Die bisher politisch heimatlose Rechte in Deutschland formiert sich

Die Herbstoffensive der AfD, der rechte zivile Ungehorsam, aber auch die zunehmende rechte Gewalt zeigen, dass rechts der Union einiges in Bewegung gekommen ist

Ca. 5000 Demonstranten hat die AFD am 7.11. in Berlin unter dem Motto „Asyl braucht Grenzen“[1] auf die Straße auf die Straße gebracht. Es gab Gegenproteste und kleinere Rangeleien[2] (AfD-Demo: Erfurter Verhältnisse in Berlin[3]).

Nun könnte man sagen, dass die rechte Demo ein Flop war. Schließlich wurde dafür bundesweit geworben und noch vor einer Woche hatte die AFD selber mit der doppelten Zahl der Teilnehmer gerechnet. Allerdings war es die größte rechtspopulistische Demonstration seit Jahren in Berlin, weil es dort Pegida und seinen Ablegern bisher nie gelungen ist, über die rechte Szene hinaus zu mobilisieren. Allerdings war es im vergangenen Jahr „Nein zum Heim“-Kampagnen gelungen, in Stadtteilen auch scheinbar unpolitische Anwohner mit einzubinden.

Die neue Rolle der AFD als rechtspopulistische Partei

Was sich am Samstag allerdings zeigte, ist die neue Rolle der AfD als rechtspopulistische Partei, die versucht, die diversen bisher eher auseinanderstrebenden Teile des rechten Spektrums unter einfachen Losungen zu vereinen.

In Berlin waren AFD-Plakate mit der Losung „Wir sind das Pack“ zu sehen. Das letzte Wort war durchgestrichen und durch „Volk“ ersetzt. Diese Losung hatte nach der Pegida-Schelte von Sigmar Gabriel und Heiko Maas bei verschiedenen Pegida-Aufmärschen die Runde gemacht. Dass diese Parole nun zum AFD-Motto wurde, macht deutlich, dass die AfD nun zur Pegida-Partei geworden ist.

Dass die Grenze zwischen Rechtspopulismus und extremer Rechte fließend sind, zeigt ein Blick auf die Homepage der Berliner AfD[4]. Unter dem Titel „Grundrechte im Belagerungszustand“[5] findet sich dort ein Text, der auch auf der Homepage der NPD stehen könnte. In ihm werden sämtliche rechten Mythen als Tatsachen aufgetischt.

So wird die Antifa „als paramilitärische Einheit“ bezeichnet, „die zur Unterdrückung von Grundrechten in Stellung gebracht wird“ und dafür angeblich noch Aufwandsentschädigung bekommt. Ausdrücklich solidarisieren sich die Autoren des AfD-Beitrags, darunter der langjährige Junge-Freiheit-Autor Ronald Gläser, mit Akif Pirincci, der wegen seiner Hetze gegen Geflüchtete und andere Minderheiten vor zwei Wochen in Dresden sogar von manchen Teilnehmern der Pegida-Demonstration ausgepfiffen wurde.

Wegen seiner Äußerung zu Konzentrationslagern in Deutschland bekam er auch von seinen bisherigen Verlagen Ärger. In dem AfD-Beitrag wird mit keiner Silbe ein Wort der Kritik am Pirincci-Auftritt geäußert. Er wird vielmehr zum Opfer von vermeintlichen Gutmenschen stilisiert. Am Ende wird noch jeder antifaschistischen Gegendemonstration die Legitimität abgesprochen, weil nach Meinung der Autoren „das Wort Gegendemonstrant den Verfassungsbruch bereits beinhaltet“.

Nicht nur in Berlin, auch bundesweit hat sich die AfD sich zu einer Partei entwickelt, die in etwa dem Front National in Frankreich gleicht. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis sich diese Ausrichtung auch in der europäischen Kooperation niederschlägt. Damit ist nun Realität, was Beobachter der rechten Szene immer als Worst-Case-Szenario bezeichneten, eine Partei rechts der Union, die auch Wahlen gewinnen kann. Über ihre mittelfristige Perspektive ist damit noch wenig gesagt.

