Spaziergang mit deutsch-türkischer Spurensuche

SOLIDARITÄT Interkultureller Stadtrundgang für den verhafteten Schriftsteller Dogan Akhanli
Was hat der Völkermord an den Armeniern 1915/16 mit der Hardenbergstraße zu tun? Wie erlebte die türkisch-jüdische Familie Behar den Holocaust in Berlin? Wieso ging der spätere Berliner Bürgermeister Ernst Reuter während der NS-Diktatur in die Türkei ins Exil?

Es sind Fragen wie diese, Fragen, die enge Verbindungen zwischen der deutschen und türkischen Geschichte aufzeigen, die die historisch-interkulturellen Stadtrundgänge von Dogan Akhanli zu etwas ganz Besonderem machen. Der Schriftsteller ist im Zuge seiner Arbeiten zu den beiden großen Völkermorden des 20. Jahrhunderts zu einem Fachmann für interkulturellen Dialog geworden. Doch nicht überall wird sein Engagement geschätzt: Am 10. August wurde Akhanli in Istanbul verhaftet. Aus Solidarität mit ihm bieten seine Freunde und Kollegen am heutigen Dienstag einen Stadtrundgang auf den Spuren deutsch-türkischer Geschichte.

In den 80er Jahren wurde Akhanli als Linksaktivist in der Türkei verfolgt und floh in die BRD, wo er Asyl bekam und später die deutsche Staatsbürgerschaft annahm. Als er vor vier Wochen erstmals seit 19 Jahren wieder in die Türkei reiste, um seinen schwerkranken Vater zu besuchen, wurde er am Flughafen von Istanbul verhaftet (taz berichtete). Die türkische Justiz beschuldigt Akhanli, 1989 eine Wechselstube überfallen zu haben. Beweise dafür fehlen, wie Akhanlis Anwälte erklären. Und die beiden Zeugen, die die Ankläger anführen, hätten ihre Aussage längst widerrufen. Trotzdem weigert sich die türkische Justiz, den Haftbefehl aufzuheben.

Den Grund für die Verfolgung Akhanlis sehen daher viele – etwa Grünen-Chefin Claudia Roth oder der Schriftsteller Edgar Hilsenrath – in seiner Arbeit. Etwa zum Armenien-Völkermord, der in der Türkei nach wie vor ein Tabu ist, und über den Akhanli den ersten Roman eines Türken überhaupt geschrieben hat. „Akhanli hat sich in Romanen, Artikeln, aber auch bei der Entwicklung von geschichtspolitischen Konzepten mit Gewalterfahrungen durch Völkermorde auseinandergesetzt“, erklärt der Journalist Albert Kieser, der zum Freundeskreis des Verhafteten gehört, gegenüber der taz.

Auch das Konzept des Stadtrundgangs durch Charlottenburg hat Akhanli 1994 mitentwickelt. Bei dem Rundgang soll unter anderem das Haus in der Hardenbergstraße besucht werden, in dem der ehemalige türkische Innenministers Talat Pascha im Berliner Exil lebte. Der maßgeblich für den Völkermord an den Armeniern verantwortliche Politiker war am 15. März 1921 in der Nähe seiner Wohnung von einem armenischen Kommando erschossen worden. An das Schicksal der von den Nazis ermordeten türkisch-jüdischen Familie Behar erinnert eine weitere Station. Besucht werden soll auch der Ort, wo sich der türkische Flüchtling Kemal Altun aus Angst vor der drohenden Abschiebung am 30. August 1983 in den Tod stürzte. PETER NOWAK

 Treffpunkt Stadtspaziergang: 17 Uhr, Hardenbergstraße 22-24
Mehr Infos zum Fall Akhanli: www.das-kulturforum.de
Das Konzept des Stadtrundgangs durch Charlottenburg hat Akhanli mitentwickelt

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F09%2F07%2Fa0145&cHash=89a11b6e12

Peter Nowak

Vom Existenzgeld zum Bürgergeld

Veranstaltung in Berlin: Auch dieses Konzept kann neoliberal vereinnahmt werden
Das Existenzgeld – ein linkes Konzept? Diese Frage diskutierten kürzlich Erwerbslosenaktivisten und Wissenschaftler in Berlin. Ergebnis: Neoliberale Vordenker und Politiker haben die Idee längst für ihre Zwecke umgedeutet.
Zunächst skizzierte die Berliner Erwerbslosenaktivistin Anne Allex die über 30-jährige Geschichte der Existenzgeldforderung: In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wollten in Westdeutschland vor allem Grüne und unabhängige Erwerbslosengruppen damit den Zwang zur Lohnarbeit aufbrechen. In Zeiten von Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit wurde das Existenzgeld dann zunehmend als Instrument für eine Gesellschaft, der die Lohnarbeit langsam ausgeht, angepriesen.

