Perspectives on Drug Free Culture

Perspectives on Drug Free Culture
Regie: Marc Pierschel und Michael Kirchner
Deutschland 2009
von Peter Nowak
Der Film setzt sich kritisch mit der Straight-Edge-Bewegung auseinander.
Sie waren jung, gesundheitsbewusst und hassten Drogen. Die Rede ist von den Begründern und Protagonisten einer der wohl verkanntesten subkulturellen Bewegungen der letzten Jahre: der Straight Edge-Bewegung.

«Straight Edge» heißt klare Linie. Für die sog. «Edger» hieß das, keine Drogen zu nehmen und sich mindestens fleischlos, in der Regel aber vegan zu ernähren, also auf alle tierischen Produkte in der Nahrung zu verzichten.
Diesen Anspruch nahmen die Mittelstandskinder ernst, die Ende der 70er Jahre in den Großstädten der USA vor allem ein Ziel hatten: nicht in der Gosse zu landen. Sie grenzten sich damit von dem oft extensiven Drogenkonsum der Subkulturen ab, die sie selber kannten. Denn zu dieser Zeit war der Gebrauch dieser Mittel – anders als noch Ende der 60er Jahre – nicht mehr mit Befreiung der Sinne sondern mit dem oft gar nicht so romantischen Leben der regelmäßigen Drogenkonsumenten verbunden.

Als Reaktion auf diese Erfahrungen entwickelte sich eine Subkultur, die auf Drogenfreiheit, ein gesundes Leben und auch auf konservative Werte setzt. Die in Münster lebenden Filmemacher Marc Pierschel und Michael Kirchner haben sich in ihrem Film Edge auf eine sehr sympathische Weise mit dieser in die Jahre gekommenen Subkultur auseinandergesetzt. Sie haben sie weder romantisiert, noch denunziert, und auch mit manchen Mythen aufgeräumt.

Dazu gehört die verbreitete Ansicht, die Straight Edge-Bewegung propagiere eine Asexualität. Doch mehrheitlich wanden sich die Straight-Edger gegen einen häufigen Partnerwechsel. Auch hier trafen sie in den frühen 80er Jahren, als der Schrecken über die damals neue Krankheit Aids groß war, auch bei Jugendlichen auf offene Ohren.

Leider werden diese gesellschaftlichen Umstände, ohne die die große Bedeutung der Edge-Bewegung nicht erklärbar ist, im Film nur angedeutet. Dafür werden Musiker der unterschiedlichen Bands interviewt, die der Bewegung erst die große subkulturelle Bedeutung gaben. Die Punk Band Minor Threat, die den Begriff Straight Edge prägte, gehört ebenso dazu, wie der Rapper Ray Cappo oder die Hard-Core-Combo Youth of Today, die Mitte der 80er Jahre die Edge-Bewegung mit gemeinhin links codierten politischen Themen verband. Hierin liegt der Grund, dass diese Subkultur bis heute junge, moralische Gymnasiasten in ihren Bann zieht.

Dass die Edge-Bewegung generell emanzipatorische Inhalte habe, ist einer der Mythen, die der Film dekonstruiert. So wird mit der Band Terror Edge eine Combo vorgestellt, die für eine menschenfeindliche Strömung steht. Diese Strömung ist auch die Grundlage einer offen rechtsradikalen Straight-Edge-Bewegung. Mittlerweile gibt es in Deutschland Rechtsradikale, die gesunde Ernährung und den Kampf gegen Drogen mit rassistischen und antisemitischen Elementen kombinieren und sich dabei auf Ahnherren in der NS-Bewegung berufen. Leider fehlt auch dieser Aspekt in dem ansonsten informativen Film.

Das junge Zielpublikum wird dadurch angesprochen, dass zwischen den einzelnen Szenen und Interviews im Film immer wieder Internetrecherche betrieben wird. Auch die Musikbeispiele kommen aus dem Netz. Einige Rezensenten monieren, dass die Musikbeispiele nur von You-Tube und My-Space kommen. Aber abgesehen davon, dass das vermutlich finanzielle Gründe hat, ist ein Plus des Films, dass der Fokus auf die kritische Auseinandersetzung, und nicht auf das Konsumieren einer Jugendkultur gelegt wird.

