Bomben oder Bomben lassen?

Die Positionierung zum Bürgerkrieg in Libyen sorgt weiterhin für Diskussionen, die allerdings nicht in Glaubenskriege ausarten
Lange Jahre war der israelische Oppositionelle Uri Avnery in Deutschland bei Kriegsgegnern hoch angesehen. Doch seit einigen Tagen sind manche seiner alten Freunde über Avnery irritiert. Er hat sich nämlich für eine militärische Intervention auf Seiten der Aufständischen in Libyen ausgesprochen und dabei nicht mit Pathos und historischen Vergleichen gespart.

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 Mein Herz schlägt für die Libyer (tatsächlich bedeutet „libi“ im Hebräischen „mein Herz“). Und „Nicht-Einmischung“ klingt in meinen Ohren wie ein schmutziges Wort. Es erinnert mich an den Spanischen Bürgerkrieg, der tobte, als ich noch ein Kind war. 1936 wurde die Spanische Republik brutal von einem spanischen General, Francisco Franco, mit aus Marokko importierten Truppen angegriffen. Es war ein sehr blutiger Krieg mit unsagbaren Gräueln. Nazideutschland und das faschistischen Italien griffen Franco damals unter die Arme, die deutsche Luftwaffe terrorisierte spanische Städte wie Guernica.
Uri Avnery

Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke antwortet Avnery in einem Offenen Brief mit nachdenklichen Worten:
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 Ich bin in vielem, was es abzuwägen gilt, tief verunsichert. Ich möchte, dass das Töten und Morden aufhört, auf allen Seiten. Und ich will dazu beitragen, dass Gaddafi verschwindet. Das wird aber eher nicht das Ergebnis des Krieges sein.
Wolfgang Gehrcke
Am Ende seines Briefes dankt Gehrcke Avnery, den er einen „Gerechten in einer ungerechten Welt“ für seine „Herausforderung zum Nachdenken“ nennt.

Ja zum deutschen Sonderweg

Auch der friedenspolitische Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie und Veteran der deutschen Friedensbewegung Andreas Buro widerspricht Avnery in seinem „pazifistischen Blick auf Libyen“.
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 Bei der offiziellen Legitimation des NATO-Einsatzes im libyschen Konflikt wird viel von einer ‚humanitären Intervention‘ gesprochen. Die Ideologie der ‚humanitären Intervention‘ ist die Fortsetzung der Ideologie vom „Gerechten Krieg“, der wichtigsten Legitimationsideologie für fast alle Kriege. Für die Friedensbewegung stellt sich die Frage, welche Folgen hätte es, wenn Pazifisten sich für eine humanitäre Intervention mit militärischen Mitteln einsetzten, wie es zum Beispiel Uri Avnery tut?
Andreas Buro
Allerdings bleibt er nicht in dem bei pazifistischen Kreisen so beliebten Darstellung der eigenen moralischen Zerrissenheit stehen, die aus den Debatten der Grünen rund um den Kosovo-Einsatz so beliebt waren. Buro stellt zumindest einige Fragen zur konkreten Situation im libyschen Bürgerkrieg:
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 Warum wird fast ausschließlich über die tatsächlichen und potentiellen Opfer der Gaddafi-Truppen berichtet, aber nicht über die Massaker der Rebellengruppen?
Andreas Buro
Allerdings hätte man gerne erfahren, auf welche Quellen sich der Verfasser dabei bezieht. Auch sein positives Bekenntnis zu einem „deutschen Sonderweg zur friedlichen Konfliktbearbeitung“ muss vor dem Hintergrund der letzten 20 Jahre kritisch gesehen werden. Schließlich hat Deutschland im Konflikt auf dem Balkan bekanntlich nicht im Sinne einer friedlichen Konfliktbearbeitung agiert. Lassen sich hier Pazifisten nicht einfach in deutsche Staatsinteressen einspannen, die manchmal, wie die Beispiele Irak oder Libyen zeigen, eine Ablehnung militärischer Eingriffe beinhaltet?

Gepflegte Debatte um Libyen-Einsatz

Bei der aktuellen innerdeutschen Debatte um den militärischen Eingriff in den libyschen Bürgerkrieg ist das Fehlen der Aufgeregtheit auffällig, die während des Balkan-Einsatzes aber auch während des Irak-Krieges noch aus politischen Differenzen Feindschaften machten. Sowohl auf Seiten der Befürworter als auch der Gegner eines Einsatzes wird häufig betont, dass die eigene Positionierung mit vielen eingestandenen Unsicherheiten verbunden ist.

Das wurde auch auf einer von der Wochenzeitung Jungle World organisierten Diskussionsveranstaltung deutlich. Dort pflegten Kritiker und Gegner des Militäreinsatzes einen gepflegten Meinungsaustausch, wie Moderator Ivo Bozic am Ende der Diskussion positiv hervorhob.

Der Arzt Ramadan Bousabarah von der libyschen Gemeinde in Berlin betonte, dass mit dem militärischen Eingreifen ein von Gaddafi lautstark angekündigtes Massaker an den von den Oppositionellen gehaltenen Städten verhindert wurde. Der Berliner Landesvorsitzende der Linken Stefan Liebich betonte, dass er als führendes Mitglied im realpolitischen Forums Demokratischer Sozialsten nicht zu den grundsätzlichen Gegnern jeglicher von der UN legitimierter Militäreinsätze gehört. Die militärische Durchsetzung der Flugverbotszone hält Liebich allerdings für falsch.

Der für das Auslandsressort in der Jungle World zuständige Redakteur Jörn Schulz betonte, dass ihm das Argument, die staatliche Souveränität eines Landes müsse auf jeden Fall gewahrt werden, nicht überzeugt. Damit legitimieren Machthaber gerne jegliche Unterdrückung der eigenen Bevölkerung. Die politische Linke habe sich hingegen unabhängig von den Landesgrenzen mit politischen Bewegungen solidarisiert, die gegen ihre Unterdrückung kämpften.

Wie islamistisch ist die libyschen Opposition?

Unklar blieb der Charakter der politischen Opposition in Libyen auch auf der Veranstaltung. So betonte Ramadan Bousabarah zwar, dass libysche Volk würde zusammenstehen, wenn nur der Gaddafi-Clan verschwindet. Da fragten sich manche aus dem Publikum, ob auch die afrikanischen Arbeiter und Migranten zum libyschen Volk gehören. Bozic zeigte sich irritiert, dass ein Ausgangspunkt der neueren lybischen Opposition  im Jahr 2006 die Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung waren. Es verwundert schon, dass Menschen in auf die Straße gegangen sind und sich in Gefahr begeben haben nicht für ihre eigenen Rechte, sondern wegen einiger Karikaturen, die niemand auch nur gesehen hat.

Die Unklarheiten über die Rolle islamistischer Gruppen in der libyschen Opposition spielen auch in der Debatte eine Rolle, die in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung über das Pro und Contra eines militärischen Eingriffs in den libyschen Bürgerkrieg geführt wurde. Malte Lehning vom Berliner Tagesspiegel verweist auch das Risiko, „dass in einem eskalierenden Bürgerkrieg weitaus mehr Zivilisten getötet werden, als es durch eine Niederschlagung des Aufstands geschehen wäre“.

