Betriebsarbeit für die Revolution

Ein Film über eine Gruppe linker Gewerkschafter bei Opel Bochum ist nicht nur historisch interessant

»Angefangen hatte es damit, dass sich vor etwa drei Jahren der Religionslehrer Wolfang Schaumberg und der Volksschullehrer Klaus Schmidt bei den Opel-Werken als Hilfsarbeiter verdingten.« Am Anfang des Dokumentarfilms über die Gruppe oppositioneller Gewerkschafter (GoG) in Bochum wird dieses Zitat aus der wirtschaftsnahen Wochenzeitung »Die Zeit« vom 24.8.1973 eingeblendet. Gleich danach sitzt Wolfgang Schaumberg im Jahr 2018 in einem Klassenraum vor einer Tafel und erzählt, wie er und viele Genoss*innen mit ihrer Betriebsarbeit vor mehr als 45 Jahren die Weltrevolution vorantreiben wollten, berichtet, wie die jungen Linken Kontakte mit kommunistischen Genoss*innen aus Deutschland und Spanien knüpften, die bei Opel arbeiteten. Im Anschluss ist Willi Hajek zu sehen, der als Jugendlicher vom Pariser Mai beeindruckt war und den Geist der Revolte als GoG-Mitglied in die Bochumer Fabrik tragen wollte. Robert Schlosser erinnert sich schließlich, wie er als Jungarbeiter zu der Gruppe stieß, weil die – anders als die IG-Metall-Gewerkschafter – nicht auf Sozialpartnerschaft setzten, sondern bereit waren, sich mit Bossen und Meistern anzulegen.

Das kam damals nicht nur bei den jungen Kolleg*innen an. 1975 bekam die GoG bei den Betriebsratswahlen über 5000 Stimmen und erhielt damit knapp ein Drittel der Sitze. Das war auch eine Quittung für den alten Betriebsrat, der mit dem Management gekungelt hatte. Die IG Metall war auf die linke Konkurrenz nicht gut zu sprechen. Mehrere GoG-Mitglieder wurden ausgeschlossen, einige erst nach vielen Jahren wieder in die Gewerkschaft aufgenommen.

Die Gruppe, die sich seit 1972 jede Woche getroffen hatte, hielt auch nach der Schließung von Opel im Jahr 2014 Kontakt und begann, über einen Film nachzudenken, der von den vielen Kämpfen der Belegschaft erzählt. Die linke Videoplattform labournet.tv, die Filme über die globalen Arbeitskämpfe veröffentlicht, wurde schließlich mit der Umsetzung beauftragt.

Der entstandene Film zeigt die alltägliche Kleinarbeit linker Gewerkschafter*innen, die für ein langfristiges Engagement entscheidend war. Dazu gehört der Kampf um den Bildungsurlaub, der es den Beschäftigten ermöglichte, den Betrieb eine Woche zu verlassen und sich mit anderen Themen zu beschäftigen. Manche lernten dort Texte von Marx kennen. Noch heute schwärmen Gründungsmitglieder der GoG von der Euphorie der ersten Jahre, als sie durch die ganze Republik fuhren und über ihre Erfolge bei Opel Bochum berichteten.

Doch nach 1975 ging in der BRD-Linken das Interesse an Betriebsarbeit zurück. Im linken Milieu kündigte sich der Abschied vom Proletariat an. Auch einige der GoG-Mitbegründer verließen die Fabrik und setzten ihr Studium fort.

Doch die Gruppe hatte sich mittlerweile stabilisiert und sorgte dafür, dass Opel ein rebellischer Betrieb blieb. 2004 machte das Werk mit einem siebentägigen wilden Streik gegen Entlassungspläne noch einmal bundesweit Schlagzeilen. Beschäftigte, die den Betrieb und die Autobahn lahmlegen – solche Bilder kannte man von Arbeitskämpfen in Frankreich, aber nicht in der BRD. Hier ging die Saat auf, die die GoG gesät hatte.

