Kein Fall für die Kiezmiliz

Nicht nur der Überfall auf den Schriftsteller Raul Zelik im Görlitzer Park in Berlin stellt Linke vor die Frage, wie mit Straßengewalt und No-Go-Areas umzugehen ist.

»Friss und stirb trotzdem« lautet der Titel des 1997 erschienenen Debütromans des Berliner Schriftstellers Raul Zelik. Im Mittelpunkt der Handlung steht eine Gruppe Berliner Antifaschisten, die nach einer aus dem Ruder gelaufenen Aktion mit Mordanklagen, Verfolgung und politischer Emigration konfrontiert wird. Das reale Vorbild für die Geschichte war die Antifa Gençlik, eine von Migranten organisierte Gruppe, die zerschlagen wurde, nachdem Gerhard Kaindl, ein Kader der extrem rechten Deutschen Liga für Volk und Heimat, bei einem Angriff in Kreuzberg getötet worden war. Sein Tod war eine Zäsur für den aktivistischen Flügel der Antifa-Bewegung, dem es hauptsächlich darum gegangen war, Neonazis mit direkten Angriffen Grenzen aufzuzeigen. Mit der literarischen Verarbeitung des Stoffes hatte Zelik die Diskussion über die politischen Konsequenzen in der außerparlamentarischen Linken gefördert.

Mehr als 15 Jahre später hat Zelik mit einem Text abermals eine Debatte angeregt. Im Dezember veröffentlichte er einen Artikel mit dem Titel »Meine innere Sicherheit« im Tagesspiegel. Wieder geht es um einen Überfall in Kreuzberg, doch dieses Mal hat er keine politischen Hintergründe. Und vor allem: Zelik selbst ist das Opfer der Gewalt. Er beschreibt in dem Text, wie er Ende September im Görlitzer Park überfallen wurde: Nachts radelte er von Kreuzberg nach Neukölln und wählte dabei die Abkürzung durch den Park, wo er dann angegriffen und ausgeraubt wurde. Der materielle Verlust hielt sich in Grenzen. Ein altes Mobiltelefon und 30 Euro erbeuteten die Räuber, das Portemonnaie mit Ausweisen und Karten ließen sie auf einer Parkbank zurück.

Doch die körperlichen und psychischen Folgen wiegen für Zelik ohnehin schwerer. Er schildert den Überfall sehr eindringlich. »In diesem Moment trifft mich ohne jede Vorankündigung von links ein Schlag ins Gesicht. Ich spüre den Unterkiefer krachen, das Gefühl, als hätte man mir einen Zahn ausgeschlagen. Der Sturz verläuft einigermaßen kontrolliert, dann beginnen die Männer auf mich einzutreten. Es fühlt sich an, als wären sie zu siebt oder acht, vielleicht sind es aber auch nur fünf. Der Angriff kommt so unvermittelt, dass ich im ersten Moment denke, die Männer wollten mich umbringen. Ich erinnere mich an Fälle, bei denen Menschen einfach aus Lust an der Gewalt totgetreten wurden.«

Nachdem der Schriftsteller an die Öffentlichkeit gegangen war, outeten sich auch andere Linke als Opfer von Überfällen. Darunter ist auch ein Mitglied der Mieterbewegung, das anonym bleiben will. Auch ihm blieb die große Brutalität des Überfalls in Erinnerung. Als ihn im Görlitzer Park einige Unbekannte umringt hätten, habe er ihnen eine Zigarette angeboten, um die Lage zu entspannen. Doch sie hätten sofort mit großer Wucht zugeschlagen. Der Mann hat den Eindruck, den Tätern sei es eher um die Schläge als um die Beute gegangen. Wie Zelik musste auch er nach dem Überfall stationär im Krankenhaus behandelt werden.

Das hatte in beiden Fällen etwas zur Folge, das viele außerparlamentarische Linke in der Regel scheuen: Die Polizei wurde eingeschaltet, Anzeigen wurden erstattet. Nachdem Zeliks Artikel erschienen war, gab die Berliner Polizei an, im Zeitraum zwischen dem 20. September und dem 17. November seien zehn Überfälle im Görlitzer Park zur Anzeige gebracht worden. Zwei Tatverdächtige, die an dem Überfall auf Zelik beteiligt gewesen sein sollen, sitzen mittlerweile in Untersuchungshaft.

