch eingeschränktes Verständnis von Einheitsgewerkschaft in der Funktionärsetage von Anfang an dominierte. Während in der Gestalt von Maria Weber die christdemokratische und christsoziale Komponente auf der Führungsebene in einer Person vertreten war, galten LinksozialistInnen oder gar KommunistInnen als Kräfte von außen, die die Gewerkschaften vereinnahmen wollten und daher bekämpft werden müssen. Dass sie genauso Teil der Einheitsgewerkschaft DGB sein könnten wie Sozial- und ChristdemokratInnen, kam der DGB-Führung gar nicht in den Sinn und Plogstedt teilt diese Lesart weitgehend. So hat Plogstedt neben der Geschichte der DGB-Frauen auch eine Geschichte des DGB-Apparates geschrieben, die man kritisch lesen sollte.

express-Ausgabe 7-8/2014

http://www.express-afp.info/newsletter.html
Peter Nowak
Sibylle Plogstedt, Wir haben Geschichte geschrieben, Zur Arbeit der DGB-Frauen (1945- 1990), Psychosozial-Verlag, Gießen 2013, 519 Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 978-3-83792318-6

Ein langer Weg zum Frauenkampftag

Sibylle Plogstedt legte eine lesenswerte Geschichte der DGB-Frauen vor

Der Weg zur Emanzipation der DGB-Frauen in der eigenen Organisation war ein steiniger. Bürokratische Hindernisse und ideologische Differenzen galt es zu überwinden.

»Trotz aller gesellschaftlichen Fortschritte: der Internationale Frauentag hat seine Existenzberechtigung nicht verloren«, heißt es in einer Erklärung des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg zum 8. März. Das war nicht immer so. 1980 wollte der DGB- Bundesvorstand durchsetzen, dass sich gewerkschaftliche Frauen nicht an den Aktionen zum 8.März beteiligen. Schließlich werde der in der DDR gefeiert und Clara Zetkin, die als wichtige Initiatorin gilt, war Mitglied der Kommunistischen Partei. Nachdem örtliche Initiativen die Vorstandsanweisung ignorierten und die Zahl der Besucherinnen gewachsen war, beschloss der DGB eigene Aktionen zum 8. März zu organisieren.

Dabei war man aber bemüht, den Tag von Clara Zetkin zu trennen. Ein historisches Gutachten machte darauf aufmerksam, dass der Anlass für den Internationalen Frauentag ein Streik von Textilarbeiterinnen in den USA gewesen ist. Die heute weitgehenden vergessenen Querelen um den 8. März im DGB verdanken wir dem Buch »Wir haben Geschichte geschrieben«, dass Sibylle Plogstedt herausgegeben hat. Die Autorin war als undogmatische Linke in der außerparlamentarischen Bewegung aktiv und Mitbegründerin der Frauenzeitung Courage.

Die hatte anders als die heute bekanntere Emma schon früh Kontakte auch zu Frauen in der Gewerkschaftsbewegung gesucht. Mit ihrer Geschichte der Frauen im DGB leistete Plogstedt Pionierarbeit. Dabei hatten die DGB-Frauenausschüsse bereits 1980 den Beschluss gefasst, ihre eigene Geschichte aufzuschreiben. Allerdings verfügte die Frauenabteilung über keinen eigenen Etat. Diese Episode ist durchaus symptomatisch für den Umgang des DGB-Apparates mit der eigenständigen Organisation der Frauen, wie Plogstedt nachweist.

Sie geht chronologisch vor und beschreibt die Geschichte der gewerkschaftlichen Frauen von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Jahr 1990. Dieses Jahr ist tatsächlich auch für die DGB-Frauen eine Zäsur. Erstmals stehen die DGB-Frauen nicht mehr unter der Ägide von CDU-Frauen. Dass mehr als vier Jahrzehnte Mitglied von CDU/CSU für dieses Amt zuständig waren, ist allerdings nicht der Wille der DGB-Frauen gewesen.