Und doch entschied sich in einer Urabstimmung schließlich eine große Mehrheit der Belegschaft dafür, den Streik zu beenden, gerade in dem Augenblick, als er Wirkung zeigte. Noch heute sind damalige Aktivist*innen enttäuscht. Der Rückgang des Betriebsaktivismus machte sich auch in Stimmverlusten für die GoG bei den Betriebsratswahlen bemerkbar. Daher war es für Gewerkschafter wie Wolfgang Schaumberg nicht verwunderlich, dass bei der Abwicklung von Opel Bochum ein mit 2004 vergleichbarer Widerstand ausblieb. Im Dezember 2014 ging es nur noch um Abfindungen und Auffanggesellschaften – mehr nicht.

Spätestens seit aus Opel GM geworden war und die einzelnen Standorte gegeneinander ausgespielt wurden, war den GoG-Aktivist*innen klar, dass linker Gewerkschaftsarbeit, wie sie sie vorangetrieben hatten, eine Niederlage drohte. Im Film wird gezeigt, wie die linken Opelaner*innen dieser kapitalistischen Konkurrenzlogik Arbeiter*innensolidarität entgegensetzen wollten. Sie fuhren in den 1990er Jahren an Opelstandorte in anderen Ländern wie Polen oder Spanien, um eine gemeinsame Front gegen die Kapitalstrategie zu bilden. Damit sind sie jedoch gescheitert, wie die Beteiligten heute resümieren. Die Kapitallogik der Konkurrenz hat sich durchgesetzt. Die Bedingungen für linke Gewerkschaftsarbeit, die sich entschieden gegen Standortlogik stellt, wurden schlechter.

Dennoch ist der Film kein Abgesang auf gescheiterte Hoffnungen. Mehrere Kolleg*innen betonen, dass ihre Erfahrungen auch heute noch aktuell sind, bei Amazon oder im Kampf gegen Leiharbeit in der Metallbranche: »Ein konsequenter betrieblicher Verteidigungskampf erfordert noch immer eine gut begründete Kapitalismuskritik, die Entlarvung falscher Argumente und illusorischer Hoffnungen«, betont Schaumberg.

Zur Fertigstellung benötigt der Film noch Geld, unter anderem für die Lizenzgebühren. Bis zum 25. August sollen per Crowdfunding 4000 Euro gesammelt werden.

www.startnext.com/gog

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1097548.arbeitskampf-betriebsarbeit-fuer-die-revolution.html

Peter Nowak

Klassiker der Anti-AKW-Bewegung verfilmt

»Friedlich in die Katastrophe« bietet auch Gelegenheit zu kritischer Rückschau

Mit 1360 Seiten ist das Buch »Friedlich in die Katastrophe« von Holger Strohm ziemlich monumental. Wer vor der Lektüre des dicken Wälzers zurückschreckt, kann sich ab 27. September im Kino ein filmisches Update des Klassikers der Anti-AKW-Bewegung ansehen.

In einem neuen, zweistündigen Film des Regisseurs Marcin El bringt der Publizist Holger Strohm mit jungen Filmemachern seine Kritik an der AKW-Technologie auf die Leinwand und gibt gleichzeitig Einblick in die Geschichte einer Bewegung. Wir begegnen wichtigen Exponenten der Anti-AKW-Bewegung wie dem Zukunftsforscher Robert Jungk, dem Fotochronisten Günter Zimt, der langjährigen Wendland-Aktivistin Marianne Fritzen, aber auch Hanna Poddig, die in den letzten Jahren durch Aktionen zivilen Ungehorsams bekannt geworden ist.
Antibiotika

Holger Strohms Buch brachte »einen erheblichen Niveausprung in der bundesdeutschen Kernkraft-Kritik«, so der Historiker Joachim Radkau. Dabei sprach zunächst nichts dafür, dass das Buch einmal ein solches Echo bekommen sollte. Es ist schon 1971 entstanden, als sich die Kritik an der Atomtechnologie auch in der Linken in der Hauptsache gegen die Kernwaffen richtete. Die friedliche Nutzung der Atomkraft dagegen hatte damals auch noch in Robert Jungk einen begeisterten Fürsprecher, der später jedoch mit seinen Buch »Atomstaat« die Gegenbewegung ebenso prägen sollte wie Strohm. Der hatte anfangs Schwierigkeiten, überhaupt einen Verlag zu finden. Als das Buch 1981 beim Verlag Zweitausendeins herauskam, wurde es zu einem Bestseller. Denn mittlerweile hatte der Atomunfall von Harrisburg weltweit zum Anwachsen der Anti-AKW-Bewegung beigetragen.

