Vom Existenzgeld zum Bürgergeld

Veranstaltung in Berlin: Auch dieses Konzept kann neoliberal vereinnahmt werden
Das Existenzgeld – ein linkes Konzept? Diese Frage diskutierten kürzlich Erwerbslosenaktivisten und Wissenschaftler in Berlin. Ergebnis: Neoliberale Vordenker und Politiker haben die Idee längst für ihre Zwecke umgedeutet.
Zunächst skizzierte die Berliner Erwerbslosenaktivistin Anne Allex die über 30-jährige Geschichte der Existenzgeldforderung: In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wollten in Westdeutschland vor allem Grüne und unabhängige Erwerbslosengruppen damit den Zwang zur Lohnarbeit aufbrechen. In Zeiten von Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit wurde das Existenzgeld dann zunehmend als Instrument für eine Gesellschaft, der die Lohnarbeit langsam ausgeht, angepriesen.

 
 
Doch die aktuelle ökonomische Entwicklung mache deutlich, dass vor allem die tariflich bezahlten Arbeitsplätze verschwänden und durch schlechter bezahlte Jobs ersetzt würden, kritisierte Allex. Als aktuelles Beispiel führte sie das vom Bundesarbeitsministerium seit Monaten propagierte Konzept der Bürgerarbeit an: Für ein Bürgergeld von 900 Euro monatlich müssen Erwerbslose dabei 30 Stunden in der Woche Laub fegen, alte Menschen oder Kinder betreuen. Für Allex ist dieses Konzept ein Beispiel dafür, wie mit Elementen aus der Existenzgeldforderung neoliberale Realpolitik betrieben wird.

Als weitere Beispiele führte die Aktivistin Konzepte des wirtschaftsliberalen Ökonomen Thomas Straubhaar und des ehemaligen thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) an. Sie propagierten Bürgergeldkonzepte mit einem so niedrigen Auszahlungsbetrag, dass er einen Zuverdienst erforderlich gemacht hätte. Damit wäre eine weitere Zunahme des Niedriglohnsektors verbunden gewesen.

Allex kritisierte, dass die Befürworter des Existenzgeldes auf die Abwicklung des Sozialstaates im Zeichen von Hartz IV keine Antwort gefunden hätten. Stattdessen habe man das eigene Konzept lediglich in bedingungsloses Grundeinkommen umbenannt. Allex betonte aber, trotz dieser Kritik weiterhin für ein bedingungsloses Grundeinkommen einzutreten, von dem man leben kann. Unter den aktuell diskutierten Konzepten sei das von der BAG Grundeinkommen bei der LINKEN entwickelte Modell die realistischste Variante. Dort wird von einen monatlichen Betrag von 950 Euro plus Wohngeld und 

Krankenversicherungsbeitrag ausgegangen.

Michael Klockmann vom Netzwerk Grundeinkommen begründete sein Engagement zu diesem Thema mit seinem eigenen Klasseninteresse. Als prekärer Selbstständiger würde ihm das Grundeinkommen mehr Zeit für Tätigkeiten verschaffen, die ihm Spaß machen, ohne allerdings Lohn abzuwerfen. Er vertritt die These, dass ein bedingungsloses Existenzgeld, das nicht an einen Job gebunden ist, auch nicht neoliberal vereinnahmt werden kann. Klockmann tritt auch dafür ein, dass das Existenzgeld alle Menschen erhalten sollen, die in Deutschland leben, räumt aber ein, dass ein solches vom Staatsbürgerrecht entkoppeltes Existenzgeld auch innerhalb des Netzwerkes Grundeinkommen umstritten ist.

Eine grundsätzliche Kritik an allen Existenzgeldkonzepten formulierte der Politologe Detlef Georgia Schultze auf der Veranstaltung. Sie alle würden die Frage nicht beantworten, wer unter welchen Bedingungen die Waren produziert, die mit dem Geld gekauft werden sollen. Eine Entkoppelung des Einkommens von der Produktion hält Schulze deshalb für den falschen Weg. Allerdings unterstützt auch er die in der Erwerbslosenbewegung seit Jahren propagierte Forderung: Von Arbeit muss man leben können, ohne Arbeit auch.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/179085.vom-existenzgeld-zum-buergergeld.html

Peter Nowak