 
 
Doch die aktuelle ökonomische Entwicklung mache deutlich, dass vor allem die tariflich bezahlten Arbeitsplätze verschwänden und durch schlechter bezahlte Jobs ersetzt würden, kritisierte Allex. Als aktuelles Beispiel führte sie das vom Bundesarbeitsministerium seit Monaten propagierte Konzept der Bürgerarbeit an: Für ein Bürgergeld von 900 Euro monatlich müssen Erwerbslose dabei 30 Stunden in der Woche Laub fegen, alte Menschen oder Kinder betreuen. Für Allex ist dieses Konzept ein Beispiel dafür, wie mit Elementen aus der Existenzgeldforderung neoliberale Realpolitik betrieben wird.

Als weitere Beispiele führte die Aktivistin Konzepte des wirtschaftsliberalen Ökonomen Thomas Straubhaar und des ehemaligen thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) an. Sie propagierten Bürgergeldkonzepte mit einem so niedrigen Auszahlungsbetrag, dass er einen Zuverdienst erforderlich gemacht hätte. Damit wäre eine weitere Zunahme des Niedriglohnsektors verbunden gewesen.

Allex kritisierte, dass die Befürworter des Existenzgeldes auf die Abwicklung des Sozialstaates im Zeichen von Hartz IV keine Antwort gefunden hätten. Stattdessen habe man das eigene Konzept lediglich in bedingungsloses Grundeinkommen umbenannt. Allex betonte aber, trotz dieser Kritik weiterhin für ein bedingungsloses Grundeinkommen einzutreten, von dem man leben kann. Unter den aktuell diskutierten Konzepten sei das von der BAG Grundeinkommen bei der LINKEN entwickelte Modell die realistischste Variante. Dort wird von einen monatlichen Betrag von 950 Euro plus Wohngeld und 

Krankenversicherungsbeitrag ausgegangen.

Michael Klockmann vom Netzwerk Grundeinkommen begründete sein Engagement zu diesem Thema mit seinem eigenen Klasseninteresse. Als prekärer Selbstständiger würde ihm das Grundeinkommen mehr Zeit für Tätigkeiten verschaffen, die ihm Spaß machen, ohne allerdings Lohn abzuwerfen. Er vertritt die These, dass ein bedingungsloses Existenzgeld, das nicht an einen Job gebunden ist, auch nicht neoliberal vereinnahmt werden kann. Klockmann tritt auch dafür ein, dass das Existenzgeld alle Menschen erhalten sollen, die in Deutschland leben, räumt aber ein, dass ein solches vom Staatsbürgerrecht entkoppeltes Existenzgeld auch innerhalb des Netzwerkes Grundeinkommen umstritten ist.

Eine grundsätzliche Kritik an allen Existenzgeldkonzepten formulierte der Politologe Detlef Georgia Schultze auf der Veranstaltung. Sie alle würden die Frage nicht beantworten, wer unter welchen Bedingungen die Waren produziert, die mit dem Geld gekauft werden sollen. Eine Entkoppelung des Einkommens von der Produktion hält Schulze deshalb für den falschen Weg. Allerdings unterstützt auch er die in der Erwerbslosenbewegung seit Jahren propagierte Forderung: Von Arbeit muss man leben können, ohne Arbeit auch.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/179085.vom-existenzgeld-zum-buergergeld.html

Peter Nowak

Brandenburg steigt aus Polizeiausbildung für Afghanistan aus

Andere Länder könnten folgen
Als erstes Bundesland hat die von der SPD und der Linkspartei gestellte Landesregierung des Bundesland Brandenburg angekündigt, künftig keine Polizisten mehr als Ausbilder nach Afghanistan zu schicken. Der Brandenburgische Innenminister Reiner Speer begründete die Entscheidung mit Sicherheitsbedenken.