Doch damit ist für Zelik die persönliche »innere Sicherheit« nicht wiederhergestellt. Erst nach knapp vier Wochen habe er den Park das erste Mal wieder betreten können, schreibt er. Mit dem Versuch, eine Auseinandersetzung über die politischen Konsequenzen des Überfalls zu führen, spricht Zelik ein Thema an, das für die außerparlamentarische Linke äußerst heikel ist. Offizielle Stellungnahmen von linken Gruppen zu den Überfällen gibt es nicht. Wenn sich Linke dazu äußern, betonen sie überwiegend, dass sie nur für sich sprechen und anonym bleiben wollten. Schließlich wird der Begriff Sicherheit stets mit Law-and-Order-Politik in Verbindung gebracht, weshalb außerparlamentarische Linke eher dazu neigen, zur Störung der »inneren Sicherheit« aufzurufen. Ein Thema, das in der Regel in der linken Debatte ausgeblendet wird, wird nun wegen Zeliks Artikel diskutiert: die ganz persönliche »innere Sicherheit«.

Das von der Linken häufig und gern proklamierte »Recht auf Stadt« wird schließlich auch dann verletzt, wenn bestimmte Orte zu No-Go-Areas werden, weil sich Angriffe und Überfälle häufen. Vor allem Menschen mit wenig Geld, die sich kein Taxi leisten können, meiden dann spätestens nach Einbruch der Dunkelheit manche Gegenden. Im Fall des Görlitzer Parks haben auch Linke in den vergangenen Monaten individuelle Konsequenzen gezogen. Sie nehmen Umwege in Kauf, um den Park zu umgehen, zumindest wenn sie nicht in einer größeren Gruppe unterwegs sind.

Ein Kreuzberger Linker, der anonym bleiben will, hält es für einen großen Fehler, dass die linke Szene in einer Gegend, in der sie noch einen gewissen gesellschaftlichen Einfluss besitzt, nicht versucht, die Überfälle zu einem öffentlichen Thema im Stadtteil zu machen. So könne man schließlich Boulevardzeitungen und konserva­tiven Politikern mit ihren Law-and-Order-Parolen die Deutungshoheit nehmen. »Warum wurden nicht Stadtteilversammlungen initiiert, in denen man gemeinsam mit den Anwohnern bespricht, wie man auf die Überfallserie reagiert?« fragt er sich. »Beispielsweise mit einem Lichterfest, bei dem die angstbesetzten Zonen erleuchtet werden.« Solche Aktionen seien in Kreuzberg noch vor einigen Jahren von feministischen Gruppen in Gegenden organisiert worden, in denen Frauen von Männern belästigt wurden. Zugleich betont er: »Eine emanzipatorische Reaktion auf die Überfälle kann nicht in der Bildung einer autonomen Kiezmiliz bestehen, in der viele starke Männer und vielleicht auch einige Frauen Polizeiaufgaben übernehmen.«

Das Konzept der Kiezmiliz ist im Bereich der Antifa bereits mit dem gewaltsamen Tod des rechts­ex­tremen Funktionärs Kaindl an seine Grenzen gestoßen. Damals hat Zelik die Diskussion über die Folgen in der Linken mit seinem Buch angeregt. Mit seinem Artikel hat er nun gezeigt, dass eine linke Debatte über Überfälle und Straßenkriminalität ohne rassistische Zuschreibungen möglich ist. Allerdings bleibt noch zu beweisen, dass sich eine linke Umgangsweise mit der Straßenkriminalität finden lässt, die sich nicht darin erschöpft, von einer autonomen Kiezmiliz zu träumen, die die Polizei ersetzen kann.

http://jungle-world.com/artikel/2014/02/49108.html

Peter Nowak

Mitglied ohne Aufenthalt

Peter Nowak will, dass alle 
ver.di-Mitglied werden können

Die von der CSU angeschobene Kampagne gegen die angebliche Einwanderung von Armutsflüchtlingen in deutsche Sozialsysteme wird auch vom DGB zurückgewiesen. »Dass jetzt ausgerechnet aus christlichen Parteien, allen voran die CSU, Wahlkampf mit Ressentiments aus der untersten Schublade gemacht wird, ist schlicht verantwortungslos«, moniert Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Die Positionierung ist begrüßenswert, gerade weil auch manches DGB-Mitglied den populistischen Diskurs von Seehofer und Co. unterstützt.

