Gedenkort oder ein besseres Hotel?

 

Kein Mensch ist asozial – Arbeitskreis wendet sich gegen die Verfolgung von Armen

 

Der Begriff »asozial« dient bis heute zur Stigmatisierung
und Ausgrenzung von Menschen. Der damalige Wirtschaftsminister
und vielseitige Wirtschaftslobbyist Clement hat sich
im Zuge der Einführung von Hartz IV mit der Hetze gegen Erwerbslose
hervorgetan. Doch der Begriff hat eine Geschichte, die
oft wenig bekannt ist. Das will Arbeitskreis der »Marginalisierte
– gestern und heute« ändern. Er vereint Aktivisten von
Erwerbsloseninitiativen, Gewerkschaften oder antifaschistischen
Gruppen. »Wir beschäftigten uns mit den Ursachen, Erscheinungsformen
und Auswirkungen der Ausgrenzung und Verfolgung von Menschen, die vom gesellschaftlichen Reichtum an Waren und Gütern, Kultur sowie sozialen
Beziehungen ausgeschlossen sind«, fasst Anne Allex die
Arbeit des von ihr mitbegründeten Arbeitskreises zusammen. In
den knapp zwei Jahren des Bestehens hat er schon mehrere Veranstaltungen
und Ausstellungen konzipiert, die sich mit der Ausgrenzung
und Stigmatisierung von Menschen befassten. Die letzte Veranstaltungsreihe zeigt das Schicksal von vier Heimkindern von der Nazizeit bis in die
Gegenwart. Auch ver.di gehört zu den Kooperationspartnern.

Aktualitätsbezug ist wichtig.
»Die Stigmatisierung und Verfolgung von sogenannten Asozialen
und schwer Erziehbaren war in beiden deutschen Staaten nach
1945 keineswegs zu Ende«, betont Allex. Dem Arbeitskreis gehe
es darum, deutlich zu machen, dass kein Mensch asozial ist und
dass es kein unwertes Leben gibt. Die Aktivisten kämpfen um einen
Gedenkort für die Opfer der Asozialenverfolgung im ehemaligen
Berliner Arbeitshaus in der Rummelsburger Bucht. Seit 1876
sind dort Tausende als asozial stigmatisierte Menschen eingeliefert
worden. In der NS-Zeit diente das Gebäude als Arbeitslager
und Gefängnis für sogenannte unerwünschte Personen. Es
war Teil des NS-Terrorsystems, betont AK-Mitglied Lothar Eberhardt.
Eine Tafel, die an die Opfer erinnern soll, sei aber dort bis
heute nicht angebracht worden. Mittlerweile ist die Rummelsburger
Bucht ein begehrtes Wohngebiet. Als Geheimtipp für »Kenner
und Liebhaber Berlins« wirbt das Hotel »Das andere Haus 8«
im ehemaligen Arbeitshaus um Gäste. Eine Übernachtung in einer
»individuell eingerichteten, ehemalige Zellen, teilweise mit
Wasserblick«, kostet 40 Euro pro Nacht. Ein Gedenkort an dieser
Stelle, wie ihn der AK Marginalisierte fordern, könnte wertmindernd
sein.
In zwei Veröffentlichungen werden die Aktivitäten des Arbeitskreises
dokumentiert. Ein Sonderheft der Zeitschrift Telegraph beschäftigt
sich ebenso mit der Geschichte der Armenverfolgung wie
ein im Verlag AG Spak herausgegebenes Buch.

Peter Nowak

Allex, Anne/ Kalkan, Dietrich (Hg.):
ausgesteuert – ausgegrenzt …angeblich
asozial AG Spak, 351 S., 28 Euro,
ISBN 978-3-930-830-56-5 2009. Homepage
http://dju-berlinbb.verdi.de/publikationen/data/Sprachrohr-02_2010-als-PDF.pdf