Besonders in Deutschland legten viele Aktivisten ihre Marx- und Leninbände beiseite und widmeten sich fortan dem Widerstand gegen die Atomkraftwerke. Dabei konnten sie Strohm nicht nur im theoretischen Disput erleben. Das langjährige SPD-Mitglied war wegen seiner AKW-Kritik 1978 aus der Partei ausgeschlossen worden und kandidierte als Spitzenkandidat der »Bunten Liste – Wehrt Euch«, die später zur Grün-Alternativen Liste werden sollte, für die Hamburger Bürgerschaft.

Linke Teile der Anti-AKW-Bewegung übten zunehmend Kritik an Strohms katastrophischem Weltbild, das auch den Film prägt. Die Endzeitstimmung der späten 80er und frühen 90er Jahre hat auch dazu geführt, dass Gesellschaftskritik oft zugunsten von spirituellen Welterklärungsmustern aufgegeben wurde. Auch dafür ist Strohm ein Beispiel. Der Film bietet so nicht nur die Chance, ein wichtiges Werk der Anti-AKW-Bewegung kennen zu lernen, sondern zugleich auch Anregungen, sich kritisch mit der Geschichte und den Argumenten der AKW-Bewegung zu beschäftigen.

»Friedlich in die Katastrophe« hat am 24.9. um 20 Uhr im Hamburger Kino Abaton und am 29.9. um 17.15 und 19.45 Uhr im Berliner Lichtblick-Kino (www.lichtblick-kino.org ) Premiere. Strohm und der Regisseur sind anwesend.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/
239543.klassiker-der-anti-akw-bewegung-verfilmt.html
Peter Nowak

Erinnerung an die Folternacht von Genua

Der Überfall von 300 schwerbewaffneten Polizisten auf in der Diaz-Schule von Genua schlafende Globalisierungskritiker am 21. Juli 2001 sorgte weltweit für Entsetzen. Jetzt hat der italienische Regisseur Carlo Bachschmidt sieben Menschen porträtiert, die damals verletzt wurden. Sie berichten über ihre Probleme, nach den Foltererlebnissen in den Alltag zurückfinden, von Traumatisierungen, aber auch von dem Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Der Dokumentarfilm holt eine Nacht zurück ins Bewusstsein, als mitten in einem Rechtsstaat alle Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden. Der Film kann für Veranstaltungen ausgeliehen werden (gipfelsoli@nadir.org).

http://www.neues-deutschland.de/artikel/218546.bewegungsmelder.html

Peter Nowak

Banker gegen Kunst

Der Aktionskünstler Philipp Ruch über die Schwierigkeiten, wenn Pressesprecher ihre Äußerungen zurücknehmen wollen
Philipp Ruch ist Gründer des Zentrums für Politische Schönheit, in dem Aktionskünstler mit politischen Aktivisten zusammenarbeiten. Gegen ihren Film »Schuld – Die Barbarei der Privatheit« über Nahrungsmittelspekulationen wollte die Deutsche Bank juristisch vorgehen. Peter Nowak sprach mit dem Aktionskünstler, der wie alle Mitglieder des Zentrums bei öffentlichen Auftritten an Kohle- und Rußspuren erkennbar ist. Denn: Sie wühlen in den verbrannten politischen Hoffnungen Deutschlands.
nd: Was störte die Deutsche Bank an Ihrem Film?
Die Passage ihres Pressesprechers Frank Hartmann, in der er die Menschen in Somalia für ihre Armut selber verantwortlich machte.