Doch die Gewerkschaften könnten auch dafür sorgen, dass Migranten unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus bei ihnen Mitglied werden können. Das ist die Forderung von mehr als 550 Gewerkschaftern, die sich in einer Erklärung an den ver.di-Vorstand wandten. Der Anlass liegt in einer Auseinandersetzung beim ver.di-Landesbezirk Hamburg. Dort hatte der Sekretär Peter Bremme 300 Flüchtlinge der Gruppe Lampedusa-Hamburg aufgenommen, die seit Monaten für ein Aufenthaltsrecht in Deutschland kämpfen.

»In der Gewerkschaft haben wir eine Partnerin gefunden, die die Ungerechtigkeit, die uns angetan wurde, realisiert und diesen Kampf mit uns zusammen führt«, schrieben die Flüchtlinge an ver.di. Da hatte Bremme schon eine Abmahnung bekommen, weil er mit der Aufnahme die ver.di-Satzung verletzt habe. Da die Flüchtlinge weder lohnabhängig noch erwerbslos sind, erfüllen sie die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft nicht, heißt es in einem von ver.di in Auftrag gegebenen Gutachten. Die Entscheidung sorgte für Kritik. Muss eine Gewerkschaft die ausgrenzende Logik der deutschen Asylgesetze übernehmen, die Flüchtlingen eine Arbeitsaufnahme verbietet und so auch verhindert, dass sie sich erwerbslos melden können, fragten sich viele Gewerkschafter nicht nur bei ver.di.

Die Diskussion ist nicht neu. Bereits vor knapp zehn Jahren kämpfte das Respect-Netzwerk, in dem sich migrantische Hausarbeiterinnen organisiert hatten, für ihr Recht auf eine Gewerkschaftsmitgliedschaft, die zunächst in der Satzung ebenfalls nicht vorgesehen war. Sie hatten Erfolg. Seit einigen Jahren existieren in mehreren Städten ver.di-Arbeitskreise, die auch Beschäftigten ohne gültige Dokumente zu ihrem Recht verhelfen. Papierlos, aber nicht rechtlos, lautet ihr Motto. An diese positiven Beispiele sollte die Initiative für eine Mitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatus anknüpfen. Damit würden die Gewerkschaften nicht nur ein wichtiges Signal gegen rassistische Ausgrenzung setzen. Sie würden auch deutlich machen, dass die Spaltung zwischen Flüchtlingen, die in der Realität trotz Verbots oft arbeiten müssen, um zu überleben, osteuropäischen Arbeitsmigranten, die mit der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland kommen, und anderen Beschäftigten zumindest in ihren Organisationen der Vergangenheit angehört.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/920324.mitglied-ohne-aufenthalt.html

