Zu viele Zufälle im Berliner Verfassungsschutz

Die Leiterin der Berliner Verfassungsschutzbehörde musste wegen Aktenvernichtungen zurückgetreten – nur ein Bauernopfer?

Die Aktenvernichtung im Berliner Verfassungsschutz hat personelle Konsequenzen. Die Leiterin der Berliner Behörde Claudia Schmid hat ihren Rücktritt erklärt. Damit übernimmt sie die Verantwortung für die immer wieder bekannt gewordenen Aktenvernichtungen des Berliner VS im Zusammenhang mit der rechten Szene, die wachsende Kritik ausgelöst hat. Erst kürzlich war bekannt geworden, dass zwei Mitarbeiterinnen im Juli 2010 Akten zum Komplex des mittlerweile verbotenen neonazistischen Netzwerkes Blood & Honour vernichtet hatten, die eigentlich zur Aufbewahrung im Landesarchiv bestimmt waren. Schon vorher hatte für Schlagzeilen gesorgt, dass im Sommer dieses Jahres Akten vernichtet wurden, die nach Aussage von Henkel einen Bezug zur rechten Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gehabt haben könnten.

Dabei war in den letzten Tagen immer mehr der Innensenator Franz Henkel selber in die Kritik geraten. Nachdem der Christdemokrat in Umfragen zwischenzeitlich den wegen der Verzögerungen beim Berliner Flughafen angeschlagenen Regierenden Bürgermeister Wowerei in der Beliebtheitsskala überrundet hatte, überwiegt nun in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass der Politiker sein Amt nicht im Griff hat. Um diesen Eindruck zu widerlegen, hat Henkel schon gestern Konsequenzen angekündigt. Der Rücktritt von Schmid dürfte dazu gehören. Henkel konnte darauf verweisen, dass zumindest die zuletzt bekannt gewordene Aktenvernichtung nicht in seiner Amtszeit erfolgte. 2010 war der Sozialdemokrat Ehrhart Körting Innensenator.

„Unsägliche Salamitaktik des Innensenats“

Doch auch mit Schmids Rücktritt dürften weder Henkel noch der Verfassungsschutz aus der Kritik sein. Es wird vor allem darauf ankommen, ob noch mehr Aktenvernichtungsaktionen bekannt werden. Schon vor einigen Tagen zog der innenpolitischer Sprecher und Vorsitzender der Berliner Piratenfraktion Christoph Lauer eine vernichtende Kritik an Henkel und der Behörde. Er monierte die „unsägliche Salamitaktik des Innensenats“. Doch er stellt auch eine Frage, die sich in den letzten Wochen im Zusammenhang mit der NSU viele Menschen ebenfalls gestellt haben: „Es ist kaum mehr möglich, bei den haarsträubenden Vorgängen im Berliner Verfassungsschutz noch an Zufälle zu glauben“, betont Lauer.

Tatsächlich ist es bemerkenswert, dass Mitarbeiter von Verfassungsschutzämtern, die gemeinhin im Fall von Linken durch Klagen dazu gezwungen werden müssen, gesammelte Daten zu vernichten, hier scheinbar sehr daran interessiert waren, Akten loszuwerden. Pikant ist auch, dass zumindest die Aktenvernichtung im Sommer dieses Jahres zu einem Zeitpunkt erfolge, als die Verfassungsschutzämter verschiedener Länder bereits stark in der Kritik standen, weil Aktenvernichtungen bekannt geworden waren. Wollte da jemand schnell noch Spuren beseitigen? Diese Frage wird sich zumindest so lange stellen, wie die Behörden mauern und nur die Informationen zugeben, die sie nicht mehr verschweigen können.

Am Ende eine Stärkung der Behörde?

Dass es in den Behörden ein Leck gibt zeigt sich nun daran, dass bestimmte Medien immer wieder mit Berichten über Aktenvernichtungsaktionen gefüttert werden. Über die Aktenzerstörung im Sommer 2010 hatte die Bildzeitung exklusiv berichtet. Solche Veröffentlichungen könnten am Ende auch die Sicherheitsbehörden stärken.

Schon wird von offizieller Seite als Konsequenz der ständigen „Pannen“ eine effektivere und zentralistisch gelenkte Behörde gefordert. Zivilgesellschaftliche und linke Kritiker warnen denn auch, in das Lamento über die Pannen einzustimmen. Am 4. November demonstrierten in vielen Städten Deutschlands anlässlich des Jahrestages der Selbstenttarnung der NSU Tausende für die Auflösung der Verfassungsschutzämter. Diese Forderung wird zurzeit selbst von FDP-Politikern unterstützt. Daher könnte Schmids Rücktritt auch ein Bauernopfer für die Behörden sein.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153193
Peter Nowak