Dass innerhalb weniger Tage gleich zweimal libysche Oppositionelle Opfer der Bombardierungen wurden, die eigentlich ihrem Schutz dienen sollten, bestätigen die Befürchtungen. Sie erinnern an die Entwicklung im Kosovokonflikt, wo albanische Flüchtlinge und Roma Opfer der Natobomben wurden, die sie offiziell schützen sollten. Im Unterschied zur damaligen Frontenbildung zwischen Gegnern und Befürwortern eines militärischen Einsatzes dominieren aktuell die Nachdenklichkeit und das Eingeständnis von Unsicherheiten auf beiden Seiten. 
 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34514/1.html

Peter Nowak

EU-Länder zeigen afrikanischen Flüchtlingen kalte Schulter

Die Tragödie vor Lampedusa und „europäische Spielregeln“
Mindestens 150 Flüchtlinge gelten nach einem Bootsunglück vor Lampedusa in der Nacht auf Mittwoch als vermisst. Das Unglück geschah, als sich die Flüchtlinge, die in Lybien gestartet waren, schon in Sicherheit wähnten und die Küstenwache die Menschen auf ihr Schnellboot umladen wollte. Das Flüchtlingsboot hatte sich in Seenot befunden. Natürlich stellt sich die Frage, wie das Unglück vor den Augen der Küstenwache geschehen konnte. Schließlich gehören Sicherheitsvorkehrungen gegen das Kentern beim Bergen von Menschen aus manövrierunfähigen Booten zu den Basiskompetenzen einer Küstenwache.
Rechte Stimmungsmache
Die Tragödie im Mittelmeer ist nicht die erste ihrer Art. Der innenpolitisch bedrängte italienische Ministerpräsident Berlusconi versuchte sich erst kürzlich vor den Einwohnern Lampedusas als Hardliner und Heilsbringer mit großen Versprechungen zu präsentieren, der das Flüchtlingsproblem schnell lösen will. Einige Tage zuvor hetzten Politiker der italienischen rechtspopulistischen Regierungspartei Lega Nord gemeinsam mit der Vorsitzenden des extrem rechten Front National, Marine Le Pen, auf Lampedusa gegen die Flüchtlinge.
Mittlerweile versucht die italienische Regierung mit großzügigen finanziellen Zusagen an die neue tunesische Regierung diese zur Flüchtlingsabwehr zu verpflichten, wie sie sie mit der gestürzten Diktatur vereinbart hatte. Doch bisher blieb man auf tunesischer Seite unverbindlich.
Europäische Spielregeln gegen die Flüchtlinge
Die EU-Regierungen äußern sich nach außen sehr kritisch zum Flüchtlingsmanagement der italienischen Rechtsregierung. Doch dabei geht es den meisten Politikern weniger um das Schicksal der Flüchtlinge, sondern um die Angst, die italienische Regierung werde sie nicht an der Weiterreise in andere EU-Länder hindern. Schließlich haben die meisten Migranten angegeben, Italien nur als Transitland auf den Weg in andere EU-Länder nutzen zu wollen.
Die Ankündigung der italienischen Regierung, die Flüchtlinge mit Aufenthaltsgenehmigungen auszustatten, würde den Interessen der Flüchtlinge sehr entgegenkommen. Denn damit könnten sie in andere europäische Staaten reisen. Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber lehnte es im Interview mit dem Deutschlandfunk vehement ab, afrikanische Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen.
„Wir haben Spielregeln vereinbart, wie in Europa mit Flüchtlingen umzugehen ist, und Italien hat diese Spielregeln akzeptiert“, doziert Weber in Richtung der italienischen Regierung und droht mit Sanktionen.
„Dann muss die Kommission dafür sorgen, dass das Recht, das wir in Europa haben, auch umgesetzt wird. Ich kann nicht akzeptieren, dass wir sozusagen jemandem dann nachgeben, weil er Spielregeln nicht einhält.“
Die Verletzung der Spielregeln besteht für Weber und viele seiner Parteikollegen nicht in der unmenschlichen Behandlung der Flüchtlinge, sondern in deren möglichen Einreise in die EU. Die wenigen Stimmen von Flüchtlingshilfsorganisationen wie Pro Asyl, die schon seit Wochen fordern, den Flüchtlingen Fluchtwege in der EU zu öffnen, werden in der Öffentlichkeit kaum gehört. Die europäische Politik sehnt sich nach starken Regimes zurück, die die Torwächterrolle für sie in Nordafrika spielen, wie es lange Jahre Gaddafi vorgemacht hat. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/149610
Peter Nowak

Droht neuer Krieg zwischen Israel und Gaza?

Der Bombenanschlag in Jerusalem verschärft die Situation erheblich
Eine Frau wurde getötet und mindestens 30 Personen sind verletzt worden, als heute gegen 15 Uhr eine Bombe in einem Bus im Zentrum Jerusalems explodierte. Nach Regierungsangaben hatten die Attentäter die Bombe in einer Tasche auf dem Busbahnhof versteckt. Die Explosion traf einen Bus der Linie 174, der nach Maale Adumim, einer jüdischen Siedlung im Westjordanland fahren sollte. Die Polizei sperrte den Anschlagsort ab und suchte mit Spürhunden nach möglichen weiteren Sprengsätzen in der Umgebung. Die Wucht der Explosion erschütterte Gebäude auch noch in mehreren hundert Metern Entfernung. Die Fensterscheiben von Bussen und Autos zerborsten. Augenzeugen berichteten von blutenden Menschen, die auf dem Boden lagen und auf Tragen weggebracht wurden.

Der erste Bombenanschlag in Jerusalem seit 2004 droht die schon angespannte Situation zwischen Gaza und Israel zu verschärfen. Schon vor dem Anschlag waren in der israelischen Regierung Forderungen nach einem neuen Militärschlag gegen das Hamas-Regime im Gazastreifen laut geworden, weil von dort in der letzten Zeit wieder vermehrt Raketen auf israelisches Gebiet geschossen wurden. Schon die brutale Ermordung von fünf Mitgliedern der jüdischen Familie Fogel, die Mitte März in ihrem Haus ermordet wurden, hatte vielen in Israel deutlich gemacht, dass die Veränderungen in den Nachbarstaaten nicht unbedingt zu einer Entspannung zwischen Israel und den Palästinensern führen. Die Anschläge stärken maßgebliche israelische Regierungsmitglieder, die fürchten, dass nach dem Sturz des Mubarak-Regimes, das einen kalten Frieden mit Israel praktizierte, in Ägypten Kräfte an Einfluss gewinnen, die zur offenen Konfrontation mit Jerusalem zurückkehren wollen.

Change auch im Gaza?

Die jüngste Zuspitzung dürfte auch mit den ungelösten innerpalästinensischen Auseinandersetzungen zusammenhängen. Sowohl die Fatah-Regierung als auch das Hamas-Regime sind mittlerweile in der Bevölkerung diskreditiert. Innerhalb der Hamas gibt es Streit darüber, wie sie auf das Kooperationsangebot des scheidenden Präsidenten Abbas regieren soll. Derweil wächst auch im Gaza der Widerstand gegen den Tugendterror und die Gängelung der Hamas. Der Kampf gegen Israel ist dann oft der letzte Ausweg der bedrängten Herrscher.

Die israelische Regierung ist nun in einem Dilemma. Einerseits wächst nach dem erneuten Bombenanschlag der Druck, militärisch zu reagieren. Andererseits könne darin genau das Kalkül der Kräfte bestehen, die mit dem Terror jede Entspannung im Konflikt zwischen Juden und Palästinensern verhindern und die Opposition gegen Hamas und Fatah zum Schweigen bringen wollen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149516

Peter Nowak

Merkwürdige Bündnisse bei Befürwortern und Gegnern des Libyen-Einsatzes

Abgeordnete der Linken loben Westerwelle und die taz kritisiert, dass Deutschland nicht kampfbereit gegen Libyen ist

Der ehemalige kubanische Staatschef Fidel Castro kann sich bestätigt fühlen. Er hatte schon vor mehr als einen Monat vor einer kriegerischen Auseinandersetzung in und um Libyen gewarnt. Im Windschatten der japanischen Reaktorkrise wurde die Grundlage für diesen Einsatz geschaffen. Dazu wurde ein Bürgerkrieg, in dem auf beiden Seiten Bewaffnete kämpfen, so hingestellt, als stehe eine unbewaffnete Bevölkerung wehrlos einem blutrünstigen Regime gegenüber. Als dann die Opposition in Bedrängnis geriet, war es das Startsignal für den einseitigen Angriff im libyischen Bürgerkrieg.