Ab Mai als DVD erhältlich unter www.compassionmedia.org/ oder www.theedgeprojectmovie.com/.

 http://www.sozonline.de/2010/04/pierschelkirchner-edge/#more-705

Peter Nowak

Tatort Brunnenstraße – zwischen Kunst und Widerstand

Wegen eines Fehlers des Autors wurde in der ersten Version der Ausstellungsbesprechung die Fotoarbeit von Said Sennine der  Künstlerin Giovanna Schulte-Ontrop zugeordnet. Der Autor bedauert den Fehler und entschuldigt sich bei Frau Schulte-Ontrop.

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Ein schwarzgekleideter, vermummter Jugendlicher steht auf einen  Dach und  schwenkt eine Fahne mit einem Anarchiezeichen. Im Loop von Jan Wirdeier  wiederholt sich die Szene immer wieder von Neuem.    

 Bis vor einigen Monaten konnte man in der  Berliner Brunnenstraße solche Szenen noch  im realen Leben sehen. Am 21. November 2009 wurde mit der Brunnenstraße 181 eines der letzten besetzen Häuser Berlins geräumt.

In der Ausstellung „Tatort Brunnenstraße“ in der Neuen Schule für Fotografe  kommt das Hausprojekt, in dem Berlins erster Umsonstladen sein Domizil gefunden hatte, gleich mehrfach vor.  Schließlich stelle die Dozentin  Eva Bertram den Studierenden ihrer Klasse die Aufgabe, sich in ihren Semesterabschlussarbeiten mit der Straße zu befassen, in der sich die Schule seit einiger Zeit befindet.

Nicht alle Fotografen konnten mit der gestellten Aufgabe etwas anfangen.  Tobias Wirth betonte, dass er keinen Zugang zu der Straße gefunden hat. Deshalb  hatte er auch Modefotografien zur Ausstellung beigesteuert. Die übrigen Arbeiten drehen sich tatsächlich um die Brunnenstraße, die im Wedding beginnt und fast am Hackeschen Markt endet.  Der Kontrast der beiden Stadtteile wird in der Arbeit von  Said Sennine  etwas überstrapaziert. Auf den 10 Fotos sind unter Anderem ein Blumenladen,  ein Imbiss, ein Restaurant abgebildet. Die Zuordnung nach Stadtteilen aber will dem unbefangenen Betrachter nicht sofort gelingen. Denn der im Begleittext aufgestellten These, dass im Weddinger Teil der Brunnenstraße eher bürgerliche, ältere Menschen das Bild prägen, werden zumindest langjährige Bewohner oder Besucher der Gegend nicht zustimmen.

Auf den ersten Blick irritierend wirken die Fotographien von Juliane Apel mit dem vielen zugemauerten Fenstern und Türen und den verlassenen Häusern. Sie wurden nicht in Berlin sondern in der Großen Brunnenstraße in Halle, dem Heimatort der Künstlerin, aufgenommen. Das Bild dieser Straße  ist von der Verarmung und dem Wegzug vieler Menschen geprägt.  An den alten Brunnen erinnert nur noch der Name,    aus der eine Schule waren ein Armenhaus und dann ein Gefängnis geworden, bevor das Gebäude verschwand. Auch die Studentenkneipe hat schon lange geschlossen.

Die Arbeiten drehen sich um den schnellen Wandel einer Straße und da ist die Berliner Brunnenstraße tatsächlich ein gutes Beispiel. Nur wenige Meter von dem Ausstellungsort  befindet sich das geräumte  Gebäude, jetzt ohne Fenster und mit zugemauerten Türen. „Wir bleiben alle“ prangt noch groß auf den Außenmauern. Direkt gegenüber der Galerie findet sich auf der Fassade eines sanierten Gebäudes der Satz: „Dieses Haus stand einmal in einem anderen Land“. Kunst und Widerstand findet sich also hier auf engsten Raum. Die Ausstellung lädt auch zur Frage ein, wie die Straße in 10 Jahren aussehen wird. 