Vielmehr zeigt Plogstedt auf, wie die sich sogar dagegen wehrten. Doch der männlich geprägte DGB-Vorstand wollte in ihren Augen zwei Minderheiten in einen Posten unterbringen: Frauen und CDU/CSU-Mitglieder mussten in den Führungsgremien einer Einheitsgewerkschaft berücksichtigt werden. Die dagegen aufbegehrenden Frauen wurden vom zuständigen Sekretär brüsk zurückgewiesen. Plogstedt beschreibt die Folgen dieser bürokratischen Eingriffe. Viele in der unmittelbaren Nachkriegszeit aktive DGB-Frauen meldeten sich bei Gewerkschaftskongressen kaum noch zu Wort. Der Konflikt innerhalb der Frauengremien spitzte sich erst Mitte der 1960er Jahre wieder zu. Während dort eine Mehrheit für eine Reform des Abtreibungsrechts votierte, lehnte es die Christsoziale Maria Weber aus Gewissensgründen ab, den Beschluss nach Außen zu vertreten.

Sibylle Plogstedt hat eine Organisationsgeschichte der Frauen im DGB geschrieben, die man ohne historisches Vorwissen lesen kann und sollte. Eine ähnliche Geschichte des FDGB wäre wünschenswert, denn der wird in dem Buch recht undifferenziert abqualifiziert.

Sibylle Plogstedt, Wir haben Geschichte geschrieben, Zur Arbeit der DGB-Frauen 1945- 1990, Psychosozial-Verlag, 519 Seiten, 19,90 Euro

http://www.neues-deutschland.de/artikel/926159.ein-langer-weg-zum-frauenkampftag.html

Peter Nowak

„Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste“

Die Geschichte von Hilde und Rose Berger
Kürzlich hat der Gießener Psychosozial-Verlag einen Interviewband mit der Lebensgeschichte der mittlerweile verstorbenen Hilde und Rose Berger  veröffentlicht und damit  das Schicksal der   jüdischen  Familie Berger in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Der Band enthält mehrere Interviews, die die  Geschwister zwischen 1978 und 1997 in den USA gaben,  sowie  einen von Hilde Berger 1980 verfassten Bericht über ihr Leben  und ihre politisches Engagement  in Berlin. Schon früh  befanden   sie sich  in Opposition zum streng  religiösen Vater und dem deutschnationalen Klima an ihrer Schule. Zunächst engagierten  sie sich  in einer zionistischen Jugendorganisation, wo sie die Schriften von Marx und Engels kennenlernten.  Rose, Hilde und Hans Berger wurden  Mitglieder  der Kommunistischen Jugendorganisation, gerieten aber  bald in Opposition zu den autoritären Organisationsstrukturen, die Kritik verunmöglichten.
Nach ihren Ausschluss aus der KP-Jugend engagierten  sich die drei Geschwister mit FreundInnen in einer trotzkistischen Organisation und bauten  nach 1933 deren illegalen  Organisationsstrukturen in Berlin auf. Hier böte sich sicherlich Material zum Weiterforschen an. Denn noch immer ist die trotzkistische Widerstandsbewegung gegen den NS wenig bekannt. Hilde Berger liefert auch einige Beispiele vom unverantwortlichen Handeln der KPD, die noch im Frühjahr 1933 die Namen oppositioneller KommunistInnen, die als Konterrevolutionäre bezeichnet werden, in ihren Publikationen veröffentlichte.  Natürlich kamen auf diese Weise auch die Nazis und die Polizei an die Daten.“Mein Bruder und ich hatten Angst, dass die Kommunisten unsere Namen veröffentlichten. Also beschlossen wir, woanders hinzuziehen“, erinnerte sich Hilde Berger.
Dass  Hans Berger 1936 verhaftet  und nach der Verbüßung seiner sechsjährigen Haftstrafe in Auschwitz ermordet wurde, war allerdings nicht auf diese Denunziation der Stalinisten sondern auf das Einschleusen eines Spitzels in die Organisation zurückzuführen. Regina Berger konnte nach Frankreich fliehen und überlebte die deutsche Besatzung in der Illegalität. Ihre Schwester  entkam  nach mehreren Gefängnisaufenthalten in Deutschland nach Polen, wo sie bald von den deutschen Häschern eingeholt wurde. Im KZ Plaszow musste sie als Schreibkraft Oskar Schindlers berühmt gewordene Liste abtippen und konnte sich und einigen FreundInnen das Leben retten. Dort traf sie auch auf den späteren Krupp-Manager Berthold Beitz als Teil der deutschen Administration. Als die Rote Armee näherrückte,  bekam sie eine Unterhaltung von SS-Männern mit, nach der die dort aufgelisteten Gefangenen in den tschechoslowakischen Ort Brünnltiz gebracht werden sollen. „Mir wurde klar, dass  dieser  Brünnlitz-Transport bessere Überlebenschancen hatte als die anderen Transporte. Deshalb trug ich mich, Kuba und einige andere enge Freunde ebenfalls auf diese Transportliste ein“, erinnert sich Hilde Berger.
Ein Kritikpunkt soll  bei dem ansonsten verdienstvollen Buch  angebracht werden.  Der Herausgeber  Reinhard Hesse kritisiert Hilde Berger als rigoros, weil sie sich nach 1945 geweigert hatte, Berthold Beitz einen Persilschein auszustellen. Sie erkannte an, dass er Leben von Juden gerettet hat, erinnerte sich aber auch seine  antisemitische Gespräche  und seiner Bereitschaft, von den Geretteten, Geschenke anzunehmen. Im Dokumententeil des Buches ist der Briefwechsel zwischen Berger und Beitz  von 1948  abgedruckt. Nachdem sich Berger geweigert hat, ihn  zu entlasten, drohte Beitz, „mit ihnen müsste jemand mal richtig „deutsch“ reden“. Diese Unverschämtheit gegenüber einer Frau, die knapp  den deutschen Vernichtungswahn überlebt und einen großen Teil ihrer Angehörigen und Freunde verloren hat, wird von Hesse nicht etwa zurückgewiesen sondern verteidigt. Dafür darf sich Beitz in der Einleitung gespreizt darüber auslassen, dass Hilde Berger sich nicht in seine  „komplexe und dilemmatische Lage“ hineinversetzen konnte. Sich in die Lage von Hilde Berger hineinzuversetzen,  kam  den Elitemenschen Beitz der schon 1948 von seinen neuen Karrierechancen in der Nachkriegsrepublik schwärmte,  natürlich nicht in den Sinn.  Dafür bekam Beitz kürzlich auf einem Staatsbegräbnis Lob von Politik und Wirtschaft.  Die Bergers waren bis zum Erscheinen dieses Buches vergessen.

„Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste“. Die Geschichte von Hilde und Rose Berger, (Hrg. Reinhold Hesse), Gießen, Psychosozial Verlag, 2013, 223 Seiten, 19,90 Euro
aus:
Sozialistische Zeitung/ SoZ, November 2013,
http://www.sozonline.de/2013/11/inhalt-soz-112013/#more-8816
Peter Nowak

Wenig beachtet

Aktuelle Debatten der sozialpsychologischen NS-Forschung

Warum hat ein Großteil der deutschen Bevölkerung selbst als das Ende des Hitlerregimes abzusehen war, keinen Widerstand geleistet?  Diese Frage beschäftigt die historische Forschung seit Jahrzehnten. Im Gegensatz zu Erklärungsansätzen, die Hitlers angebliches Charisma oder die Repression dafür verantwortlich machen werden sozialpsychologische Erklärungsansätze noch immer zu wenig beachtet. Das im Psychosozial-Verlag erschienene Buch „Volksgemeinschaft, Täterschaft und Antisemitismus“ gibt einen auch für Laien guten Überblick über die aktuelle Debatte der sozialpsychologischen NS-Forschung. In acht Aufsätzen diskutieren Wissenschaftler der Arbeitsgemeinschaft Politische Psychologie an der Leibnitz Universität Hannover historische Fragen. So setzt sich der Sozialwissenschaftler Sascha Howard kritisch mit Götz Alys vieldiskutierter These vom NS-Sozialstaat für deutsche Volksgenossen auseinander. Demgegenüber betont Howard, dass es bei NS-Volksgemeinschaft gerade nicht um eine materielle Egalität ging: „Anstelle von Gleichheit wurde Homogenität erzeugt, die soziale Realität war von Ausgrenzung gekennzeichnet, vom Fortbestand sozialer Ungleichheit etwa in Bezug auf die Reallöhne als auch von neuen Ungleichheiten, die sich aus der rassistischen Politik ergaben“.