Der Bankkonzern zog inzwischen seine Ankündigung zurück. Ist das ein Erfolg der massiven Internetproteste?
Das kann man so sehen. Nach Bekanntwerden eines Eingriffsversuchs der sonst so kunstaffinen Deutschen Bank in die Kunstfreiheit wurde der Film zum Gesprächsthema Nummer 1 im Internet. Nach den ersten Agenturmeldungen über den Fall hagelte es Kritik auf der Facebook-Seite der Bank. Die Deutsche Bank wird aber eher wegen des Interesses von drei überregionalen Zeitungen eingelenkt haben.

Wurde nicht vor allen wegen der drohenden Eingriffe in die Kunst protestiert?
Die Kunst war nur der Anlass. Es ging von Anfang an um die unmoralischen Geschäfte mit dem Hunger von Millionen Menschen. Bis heute hält der Proteststurm an. Ich fürchte, die Bank wird sich bald erklären müssen.

Gab es Einigungsversuche?
Wir hatten im Vorfeld Gespräche mit drei verschiedenen Abteilungen der Bank, in denen wir eine nichtöffentliche Einigung erzielen wollten. Alle drei Stellen verhielten sich dabei ziemlich merkwürdig. Ich habe selten erlebt, dass Menschen, die professionell Öffentlichkeitsarbeit betreiben wollen, so wenig Sensibilität für die Bedeutung von Strafanzeigen gegenüber Aktionskünstlern besitzen. Insbesondere der Pressesprecher kam uns zeitweise wie eine schlechte Kopie von Achilles vor, der nicht weiß, wann man Gefühle zulässt und wann man schweigt. Er drohte mir ernsthaft mit zwei Jahren Gefängnis. Ich weiß ja nicht, in welchen Ländern er sich so herumtreibt. Aber in jedem Fall wäre ihm eine Welt genehm, in der Menschen für unliebsame Werke in Haft kommen.

Wie konnten Sie den Banksprecher überhaupt zu einem Interview gewinnen?
Indem wir anriefen, uns als Dokumentarfilmreporter zu erkennen gaben und nach einem Interview fragten. Danach hat er uns eine halbe Stunde mit dem Nutzen von Nahrungsmittelspekulationen voll-gequatscht. Daraufhin habe ich ihm vom Nutzen gigantischer Freiluftgulags vorgeschwärmt, die so groß sind wie Staaten. Da war dann erst mal Ruhe.

Hatten Sie Schwierigkeiten, Vertreter aus Wirtschaft und Politik für den Film vor die Kamera zu bekommen?
Nein. Die großen Akteure warten darauf. Das Thema findet keine Beachtung. Das Zentrum für Politische Schönheit nimmt sich generell nur schwersten Menschenrechtsverletzungen an. Wie kann es sein, dass Deutschland heute drittgrößter Waffenhändler der Welt ist? Wie kann es sein, dass in Kongo über sechs Millionen Menschenleben vernichtet werden, ohne dass wir es mitbekommen? Diese Fragen sind allesamt »under-reported«, wie es im Englischen heißt. Sprich – sie werden weit unter ihrer Bedeutung abgebildet.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/213766.banker-gegen-kunst.html
Interview: Peter Nowak

Wenn ein Gespräch über Spatzen zum Verbrechen wird

Es gibt viele Filme über politische Repression.  Doch der „Tag der Spatzen“ ist in vielerlei Hinsicht der außergewöhnlichste Film in diesem Genre. Schon der Beginn ist ungewöhnlich.  Die Kameraführung ist extrem langsam. Erst putzen sich mehrere Hausspatzen, dann kommt ein einzelner Sperling  ins Bild Der Filmemacher Philipp Scheffner will damit an eine wenig beachtete Episode
erinnern. Am   14. November 2005 wird im holländischen Leeuwarden ein Spatz erschossen, nachdem er 23000 Dominosteine umgeworfen hat, die für eine Ausstellung aufgebaut worden waren. Via Internet war der „Dominospatz“  weltweit bekannt geworden. Er wurde schließlich konserviert und der holländische Wachtdienst bekam Todesdrohungen. Ebenfalls am 14. November 2005 starb in Afghanistan ein deutscher Soldat bei einem Selbstmordattentat. Damit sind die beiden  Grundthemen  des Films beschrieben. Die Vögel und der Krieg.