Dass zur gleichen Zeit in Bahrain, im Jemen oder auch im westafrikanischen Staat Elfenbeinküste eine unbewaffnete Bevölkerung Opfer von Militärs oder auch Milizen wurde, war kein Anlass, dort nach internationalen Militärinterventionen zu rufen. Doch im Fall Libyen ermöglichte eine heteregone Koalition von innenpolitisch angeschlagenen Politikern wie Berlusconi und Sarkozy, die sich mit außenpolitischen Themen profilieren wollen, und arabischen Staatschefs, die schon lange mit dem Gaddafi-Regime zerstritten sind, den Angriff.

„In Bahrain schießt das Militär ohne UN-Widerspruch mit Waffen, hergestellt in den Ländern des UN-Sicherheitsrates, auf friedliche Demonstranten. Die humanitäre Heuchelei ist kaum zu überbieten!“, weist der politische Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner auf diese Doppelstandards hin. Mittlerweile haben sich auch einige europäische Antikriegsorganisationen in einem gemeinsamen Aufruf gegen den Angriff auf Libyen ausgesprochen.

Grüne für Angriff

Erstaunliche Bündnisse gibt es auch bei den Gegnern oder Skeptikern des Libyen-Einsatzes in Deutschland. Weil sich Deutschland bei der Abstimmung der Stimme enthalten hat, wird die Regierung nicht nur von dem Gaddafi-Regime, sondern auch vom Bundesausschuss Friedensratschlag gelobt. „Wir begrüßen ausdrücklich Deutschlands Enthaltung im Sicherheitsrat, die der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig mit den ‚großen Risiken‘ begründete, welche die Implementierung des Beschlusses birgt“, heißt es in der Pressemitteilung der Organisation.

Wie 2003, als die Schröder-Fischer-Regierung den Irakkrieg zumindest in Worten ablehnte, gibt es auch jetzt wieder bemerkenswerte innenpolitische Zweckbündnisse. Während der Bundestagsabgeordnete der Linken Jan van Aaken Bundesaußenminister Westerwelle für seine kriegsskeptische Politik lobte, kritisieren führende Grüne diese Entscheidung und fordern ein „klares Signal gegen Gaddafi“.

Schon einige Tage vor dem UN-Beschluss hat der grüne Vordenker Daniel Cohn-Bendit in der Taz für einen Militärschlag Libyen aus humanitären Gründen getrommelt, wofür er von der ehemaligen Parteikollegin Jutta Ditfurth kritisiert wurde. Die Taz kritisiert denn auch, dass Deutschland gegen Libyen nicht kampfbereit ist. „Einer muss den Job ja machen“, schreibt der Kommentar Deniz Yücel in dem einst alternativen Blatt nach der UN-Abstimmung und auf der Titelseite wird die UN-Resolution als „wichtiges Signal an die Bevölkerung Libyens“ gelobt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149505

Peter Nowak

Der universelle Wert der Solidarität

Um wirkliche Solidarität mit den Aufständischen und Revolutionären im arabischen Raum zu üben, müsste die Linke ihre Staatsfixierung überwinden und die europäische Flüchtlingsabwehr bekämpfen.

Als sich Linke in Deutschland zu Jahresbeginn noch darüber stritten, ob das zivilisationskritische Manifest »Der kommende Aufstand« von situa­tionistischen oder von präfaschistischen Theoretikern beeinflusst sei, waren die realen Aufstände in Nordafrika und im Nahen Osten schon im Gange. In Tunesien und Ägypten wurden Diktatoren, die jahrzehntelang geherrscht hatten, innerhalb kurzer Zeit gestürzt. Auch in Libyen rüttelten große Teile der Bevölkerung bereits an den scheinbar festgefügten Herrschaftsverhältnissen.

Die linke Bewegung war davon völlig überrascht. Schließlich handelt es sich bei Tunesien, Ägypten und Libyen um Länder, von denen der Großteil der Linken mit einigen Ausnahmen kaum Ahnung hat. Die fortdauernde Unterdrückung von sozialen Bewegungen in diesen Ländern wurde nur von einem kleinen Kreis von Menschenrechtsaktivisten thematisiert. Dass es in Ägypten seit einem Jahrzehnt zu ausgedehnten Streiks gekommen ist, an denen nach Angaben des Professors für Mittelost-Studien an der Stanford-Universität, Joel Beinin, insgesamt mehr als zwei Millionen Menschen teilgenommen haben, wurde hierzulande kaum registriert.

Daher war auch weitgehend unbekannt, nach welchem Ereignis sich die »Bewegung des 6.April« benannt hatte, die zum Sturz des Mubarak-Regimes ganz wesentlich beigetragen hat. Der Name erinnert an den 6. April 2008. An diesem Tag ini­tiierten die Textilarbeiter von Mahalla al-Kubra eine Kampagne für die Erhöhung des Mindestlohns auf 1 200 äyptische Pfund im Monat. Bestreikt werden sollte dabei die größte Fabrik Ägyptens mit ca. 22 000 Beschäftigten. Doch die Sicherheitskräfte des Regimes besetzten die Fabrik und verhinderten so größere Streikmaßnahmen, eine Demonstration auf dem Hauptplatz von Mahalla al-Kubra wurde von der Polizei angegriffen. Immerhin bekam die Bewegung Aufmerksamkeit im ganzen Land.

Da viele deutsche Beobachter mit diesen Hintergründen nicht vertraut sind, herrscht hierzulande oft der Eindruck vor, das Mubarak-Regime sei von der Facebook-Generation gestürzt worden, der es um die Durchsetzung »der westlichen Werte« gehe und für die soziale Themen oder gar Arbeiterrechte keine Rolle spielten. Dabei ist die Rede von den westlichen Werten, die die Aufständischen angeblich forderten, aus mehreren Gründen irreführend.

Westlich von Ägypten liegt Libyen und westlich von Tunesien der Atlantik. Die westliche Welt, die hier wohl gemeint ist, liegt im Norden der Aufstandsgebiete. Die wird aber von vielen Menschen in diesen Ländern aus naheliegenden Gründen eher mit Frontex und Abschottung als mit Freiheit und Demokratie in Verbindung gebracht. Schließlich waren die bekämpften Regime enge Verbündete der Staaten des Nordens – vor allem bei der Bekämpfung von Flüchtlingen. Ein Großteil der Bevölkerung der EU-Länder, nicht nur in Italien, unterstützt die Regierungen bei der Flüchtlingsabwehr und fordert oft noch härtere Maßnahmen.

Auch die Flüchtlinge, die es in die europäischen Länder geschafft haben, dürften die sogenannten westlichen Werte vor allem mit Billiglohn, Ausbeutung, Heimen, Residenzpflicht, Ausländersondergesetzen sowie mit Rassismus assoziieren, der sowohl von den Staatsorganen wie auch der Bevölkerung dieser Länder ausgeht. Und diese Assoziationen wurden erst jüngst eindrücklich bestätigt: Kaum gerieten einige der Regimes ins Wanken, die die EU-Staaten sich als Grenzwächter zunutze gemacht hatten, wurde in den europäischen Medien vor neuen Flüchtlingsströmen gewarnt.

Es sind zivilgesellschaftliche Organisationen wie Pro Asyl, die mit ihrem Aufruf »Fluchtwege nach Europa öffnen« zumindest einige Gegenakzente setzen. Die Solidarität mit den Flüchtlingen, die nicht westliche Werte, sondern einfach ein besseres Leben im globalen Norden anstreben, müsste jetzt zur zentralen Aufgabe einer linken Bewegung werden. Dabei sollte die Forderung, den gesamten EU-Raum für die Flüchtlinge zu öffnen, einen zentralen Stellenwert haben. Anders als zivilgesellschaftliche Organisationen wie Pro Asyl sollte eine linke Bewegung den Kampf um die Flüchtlingsrechte allerdings nicht mit der besonderen Notsituation begründen, sondern mit dem Kampf um universelle Bewegungsfreiheit.

