Ist Demokratie mit dieser EU überhaupt möglich?

Die EU-Eliten wollen an Griechenland vorexerzieren, dass reformerische Veränderungen innerhalb der EU nicht möglich sind

Die Krise zwischen einen großen Teil der EU-Eliten und der griechischen Regierung spitzt sich wieder zu. Bei dem Treffen der EU-Finanzminister in Riga ist der Druck auf die griechische Regierung erneut gewachsen. Wieder einmal wird die Meldung „EU-Partner verlieren Geduld mit Griechenland“ verbreitet [1]. Diese Aussage ist eine Heuchelei.

Wenn es nach den EU-Eliten gegangen wurden, hätten die Wahlen in Griechenland nie stattfinden sollen, die Syriza an die Regierung brachten. Von Vertrauen konnte keine Rede sein. Seit die Regierung im Amt ist, wird von den EU-Gremien alles versucht, um ihr und ihren Wählern deutlich zu machen, dass es in der Eurozone keine Alternative zu dem im Wesentlichen von Deutschland geförderten Austeritätsprogramm gibt.

Dass bei dem Treffen der Finanzminister in Riga nicht mal oberflächlich die diplomatische Form gewahrt wurde, ist schon bemerkenswert. In verschiedenen Medien wird berichtet [2], Finanzminister Varoufakis sei als Amateur, Spieler und Zeitverschwender beschimpft worden. Nun ist der Minister nicht etwa ein Radikaler, der die EU-Zone schnellstens verlassen oder zerstören will.

Im Gegenteil, er hat kürzlich in einem längeren Beitrag begründet [3], warum die Linke in der gegenwärtigen Situation gerettet werden muss und nur dadurch die Möglichkeit für eine spätere emanzipatorische Entwicklung jenseits des Kapitals offen gehalten werden kann. Diese Thesen werden von Linken unterschiedlicher Couleur heftig kritisiert.

Die Vorwürfe in Riga sind ein weiterer Affront gegen eine Regierung, die es wagt, ihren Wählerauftrag nicht gänzlich zu vergessen, wie es die überwiegende Mehrheit der Regierenden in Europa praktiziert. Dabei hat Varoufakis auch an diesem Punkt durchaus Flexibilität gezeigt und angeboten, bestimmte Reformen wie die Herabsetzung des Rentenalters zu vertagen.

Doch vonseiten der EU-Gremien und ihrer Medien heißt es weiterhin unisono, Griechenland habe seine Hausaufgaben nicht gemacht. Das heißt kurz und knapp, die griechische Regierung hat sich noch nicht in allen Punkten den EU-Eliten unterworfen. Die Hausaufgaben hätte die griechische Regierung nach dieser Logik dann gemacht, wenn sie verkünden würde, sie setze die abgewählte Politik der konservativen Regierung ohne Abstriche fort.

Demokratische Entscheidungen werden ignoriert

Die EU-Eliten zeigen nur einmal mehr, wie wenig Wert sie auf demokratische Entscheidungsprozesse legen. Dass die Austeritätspolitik in Griechenland abgewählt wurde, muss den EU-Eliten nicht gefallen. Doch würden sie ihre Sonntagsreden über Demokratie ernst nehmen, müssten sie das ihnen unangenehme Ergebnis akzeptieren und auf dieser Basis die Politik neu ausrichten.

Die Haltung der EU-Eliten aber, die seit Ende Januar das griechische Wahlergebnis mit allen Mitteln bekämpfen, lässt die Frage aufkommen, ob diese EU überhaupt demokratiefähig ist. Oder zeigt nicht das griechische Experiment, dass diese EU-Gremien sogar eine Gefahr für die Demokratie sind?

Diese Frage zu bejahen, hätte aber auch Konsequenzen für Gruppierungen, die ähnliche Programme wie Syriza haben. Sie müssten sich zumindest die Option offenhalten, diese EU zu verlassen. Es könnte im Nachhinein einmal der größte Fehler der neuen griechischen Regierung gewesen sein, nicht eine Austrittsmöglichkeit aus der EU mit in die Planungen hineingenommen zu haben. Vielleicht ist aber die Abstimmung der griechischen Bevölkerung, die von einigen Ministern immer mal wieder in die Diskussion gebracht wurde, in diese Richtung zu interpretieren.

Wenn der Druck der EU-Gremien weiterwächst, könnte die griechische Bevölkerung befragt werden, ob sie sich dem EU-Diktat weiter unterwerfen will oder ob Wege außerhalb der EU gesucht werden sollen. Der griechische Finanzminister aber betont weiter, dass Griechenland mit dem „No“ zur Austeritätspolitik die europäischen Werte verteidige.

Gleichzeitig schlägt [4] er die Politik eines New Deal für Griechenland vor, der an die keynesianistische Politik des US-Präsidenten Roosevelt in den 1930er Jahren anknüpft. Nicht durch Sparprogramme, sondern durch finanzielle Anreize ist damals die Krise zumindest eingedämmt worden. Solche Pläne werden von vielen Ökonomen der unterschiedlichen politischen Couleur unterstützt. Doch ein solches Programm läuft den Interessen der deutschen Wirtschaft zuwider und wird von dem deutschzentrierten EU-Raum vehement abgelehnt.