Militär und Natur
Immer wieder führt die Kamera durch Natur, durch Wälder, die aus der Perspektive eines Vogelkundlers betrachten werden. Lustige Vögel mit langen Beinen watscheln öfter durch das Bild.  Der Filmemacher kann dabei auf eigene Erfahrungen
zurückblicken. Scheffner ist von frühester Jugend an ein begeisterter Vogelbeobachter und politisch bewusster Zeitgenosse.  Mit der Kamera wird er die Zuschauer in abgelegene scheinbar idyllische Gegenden gelotst, wo es kaum Menschen gibt. Gerade dort  trifft der Filmemacher auf militärische Einrichtungen, die möglichst wenig Publicity wünschen. Dazu gehört das nsatzführungskommando in der Henning-von-Tresckow-Kaserne in einem Wildpark bei Potsdam, wo laut eigener Homepage “Operationen gegen irreguläre Kräfte“ geprobt werden. Das Bild zeigt drei Soldaten, von denen einer ein Gewehr auf einen Menschen in ziviler Kleidung richten.     Das „Zentrum für Operative Information“, eine Bundeswehrdienststelle bei Mayen wurde bei Scheffners Vogelsuche ebenso umrundet, wie der Flughafen Büchel. Auch Militärstellen, die  mögliche Schäden auf Militärflughäfen durch Vogelflug untersuchen, werden vorgestellt.

„Wir wollen nicht in ihrem Film auftauchen“

Im Film werden auch die Schwierigkeiten dokumentiert, denen Scheffner beim Drehen seines Naturfilms  durch militärische Stellen, die argwöhnten, ausspioniert zu werden, begegnet. Als sich  Scheffner dann gar bei Bundeswehrstandorten in Afghanistan nach dem
Vogelschutz erkundigen will, wird die im Film vorgestellte Kommunikation unfreiwillig komisch. Zeigte die Pressestelle  der Bundeswehr anfangs noch verhaltenes Interesse an dem Projekt, so kam bald die Absage. Doch Scheffner gab nicht auf und nahm
immer  Kontakt auf, bis sich ein Ministerialbeamter weitere Kommunikationsversuche verbittet. Im Film sind der Emailverkehr und verschiedene Telefonate eingeblendet. Manchmal wundert man sich über Scheffners Hartnäckigkeit und seine Versuche, der Bundeswehr die Vorteile einer neuen Offenheit vor Augen zu führen.

Festnahme in Rambo-Manier
Der Höhepunkt des Filmes aber ist die Verhaftung seines Freundes Harald im Jahr 2007. Er wurde  mit 2 weiteren  Männern  von der Polizei bei einer antimilitaristischen Aktion verhaftet. Man sieht den Verhafteten nach seiner Haftverschonung  bei der Vogelbeobachtung mit dem Filmemacher ins Gespräch vertieft. Fast beiläufig berichtet Harald über die Festnahme in Rambo-Manier, bei der die Polizei erst die Fenster des Autos und dann auf die Insassen einschlug. Bei einem der Beteiligten löste diese  Festnahmesituation ein Trauma aus und er ist noch immer in ärztlicher Behandlung.  Harald berichtet auch, wie
er nach seiner Festnahme per Hubschrauber zur Bundesanwaltsschaft nach Karlsruhe transportiert wurde, dabei seine Flugangst überwunden hat und noch einmal einen Blick in deutsche Vorgärten werden konnte. Er genoss die Situation, weil er
wusste, dass er längere Zeit solche  Blicke  wissen wird. Wenn Harald dem Filmemacher dann über sein antimilitaristisches Engagement und die Prozessführung erzählt und beide gleichzeitig ins Fernrohr blicken, wirken sie selber wie zwei weise Vögel   
„Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume ein Verbrechen ist, weil sie soviel Gesagtes mit einschließt“, schrieb Brecht. Scheffner hat  mit seinem Film den Satz variiert. „Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch fast ein
Verbrechen ist…“. Den Film sollte man sich nicht entgehen lassen, wenn er gelegentlich in Programmkinos und vielleicht demnächst auch mal bei Arte läuft.
Wer darauf nicht warten will, kann ihn ausleihen über das Berliner Institut für Film und Videokunst Arsenal (www.arsenal-berlin.de