Peter Nowak

Ein ungeklärter Mord

Raucherecke von Peter Nowak

»Wer ist der Mörder? War das Tatmotiv Rassismus? Was steht auf rechten Internetseiten?« Diese Fragen stellt sich die »Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.« seit 21 Monaten. Am Sonntagnachmittag hatte sie die siebte Mahnwache organisiert. Zu der Versammlung am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg kamen 30 Teilnehmer, darunter Verwandte und Freunde von Burak B. Er war am 5. April 2012 in Neukölln auf offener Straße erschossen worden. Zwei seiner Freunde wurden schwer verletzt, als ein unbekannter Mann wortlos auf die migrantischen Jugendlichen zuging und sofort das Feuer eröffnete. Für Unmut sorgt bei den Protestierenden, dass die Polizei seit 13 Monaten erklärt, keine heiße Spur zu haben und weiter in alle Richtungen zu ermitteln. Schließlich wurden mit dieser Sprachregelung jahrelang die Angehörigen und Freunde der NSU-Opfer von den Ermittlungsbehörden zu Verdächtigen gestempelt und alle Hinweise auf einen rassistischen und neonazistischen Hintergrund ausgeblendet. Die gibt es auch im Fall Burak B. Ein Mitglied der Initiative weist im Gespräch mit der Jungle World darauf hin, dass sich zum Zeitpunkt des Mordes an Burak B. der Tod von Gerhard Kaindl zum 20. Mal jährte. Der Schriftführer der Deutschen Liga für Volk und Heimat und Kandidat der Wählergemeinschaft »Die Nationalen« war 1992 bei einer aus dem Ruder gelaufenen Antifa-Aktion in Kreuzberg ums Leben gekommen. In Zeitschriften und auf Internetportalen der extremen Rechten zu Kaindls 20. Todestag waren Artikel erschienen, unter anderem auf der Internetseite der Neonazigruppe Neue Ordnung. Für die Initiative sind das genügend Anhaltspunkte, um zu ermitteln, ob es einen Zusammenhang gibt. Für eine größere Aktion im April zum zweiten Jahrestag des Todes von Burak B. laufen die Planungen bereits. Mit schönen Worten von Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU), wie im vorigen Jahr, wollen sich die Aktivisten nicht zufriedengeben.

http://jungle-world.com/artikel/2014/02/49123.html

Peter Nowak

Kommission gegen Armutsflüchtlinge nicht gegen Armut

Links

[1]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/155614

[2]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/155584

[3]

http://www.taz.de/!129991/

[4]

http://www.medibuero.de/de/Aufruf.html

[5]

http://www.wdr.de/tv/westpol/sendungsbeitraege/2013/1006/fleischindustrie.jsp

[6]

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-10/auszubildende-spanien-arbeitsvermittler

[7]

http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/11/lampedusa_hh_adverdi.pdf

„Angriff auf Löhne, Soziales und Umwelt“

Links

[1]

http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ttip/index_de.htm

[2]

http://www.forumue.de/fileadmin/userupload/AG_Handel/TTIP/121113_PM_Buendnis_fordert_Stopp_der_Verhandlungen_ueber_transatlantisches_Freihandelsbkommen.pdf

[3]

http://www.verdi.de

[4]

http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/131219_verdi_info_ttip.pdf

[5]

http://www.s2bnetwork.org/

[6]

http://www.nachdenkseiten.de

[7]

http://www.ged-shorts.de/#

[8]

http://www.nachdenkseiten.de/?p=17671#more-17671

[9]

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/studie-freihandel-zwischen-eu-und-usa-nutzt-teilnehmern-a-906127.html

[10]

http://www.songtextemania.com/arbeitslosigkeit_umdenken_mister_-_umdenken_mister_songtext_franz_josef_degenhardt.html

[11]

http://www.ilo.org/

„Ich verlor die Hoffnung“

NS-GESCHICHTE Eine kleine Ausstellung widmet sich den Todesmärschen von KZ-Häftlingen

„An einem bestimmten Punkt dieses Todesmarschs verlor ich jede Hoffnung“, erinnert sich Eric Imre Hitter, ein jüdischer KZ-Häftling. „Ich konnte nicht mehr weitergehen, und ich wusste, dass ich sterben würde. Dies war ein zentrales Erlebnis. Ich war mir sicher: Das ist mein Ende.“ Doch dann hätten ihn zwei Häftlinge in die Mitte genommen, untergehakt und mitgeschleift.

Mit diesen bewegenden Worten schildert Hitter den Moment, der ihm das Leben rettete. Er gehört zu den nach HistorikerInnenangaben rund 785.000 Gefangenen, die in den letzten Monaten des NS-Regimes von SS-Mannschaften, Polizei und freiwilligen Helfern auf der Flucht vor den Alliierten durch ganz Deutschland getrieben wurden.