 Wo heute noch kleine Galerien ihr Domizil haben, könnte in wenigen Jahren mondäne Restaurants die Pforten eröffnen. Schließlich sind Kunstobjekte auch nur zeitweilige Platzhalter im Aufwertungsprozess eines Stadtteils und einer Straße. Deshalb könnte auch das Forum für Neue Fotografie nur ein temporäres Projekt in der Brunnenstraße sein, so wie viele der Einrichtungen, die auf den Fotos zu sehen ist. 

aus Neues Deutschland, 30.3.2010  

Peter Nowak

Die Angst vor dem Internet-Tsunami

Die klassischen Printmedien geraten durch den Online-Journalismus zunehmend unter Druck
Ist das Zeitalter der klassischen Printmedien vorbei? Sind Tageszeitungen eine aussterbende Spezies auf dem Medienmarkt? Die Zukunft des Print-Journalismus im Onlinezeitalter war auch auf der Linken Medienakademie ein zentrales Thema.
 Die Branchenvertreter blicken alles andere als optimistisch in die Zukunft. Der stellvertretende Chefredakteur der »taz«, Reiner Metzger, vergleicht die aktuelle Lage der Printmedien mit der der Stahlwerke in der alten BRD vor 40 Jahren. Auch damals hätten viele Arbeiter in der Stahlbranche die Hoffnung gehegt, sie könnten einfach weitermachen wie bisher. Allerdings räumte auch Metzger ein, dass sich die journalistische Arbeit nicht einfach in ein Billiglohnland verlegen lässt. Trotzdem sei die Frage, wie sich in Zukunft mit Journalismus noch Geld verdienen lässt, offen.

Ist Online-Journalismus der berühmte Strohholm, der auch die Printmedien retten kann? Der Redaktionsleiter der Jugendzeitung »Spießer«, die schon länger eine Online-Präsenz hat, warnte vor zu großen Erwartungen. Besondere journalistische Qualitäten seien ihm unter den Bloggern nicht aufgefallen. Leider hatte der Herausgeber der Wochenzeitung »Der Freitag«, Jakob Augstein, kurzfristig seine Teilnahme an der Debatte abgesagt. Er hätte sicher zum Thema Online-Journalismus einiges beisteuern können. Schließlich hat seine Zeitung nach ihrem Relaunch im letzten Jahr eine Pionierrolle bei der Verbindung zwischen Print- und Online-Journalismus eingenommen.

Auch »Freitag«-Chefredakteur Philipp Grassmann sieht für den bisherigen Journalismus keine Zukunft mehr. Anders als in Großbritannien und den USA würden aber in Deutschland noch immer viele Journalisten ihre Distanz zu der Bloggerszene und dem Internet-Journalismus kultivieren. Grassmann sieht in dieser Haltung die illusionäre Hoffnung, der Internet-Tsunami würde wieder vorbeigehen. Mit Verweis auf Beispiele aus Großbritannien und den USA vertritt er die These, das Internet sei keine Gefahr sondern eine Chance für den Journalismus. So seien dem britischen »Guardian« Papiere zugespielt worden, die auf einen Steuerbetrug hindeuteten. Weil die Redaktion keine Kapazitäten zur Aufarbeitung der Unterlagen hatte, entschloss sie sich, die Papiere ins Netz zu stellen. Innerhalb weniger Tage hätten Internetnutzer die Unterlagen studiert und für die Leser aufbereitet.

Grassmann verteidigte auch den Mikroblog Twitter vor der Kritik, damit würden nur Belanglosigkeiten ausgetauscht. In Großbritannien habe Twitter bereits zur Verteidigung der Pressefreiheit beigetragen. Nachdem britische Gerichte der Presse verboten hatten, über den von einem Großkonzern verursachten Umweltskandal zu berichten und selbst über diese Entscheidung des Gerichts keine Meldung veröffentlicht werden durfte, sorgte eine 204 Zeichen lange Meldung bei Twitter für einen Sturm der Entrüstung in Großbritannien. Innerhalb von wenigen Tage hatten findige Internetznutzer die Hintergründe der Meldung recherchiert und ins Netz gestellt. Schließlich musste das Gericht das wirkungslos gewordene Verbot, über den Fall zu berichten, zurücknehmen.

