Den Opfern ein Gesicht

Die Planungen für einen Gedenkort an die Euthanasiemorde in der NS-Zeit treten in eine neue Etappe

Am Sonntag konnten Besucher das letzte Mal die Entwürfe für ein Denkmal für die sogenannten T 4-Morde in der Berliner Topographie des Terrors besichtigen. Nächstes Jahr sollen die Bauarbeiten beginnen. Betroffenenorganisationen kritisieren das Vorhaben als »Pro-Forma-Gedenken zum Billigtarif«.

»Ich vergehe vor Not, muss ich Euch schreiben. Jetzt, wo meine Männer fort sind, muss ich hier sitzen und kann nichts tun«. Diese Zeilen schrieb ein Schuhmachermeister am 3. September 1939 aus der PsyPsychiatrieanstalt Grafeneck an seine Angehörigen. Er war von den nationalsozialistischen Behörden als geisteskrank verhaftet worden und hat die Anstalt nicht mehr lebend verlassen. Wie er sind viele Patienten im Nationalsozialismus ermordet worden. Für sie soll nach einem Beschluss des Deutschen Bundestages vom November 2011 ein Gedenk- und Erinnerungsort geschaffen werden. Noch bis zum 16. Dezember können die Entwürfe für den geplanten Gedenk- und Informationsort Tiergartenstraße 4 in einer Sonderausstellung in Berliner Topographie des Terrors begutachtet werden.
Ein großer Teil der Entwürfe befasst sich mit der im Krieg zerstörten Villa in der Tiergartenstraße 4, in der die Mordaktion geplant wurde. Sie wird auchT4-Morde genannt. Dass sich der Begriff durchsetzte, ist auch ein Erfolg von Betroffenengruppen, die sich seit langem gegen den verharmlosenden Begriff Euthanasiemorde wehrten. Denn Euthanasie heißt wörtlich übersetzt „schöner Tod“. Dabei wurden die als geisteskrank stigmatisierten Menschen grausam ermordet, vergast, vergiftet oder erhängt. In verschiedenen ausgestellten Erinnerungsmodellen sollen neben dem Täterort, die Opfer ein Gesicht bekommen. So steht beim als Siegerentwurf prämierten Modell eine blaue, halbdurchsichtige Spiegelwand im Mittelpunkt. Damit greifen die Preisträger Elemente des Andernacher Spiegelcontainers auf, der von dem Künstler Paul Patze gemeinsam mit Schülern 1996 entworfen wurde und an Opfer der T4-Morde erinnern, die nach einem Zwischenaufenthalt in Andernach in Hadamar vergast wurden. Eine Gedenkplatte, die bereits am Täterort eingelassen ist, soll in das mit dem ersten Preis prämierten Modell integriert werden. Dort heißt es schlicht aber aussagekräftig: „Die Zahl der Opfer ist groß, gering die Zahl der verurteilten Täter“. Tatsächlich sind in beiden Teilen Deutschlands nicht nur die meisten an den T4-Morden beteiligten Ärzte sowie das Klinikpersonal nicht bestraft worden. Viele haben ihre Karriere oft bruchlos fortgesetzt.
Entwürfe, die solche Zusammenhänge deutlicher thematisierten und auch an die Diskriminierung von Psychiatriepatienten bis in die Gegenwart ansprechen, kamen nicht in die engere Auswahl. So sollen in einem Modell 6 Stelen aus dem Holocaust-Denkmal verwendet werden, um an die 6 Orte zu erinnern, an denen die T4-Morde in Deutschland durchgeführt werden. Damit würde auch der von Historikern nachgewiesene Zusammenhang zwischen der Vernichtung der als geisteskrank erklärten Menschen und der Shoah hergestellt. Auch Rene Talbot von der Gruppe Irrenoffensive erinnert daran, dass viele der in die T4-Mordaktionen involvierten Täter auch an der Vernichtung der europäischen Juden beteiligt waren. Verbände der Psychiatrieerfahrenen kritisieren die aktuelle Denkmalauslobung als „Proforma-Gedenken zum Billigtarif“. Damit monierten sie die begrenzten finanziellen Mittel und den engen vorgegebenen Rahmen für den Erinnerungsort, der auch von einigen an der Ausstellung beteiligten Künstler in den Begleittexten kritisch angesprochen wird. 500000 Euro stellte der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien für den Gedenkort zur Verfügung. Mit dem Bau soll im nächsten Jahr begonnen werden.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/807524.den-opfern-ein-gesicht.html
Peter Nowak