Bisher haben sich alle Parteien rechts der Union selber zerlegt, von der NPD über die Republikaner bis hin zur Schill-Partei. Die aktuellen Bruchlinien in der AfD-Führungsspitze verlaufen vermeintlich zwischen dem ultrarechten Björn Höcke aus Thüringen und dem aktuellen Vorstand. Dabei dürfte es aber weniger um inhaltliche Differenzen als um die Fragen von Macht, Posten und Einfluss gehe. Doch die AfD könnte einen Trumpf gegenüber den anderen gescheiterten Rechtsformationen haben. Sie agiert in einer Zeit, wo rechte Aktivitäten der unterschiedlichen Art im Ansteigen sind.

Ziviler Ungehorsam von Rechts

Längst wurde dabei auch von AFD-Politikern die Ebene der Kundgebungen und Demonstrationen verlassen. Es werden Zugänge zu Flüchtlingsheimen und Grenzübergänge blockiert. So planen rechte Gruppen am 8.November die Blockade eines Grenzübergangs zu Österreich[6]. Solche Aktionen schaffen auch eine rechte Kultur und vielleicht sogar Subkultur, die sich über die gemeinsamen Aktionen definiert und zusammen schweißt.

Und dann gibt es da noch die Zunahme rechte Gewalt gegen Geflüchtete, die auf dem Bundestreffen aller Mitgliedsorganisationen des Verbandes der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt[7] am ersten Novemberwochenende konstatiert wurde. Mit deutlichen Worten beschreiben sie in einer Presseerklärung[8] die Situation:

„Als spezialisierte Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt stellen wir ein alarmierendes Ausmaß rassistischer Angriffe insbesondere gegen geflüchtete Personen fest. Die Anzahl hat in den meisten Bundesländern bereits nach Ende des dritten Quartals diejenige aus 2014 bei Weitem überschritten“, heißt es in der Erklärung. Verwiesen wird darauf, dass dabei zunehmend potentiell tödliche Waffen wie Sprengstoffe und Brandsätze eingesetzt werden. Die rechte Gewalt richtet sich gegen Geflüchtete, aber auch gegen solidarische Menschen und kritische Journalisten.

Wenn auch Normalbürger rechte Parolen brüllen

Dabei wird als besondere Gefahr beschrieben, dass auch Menschen, die nicht in Neonazikreisen aktiv sind, heute Parolen rufen, die früher den Neonazis zugeschrieben wurden: „Rassistische Positionen werden zunehmend auf verschiedenen Ebenen aggressiv geäußert und durch körperliche Gewalt umgesetzt. Immer öfter auch von Personen, die sich nicht der rechten Szene zuordnen.“

„Viele Geflüchtete haben den Eindruck, das ganze Dorf will, dass ihr Haus brennt“, berichtet eine Sprecherin des Dachverbandes der Opferperspektiven. Hier muss auch auf die Rolle von Parteien wie AfD erwähnt werden. Indem sie der bisher zersplitterten und auch gesellschaftlich marginalisierten Rechten eine Stimme gibt, machen sie solche rechten Parolen gesellschaftsfähig.

Wenn beispielsweise die oben genannten Thesen über angeblich staatlich finanzierte Antifaschisten nicht mehr nur von der NPD und ihren Umfeld vertreten werden, sondern auf einer AfD-Homepage stehen, bekommen sie eine gesellschaftliche Bedeutung. Wenn dann dort zur Solidarität mit Akif Pirincci aufgerufen wird, werden auch seine rassistischen Tiraden in den Bereich des Sagbaren gehoben. Dann trauen sich Menschen, ihre angeblich unterdrückte Meinung zu äußern, die sie bisher zurück gehalten haben. In diesem Sinne kann auch die AFD dazu beitragen, dass rechte Gewalt zunimmt, ohne selber dazu aufzurufen.