Die europäischen Institutionen dagegen streben an, die Flüchtlinge möglichst in der Region zu halten, um sie so schnell wie möglich dorthin zurückzuschicken, woher sie flohen. Dem sollten Linke die Forderung entgegensetzen, dass die Menschen selber entscheiden sollen, wo sie leben wollen. Dass eine solche Forderung in der aktu­ellen gesellschaftlichen und politischen Situation keine Chance auf ihre unmittelbare Erfüllung hat, ist klar. Sie könnte aber eine wichtige Rolle spielen bei der Herausbildung einer kosmopolitischen Linken.

Thomas Schmidinger ist insofern zuzustimmen, dass die Aufstände auch eine Chance für die Neuformierung einer linken Bewegung auf globaler Ebene bieten (Jungle World, 10/2011). Dazu müssten manche Relikte eines falsch verstandenen Internationalismus entsorgt werden, der nicht mit sozialen Bewegungen und den Kämpfen gegen Ausbeutung und Unterdrückung, sondern mit Staaten solidarisch war – etwa mit dem iranischen oder dem libyschen Regime. Die von Udo Wolter beschriebene Kooperation mancher Linker mit dem Gaddafi-Regime (9/2011) ist ein Beispiel dafür, dass jeder emanzipatorische Anspruch verloren geht, wenn sich Linke positiv auf ein Regime beziehen, das jede soziale Bewegung, von kommunistischen oder anarchistischen Gruppierungen gar nicht zu reden, gewaltsam unterdrückt.

Wolter allerdings suggeriert, das Regime in Libyen sei mit der Chávez-Regierung in Venezuela vergeichbar. Doch anders als in Libyen existiert dort eine Selbstorganisierung der Bevölkerung. Es gibt einflussreiche Frauen- und Nachbarschaftskomitees, die eben nicht einfach zu Claqueuren der Regierung gestempelt werden können. Das zeigt sich auch daran, dass die Pro-Gaddafi-Po­sitionen von Hugo Chávez auf den einschlägigen Internetseiten verschiedener Unterstützer des bolivarischen Prozesses nicht nur kontrovers diskutiert werden, wie Thilo F. Papacek (9/2011) schreibt, sondern auch überwiegend auf Ablehnung stoßen. Schließlich muss eine solche Basisbewegung, die es ernst meint mit der Selbstorganisierung, ein existentielles Interesse daran haben, dass die regierungsamtliche Verteidigung von Diktatoren kritisiert wird. Eine Linke, die die Fehler des alten Internationalismus kritisiert, sollte den gesamten bolivarischen Prozess nicht auf ein Projekt von Chávez reduzieren und damit die Basisbewegungen unsichtbar machen.

Ähnich fixiert auf die Position der politischen Herrschaft bleibt der Beitrag von Stephan Grigat (9/2011). In ihm werden die Umwälzungen im arabischen Raum von einem vermeintlichen Standpunkt Israels bewertet und kritisiert. Auch hier stellt sich die Frage, wessen Standpunkt hier vertreten wird. Ist die Position der gegenwärtigen Rechtsregierung damit gemeint, die der parlamentarischen oder der außerparlamentarischen Opposition? Wer eine solche Differenzierung unterlässt, bleibt letztlich in der Perspektive der Herrschaft befangen.

Solche Differenzierung tut auch im aktuellen Libyen-Konflikt not, bei dem sich in der Linken schnell Szenarien wie während des Irak-Kriegs wiederholen könnten. Damals standen bekanntlich Befürworter des Angriffs Gruppen gegenüber, die in Saddam Hussein den Verteidiger der na­tionalen Souveränität sahen. Eine neue Linke hingegen müsste die Ablehnung jeder militärischen Intervention mit einer klaren Ablehnung des Gaddafi-Regimes, aber auch der regressiven Bewegungen unter seinen Gegnern verbinden. Unterstützt werden hingegen sollten neben den Flüchtlingen alle Formen von Selbstorganisation, die sich der Logik der Herrschaft und des Krieges widersetzen. Nicht »Hände weg von Libyen« müsste das Motto einer solchen Kampagne sein, sondern »Hände, Bomben und Polizeiknüppel weg von den Menschen, die dort leben«.

 http://jungle-world.com/artikel/2011/11/42803.html

Peter Nowak

Linke im Krieg

Die Zustimmung einiger Europaabgeordneter der Linken zur Libyen-Resolution im EU-Parlament führt zum innerlinken Streit:
„Wir lehnen jede militärische Intervention ab“, heißt es auf der Homepage des Abgeordneten des Europäischen Parlaments Lothar Bisky.

„Wir halten die in der Kompromiss-Resolution des Europäischen Parlaments enthaltene Forderung nach Einrichtung einer Flugverbotszone für falsch, auch wenn sie Forderungen aus Teilen der libyschen Opposition und von Staaten der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union aufgreift.“

Weil Bisky mit anderen Kollegen aus der gemeinsamen Fraktion der europäischen Linken der Gesamtresolution zustimmte und lediglich in einer gesonderten Abstimmung über den Punkt 10, der eine Flugverbotszone in Libyen vorsieht, mit Nein votierte, wird er jetzt heftig kritisiert. Ein Kommentator der jungen Welt, die sich gerne als das antiimperialistische Gewissen der Linken aufspielt, sieht Bisky nach der Abstimmung bereits auf Interventionskurs.

Der Mehrheitsflügel innerhalb der Europäischen Linksfraktion reichte einen eigenen Antrag ein, in dem es unter Punkt 7 heißt, dass „jede ausländische Militärintervention zur Lösung der Krise in Libyen“ abgelehnt wird.

Flugverbotszone als kriegerische Maßnahme

Die linke Europaabgeordnete Sabine Lösing bringt in ihrer Erklärung das Dilemma zum Ausdruck, in dem sich die linken Parlamentarier befinden.

„Angesichts der Übergriffe auf Demonstranten, der Toten, der Diktatur, der Person Al-Gaddafi, ist der Wunsch nachvollziehbar die Opposition zu unterstützen und eventuell auch zu intervenieren. Wenn aber McCain Präsident Obama zu Militäraktionen auffordert oder konservative EU-Politiker für zukünftige Unruhegebiete, die Ausarbeitung eines Stand-by Planes im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik einfordern, dann müssen progressive Menschen aufhorchen!“

Ähnlich argumentiert die linke EU-Abgeordnete Sabine Wils nach der Abstimmung:

„Ich habe die Resolution abgelehnt. Selbst wenn es zu begrüßen ist, dass ein blutiger Diktator in Libyen, der Menschenrechte mit Füßen getreten hat (und dafür von den selben, die jetzt die Intervention fordern mit Handelsverträgen und Waffenexporten unterstützt wurde) gestürzt wird, rechtfertigt das nicht die Vorbereitung eines Krieges.“

Tatsächlich lautet das Argument der Gegner einer Flugverbotszone, die ja offiziell Menschenleben retten soll, dass diese nur mit kriegerischen Maßnahmen durchzusetzen sei. Auch der den Grünen nahestehende Publizist Micha Brumlik schreibt in der Taz:

„Realpolitisch, mit Blick auf absehbare Folgen und nicht kalkulierbare Nebenfolgen, verbietet sich jede militärische Einmischung.“

Ob die Bewaffnung der Opposition gegen Gadaffi, die er zumindest in Erwägung zielt, nicht zu noch mehr Blutvergießen führt, wäre zu fragen. Die Diskussionen zeigen, dass ein wirksames Mittel gegen Gadaffi auch unter Linken noch gesucht wird.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149411
 
Peter Nowak

Pro Asyl fordert, Fluchtwege nach Europa zu öffnen

Der Bürgerkrieg in Libyen wird heftiger, was die Zahl der Flüchtlinge erhöhen dürfte
versucht die italienische Regierung und mit ihr die EU alles, um zu verhindern, dass diese Menschen auf europäisches Territorium gelangen und dort womöglich Asyl beantragen könnten. Wenn die Flucht schon nicht verhindert werden kann, sollen die Migranten möglichst nah an ihren Herkunftsländern untergebracht so schnell wie möglich wieder zurück geschickt werden.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl und Medico International haben wenige Tage vor dem für den 11. März geplanten europäischen Sondergipfel zu Libyen mit ihrer Erklärung Fluchtwege nach Europa öffnen andere Akzente gesetzt.