Dabei stützt sich das Ministerium auf eine Erklärung, die Bundesaußenminister Westerwelle zu Afghanistan abgegeben hat. Er hatte u.a. ausgeführt: „Die Intensität der mit Waffengewalt ausgetragenen Auseinandersetzung mit Aufständischen und deren militärische Organisation führen uns zu der Bewertung, die Einsatzsituation von ISAF auch im Norden Afghanistans als bewaffneten Konflikt im Sinne des Humanitären Völkerrechts zu qualifizieren.“

Für den Brandenburgischen Innenminister ist diese Situation mit einem Krieg gleichzusetzen. An einem Krieg beteiligen sich brandenburgische Polizisten nicht, sie haben vielmehr „ausschließlich einen zivilen Aufbauauftrag“, so Speer.

Andere Länder könnten folgen

Materiell hat der Rückzug der Brandenburgischen Polizei auf das Trainingsprogramm keine großen Auswirkungen. Das Bundesland hat seit 2002 lediglich 15 Beamte entsandt. Allerdings könnten andere Bundesländer dem Beispiel aus Brandenburg folgen. Dann wäre die Beteiligung Deutschlands an der Polizeiausbildung infrage gestellt.

Den Hauptanteil bei der Polizeiausbildung übernehmen mittlerweile private Sicherheitsfirmen aus den USA. Diese Tendenz könnte sich durch einen Rückzug Deutschlands verstärken. Ob diese Entwicklung im Sinne der Antikriegsbewegung ist, die schon lange den Rückzug aus Afghanistan fordert, muss bezweifelt werden. Denn die Bundeswehr beteiligt sich dann weiterhin an auch mit Waffengewalt ausgetragenen Auseinandersetzungen. Das Ausbildungsprogramm hingegen soll dazu beitragen, dass die Polizei in Afghanistan mit Grundsätzen vertraut gemacht wird, wie sie in Ländern wie Deutschland üblich sind.

Der Schritt der Landesregierung dürfte vor allem bei der Basis der Linken auf Zustimmung stoßen. Aber auch die Innenminister der SPD haben schon im Februar vorgeschlagen, die Ausbildung der Polizisten von Afghanistan in sichere Länder zu verlegen sind damit aber bei den Kollegen aus anderen Parteien auf taube Ohren gestoßen.

In großen Teilen der Bevölkerung ist der Afghanistaneinsatz unpopulär. Dass dafür nicht unbedingt pazifistische Motive ausschlagend sind, zeigte sich daran, dass die Bundeswehr mehrheitlich von der gleichen Bevölkerung positiv bewertet wird.
 

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148321
Peter Nowak

Sarrazin – schädlich für das deutsche Image?

Die Deutsche Bundesbank bittet den Bundespräsidenten um die Entlassung von Sarrazin

Neben seiner SPD-Mitgliedschaft könnte der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin wegen der Veröffentlichung seines Buches „Deutschland schafft sich ab“ (Sozialdarwinismus wird hoffähig) und den nachfolgenden Diskussionen jetzt auch seinen Posten bei der Deutschen Bundesbank los sein.

„Der Vorstand der Deutschen Bundesbank hat heute einstimmig beschlossen, beim Bundespräsidenten die Abberufung von Dr. Thilo Sarrazin als Mitglied des Vorstandes zu beantragen. Der ‚Corporate Governance‘-Beauftragte der Deutschen Bundesbank, Professor Dr. Uwe Schneider, unterstützt diesen Antrag uneingeschränkt“, heißt es in einer knappen Mitteilung der Bundesbank.

Die Nachricht kam nicht überraschend. Schon in der Donnerstagsausgabe der Berliner Zeitung war die Entscheidung zum Rausschmiss vermeldet worden. Dass die offiziell noch um einen Tag verschoben wurde, liegt an dem komplizierten Prozedere. Anders als normale Arbeitnehmer können Bankvorstandsmitglieder nur durch den Bundespräsidenten entlassen werden. Es ist wahrscheinlich, dass Wulff dem Antrag auf Abberufung von Sarrazin nachkommt. Schließlich hatte er in einem Radiointerview erklärt: „Ich glaube, dass jetzt der Vorstand der Deutschen Bundesbank schon einiges tun kann, damit die Diskussion Deutschland nicht schadet – vor allem auch international“.