Allerdings zeigen die Herbstoffensive der AFD sowie der zivile Ungehorsam und die Gewalt von rechts eines auf: Die Zeiten sind vorbei, als rechts von der Union nur politische Splittergruppen existierten. Was viele Beobachter befürchten hatten, könnte Realität werden, nämlich dass sich der Teil der Bevölkerung, bei dem in Untersuchungen[9] seit Jahren ein mehr oder weniger geschlossenes rechtes Weltbild prognostiziert wurde, auch in Deutschland politisch artikulieren könnte. Dabei sind die Angebote über die verschiedenen Pegida-Ableger, der AfD, den Aktionen des zivilen Ungehorsams von Rechts bis zu offener Gewalt groß und oft nicht klar voneinander abzugrenzen. Damit würde auch in Deutschland wie in vielen anderen Ländern Ost- und Westeuropas die extreme Rechte an Bedeutung gewinnen.

Selbst liberale Medien vor unkritischer Darstellung rechter Positionen nicht gefeit

Dass selbst Medien, die sich in der Flüchtlingsdebatte der letzten Wochen sehr klar gegen rechte Positionen abgegrenzt haben, diese Differenzierungsfähigkeit verlieren, wenn es um das Ausland geht, zeigt sich an der Taz vom Wochenende. Dort wird für den Themenschwerpunkt „Was bleibt von der Revolution?“[10] der ukrainische Nationalist Volodymyr Nebir, der für die patriotische ukrainische Presse schon länger zum Helden stilisiert[11] wird, interviewt. In dem kurzen Interview betont er gleich mehrmals, wie wichtig der Patriotismus für ihn ist. Er vergisst auch nicht zu erwähnen, dass die Sowjetunion schon immer sein Feind war und bereits sein Großvater als Rebell gegen die Rote Armee gekämpft hat.

Die Frage, ob dieser vielleicht auf Seiten der antisemitischen, zeitweise mit Hitler-Deutschland verbündeten Bandera-Rebellen aktiv war, findet man in dem Interview nicht. Kritische Fragen sind nicht vorgesehen. Der gesamte Themenschwerpunkt ist insgesamt eine Würdigung verschiedener gesellschaftlicher Umbrüche, die als Revolutionen bezeichnet werden. Auf diese Weise wird selbst in der linksliberalen Taz mit Nebir ein Mann hochgelobt, dessen Positionen auf jeder Pegida-Demo viel Applaus bekommen würden, wenn sie es nicht aus taktischen Gründen gerade eher mit Putin halten.

http://www.heise.de/tp/artikel/46/46503/2.html

Anhang

Links

[1]

http://www.alternativefuer.de/demo/

[2]

https://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2015/11/AfD-Demo-Berlin-Gegendemonstration.html

[3]

http://www.heise.de/tp/artikel/46/46500/

[4]

http://www.afd-berlin.de/

[5]

http://www.afd-berlin.de/2015/11/grundrechte-im-belagerungszustand/

[6]

https://www.facebook.com/wirhelfenbeimgrenzbau/?fref=nf

[7]

http://www.opferperspektive.de/aktuelles/bundesweiter-zusammenschluss-von-beratungsstellen-fuer-betroffene-rechter-rassistischer-und-antisemitischer-gewalt-gegruendet

[8]

http://www.opferperspektive.de/aktuelles/alarmierendes-ausmass-rassistischer-gewalt-fehlender-schutz-taeter-opfer-umkehr-und-zahlreiche-rassismuserfahrungen-belasten-die-betroffenen

[9]

http://www.fes-gegen-rechtsextremismus.de/pdf_12/mitte-im-umbruch_www.pdf

[10]

http://www.taz.de/!p4662/

[11]

http://www.kyivpost.com/content/kyiv-post-plus/ukraines-heroes-40-year-old-map-helps-cyborg-save-comrades-392341.html