Wieder einmal ist es die Bild-Zeitung, die hier publizistische Schützenhilfe leistet und die Vorschläge des griechischen Finanzministers als „Kampfansage an die EU-Partner“ tituliert [5]. Diese Propaganda zeigt Wirkung. Weil der DGB-Krefeld [6] den griechischen Finanzminister als Redner für den 1. Mai eingeladen hat, erreichten ihn Hassmails und Drohungen [7] .

Deutsche Goldreserven nach Athen

Mit einer kleinen Streitschrift im VSA-Verlag unter dem Titel „Griechenland am Abgrund“ [8] hat sich der Bremer Historiker Karl Heinz Roth in die Debatte eingeschaltet. „Die europäischen Mächte haben sich ganz offensichtlich darauf verständigt, die im Fall Griechenlands gestartete post-keynesianistische Alternative abzuwürgen, den Hoffnungsträger Syriza vor seinen Wählern vorzuführen und der allgemeinen Lächerlichkeit preiszugeben“, beschreibt er die europäische Reaktion auf den Regierungswechsel.

Er stellt ein sehr detailliertes Konzept vor, mit dem er den Ausweg aus der Wirtschaftskrise in Griechenland mit den noch immer offenen deutschen Schulden für die NS-Verbrechen in Griechenland verbindet. Dazu schlägt er vor, dass Deutschland seine Reparationsschulden durch einen Transfer eines Teils der Goldreserven der Deutschen Bundesbank begleichen solle. Ein Teil soll zur Finanzierung eines Not- und Sofortprogramms der griechischen Regierung verwendet werden. Damit sollen die Maßnehmen der Sozial-, Bildungs- und Gesundheitspolitik finanziert werden, die Millionen Menschen ein Leben in Würde ermöglichen würde.

Mit einem weiteren Teil der Goldreserven sollen den die griechischen Schulden beim Europäischen Rettungsschirm abgedeckt werden. Ein dritter Teil soll für ein mehrjähriges Jobgarantie- und Wiederaufbauprogramm der griechischen Ökonomie verwendet werden. Zudem schlägt Roth vor, mit einem Teil der Erlöse der Goldreserven einen griechischen Entschädigungs- und Gedenkfonds zu finanzieren.

Seine konkreten und detaillierten Vorschläge bezeichnet Roth als „eine realpolitisch durchdachte Blaupause“, mit der die absehbare humanitäre Katastrophe in Griechenland abgewendet werden und für linksalternative Politikmodelle in Europa Luft geschaffen werden könne. Es ist klar, dass solche Konzepte nur Realisierungschancen haben, wenn in verschiedenen europäischen Ländern wieder Empörte auf die Straße gehen und ihre Forderungen bündeln und zuspitzen.

„Wir sind alle Griechenland“ könnte eine Parole lauten, mit der deutlich würde, dass hier nicht nur die EU-Eliten mit einem Land, sondern mit einem großen Teil der Bevölkerung zumindest in den Ländern der europäischen Peripherie im Konflikt stehen.

Schließlich könnte der Sturz von Schäuble ein durchaus realistisches Ziel einer solchen Bewegung sein. Schließlich steht dieser Politiker wie kaum ein anderer für die repressive Phase des Modells Deutschland, das in vielen europäischen Ländern verhasst ist.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand Metternich für die in vielen Teilen der europäischen Bevölkerung verhasste Politik der Heiligen Allianz. Dabei handelte es sich um eine repressive Machtpolitik, zu der es nach der Lesart der damals Herrschenden keine Alternative geben sollte und könnte.

Als in ganz Europa 1848 die Menschen auf die Barrikaden gingen, wurde Fürst Metternich, der Kopf der Heiligen Allianz, gestürzt und musste ins Exil gehen. Was folgte, war nicht das „Reich der Freiheit“, aber es wurde Raum für eine andere Politik geschaffen. In vielen europäischen Ländern ist Schäuble heute genauso verhasst wie Metternich vor 180 Jahren.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/news/Ist-Demokratie-mit-dieser-EU-ueberhaupt-moeglich-2621230.html

Links:

[1]

http://www.focus.de/finanzen/news/staatsverschuldung/griechenland-krise-amateur-euro-finanzminister-beschimpfen-varoufakis_id_4637117.html

[2]

http://www.faz.net/agenturmeldungen/adhoc/euro-finanzminister-beschimpfen-gianis-varoufakis-13557145.html

[3]

https://www.woz.ch/-5a79

[4]

http://www.project-syndicate.org/commentary/greece-debt-deal-by-yanis-varoufakis-2015-04

[5]

http://www.bild.de/politik/ausland/griechenland-krise/vor-finanzminister-gipfel-in-riga-varoufakis-provoziert-erneut-griechenlands-geldgeber-40677840.bild.html

[6]

http://dgb-krefeld.de/?p=186#more-186

[7]

http://www.wz-newsline.de/lokales/krefeld/ein-sturm-der-entruestung-wegen-varoufakis-einladung-1.1909632