Diese Beispiele eines engagierten Bürgerjournalismus beantworteten allerdings noch nicht die Frage, wie Journalisten künftig bezahlt werden sollen. Auch Grassmann machte hier aus seiner Ratlosigkeit keinen Hehl. Werbung im Internet kann die andauernde Flaute im Anzeigengeschäft der Printmedien nicht kompensieren. Während ein Werbebanner im Internet nicht einmal 100 Euro einbringt, erzielt eine in der »Süddeutschen Zeitung« veröffentlichte Anzeige in gleicher Größe Einnahmen in fünfstelliger Höhe. Der Chefredakteur des »Freitag« verweist darauf, dass in den englischsprachigen Ländern engagierte Journalisten Geld für ihre Recherchearbeit über das Internet sammeln. So konnte eine Umweltredakteurin rund zehntausend Dollar im Netz auftreiben, um über einen Umweltskandal im Südpazifik zu recherchieren und zu berichten.

Grassmann will hierin allerdings kein Modell für die Bezahlung von Journalisten sehen. Schließlich könnten auch finanzstarke Gruppen unter dem Deckmantel der Unterstützung Beiträge lancieren. Zudem besteht die Gefahr, dass die Journalistenhonorare noch mehr abgesenkt werden, wenn Bürgerjournalisten unentgeltliche Recherchearbeit machen. Diese auch von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di geäußerten Befürchtungen, haben eine reale Grundlage. Für Grassmann wäre es allerdings eine falsche Strategie, wenn ver.di Blogger und Bürgerjournalisten als Gegner von professionellen Journalisten betrachten würden. Vor allem aber wäre es eine anachronistische Position, weil die Entwicklungen nicht aufzuhalten seien.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/167069.die-angst-vor-dem-internet-tsunami.html
 Peter Nowak

Gemütlichkeit am Ort des Schreckens

Filmemacherin Andrea Behrendt dokumentiert die Geschichte eines Berliner Arbeitshauses
»Individuell eingerichtete, ehemalige Zellen, teilweise mit Wasserblick, und wohltuende Ruhe erwarten Sie abends nach Ihren Entdeckungstouren durch die lebendige Metropole«, heißt es auf der Homepage. Sie wirbt für das von Huberta Bettex von Schenck geleitete »Andere Haus 8«. Eine Übernachtung kostet pro Bett 40 Euro.

 Interessierte erfahren per Internet, dass sich in dem Gebäude ein »Arresthaus für männliche Corrigenden« befunden habe. Ein wenig bekannter Begriff für das zentrale Berliner Arbeitshaus, das 1876 – damals weit außerhalb der Stadt – in Rummelsburg errichtet wurde.

Es sei ein Ort des Schreckens für Tausende gewesen, erklärte der Berliner Historiker Thomas Ulmer. Er setzt sich dafür ein, dass in dem noch erhaltenen Gebäude an der Rummelsburger Bbucht ein Erinnerungsort für die als asozial verfolgten Menschen entsteht Die Berliner Filmemacherin Andrea Behrendt hat mit ihrem Kurzfilm »arbeitsscheu-abnormal-asozial – Zur Geschichte der Berliner Arbeitshäuser« einen wichtigen Beitrag zu dieser Auseinandersetzung geliefert.

Sie lässt neben der Hotelbesitzerin Huberta Bettex von Schenck und dem Historiker Thomas Ulmer auch Anne Allex vom Arbeitskreis »Marginalisierte – gestern und heute« zu Wort kommen. Dort haben sich Erwerbslose und kritische Wissenschaftler zusammengeschlossen, die die Stigmatisierung und Verfolgung sogenannter Asozialer aufarbeiten.