Peter Nowak
„Der Tag des Spatzen“. Regie: Philip Scheffner. Essayfilm, Deutschland 2010, 104
Min. Infos zum Film im Netz: http://www.dertagdesspatzen.de/

veröffentlicht in der Publlikation Gefangeninfo http://www.gefangenen.info/

Afghanistankrieg ungeschönt und ungefiltert

Ein preisgekrönter Dokumentarfilm erregt die dänische Öffentlichkeit
„Was kümmert mich, wenn hier ein Mädchen stirbt. Pech, wie verschüttete Milch. Es sterben so viele Leute.“ Das ist eine der Passagen, die derzeit in der dänischen Öffentlichkeit erregt diskutiert werden. Es ist das Statement eines dänischen Soldaten im Afghanistaneinsatz. Sie stammt aus dem Film Armadillo, der beim Filmfestival in Cannes preisgekrönt wurde.

Der dänische Filmemacher Janus Metz hat für seinen Dokumentarfilm die dänischen Soldaten in Afghanistan über Monate begleitet. Er wollte das wahre Gesicht des Krieges in Afghanistan zeigen. Das ist ihm gründlich gelungen und hat jetzt in dem skandinavischen Land zu einer kritischen Debatte über das militärische Engagement am Hindukusch geführt.

Obwohl bereits 29 dänische Soldaten in Afghanistan ums Leben gekommen sind, war der Einsatz der 750 ISAF-Soldaten, die dort vor allem in der Provinz Helmand aktiv sind, bisher kaum Gegenstand einer öffentlichen Diskussion. Das hat Armadillo verändert. Denn der Film konterkariert das offizielle dänische Selbstbild von den Soldaten als eine Art bewaffneter Hilfs- und Menschenrechtsorganisation. Die im Film zitierten Soldaten machen nämlich deutlich, dass sie nicht aus politischen Gründen, sondern wegen des persönlichen Kicks in Afghanistan sind.
„Fuck, war das fett! Da lagen vier und röchelten. Taktaktaktak, wir halten drauf, 30, 40 Schuss in den einen. Da kriecht keiner mehr weg, wenn wir da waren. Fucking fett! Jetzt ist man im Krieg gewesen!“, so äußert sich ein Soldat, der den Krieg als eine Art Computerspiel in Realität begreift.

Schon sprechen manche Kriegsgegner von einem dänischen Vietnam. In den späten 60er und frühen 70er Jahren sorgten Filme in den USA dafür, dass sich eine realistische Sicht auf den Vietnamkrieg verbreitete und die Opposition gegen den Krieg wuchs.

 
 

Übrigens steht ein ähnlicher Film über die deutschen Soldaten in Afghanistan noch aus. Der Film Der Tag der Spatzen handelt von dem Versuch des Filmemachers Philipp Scheffners, sich dem Thema Militarisierung in Form eines politischen Naturfilms anzunähern. „Wir wollten nie nach Afghanistan, erklärt Philipp Scheffner, und sein Film beweist, dass man das, was dort geschieht, unter Beteiligung der Bundeswehr nicht filmen kann“, schreibt die FAZ. Warum eigentlich nicht?.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/147703

Peter Nowak

Nachrichten aus der Krisenrepublik

Mit »Der Gewinn der Krise« legt Jörg Nowak seinen Debutfilm vor
Wie es den Dax und der Börse in der Finanz- und Wirtschaftskrise geht, ist das Thema der Massenmedien. Aber wie gehen die Lohnabhängigen und Erwerbslosen damit um? Dieser Frage widmete sich der Berliner Politikwissenschaftler und soziale Aktivist Jörg Nowak in seinem ersten Film.
 