[8]

http://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/griechenland-am-abgrundbr-die-deutsche-reparationsschuld/

Zumutbar: 278,7 Milliarden Euro

Karl Heinz Roth begründet die Rechtmäßigkeit der deutschen Reparationsschuld gegenüber Griechenland

Herr Straubinger, ist die Geduld mit Griechenland unendlich? Was müssen wir uns eigentlich alles noch zumuten?« Mit dieser Frage leitete Gerd Breker vom Deutschlandfunk Anfang April ein Interview mit dem parlamentarischen Geschäftsführer der CSU, Max Straubinger, ein. Kurz zuvor hatte die griechische Regierung ihre Reparationsforderung an Deutschland konkretisiert. Auf die Summe von 278,7 Milliarden Euro kommt ein Parlamentsausschuss, der sich mit den Entschädigungen befasst. In Deutschland fielen die abwehrenden Reaktionen auf diese Forderung heftig aus. Breker bringt dabei letztlich nur auf den Punkt, was die »Bild«-Zeitung schon vor Wochen in einer regelrechten Anti-Griechenland-Kampagne formuliert hat: »Kein deutsches Geld an Griechenland.«

Da ist es umso erfreulicher, dass der Historiker Karl Heinz Roth ein Büchlein herausgegeben hat, das profunde begründet, warum nicht die Forderungen der griechischen Regierung sondern die Reaktionen in Deutschland eine Zumutung sind. Im ersten Teil geht er auf die Folgen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise für einen großen Teil der griechischen Bevölkerung ein. Er benennt die Verantwortung der wesentlich von Deutschland geförderten Austeritätspolitik und das Agieren der Troika, der es nur um die Profite der Banken geht. Der Autor klagt auch die Verantwortung der griechischen Eliten aus Politik und Wirtschaft ein. »Sie lancierten einen beispiellosen Wirtschaftsboom, der vor allem den heimischen Familiendynastien und den Großkonzernen der europäischen Kernzone zugutekamen.«

Im zweiten Kapitel beschreibt Roth die Maßnahmen der im Januar neu gewählten, wesentlich von der linken SYRIZA gestellten Regierung, die mit einer postkeynesianistischen Politik den fatalen Kreislauf aus Krise und Verelendung durchbrechen will, in dem sich Griechenland seit Jahren befindet. Auch hier wahrt der Wissenschaftler seinen kritischen Blick. So verweist er darauf, dass auch unter der neuen Regierung der enorm aufgeblähte Militäretat Griechenlands nicht gesenkt worden ist, was wahrscheinlich dem Einfluss des kleinen rechtskonservativen Koalitionspartners zuzuschreiben ist. Roth schildert die immensen Widerstände seitens der EU-Institutionen und der deutschen Regierung gegen die neue Politik in Athen. »Die europäischen Mächte haben sich ganz offensichtlich darauf verständigt, die im Fall Griechenlands gestartete postkeynesianische Alternative abzuwürgen, den Hoffnungsträger SYRIZA vor seinen Wählern vorzuführen und der allgemeinen Lächerlichkeit preiszugeben.«

Doch bei dieser pessimistischen Zustandsbeschreibung bleibt Roth nicht stehen. Er präsentiert einen Plan, der den Wiederaufbau der griechischen Wirtschaft mit der Begleichung der Reparationsschulden verbindet. Dazu schlägt er vor, dass Deutschland seine Reparationsschulden durch Transfer eines Teils der Goldreserven der Deutschen Bundesbank begleicht. Sie sollten der Finanzierung eines Not- und Sofortprogramms der griechischen Regierung im Bereich der Sozial-, Bildungs- und Gesundheitspolitik dienen, was Millionen Menschen ein Leben in Würde ermöglichen würde. Mit einem weiteren Teil der Goldreserven könnten die griechischen Schulden beim Europäischen Rettungsschirm abgedeckt werden. Ein dritter Teil wäre für ein mehrjähriges Jobgarantie- und Wiederaufbauprogramm einzusetzen. Zudem schlägt der Autor vor, mit einem Teil der Erlöse der Goldreserven einen griechischen Entschädigungs- und Gedenkfond anzulegen.

Seine sehr detaillierten Vorschläge bezeichnet Roth als »eine realpolitisch durchdachte Blaupause«, mit der die absehbare humanitäre Katastrophe in Griechenland abgewendet und generell alternativen Politikmodellen in Europa Luft zum Atem verschafften werden könne. Der Verfasser wünscht sich seine Schrift als Weckruf an die parlamentarische und außerparlamentarische europäische Linke. »Wir fordern die politischen Institutionen der Linken, SYRIZA, Podemos, die deutsche Linkspartei und die linken Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter auf, sich der europäischen Herausforderung zu stellen«, lautet der letzte Satz. Es ist zu hoffen, dass Roths Diskussionsangebot angenommen wird.

Karl Heinz Roth: Griechenland am Abgrund. Die deutsche Reparationsschuld. Eine Flugschrift. VSA-Verlag, Hamburg. 96 S., br., 9 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/968960.zumutbar-278-7-milliarden-euro.html

Peter Nowak