»Oft hat es sich um Menschen gehandelt, die mit ihrem Lebensentwurf in der Gesellschaft aneckten und deswegen Verfolgung erleiden mussten«, betont Allex. Am Beispiel des Berliner Arbeitshauses lässt sich gut aufzeigen, dass diese Verfolgung während der NS-Zeit verschärft, nach 1945 aber in beiden Teilen Deutschlands nicht beendet wurde. Aber unter den Nazis wurden die Bedingungen für die Insassen des Arbeitshauses enorm verschlimmerte zahlreiche Menschen wurden von dort in weitere Gefängnisse und Konzentrationslager eingeliefert.

Der AK Marginalisierte will in dem noch erhaltenen Gebäude des ehemaligen Arbeitshauses einen Erinnerungsort für die als asozial Verfolgten errichten. Durch Kundgebungen, Bücher, Broschüren sowie eine Ausstellung im Stadtmuseum Lichtenberg wurde die fast vergessene Geschichte des Arbeitshauses einer größeren Öffentlichkeit bekannt.

Doch selbst eine Gedenktafel ist an dem Gebäude des ehemaligen Arbeitshauses bisher nicht angebracht. Mittlerweile ist die Rummelsburger Bucht ein begehrtes Wohngebiet geworden. Townhäuser für die wohlhabende Mittelklasse sind dort sehr begehrt. In ein solches Umfeld passt ein spezielles Hotel wie das »Andere Haus 8« besser als ein Erinnerungsort für Asoziale.

Die Initiative wird aber nicht aufgeben. Andrea Behrendts Film ist dabei eine gute Unterstützung. Der Künstlerin gelingt in knapp 30 Minuten ein kurzweiliger Überblick über die Geschichte des Berliner Arbeitshaus und die Stigmatisierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe, die auch ohne Arbeitshäuser bis heute nicht beendet ist.

DVD »arbeitsscheu-abnormal-asozial – Zur Geschichte der Berliner Arbeitshäuser«, 15 Euro, zu bestellen über Globale Medienwerkstatt e. V., behrendt@globale-medienwerkstatt.de. Tel.: 92 12 02 59

http://www.neues-deutschland.de/artikel/165216.gemuetlichkeit-am-ort-des-schreckens.html

Peter Nowak

Verkürzte Medienkritik

Eine Initiative stellt jährlich eine Liste in den Medien vernachlässigten Themen zusammen, bleibt aber mit ihrer Kritik an der Oberfläche.
Was haben die mangelhafte Deklarierung von Jodsalz in Lebensmitteln, die Zwangseinweisung von Menschen in die Psychiatrie und der Notstand im Krankenhaus miteinander zu tun? Sie gehören zu den 10 Themenfeldern, die nach Meinung der Initiative Nachrichtenaufklärung im letzten Jahr in deutschen Medien kaum oder mangelhaft behandelt worden sind.

Die INI war im Jahr 1997 nach dem Vorbild des US-amerikanischen Project Censored gegründet worden. Sie wird von der TU-Dortmund und der Jakocs University Bremen getragen.

Die nach Meinung der Initiative vernachlässigten Medienthemen werden jährlich von einer Jury aus den Vorschlägen ausgewählt, die von Wissenschaftlern, Medienschaffenden und interessierten Einzelpersonen eingereicht worden sind. Bei der Auswahl spielt die gesellschaftliche Relevanz der Themen eine wichtige Rolle. Kritisch könnte man einwenden, dass man dadurch eine Fülle von Themen vor sich hat, die medial völlig unterschiedlich behandelt werden. Auch die Gründe für eine mögliche Vernachlässigung sind unterschiedlich. So kommt der als Top 1 auf der Liste genannte Pflege-Notstand durchaus in den Medien vor. Allerdings wird er oft auf ein individuelles Problem abgehandelt. Die Verbindung zu einer Sozialpolitik, die den Pflegekräften ihre Arbeit immer schwerer macht, wird dagegen seltener gezogen.