Eine Ausstellung im Foyer der Stiftung Erinnern, Verantwortung und Zukunft (EVZ), zu deren Eröffnung Hitter sprach, beschreibt noch bis zum 22. Januar die Todesmärsche. Auf sieben Schautafeln hat die Historikern Susanne Urban Zeugnisse von Opfern, Überlebenden und AugenzeugInnen des letzten organisierten Massenverbrechens der Nazis zusammengestellt. Ein Großteil der schon durch die KZ-Haft geschwächten Gefangenen überlebte die Märsche nicht. Wer zu fliehen versuchte oder nicht gehen konnte, wurde erschossen. Zudem gab es Massenerschießungen von Gefangenen, damit sie nicht von den Alliierten befreit werden konnten. Auch mitten durch Berlin wurde ein Zug von Gefangenen auf den Weg von Lieberose nach Sachsenhausen getrieben.

Günter Saathoff vom Vorstand der EVZ spricht am Eröffnungsabend von „Massenverbrechen im doppelten Sinne“. Die Zahl der Opfer sei groß gewesen, aber auch die Zahl der Täter. An den Morden beteiligten sich neben der SS auch Zivilisten, darunter der „Volkssturm“ und die Hitlerjugend.

Die Ausstellung macht die Absurdität der Behauptung großer Teile der deutschen Bevölkerung in der Nachkriegszeit deutlich, sie habe von den NS-Verbrechen nichts gewusst. Ausreden dieser Art von Bürgermeistern und Amtsträgern sind dort dokumentiert. Dabei ist das letzte Verbrechen der NS-Zeit vor Millionen AugenzeugInnen verübt worden. Die Zahl der Menschen, die den Häftlingen halfen, indem sie ihnen etwa zu essen gaben oder sie versteckten, war hingegen klein.

Die Ausstellung ist ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung dieses letzten NS-Verbrechens nach fast 70 Jahren. Sie sollte allerdings nicht nur im Foyer der EVZ mit ihren eng begrenzten Öffnungszeiten, sondern auch in Bibliotheken, Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden gezeigt werden.

Peter Nowak

Bis 22. Januar, Montag bis Freitag 10 bis 15 Uhr. Bitte klingeln. Stiftung EVZ, Lindenstraße 20-25, 10969 Berlin

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2014%2F01%2F07%2Fa0134&cHash=e66a0438cd83af58f55ac1c5bf63e225

»Wir spüren Gegenwind«

Im Sommer nahm der Landesbezirk Hamburg der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi 300 Flüchtlinge als Mitglieder auf. Ein Gutachten der Verdi-Bundesverwaltung kam kürzlich jedoch zu dem Ergebnis, dass eine Mitgliedschaft von Flüchtlingen ohne Aufenthaltspapiere gegen die Satzung verstoße. Markus Kip vom »Arbeitskreis undokumentiertes Arbeiten« bei Verdi gehört zu den Initiatoren eines Aufrufs für eine Mitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatus.

Wie hat Ihr Arbeitskreis im Sommer auf die Aufnahme der Flüchtlinge reagiert?

Wir sahen die Aufnahme als einen mutigen Schritt, die Gewerkschaft an ein Thema heranzuführen, dem bislang innerhalb der Organisation zu wenig Beachtung geschenkt wurde.

Welche Reaktionen gab es nun auf den Aufruf, den Ihr Arbeitskreis veröffentlicht hat?

Wir haben eine unerwartet große Resonanz erfahren. Viele Unterstützer drückten in ihren E-Mails ihre Empörung darüber aus, dass es offensichtlich keine Selbstverständlichkeit ist, dass sich Gewerkschaften auf die Seite der Entrechteten und prekär Beschäftigten stellen. Andere drückten Besorgnis aus, dass der in den vergangenen Jahren von Verdi praktizierten Solidarität mit undokumentierten Migranten die Grundlage entzogen werden könnte.

Gab es keine Kritik?

Inzwischen spüren wir auch Gegenwind. Einige können nicht verstehen, dass es reale Zugangsschwierigkeiten für Migranten mit prekärem Aufenthaltsstatus zu gewerkschaftlicher Organisation und Unterstützung gibt. Andere finden unser Vorgehen zu polarisierend

Was sagen Sie zu dem Argument, dass die Satzung der Gewerkschaft die Mitgliedschaft von Geflüchteten nicht vorsieht?