Mit einer Email-Aktion wird die Bundeskanzlerin aufgefordert, sich für die Aufnahme von aus Libyen geretteten Flüchtlingen in Deutschland und der EU einzusetzen. Beide Organisationen begründen ihre Intervention für den Flüchtlingsschutz mit der Geschichte. Schließlich haben die europäischen Länder in der Abwehr von Flüchtlingen jahrelang mit dem Gaddafi-Regime, aber auch mit der Diktatur in Tunesien eng zusammengearbeitet.

Pro Asyl und Medico erinnern in ihrem Aufruf daran, dass viele Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern Europas im libyschen Bürgerkrieg zwischen die Fronten zu geraten drohen:

„Transitflüchtlinge und Migranten, die aus den Krisenländern Afrikas wie Eritrea, Somalia und Tschad, aber auch aus den südlicheren Ländern Afrikas und aus Asien stammen und nun zwischen die Fronten geraten. Ohnehin schlecht versorgt, sind sie nun erhöhten Gefahren ausgesetzt, weil sie mit jenen sub-saharischen Militäreinheiten verwechselt werden, die das Gaddafi-Regime offenbar zur Bekämpfung der Aufstandsbewegung einsetzt.“

Rechte von Flüchtlingen mit Kindern gestärkt

Am 8. März hat der Europäische Gerichtshof die Position von Flüchtlingen mit Kindern gestärkt.

Nicht-EU-Bürger haben nach dem Urteil automatisch ein Aufenthaltsrecht in der Europäischen Union, wenn ihre minderjährigen Kinder die Staatsbürgerschaft eines EU-Landes besitzen. Geklagt hatte ein kolumbianisches Ehepaar, das seit Jahren in Belgien lebt und deren beiden Kinder die belgische Staatsbürgerschaft besitzen. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/149399
Peter Nowak

Militärische Option und Antiimperialismus

Prompt scheinen die alten Frontstellungen wieder zu funktionieren: Die deutsche Debatte über Libyen


Vor wenigen Tagen noch gab es eine fast einhellige Zustimmung zu den Aufständen in Nordafrika und im arabischen Raum. Viele sahen in dem Sturz der Diktatoren in Ägypten und Tunesien den Beginn einer allgemeinen Demokratisierung der islamischen Welt. Als auch in Libyen der Aufstand begann und sich schnell ausbreitete, war die Begeisterung besonders groß. Hatte doch gerade in dem Land niemand einen schnellen Regimewechsel erwartet. Nun können sich die Skeptiker bestätigt fühlen.
   

Denn es zeigte sich, dass das Gaddafi-Regime nicht nur militärische Mittel hat, um gegen die Opposition vorzugehen. Es hat auch außenpolitische Unterstützer, vor allem unter den Linksregierungen in Lateinamerika, die sich schon als Vermittler zwischen Gaddafi und den Aufständischen anbieten und vor einem Eingreifen der Nato in Libyen warnen (siehe Chavez will Gaddafi zu Hilfe eilen).

Damit wird aber aus dem Konflikt zwischen einer Diktatur und der Mehrheit der Bevölkerung ein Bürgerkrieg mit gleichwertigen Verhandlungspartnern und aus dem Unterdrückerstaat ein Regime, das die Souveränität und die Bodenschätze gegen einen Angriff der Nato oder der USA verteidigt. Schon Ende Februar warnte der kubanische Elder Statesman Fidel Castro in seinen Reflexionen vor einem Zugriff der Nato auf das libysche Öl.

 

Kein Blut für Öl?

Dieser Perspektivenwechsel hat auch Auswirkungen auf die Debatte bei der Linken in Deutschland. Prompt scheinen die alten Frontstellungen wieder zu funktionieren. Der Bundestagsabgeordnete der Linken Wolfgang Gehrcke hat sogar eine Parole der Anti-Golfkriegsbewegung von vor 20 Jahren wieder entmottet. „Kein Krieg für Öl – das gilt auch heute noch“, schreibt er in einer Erklärung und warnt vor einem neuen Kriegsszenario wie im Irak.

Eine Woche zuvor hatten Gehrckes Erklärungen noch eine andere Stoßrichtung. „Die Gewalt in Libyen muss sofort beendet werden. Die internationale Öffentlichkeit muss eine Chance haben, sich über die tatsächlichen Zustände im Land authentisch zu informieren“, hieß es noch in seiner Erklärung vom 21. Februar 2011. Da war viel über die Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten und dem libyschen Regime vor allem bei der Flüchtlingsabwehr die Rede, eine Warnung vor einer militärischen Lösung fehlte damals noch, was von Teilen der Basis der Linken kritisch registriert worden war.

Vor allem in der Tageszeitung junge Welt, das Flaggschiff der „Antiimperialisten“ in und außerhalb der Linkspartei, hat sich in der letzten Woche die Libyen-Berichterstattung zunehmend auf die Frage einer Militärintervention. fokussiert. So schreibt der Chef-Kommentator Werner Pirker:
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 Bei einem westlichen Eingreifen aber geriete die Herrschaft Gaddafis umgehend in die Rolle eines nationalen Widerstandszentrums, dem sich auch Teile des Anti-Gaddafi-Lagers anschließen könnten.
Sara Flounders von der US-Antikriegsinitiative International Action Center, die vor einer Dämonisierung Gaddafis warnt, erinnert wieder an angebliche Verdienste von Gaddafi erinnert:
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 Über viele Jahre war Gaddafi Verbündeter von Ländern und Bewegungen, die den Imperialismus bekämpften. Als er in einem Militärputsch 1969 die Macht übernahm, nationalisierte er das libysche Öl und investierte einen Großteil des Geldes in die Entwicklung der libyschen Wirtschaft. Die Lebensbedingungen der Menschen verbesserten sich dramatisch. Deshalb waren die Imperialisten entschlossen, Libyen zu zermürben.
Damit wird unkritisch an eine Zeit angeknüpft, wo das Libyen unter Gaddafi als Bündnispartner von Linken aus verschiedenen Ländern galt. Noch in den frühen 1990er Jahren besuchten parteiungebundene Linke aus Ost- und Westdeutschland Libyen. Sie waren von einer staatlichen Organisation eingeladen worden, die das Grüne Buch Gaddafis und die dort vertretene Ideologie als dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus propagierte (siehe Gaddafis Evangelium). Der Diskurs um Libyen erinnert an ähnliche Debatten, als im letzten Jahr das islamische Regime im Iran und vor 10 Jahren der Irak unter Saddam Hussein von manchen antiimperialistischen Gruppen verteidigt wurde.

Wo beginnt der Angriff?

In einer Stellungnahe des Bundesgeschäftsführers der Linken Werner Dreibus wird für humanitäre Hilfe geworben, aber jede militärische Intervention abgelehnt. Dazu werden ausdrücklich auch Flugverbotszonen für das Gaddafi-Regime gezählt, die von Teilen der libyschen Opposition gefordert werden. Der Einsatz von Bodentruppen hingegen wird von der libyschen Opposition abgelehnt.

Unter dem Motto „Flugverbotszone jetzt“ wird in der Zeit für diese Maßnahme geworben. Auch der Begründer der Grünhelme Rupert Neudeck sieht darin ein geeignetes Mittel, um die Bevölkerung in Libyen vor der Repression des Regimes zu schützen, kann sich im Notfall auch eine begrenzte militärische Bombardierung von Militäranlagen vorstellen. Neudeck, der auch den Jugoslawien-Krieg aus humanitären Gründen befürwortete, ist mit dieser Position allerdings auch in zivilgesellschaftlichen Kreisen umstritten.

Sehr bedeckt halten sich die Grünen in der Frage von militärischen Maßnahmen gegen Libyen. „Die Wirksamkeit einer Flugverbotszone ist umstritten, und ein militärisches Eingreifen wird von vielen Regimegegnern selbst abgelehnt“, heißt in einer Erklärung der Bundestagsfraktion, in der eine eigene Positionierung zu dieser Frage nicht erkennbar ist.