Die Literaturwissenschaftlerin Isabelle Hannemann zeichnet die feministische Debatte über die Rolle der Frau im NS nach. Im Zentrum ihres Beitrags steht „der Zickzackkurs der historischen Frauenforschung und die Frage, warum man deutsche Frauen zunächst als Unschuldige, gar als Opfer patriarchaler Umstände oder lediglich als Mittäterinnen betrachtete, obwohl einige bereits im Bergen-Belsen-Prozess 1945 als Täterinnen hingerichtet wurden.“ Es ist wohl auch ein Ausdruck für Herabsetzung weiblicher Wissenschaftstätigkeit, dass die Historikerinnendebatte über die Rolle der Frau im NS anders als die von Ernst Noltes Thesen angestoßene Historikerdebatte öffentlich kaum wahrgenommen wurde. Mehrere Aufsätze im Buch setzen sich mit der These, die NS-Täter seien ganz normale Staatsbürger gewesen, auseinander. Als Beispiel für „die Banalisierung des nationalsozialistischen Verbrechens im Zeichen des Normalitätsdogmas“ setzt sich der Soziologieprofessor Rolf Pohl kritisch mit den Thesen des Sozialwissenschaftlers Harald Welzer auseinander, der es ablehnt, die NS-Politik nach einer „Nachkriegsmoral“ zu be- und verurteilen. Pohl erinnert diese Argumentation an die Verteidigungslinie des ehemaligen baden württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger, der erklärte, was damals recht war, kann heute nicht Unrecht sein. Über antisemitische Feindbilder, die ebenso wie die Volksgemeinschaftsideologie den Nationalsozialismus überdauert haben, informiert der Psychologe Sebastian Winter mit Rückschriften auf Schriften von Margarete Mitscherlich und Klaus Theweleit.

Brunner Markus, Lohl Jan, Pohl Rolf, Winter Sebastian (Hg.), Volksgemeinschaft, Täterschaft und Antisemitismus, Beiträge zur psychoanalytischen Sozialpsychologie des Nationalsozialismus und seiner Nachwirkungen;

https://www.neues-deutschland.de/artikel/205629.wenig-beachtet.html

Peter Nowak


Sozialpsychologische NS-Forschung

Warum hat die NS-Volksgemeinschaft bis zum Schluss funktioniert? Das Buch „Volksgemeinschaft, Täterschaft und Antisemitismus“ gibt in acht Aufsätzen einen auch für Laien verständlichen Überblick über die sozialpsychologische Forschung. Im Gegensatz zu Götz Alys These vom NS-Sozialstaat für deutsche VolksgenossInnen betont Sascha Howard, dass es bei der Volksgemeinschaft nicht um eine materielle Egalität ging: „Anstelle von Gleichheit wurde Homogenität erzeugt, die soziale Realität war von Ausgrenzung gekennzeichnet, vom Fortbestand sozialer Ungleichheit etwa in Bezug auf die Reallöhne als auch von neuen Ungleichheiten, die sich aus der rassistischen Politik ergaben.“ Isabelle Hannemann schreibt über den „Zickzackkurs der historischen Frauenforschung und die Frage, warum man (deutsche Frauen) zunächst als Unschuldige, gar als Opfer patriarchaler Umstände oder lediglich als Mittäterinnen betrachtete, obwohl einige bereits im Bergen-Belsen-Prozess 1945 als Täterinnen hingerichtet wurden.“ Mehrere Aufsätze setzen sich mit der These auseinander, die NS-Täter seien ganz normale Staatsbürger gewesen. Als Beispiel für „die Banalisierung des nationalsozialistischen Verbrechens im Zeichen des Normalitätsdogmas“ setzt sich Rolf Pohl kritisch mit dem auch bei Linken beliebten Harald Welzer auseinander. Pohl erinnert Welzers Weigerung, die NS-Politik an einer „Nachkriegsmoral“ zu messen, an die Verteidigungslinie des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger (CDU): „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“
 
 
Markus Brunner u.a. (Hg.): Volksgemeinschaft, Täterschaft und Antisemitismus. Beiträge zur psychoanalytischen Sozialpsychologie des Nationalsozialismus und seiner Nachwirkungen. Psychosozial Verlag, Hannover 2011. 252 Seiten, 24,90 EUR

http://www.akweb.de/ak_s/ak562/30.htm

Peter Nowak