Der Filmemacher Matthis Coers nennt HG »eine bedeutsame Berliner Persönlichkeit, der das von Alexander Kluge und Oskar Negt beschriebene Prinzip der Gegenöffentlichkeit bis heute praktiziert und dies tagtäglich über Jahrzehnte jungen Menschen zugänglich und erlebbar macht«. Gerade sein Laden sei ein besonderer Teil der Kreuzberger Geschichte und Gegenwart und ein Kommunikationsort unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. »Gerade solche soziokulturellen Orte bedürfen der Unterstützung durch die Nachbarschaft.
Der Andrang ist am 2. Mai groß im sogenannten Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf in der Falckensteinstraße. Nun könnte man denken, das ist eine Folge des 1. Mai und der verschiedenen Demonstrationen und Veranstaltungen, die es auch in diesem Jahr in Berlin-Kreuzberg gegeben hat. Doch die vielen Leute, die den Laden am 2. Mai aufsuchen, wollen vor allem wissen, wie es dem Inhaber Hans Georg Lindenau geht, den alle nur HG nennen. Er wurde am frühen Abend des 1. Mai Opfer eines …
Vielleicht erinnert der Überfall manche daran, dass es den Laden noch gibt“, ist seine Hoffnung. Am Tag nach dem Überfall war der Andrang tatsächlich groß. Viele Besucher erkundigen sich nach dem Befinden von HG und fragten, wie sie ihn unterstützen können.
Ausgerechnet am „Tag der Arbeit“ wurde ein Symbol des autonomen Kreuzberg Opfer eines Raubüberfalls. Gegen 17.30 Uhr am 1. Mai wurde Hans Georg Lindenau in seinen „Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf“ überfallen. „Es waren zwei …
M99, der Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf, ist umgezogen. Das sorgt für ganz neue Probleme
„HG und M99 bleiben“, lautete die Parole, mit der Berliner Linke bis zum Sommer 2017 gegen die Vertreibung des Gemischtwarenladens mit Revolutionsbedarf aus der Manteuffelstraße 99 – daher der Ladenname M99 – in Kreuzberg mobilisierten. Die Zwangsräumung des auf den Rollstuhl angewiesenen Geschäftsbetreibers Hans Georg Lindenau, den alle nur HG nennen, konnte damit verhindert werden. Er fand mit Unterstützung der Stiftung Umverteilen und von solidarischen NachbarInnen ein neues Domizil in der Falckensteinstraße 46. Im Juli 2017 war der Umzug abgeschlossen.
Gleich am Eingang werden die BesucherInnen über die Geschichte des Ladens und den Kampf um den Erhalt informiert. Das sei auch dringend nötig, meint HG. Denn obwohl das neue Geschäft nur wenige Hundert Meter vom alten Standort entfernt ist, habe sich die Laufkundschaft sehr verändert. „Von der Berliner linken Szene bekomme ich hier kaum etwas mit. Dafür besuchen mich TravellerInnen aus aller Welt“, meint HG.
Gerade hat er einigen jungen Leuten auf Englisch erklärt, welche T-Shirts er im Sortiment hat. Eine Frau fragt auf Spanisch nach Postkarten, hat aber nichts Passendes gefunden. Das passiert häufiger. Doch HG ist zuversichtlich, in Zukunft mehr Waren anbieten zu können, die die neue Kundschaft interessiert.
Das ist auch nötig, damit HG den Laden auf Dauer halten kann. Schließlich komme er zurzeit schon mal auf Tageseinnahmen unter 100 Euro. „Das Weihnachtsgeschäft fällt in diesem Jahr aus“, konstatiert HG. Das sei am alten Standort noch anders gewesen. „Da kamen auch Menschen, die in der Oranienstraße ihre Einkäufe tätigten, und kauften bei mir die Geschenke für ihre Kinder. Bis zum neuen Laden ist es ihnen wohl zu weit“, analysiert HG das veränderte KundInnenverhalten.
Der neue Standort neben Clubs, Konzert-Location und Kneipen führt aber auch zu ganz neuartigen Problemen. Schon dreimal wurden die Ladenfenster durch Steinwürfe beschädigt. Am vergangenen Sonntagmorgen flog erneut ein Stein durch die Scheibe. Das große Loch ist notdürftig überklebt. Denn für eine neue Scheibe fehlt HG das Geld.
Über die Verantwortlichen und ihre Gründe mag der Ladenbesitzer ebenso wenig spekulieren wie über die Frage, ob der M99 vielleicht jemandem ein Dorn im Auge sein könnte. „In der Gegend um die Oberbaumbrücke gibt es viele Verrückte, die werfen Fahrräder in geparkte Autos. Die smashen auch eine Scheibe, wenn sich die Gelegenheit ergibt.“
Einschüchtern lässt sich HG dadurch nicht. Schließlich ist er als Ladenbesitzer für Revolutionsbedarf Stress gewöhnt. Jahrelang wurde er immer wieder Ziel von Razzien der Polizei, die bei ihm Druckschriften wie die Autonomenpublikation radikal wegen angeblich gewaltverherrlichender Inhalte beschlagnahmte.
Die letzte Durchsuchung liegt mittlerweile schon einige Jahre zurück. Damals versammelten sich oft in kurzer Zeit Menschen aus der Nachbarschaft zur Unterstützung um den Laden. Daran möchte HG wieder anknüpfen: Im Geschäft hat er ein Mikrofon an einen Lautsprecher angeschlossen. Damit kann er bei drohenden Angriffen die Nachbarschaft aufmerksam machen.