Zivile Maßnahmen

Es gibt auch unter Politikern und Militärs in Deutschland viele Warnungen vor einem militärischen Eingreifen in Libyen. Der Politikberater Walther Stützle warnt ausdrücklich davor und hält auch die Einrichtung von Flugverbotszonen für nicht praktikabel.
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 Das Einzige, womit man im Moment wirklich wirksam helfen könnte und müsste und erstaunlicherweise nicht tut von Seiten der Europäischen Union, die dafür die Möglichkeiten haben, wäre die der Flüchtlingsströme aufzunehmen und zwar vor Ort, nicht nach Europa zu lenken, sondern vor Ort zu sein mit Hilfsorganisationen.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hingegen appelliert daran, der aktuellen humanitären Krise durch die stärkere Aufnahme dieser Menschen in Europa zu begegnen Proasyl erinnert auch an die Rolle des von manchen schon wieder zum standhaften Antiimperialisten verklärten Gaddafi bei der Flüchtlingsabwehr in der EU.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34297/1.html

Peter Nowak

Integration ja – Assimilation nein

Erneut sorgt der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan bei seinem Besuch in Deutschland für Aufregung

Der türkische Politiker rief am vergangenen Samstag auf einer von 10.000 Menschen mit türkischem Migrationshintergrund bejubelten Rede seine Zuhörer dazu auf, sich in Deutschland zu integrieren, aber nicht zu assimilieren. Dabei sparte er nicht mit nationalistischem Pathos. So erklärte der türkische Ministerpräsident:

„Niemand wird in der Lage sein, uns von unserer Kultur loszureißen. Unsere Kinder müssen Deutsch lernen, aber sie müssen erst Türkisch lernen.“

Dass er damit die Menschen mit türkischem Hintergrund als ein nationales Kollektiv betrachtet, für das er zu sprechen vorgibt, wäre in der Tat kritikwürdig. Diese Anmaßung wird auch von den vielen Betroffenen, die schon selber entscheiden wollen, welche Sprache sie und ihre Kinder lernen wollen, mit Recht zurückgewiesen.

Vorhersehbare Aufregung

Doch die Reaktionen in der politischen Klasse waren so vorhersehbar, wie auf Wählerstimmen schielend. Auf rechten Webseiten wird Erdogan wieder einmal als gefährlicher Islamist dargestellt, der mit Hilfe der türkischen Diaspora Einfluss auf Europa gewinnen will. Dabei sind auch sie gegen die Assimilitation von türkischen Menschen in Deutschland.

In diesen Kreisen stößt natürlich besonders sauer auf, dass Erdogan vor wachsenden Rassismus in Deutschland warnte. Nur wenig moderater ist die Erdogan-Kritik bei den politischen Parteien. Die CSU wirft ihm Aufwiegelung und Gefährdung der Integrationsbemühungen vor, für die sich Erdogan nun gerade stark gemacht hat. Auch der integrationspolitische Sprecher der FDP erklärte Erdogans Rede für abwegig.

Die Debatte erinnert an die Reaktionen auf eine Erdogans mit ähnlichen Inhalt im Jahr 2008 in Köln (siehe Integration oder Assimilation?). Im letzten Jahr sorgte der türkische Politiker mit seiner Forderung nach türkischen Schulen in Deutschland für Aufregung.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149359
 
Peter Nowak

Muss Ex-US-Präsident Bush in Europa Strafverfahren fürchten?

Bush hat seinen  Besuch in der Schweiz lieber einmal abgesagt
Warum hat der ehemalige US-Präsident Bush seinen für die kommende Woche geplanten Besuch in der Schweiz abgesagt? Wegen befürchteter Krawalle, wie Mitarbeiter des ehemaligen US-Politikers behaupten, oder aus Angst vor Protesten und einer drohenden Strafverfolgung, wie die juristische Menschenrechtsorganisation ECCHR schreibt?

Sie hatte gemeinsam mit ihrer US-US-amerikanischen Partnerorganisation im Namen von zwei Opfern des US-Folterprogramms nach dem 11.September 2011 in Genf Strafanzeigen gegen Bush vorbereitet, die von Menschenrechtsorganisationen in aller Welt unterstützt worden waren. Da sie seit Jahren dafür kämpfen, dass Menschenrechtsverletzungen bis auf der höchsten politischen Ebene juristisch verfolgt werden, hätte ein Strafverfahren gegen Bush für sie daher einen hohen symbolischen Wert.

Sie sehen sich im Einklang mit der UN-Antifolterkonvention, die alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, mutmaßliche Täter zu verfolgen, unabhängig davon, ob es sich um den ehemaligen Präsidenten, Regierungs- oder Geheimdienstmitarbeiter, Soldaten oder Polizisten handelt.

„Solange die US-Justiz keine strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Verantwortlichen der europäischen Länder gefordert“, begründete der ECCHR-Generalsekretär und Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck die Vorbereitungen zur Anklageerhebung in der Schweiz. Die juristischen Menschenrechtsorganisationen haben nicht nur den Ex-Präsidenten im Visier. Schon Ende Januar haben sie die spanische Justiz aufgefordert, gegen führende, das Guantanamo-System stützende Militärs und Juristen vorzugehen, darunter den ehemaligen befehlshabenden Offizier in Guantanamo, Generalmajor Geoffrey Miller. „Jede Europa-Reise solle für die US-Entscheidungsträger zu einem unkalkulierbaren Risiko werden“, so Kaleck.

Auch Amnesty International hatte die Schweizer Staatsanwaltschaft aufgefordert, gegen Bush ein Verfahren wegen Folter einzuleiten und ihn festzunehmen. Erst danach cancelte er die Reise. Die Beweisführung gegen Bush dürfte nicht schwer sein. In seinen vor einigen Monaten veröffentlichen Memoiren hat er sich selbst belastet, indem er zugab, als Präsident gewisse Foltermethoden, wie das sogenannte Waterboarding, autorisiert zu haben.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149212

Peter Nowak

Waffen made in Germany für das ägyptische Regime

Friedensorganisationen kritisieren, dass die Waffenlieferungen zwischen 2008 und 2009 für Ägypten verdoppelt worden sind
Werden die Proteste in Ägypten auch mit Waffen aus Deutschland unterdrückt? Diese Frage stellt sich, nachdem Friedensorganisationen in einer gemeinsamen Presseerklärung darauf hingewiesen haben, dass das Land am Nil zu den bedeutenden Importeuren von Waffen aus Deutschland gehört.

Die Waffenexporte hätten sich im Zeitraum zwischen 2008 und 2009 verdoppelt, kritisieren die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, die Kampagne gegen Rüstungsexport bei Ohne Rüstung Leben und das RüstungsInformationsBüro. „Ägypten ist als Entwicklungsland bedeutendster Empfänger deutscher Waffen“, heißt es in der Mitteilung.

Der Wert der von Deutschland gelieferten Waffen habe sich von 33,6 Millionen Euro im Jahr 2008 auf 77,5 Millionen Euro 2009 „dramatisch gesteigert“, präzisierte der Rüstungsexperte Jürgen Grässlin die Vorwürfe. Er monierte explizit die Einzelgenehmigungen für Kleinwaffen, die „aufgrund der hohen Opferzahlen besonders folgenschwer“ seien. Die ägyptische Polizei verfüge über von Heckler & Koch entwickelte Maschinenpistolen des Typs MP5. Wegen Waffenlieferungen in Krisengebiete in Mexiko war das Unternehmen vor einigen Monaten ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten, die Bundesregierung hat die Verkäufe gestoppt.