Ob diese Auslegung der Satzung in der Frage der Mitgliedschaft von Flüchtlingen beziehungsweise von Personen ohne Arbeitserlaubnis die richtige oder einzig mögliche ist, muss noch geprüft werden. In jedem Fall zeichnet sie sich durch falsche Annahmen aus.

Fordern Sie eine Satzungsänderung?

Das wird zu überlegen sein. Nun ist uns eine Diskussion zum gewerkschaftlichen Selbstverständnis wichtig angesichts der Tatsache, dass viele Lohnabhängige aus den unterschiedlichsten Gründen und auf den unterschiedlichsten Wegen in dieses Land gekommen sind. Entscheidend für uns als Initiatoren des Aufrufs ist, dass Lohnabhängige sich bei Verdi gewerkschaftlich organisieren können, um ihren Arbeitsrechten unabhängig vom Aufenthaltsstatus Geltung zu verschaffen.

http://jungle-world.com/artikel/2014/01/49075.html

Interview: Peter Nowak

Hartz IV ganz gestrichen

Eine Weihnachtsüberraschung der besonderen Art erlebte Christa T. (Name geändert) beim Jobcenter Kreuzberg-Friedrichshain. Wenige Tage vor Heiligabend wurde der Erwerbslosen mitgeteilt, dass sie ab 1. Januar für drei Monate keinerlei finanzielle Unterstützung bekommen wird. Im Clinch mit dem Jobcenter befindet sie sich schon seit Monaten. »Ich habe mich immer dagegen gewehrt, mich auf Jobs zu bewerben, bei denen klar war, dass ich sie nicht bekommen werde«, erklärt die Frau. Sie wehrt sich auch schon länger gerichtlich gegen Sanktionen. Mehrere Klagen gegen das Jobcenter sind noch nicht entschieden. Auch gegen die Totalstreichung will T. gerichtlich vorgehen. »Mir war vorher das Geld um 30 Prozent gekürzt worden, dann folgte gleich die Streichung von 100 Prozent.« Das Sozialgericht schreibe aber davor eine Kürzung von 60 Prozent vor, sagt die Erwerbslose. Sie setzt aber nicht nur auf den Rechtsweg. In den nächsten Tagen will sie im Jobcenter gegen die Gutscheine protestieren, die Erwerbslose erhalten, denen das Geld gestrichen wurde. Sie dürfen nur bei bestimmten Läden eingelöst werden und die Auswahl der Waren ist beschränkt. Christa T. hält die Gutscheine daher für menschenrechtswidrig.

Bei ihren Protesten will sie mehrere Beistände mitbringen. Schon am 23. Dezember drängten sich zehn Personen mit Christa T. ins Jobcenterbüro. Der Sachbearbeiter wollte nur einen Beistand zulassen. Es kam zu hitzigen Wortwechseln. Schließlich rief das Jobcenter die Polizei. »Die Beistände sind auf meinen Wunsch zum Jobcenter gekommen und können nicht einfach abgelehnt werden«, erklärte Christa T. Die Erwerbsloseninitiative Basta bestätigt diese Sichtweise.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/919602.hartz-iv-ganz-gestrichen.html

Peter Nowak

Obdachlos mitten in deutschen Städten

Links

[1]

http://www.berlin-eisfabrik.de/

[2]

http://www.taz.de/!124442/

[3]

http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/vg/presse/archiv/20131223.1345.392959.html

[4]

http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/

[5]

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/polizeieinsatz-im-rathaus-mitte-eisfabrik–protest-gegen-raeumung,10809148,25674782.html

[6]

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/kommentar-zur-eisfabrik-in-der-koepenicker-strasse-elendsquartiere-in-berlin,

[7]

http://asylstrikeberlin.wordpress.com/

[8]

http://www.deutschlandfunk.de/armutszuwanderung-ferber-csu-beim-asylrecht-gibt-es-keinen.694.de.html?dram:article_id=273067

[9]

http://www.lsg.nrw.de/behoerde/presse/Aktuelle_Pressemitteilungen_des_LSG/Hartz-IV_Anspruch_auch_fuer_EU-Buerger_aus_Rumaenien/index.php