Im Sommer 2009 ist der Filmemacher quer durch die Republik gefahren, um mit Menschen zu reden, die auf unterschiedliche Weise von der Krise betroffen sind. »Die Route hat sich an Zeitungsmeldungen über Entlassungen, Werksschließungen und Kämpfe in Betrieben orientiert. Befragt haben wir aber auch Leute, die wir auf der Straße getroffen haben oder die wir vorher schon kannten«, sagt Nowak.

Während elf anonymisierte Gesprächspartner aus Eisenhüttenstadt, Frankfurt am Main, Alzenau, Kaiserslautern, Stuttgart und Glückstadt berichten, wie sich ihr Leben in der Krise verändert hat, sehen wir ihr Wohn- und Arbeitsumfeld. Zwischen den Interviews zieht die deutsche Landschaft aus der Perspektive eines PKW am Betrachter vorüber. Der Verzicht auf zusätzliche Kommentare oder filmische Effekte erweist sich ebenso als Stärke des Films, wie der Verzicht auf Politiker und Gewerkschaftsfunktionäre als Gesprächspartner. So ist der Film frei von Phrasendreschern oder Berufsoptimisten.

Es dominiert ein gnadenloser kapitalistischer Realismus, wenn eine Frau aus Eisenhüttenstadt von ihren vergeblichen Bemühungen berichtet, als Altenpflegerin ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Selbst ein Job im Dreischichtsystem mit schlechter Bezahlung in Berlin war nicht von langer Dauer. Auch der Philosophiedoktorand aus Frankfurt/Main hat wenig Hoffnung auf einen einigermaßen gut bezahlten Job im Wissenschaftsbetrieb. Er sieht in den USA, wo 60-jährige Arbeiter von der Polizei aus ihren zwangsversteigerten Häusern geholt werden, einen Blick in die Zukunft des Kapitalismus. Doch er befürchtet, dass wir auch der nächsten Krise wieder unvorbereitet gegenüber stehen. Ein Beschäftigter des Automobilzulieferers Mahle aus dem nordbayerischen Alzenau hofft noch auf Unterstützung vom Staat. Die Belegschaft hatte gegen die drohende Schließung im Mai 2009 das Werk drei Tage besetzt. Die Arbeiter gaben ihren Widerstand erst auf, nachdem Bereitschaftspolizei aufmarschiert war und ein eingeflogener Gewerkschaftsfunktionär zur Beendigung des Kampfes aufrief und auf die juristischen Folgen bei einer Fortsetzung hinwies. Jetzt sind die Beschäftigten bis 2011 in Kurzarbeit geparkt.

An die Versprechungen der Politiker, die Kraft der Gewerkschaften oder eine autonome Interessenvertretung glaubt keiner der Gesprächspartner. So passt das regnerische Wetter in den letzten Filmsequenzen zur Stimmung.

»Der Gewinn der Krise«, D 2010, 45 Minuten, von Jörg Nowak. Premiere am 22. Mai, 17 Uhr, im Regenbogenkino, Lausitzer Straße 22, Berlin-Kreuzberg. Anschließend Diskussion mit den Filmemachern, der Kulturwissenschaftlerin Katja Diefenbach und den Gewerkschaftsexperten Willi Hajek.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/171418.nachrichten-aus-der-krisenrepublik.html

Peter Nowak

Perspectives on Drug Free Culture

Perspectives on Drug Free Culture
Regie: Marc Pierschel und Michael Kirchner
Deutschland 2009
von Peter Nowak
Der Film setzt sich kritisch mit der Straight-Edge-Bewegung auseinander.
Sie waren jung, gesundheitsbewusst und hassten Drogen. Die Rede ist von den Begründern und Protagonisten einer der wohl verkanntesten subkulturellen Bewegungen der letzten Jahre: der Straight Edge-Bewegung.