Zudem seien dem ägyptischen Regime Panzerteile gepanzerte Fahrzeuge, militärische Landfahrzeuge und Kommunikationsausrüstung geliefert worden. Die Friedensorganisationen werfen Bundesaußenminister Westerwelle Heuchelei vor, wenn er als Mahnung an die ägyptische Regierung in einem Interview erklärte, dass „der Weg zur Stabilität über die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte“, führe, die Waffenlieferungen an das Land aber nicht erwähnt und schon gar nicht infrage stellt. Die Friedensorganisationen hingegen fordern in ihrer Erklärung einen sofortigen Stopp von Waffenlieferungen und Rüstungsgütern an Ägypten und andere diktatorische Regime.

Bisher wird Ägypten auf den Webseiten von Großunternehmen wie Siemens als attraktiver Partner dargestellt und die Zusammenarbeit als ausbaufähiges Erfolgsobjekt bezeichnet. Ob sich die Kontakte auch bei einem Regimewechsel so positiv weiter entwickeln, ist völlig unsicher. Die Zukunft der deutschen Exporte vor allem auf dem Rüstungssektor dürfte auch davon abhängigen, ob eine künftige ägyptische Regierung die relativ prowestliche Außenpolitik fortsetzt. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/149180
Peter Nowak

Sollen verschuldete Euroländer bankrott gehen können?

Ja, meint eine Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums

Eine am 10. Januar vorgelegte Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums dürfte vor allem in Griechenland, Spanien und Portugal für Nervosität sorgen. In dem von Minister Brüderle ausdrücklich begrüßten Gutachten wird nämlich einer geordneten Insolvenz hochverschuldeter EU-Staaten das Wort geredet.

Galt bisher die Verhinderung eines Bankrotts von Staaten des Euroraumes offiziell in politischen und wirtschaftlichen Kreisen als wichtiges Ziel, so gehen die Empfehlungen des neuesten Gutachtens in eine andere Richtung.

„Wir sind der Auffassung, dass man grundsätzlich bereit sein muss, auch einem solchen Staat zu sagen, ihr müsst in die Insolvenz gehen, weil die Insolvenz ist für den Staat letztlich hilfreich, denn die Anleger, die die Staatsschuld halten von diesem Staat, können dann zur Kasse gebeten werden, dass sie sagen wir auf 20, 25 Prozent ihrer Ansprüche verzichten müssen, oder, wenn sie es nicht tun, gar nichts vielleicht erhalten werden“, bekräftigte der Autor der StudieManfred Neumann diese Vorschläge in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

Neumann ist auch der Überzeugung, dass ein insolventer Staat den Euro nicht aufgeben müsse und die Währung dadurch auch keinen Schaden nehmen würde. „Sie würde vielleicht um drei, vier Cent mal sich bewegen, aber das ist nun wirklich keine Tragik, über die man reden muss. Ich glaube, dass die Politik da zu viel Wirbel daraus gemacht hat“, so Neumann.

Er macht auch darauf aufmerksam, dass diese Empfehlungen nur mit großem Druck auf die verschuldeten Länder umgesetzt werden können: „Freiwillig tut das keine Politik, kein Politiker, aber wenn er mal in der Situation ist, wo er keine Alternativen hat, muss er es halt tun“, antwortet der Autor der Studie auf die Frage, ob er es für vorstellbar hält, dass Griechenland und Irland den von Brüderles Beratern vorgezeichneten Weg überhaupt einschlagen werden. Neumann geht davon aus, dass seine Vorschläge in die künftigen Verhandlungen um die Schulden von Ländern im Euro-Raum einfließen werden und dass dies eine „disziplinierende Wirkung“ haben wird.

Sicher dürfte auf jeden Fall sein, dass Deutschland, das mit seiner Niedriglohnpolitik andere Länder nieder konkurriert, seine dadurch gewonnene ökonomische Macht im EU-Rahmen noch stärker ausspielen und den Druck auf die Länder in der Peripherie erhöhen wird. Ob eine solche Politik Erfolg hat, dürfte vor allem davon abhängen, ob die deutsche Position unter den anderen Ländern mit einem starken Euro Unterstützung findet oder ob das deutsche Auftrumpfen nicht auch dort eher auf Unmut stößt.

https://peter-nowak-journalist.de/wp-admin/post-new.php

Peter Nowak

Karawane für Rechte von Flüchtlingen

Europäisch-afrikanisches Netzwerk ist Organisator
Eine internationale Kampagne will über die Gründe von Migration aufklären und gegen die EU-Flüchtlingspolitik protestieren
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Im Januar wird ein besonderes transnationales Projekt beginnen. Ausgehend von der malischen Hauptstadt Bamako wollen Flüchtlingsgruppen und europäische Antirassisten durch afrikanische Länder touren. Die Aktion wird maßgeblich getragen von der Assoziation der Abgeschobenen, die sich in Mali für die Wiedereingliederung von Menschen einsetzt, die aus europäischen Ländern ausgewiesen oder beim Versuch, Europa zu erreichen, zurückgeschickt wurden. Die Karawane soll in Senegals Hauptstadt Dakar enden, in der Anfang Februar das Weltsozialforum tagen wird.

 Während der Karawanentour wird es insbesondere um den Kampf für die Rechte der Flüchtlinge und die Kritik am EU-Grenzregime gehen. Nicht zuletzt weil vor der senegalesischen Küste eine Operation der EU-Grenzschutzbehörde Frontex läuft. Die Kritik an der Abschottung Europas wächst auch in anderen Ländern. So wurde im Oktober 2010 auf einer Konferenz in der marokkanischen Stadt Oujda die europäischen Migrationspolitik angeprangert.

Auf ihrer Tour will die Karawane unter dem Motto »Für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung« auch die Gründe für Migration ansprechen. So soll es um die Situation der Landwirtschaft in den afrikanischen Staaten und um den Klimawandel und die Folgen für die Menschen gehen.

Die Karawane wird vom Netzwerk Afrique-Europe-Interact organisiert. Dabei handelt es sich um eine Kooperation von Flüchtlings- und Antirassismusgruppen, an der Aktivisten aus Mali, Deutschland, Österreich und den Niederlanden beteiligt sind. Aus Deutschland wird das Netzwerk von der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten, The Voice Refugee Forum, der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, NoLager Bremen, kein mensch ist illegal Hanau, dem Antirassistischen Plenum Blankenburg-Oldenburg und dem Flüchtlingsrat Hamburg unterstützt.

Mit der Organisation von Kampagnen in europäischen und afrikanischen Ländern entsteht eine neue Form der internationalen Kooperation. Dabei ging die Initiative zur Vernetzung vom afrikanischen Kontinent aus. Auf dem Weltsozialforum 2006 in Bamako war ein »Aufruf für den Respekt und die Würde aller Migrantinnen und Migranten« verabschiedet worden, der zur Grundlage für die Arbeit des transkontinentalen Netzwerks geworden ist.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/186650.karawane-fuer-rechte-von-fluechtlingen.html

Peter Nowak

Trotz des Sieges geht der Niedergang des Berlusconismus weiter

Zwei Stimmen haben am Ende den italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi im Amt gehalten, die Rede ist von Stimmenkauf
Bei der heutigen Abstimmung sprachen Berlusconi in der Abgeordnetenkammer in Rom 311 Parlamentarier das Misstrauen aus, 314 votierten für ihn. Vor der Abstimmung im Abgeordnetenhaus hatte Berlusconi im Senat selbst die Vertrauensfrage gestellt und diese erwartungsgemäß gewonnen. 162 Senatoren sprachen ihm das Vertrauen aus, 135 stimmten dagegen.

Damit hat sich im innerrechen Machtkampf zwischen dem Populisten Berlusconi und dem Postfaschisten Fini der Ministerpräsident vorerst durchgesetzt. Doch damit ist die Krise des Berluconismus keinesfalls beendet. Schon werfen ihm Kritiker vor, dass der Politiker seinen Abstimmungserfolg nur durch Stimmenkauf erzielen konnte. Auch die italienische Justiz hat Vorermittlungen in dieser Sache aufgenommen.