Damit hat er auch den Grund für die zunehmende Schelte genannt, die Sarrazin in den letzten Tagen von allen Seiten trifft. Neben verschiedenen Regierungsmitgliedern hat sich auch Bundeskanzlerin Merkel in den Chor der Sarrazin-Kritiker eingereiht. Sarrazin hat es seinen Gegnern auch leicht gemacht. Zunächst wollte er ein Juden-Gen in der wissenschaftlichen Debatte ausgemacht haben, dann legte er sich mit den Publizisten Michel Friedmann wegen eines kritischen Interviews an.

Rechter Lafontaine?

Je mehr Sarrazin vom Mainstream ausgegrenzt wird, desto mehr Lob bekommt er von rechts. Die Wochenzeitung Junge Freiheit feiert ihn als Tabubrecher. Das Blatt lancierte auch eine Umfrage, ob Sarrazin eine neue rechte Partei gründen solle.

Die Junge Freiheit bastelt seit Jahren an Parteigründungsprozessen rechts von der CDU, aber möglichst ohne NS-Bezug. In Berlin stehen gleich mehrere rechte Formationen bereit, im nächsten Jahr zur Wahl des Abgeordnetenhauses zu kandieren. Neben der Pro-Deutschlandbewegung könnte auch der aus der CDU ausgetretene Islamgegner Rene Stadtkewitz mit einer eigenen Formation antreten, wenn er nun wegen der Einladung des holländischen Islamgegners Geert Wilders auch aus der CDU-Fraktion ausgeschlossen wird (Keine Tea-Party-Bewegung in Deutschland). Manche hoffen nun, dass der politikerfahrene Sarrazin die Rolle von Oskar Lafontaine von rechts übernimmt. Der hatte mit seiner Kandidatur die zerstrittenen Formationen links von der SPD zur Einigung gedrängt. Sarrazin, so hoffen seine Fans, könnte dasselbe mit den ebenso zerstrittenen Rechten versuchen (NPD und pro Deutschland werben um Thilo Sarrazin).

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148307

Peter Nowak

Mit Marx für die Unimaut?

Die Einführung der Studiengebühren hat sich bewährt und trägt zur Verbesserungen der Lehr- und Studienbedingungen an den Hochschulen bei. Zu diesem wenig überraschenden Fazit kommt ein 257-seitiger »Bericht zur Evaluation der Studienbeiträge«, den das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur veröffentlichte. Überraschender ist schon, dass in dem Bericht mit einem Marx-Zitat auch der linke Theoriegeber als Anhänger der Unimaut reklamiert wird. »Wenn höhere Unterrichtsanstalten unentgeltlich sind, so heißt das faktisch nur, den höheren Klassen ihre Erziehungskosten aus dem allgemeinen Steuersäckel zu bestreiten«.

Die Autoren des Berichts geben das Zitat von Marx allerdings sinnentstellend wieder, den dieser hat sich in seiner »Kritik des Gothaer Programm« 1875 lediglich gegen unentgeltliche Unterrichtsanstalten für die höheren sozialen Klassen gewandt.

Die Argumentation der Studienbefürworter macht aber deutlich, dass sie sich keineswegs in der Defensive sehen. So weist der Evaluationsbericht darauf hin, dass durch die Gebühren mehr Personal eingestellt und zusätzliche Lehr- und Lernmittel angeschafft worden sind. In der Tat verbessern in einem unterfinanzierten Bildungssystem zusätzliche Gelder die Lern- und Lehrbedingungen. Entscheidend aber ist, dass diese Unterfinanzierung politisch gewollt ist. Wird das ausgeblendet, besteht die Gefahr, dass die Unimaut als am Ende als kleineres Übel hingenommen wird.

Solche Tendenzen zeichnen sich bei Studierenden in Bayern ab, die derzeit darüber debattieren, ob statt 500 auch 300 Euro ausreichen, um den Lehrbetrieb aufrecht zu erhalten. Hier wird aus einer Sachzwanglogik heraus akzeptiert, dass der Student Kunde ist und für seine Bildung selbst aufkommen muss. Es wäre höchste Zeit, dass Bundesländer, die keine Studiengebühren erheben, deutlich machen, dass die Finanzierung von Bildung eine gesellschaftliche Aufgabe ist, die ohne zusätzliche Gebühren gewährleistet werden kann.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/178809.mit-marx-fuer-die-unimaut.html

Peter Nowak

Neuer Niedriglohnsektor

Gewerkschaften kritisieren Freiwilligendienst

Mit der Wehrpflicht würde auch der Zivildienst abgeschafft. Nicht nur die Gewerkschaften befürchten eine Ausweitung des Niedriglohnsektors.
 