«Straight Edge» heißt klare Linie. Für die sog. «Edger» hieß das, keine Drogen zu nehmen und sich mindestens fleischlos, in der Regel aber vegan zu ernähren, also auf alle tierischen Produkte in der Nahrung zu verzichten.
Diesen Anspruch nahmen die Mittelstandskinder ernst, die Ende der 70er Jahre in den Großstädten der USA vor allem ein Ziel hatten: nicht in der Gosse zu landen. Sie grenzten sich damit von dem oft extensiven Drogenkonsum der Subkulturen ab, die sie selber kannten. Denn zu dieser Zeit war der Gebrauch dieser Mittel – anders als noch Ende der 60er Jahre – nicht mehr mit Befreiung der Sinne sondern mit dem oft gar nicht so romantischen Leben der regelmäßigen Drogenkonsumenten verbunden.

Als Reaktion auf diese Erfahrungen entwickelte sich eine Subkultur, die auf Drogenfreiheit, ein gesundes Leben und auch auf konservative Werte setzt. Die in Münster lebenden Filmemacher Marc Pierschel und Michael Kirchner haben sich in ihrem Film Edge auf eine sehr sympathische Weise mit dieser in die Jahre gekommenen Subkultur auseinandergesetzt. Sie haben sie weder romantisiert, noch denunziert, und auch mit manchen Mythen aufgeräumt.

Dazu gehört die verbreitete Ansicht, die Straight Edge-Bewegung propagiere eine Asexualität. Doch mehrheitlich wanden sich die Straight-Edger gegen einen häufigen Partnerwechsel. Auch hier trafen sie in den frühen 80er Jahren, als der Schrecken über die damals neue Krankheit Aids groß war, auch bei Jugendlichen auf offene Ohren.

Leider werden diese gesellschaftlichen Umstände, ohne die die große Bedeutung der Edge-Bewegung nicht erklärbar ist, im Film nur angedeutet. Dafür werden Musiker der unterschiedlichen Bands interviewt, die der Bewegung erst die große subkulturelle Bedeutung gaben. Die Punk Band Minor Threat, die den Begriff Straight Edge prägte, gehört ebenso dazu, wie der Rapper Ray Cappo oder die Hard-Core-Combo Youth of Today, die Mitte der 80er Jahre die Edge-Bewegung mit gemeinhin links codierten politischen Themen verband. Hierin liegt der Grund, dass diese Subkultur bis heute junge, moralische Gymnasiasten in ihren Bann zieht.

Dass die Edge-Bewegung generell emanzipatorische Inhalte habe, ist einer der Mythen, die der Film dekonstruiert. So wird mit der Band Terror Edge eine Combo vorgestellt, die für eine menschenfeindliche Strömung steht. Diese Strömung ist auch die Grundlage einer offen rechtsradikalen Straight-Edge-Bewegung. Mittlerweile gibt es in Deutschland Rechtsradikale, die gesunde Ernährung und den Kampf gegen Drogen mit rassistischen und antisemitischen Elementen kombinieren und sich dabei auf Ahnherren in der NS-Bewegung berufen. Leider fehlt auch dieser Aspekt in dem ansonsten informativen Film.

Das junge Zielpublikum wird dadurch angesprochen, dass zwischen den einzelnen Szenen und Interviews im Film immer wieder Internetrecherche betrieben wird. Auch die Musikbeispiele kommen aus dem Netz. Einige Rezensenten monieren, dass die Musikbeispiele nur von You-Tube und My-Space kommen. Aber abgesehen davon, dass das vermutlich finanzielle Gründe hat, ist ein Plus des Films, dass der Fokus auf die kritische Auseinandersetzung, und nicht auf das Konsumieren einer Jugendkultur gelegt wird.

Ab Mai als DVD erhältlich unter www.compassionmedia.org/ oder www.theedgeprojectmovie.com/.

 http://www.sozonline.de/2010/04/pierschelkirchner-edge/#more-705

Peter Nowak