Wie angespannt die Situation in Italien ist, zeigte sich am Dienstag im und außerhalb des Parlaments. Während auf der Straße Berlusconi-Gegner mit der Polizei aneinander gerieten, musste die Sitzung im Parlament kurzzeitig unterbrochen werden, weil sich Abgeordnete im Parlament eine Schlägerei lieferten. Auslöser des Konflikts war die Erklärung der Abgeordneten Catia Polidori dem Fini-Lager den Rücken zu kehren und für Berlusconi zu stimmen. Auch zwei Abgeordnete der liberalkonservativen Antikorruptionspartei, die sich in den letzten Jahren besonders gegen Berlusconi profiliert hatte, setzten sich in den letzten Tagen für die Regierung ein. Weil beide in finanziellen Schwierigkeiten steckten, machen Mutmaßungen über Stimmenkauf die Runde.

Mit der Abstimmung hat Berlusconi eine Atempause gewonnen. Doch bei jeder wichtigen Parlamentsentscheidung werden die unklaren Mehrheitsverhältnisse im Parlament eine Rolle spielen.

Nicht alle mit Ausgang unzufrieden

Angesichts der angespannten wirtschaftlichen Situation Italiens hat die innenpolitische Situation auch Interesse bei Europas Nachbarländern gefunden. Vor allem bei den Eliten dürften viele über den Abstimmungserfolg des wirtschaftsfreundlichen Ministerpräsidenten zufrieden sein. Auch bei der italienischen Opposition dürften manche froh sein, dass Neuwahlen erst einmal vertagt wurden. Sie konnte trotz der vielen Skandale und der Krise des Berlusconismus davon nicht profitieren.

Fraglich ist, ob sich Fini von der Niederlage erholt oder ob seine neugegründete Bewegung wieder zerfällt. Schließlich hat sich am Dienstag gezeigt, dass das Berlusconi-Lager noch längst nicht aufgegeben hat. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist eine neue Protestbewegung, die sich vor allem an Italiens Universitäten gegen die Bildungsreform der Regierung gebildet hat. Ob die vollmundigen Erklärungen einiger ihrer Aktivisten, dass in Italien der Teufel los ist, wenn Berlusconi im Amt bleibt, allerdings mehr als Worte sind, muss sich vor der Weihnachtspause erst noch zeigen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148935

Peter Nowak

Kernershow in Afghanistan

 

Guttenberg will die bisher in der Bevölkerung unbeliebten Militäreinsätze popularisieren. Seine Kritiker bleiben an der Oberfläche
Mit Ehefrau Stefanie und Fernsehmoderator Johannes B. Kerner samt Studio stattete Bundesverteidigungsminister Guttenberg den in Afghanistan stationierten Bundeswehrsoldaten einen vorweihnachtlichen „Blitzbesuch ab. „Mit der Visite setzt zu Guttenberg sein persönliches Ziel der regelmäßigen Besuche in den Einsatzgebieten der Bundeswehr fort“, heißt es auf der Homepage des Ministers.
   

 Als einen „Überraschungsbesuch mit Symbolwert“ bewertet der Spiegel den Blitzbesuch. Schließlich wird über die Verlängerung des Bundeswehrmandats in Afghanistan heftig gestritten. Friedensgruppen fordern eine Nichtverlängerung. „Sie orientiert sich dabei nicht an vermeintlich sicherheitspolitischen Überlegungen oder militärischen „Notwendigkeiten“, sondern an den machtpolitischen Bedürfnissen der US-Regierung“, heißt es populistisch. Obwohl diese Argumentation sicher von einen Großteil der Bevölkerung in Deutschland geteilt wird, bleibt der Protest gering und Guttenberg schafft es mit seinen Shows zu einem der beliebtesten Politiker in Deutschland zu werden. Focus beeilte sich, auf der Welle mitzuschwimmen und kürte ihn gerade zum „Mann des Jahres“.

Selbstbewusste Nation

Guttenbergs Beliebtheit und die Ablehnung des Afghanistaneinsatzes ist kein Widerspruch. Denn Guttenberg hat sich in der letzten Zeit zum Fürsprecher einer selbstbewussten deutschen Nation auch auf militärischem Gebiet gemacht, um damit auch Zeitgenossen zu erreichen, die den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr mit dem Argument ablehnen, dass es nicht deutschen Interessen dient. Wo er die sieht, hat Guttenberg erst vor wenigen Wochen auf einer Sicherheitskonferenz in Berlin deutlich ausgesprochen, als er dafür plädierte, „offen und ohne Verklemmung“ auf wirtschaftliche Interessen einzugehen.

 Dass wegen solch offenherziger Worte erst vor wenigen Monaten ein Bundespräsident zurückgetreten ist, kann Guttenberg gar nicht verstehen. Er moniert, dass Köhler in der Auseinandersetzung nicht stärker unterstützt wurde. Diese Kritik dürfte sich vor allem auf die Regierungsparteien beziehen, die damals eher von missverständlichen Äußerungen Köhlers sprachen und einer klaren Positionierung ausgewichen sind. Die holt Guttenberg jetzt nach und kommt damit in der Bevölkerung an.

Damit dürfte eine auch militärisch abgestützte Politik der ökonomischen deutschen Interessen, die bisher hauptsächlich in militärischen Weißbüchern formuliert worden war, zum Gegenstand der deutschen Politik werden. Sollte Guttenberg mit seinen Vorstoß Erfolg haben, dürfte vor Wahlkämpfen darum gestritten werden, welcher Politiker in der Lage ist, glaubwürdiger die deutschen Interessen vertreten und dafür auch militärische Mittel einzusetzen bereit ist.

Die Enttabuisierung des Militärischen wäre dadurch endgültig abgeschlossen. Zukünftig braucht ein Einsatz der Bundeswehr nicht mehr wie Ende der 90er Jahre mit den Menschenrechten, einem UN-Mandat oder andere internationalen Belangen begründet werden. Noch vor einigen Jahren wollten führende Politiker der deutschen Bevölkerung den Afghanistan-Einsatz dadurch näherbringen, dass sie die Bundeswehrsoldaten zu einer Art bewaffneten Arm von Amnesty International stilisierten, die im Gegensatz zu den US-Soldaten nur Schulen und Brunnen baut. Auch das war nur eine Etappe im Übergang zur selbstbewussten Nation.

Deutsche Interessen mit Herz

Solche trockenen ökonomischen Botschaften müssen mit Showeinlagen kombiniert werden, wie sie die Guttenbergs in Afghanistan inszenieren, damit sie in der Bevölkerung ankommen. So kommentierte der Minister seinen jüngsten Afghanistan-Trip mit den Worten. „Es ist ganz wichtig, dass man gerade in der Weihnachtszeit jenen Anerkennung und Unterstützung gibt, die Tausende Kilometer von der Heimat entfernt einen harten Dienst absolvieren“, sagte der Minister nun vor den Soldaten. „Es ist eine Frage des Herzens.“

Mit solchen Worten hat er die Masse der Bildzeitungsleser schon gewonnen, auch wenn sie im Afghanistaneinsatz deutsche Interessen nicht erkennen wollen. Denn mit seinen Vorstößen zielt der Minister in erster Linie auf eine selbstbewusste deutsche Militärpräsenz, die längst nicht auf Afghanistan konzentriert sein muss. Deswegen bleiben die Kritiker von Guttenbergs Afghanistan-Show auch an der Oberfläche, wenn sie den „Tatort Afghanistan“ anprangern oder den Auftritt des Ministers als irreal, wie Cem Özdemir von den Grünen, oder als unangemessen wie der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel bezeichnen.

Gregor Gysi von der Linken sorgt sich derweil um die Bundeswehr. „Die Soldaten werden so gleich doppelt missbraucht: für einen falschen Krieg und nun auch noch als Staffage auf den heimatlichen Bildschirmen.“ Eine solche geschmäcklerische Kritik muss Guttenberg nicht stören, weil sie sein Konzept einer selbstbewussten deutschen Militärpolitik nicht einmal zur Kenntnis nehmen will. Zur Formulierung einer Kritik daran ist sie daher auch nicht in der Lage.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33844/1.html

Peter Nowak