Sollte sich das Bundesverteidigungsministerium mit seinen Plänen zur Aussetzung der Wehrpflicht durchsetzen, wäre auch der Zivildienst in der alten Form nicht mehr zu halten. Die vom Familienministerium erarbeiteten Pläne für einen Freiwilligendienst könnten zu einer Ausweitung des Niedriglohnsektors führen, so die Befürchtung der Gewerkschaften.

»Wenn die Wehrpflicht ausgesetzt wird, halten wir nichts davon, dass die Zivil- und Freiwilligendienste im Sinne von Familienministerin Kristina Schröder weitergeführt werden. Die entstehende personelle Lücke sollte durch reguläre, tariflich bezahlte und sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschlossen werden«, erklärt der ver.di-Pressesprecher Jan Jurczyk gegenüber ND.

»Die Pläne des Familienministeriums, einen sogenannten ›freiwilligen zusätzlichen Zivildienst‹ einzuführen, stoßen bei ver.di und der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer (Zentralstelle KDV) auf strikte Ablehnung«, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung. Schon der jetzige Einsatz von Zivis diene oft mehr dem Profit der Betriebsinhaber oder Aktionäre als dem Gemeinwohl, kritisieren beide Organisationen. Die Zivis werden überwiegend im Bereich Pflege- und Betreuungsdienste, für die ver.di zuständig ist, eingesetzt. Ein wesentlich kleinerer Anteil ist im gärtnerischen und landschaftspflegerischen Bereich beschäftigt oder übernimmt Reinigungs- und Hausmeistertätigkeiten.

»In privatisierten Einrichtungen haben Zivildienstleistende nichts zu suchen. Mit den Gewinnen, die in diesem Bereich gemacht werden, können auch reguläre Arbeitskräfte eingestellt werden«, sagte der Vorsitzende der Zentralstelle KDV, Werner Glenewinkel. Auch ver.di-Chef Frank Bsirske findet klare Worte: »Es ist ein Skandal, wenn gerade mühsam ein Mindestlohn von 8,50 Euro im Westen und 7,50 Euro im Osten für Pflegehilfskräfte eingeführt wurde, nun aber die Bundesregierung hingeht, um mehr als 30 000 Hilfskräfte für 3,75 Euro pro Stunde zu beschäftigen.« Zivis sollen nach seiner Ansicht nur in gemeinnützigen und öffentlichen Einrichtungen, nicht aber in gewinnorientierten Betrieben eingesetzt werden. Er kündigte an, dass die Betriebs- und Personalräte verstärkt auf deren arbeitsmarktneutralen Einsatz achten werden. Konflikte mit einigen Wohlfahrtsverbänden wären programmiert. Sie wollen den Sold von rund 360 Euro monatlich nicht erhöhen, wenn aus den Zivildienstleistenden Freiwillige werden. Das spart Millionen von Euro, schafft aber einen faktischen Stundenlohn von rund 3,75 Euro.

»Die Gewerkschaftsjugend fordert, für den Sozialbereich sozialversicherungspflichtige, tarifvertraglich geregelte Arbeitsplätze und Freiwilligendienste zu schaffen und Zwangsdienste jeder Art abzuschaffen«, betont auch der politische Referent der DGB-Jugend Florian Haggenmiller. Allerdings spricht er sich für eine schrittweise Umwandlung aus. »Wir wissen aber, dass die Zivildienstleistenden derzeit eine tragende Säule bei gesellschaftlichen Aufgaben sind. Im Gesundheits- und Pflegebereich beispielsweise würde bei einem sofortigen Wegfall eine spürbare Lücke entstehen.« Und die Befürchtungen scheinen begründet. Die Umwandlung von Zivistellen »in reguläre Arbeitskräfte steht für uns nicht zur Debatte«, erklärte die Caritas-Sprecherin Claudia Beck gegenüber ND. Wegen des Rückgangs der Zivis in den letzten Jahren werden viele ihrer Tätigkeiten von Freiwilligen übernommen. In dem Bereich der Gartenarbeit würden Zivildienststellen durch Arbeitsplätze im Billigbereich ersetzt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/178847.neuer-niedriglohnsektor.html

Peter Nowak