Dagegen wird in den wenigsten Medien thematisiert, dass die seit einem Jahr auch für Deutschland verbindliche UN-Behindertenkonvention in Widerspruch zur weiterhin praktizierten zwangsweisen Einweisung von Menschen psychiatrische Kliniken steht. Das steht auf Punkt 2 der Liste. Die Proteste von Betroffeneninitiativen werden weitgehend ignoriert und erst aufgegriffen, wenn die Anliegen von Gerichten oder der Politik getragen werden. Die Gründe liegen weniger in einer direkten Zensur sondern in gesellschaftlichen Konventionen, denen auch Medienvertreter ausgesetzt sind. Eine Aneinanderreihung von angeblich vernachlässigten Themen bleibt unbefriedigend, wenn nicht die Zusammenhänge in jedem einzelnen Fall aufgezeigt werden. Zudem stellt sich die Frage, wie weit auch das Internet in die Medienanalyse einbezogen worden ist. 
 

http://www.heise.de/tp/blogs/6/147009
Peter Nowak

Der unmögliche Frieden

 

»Wenn du das, was du siehst, nicht fühlst, wirst du Andere nie dazu bringen, etwas zu fühlen, wenn sie deine Bilder betrachten.« So lautet das Motto des 1935 in London geborenen Fotografen Don McCullin, dem die C/O-Galerie im Alten Postfuhramt mit der Ausstellung »The impossible Peace« eine Retrospektive widmet. Die Ausstellung beginnt mit Aufnahmen aus West- und Ostberlin in den Tagen des Baus der Berliner Mauer. Gleich im Anschluss beginnen die Fotos von den zahlreichen Kriegen, in denen McCullin als Fotograf berühmt wurde. Zypern, Vietnam, Kambodscha, Biafra, der Nahe Osten lauten einige seiner Stationen zwischen 1966 und 1984.www.co-berlin.eu

Mehrmals wurde McCullin dabei schwer verletzt. In einem kurzen Film erzählt der Fotograf, wie er in Kambodscha von einer Kugel getroffen wurde, und mit Morphium betäubt in einen Pritschenwagen verladen wurde, auf dem viele Schwerverletzte und Sterbende lagen. Trotz seiner Schmerzen packte McCullin seine Kamera und schoss Fotos. Dabei ist er keineswegs ein Mann, der für ein Foto über Leichen geht. Im Gegenteil: McCullins Intention ist eine Denunzierung des Krieges. Er wollte verhindern, dass der Krieg wie ein Hollywood-Film dargestellt wird. Dafür zeigte er gefolterte und sterbende Zivilisten und Soldaten. Er lichtete US-Rangers ab, die den spärlichen persönlichen Besitz eines getöteten Vietcong in alle Winde zerstreuen. Doch es sind nicht nur die Schlachtfelder in Asien und Afrika, die McCullins fotografisches Interesse geweckt haben. Er richtet seine Linse auch auf sozialen Verheerungen am Rande europäischer oder US-amerikanischer Städte. Wir sehen einen völlig verwahrlosten Mann auf einer Straße in Liverpool liegen. Sein Alter ist unklar, ebenso ist ungewiss, ob er noch lebt. McCullin hat genau hingeschaut in den Obdachlosenheimen und Irrenanstalten. Seine Fotos denunzieren nicht die abgebildeten Menschen, sondern die Verhältnisse, die sie in ein solches Leben zwingen.

In zwei Räumen sind McCullins Arbeiten der jüngsten Zeit zusehen. Mit Motiven aus den Antike hat er scheinbar seinen Job als Fotograf der Kriege hinter sich gelassen. Doch in dem Film berichtet er davon, dass ihn die Erlebnisse aus den Kriegs- und Krisengebieten bis heute nicht loslassen. Wer den letzten Hilferuf eines sterbenden Soldaten mit der Kamera einfängt oder Bilder über ein Kleinkind schießt, das vor Hunger seine eigene Finger aufisst, kann nicht einfach die Verhältnisse vergessen, die dafür verantwortlich sind. McCullins Fotos sorgen dafür, dass sich auch seine Betrachter Gedanken darüber machen.

Die Ausstellung »The impossible Peace« ist noch bis 28.2. zu sehen, täglich von 11 bis 20 Uhr, in der C/O-Galerie in der Oranienburger Str. 35/36, 10117 Berlin zu sehen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/163488.der-unmoegliche-frieden.html

Peter Nowak