[10]

http://www.berliner-zeitung.de/archiv/vor-achtzig-jahren-wurden-die-juden-des-scheunenviertels-opfer-eines-pogroms-es-begann-am-arbeitsamt,10810590,10127312.html

[11]

http://europeandayofactionforhousingrights.wordpress.com/

[12]

http://wirbleibenalle.org/?p=930

[13]

https://www.verdi.de/

[14]

http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/11/lampedusa_hh_adverdi.pdf

„Mir geht es um Menschenrechte“

Marcel Kallwass

MUT Ein Student der Hochschule der Arbeitsagentur kritisiert seinen Ausbilder: Die Sanktionen gegen Erwerbslose sind oft falsch. Nun muss er fürchten, von der Schule geworfen zu werden

taz: Herr Kallwass, als Student an der Hochschule der Bundesanstalt für Arbeit haben Sie mehrfach die Bundesarbeitsagentur kritisiert. Warum?

Marcel Kallwass: Ich habe im Jobcenter Ulm hospitiert. Dort habe ich mitbekommen, wie Erwerbslose sanktioniert wurden. Das kann nicht der richtige Weg sein. Ich habe in der Hochschule Diskussionen über die Sanktionen angeregt. Dabei musste ich mit Erschrecken feststellen, dass viele meiner Kommilitonen Sanktionen befürworten.

Bekamen Sie Unterstützung?

Einige Studierende wurden durch meine Argumente zum Nachdenken angeregt. Sie erklären, dass sie jetzt die Sanktionen kritischer sehen. Allerdings war vielen meine Totalablehnung von Sanktionen zu radikal.

Warum haben Sie Ihre Kritik öffentlich gemacht, beispielsweise auf Ihrem Blog?

Nach den Diskussionen in der Hochschule habe ich gemerkt, dass ich an eine Grenze stoße. Also begann ich vor fünf Monaten, meine Argumente auf dem Blog „Kritischer Kommilitone“ zu veröffentlichen. Damit wollte ich meine Solidarität mit der Hamburger Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann ausdrücken, die wegen ihrer Kritik am Hartz-IV-System vom Dienst suspendiert wurde.

Bekamen Sie auch Druck?

Im Juni hatte ich den Blog eröffnet, Anfang August wurde ich vom Leiter der Hochschule zu einem ersten Gespräch eingeladen. Das war noch moderat. Nachdem ich einen offenen Brief an den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht hatte, in dem ich Vorschläge für eine Berufsberatung ohne Sanktionen machte, drohte mir die Regionaldirektion von Baden-Württemberg in Stuttgart erstmals mit einer Abmahnung. Nachdem ich auch in der Hochschule mit Flugblättern meine Kritik fortsetzte, habe ich Anfang November die erste und wenige Wochen später die zweite Abmahnung erhalten.

Gefährden Sie Ihre Karriere?

Nach intensiven Gesprächen mit meinen Eltern und FreundInnen habe ich mich entschieden, den Blog weiter zu betreiben. Ich weiß, dass das dazu führen kann, mein Studium abbrechen zu müssen. Das Risiko gehe ich ein, mir geht es um Menschenrechte.

Könnten Sie als kritischer Berufsberater nicht mehr gegen die Sanktionen tun?

Nein, ich wäre dann ein Rädchen in der Maschinerie. Auch wenn ich von der Schule geschmissen würde, wird mich die Bundesanstalt für Arbeit nicht los. Ich wäre dann selber arbeitslos und würde mich weiter gegen Hartz IV engagieren.

INTERVIEW: PETER NOWAK


22, ist Student an der Hochschule der Bundesanstalt für Arbeit in Mannheim. Nachdem er auf seinem Blog das Arbeitsamt kritisierte, wurde er gemaßregelt.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=2013%2F12%2F27%2Fa0115&cHash=77df33031deebeb96fb24503a9629457

Extremismusklausel sorgt für ersten Streit in der Regierung

Links

[1]

http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/aktuelles,did=203904.html

[2]

http://www.bmfsfj.de/

[3]

http://www.manuela-schwesig.de/

[4]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/familienministerin-schwesig-will-extremismusklausel-abschaffen-a-940452.html

[5]

http://demokratiebrauchtuns.de/blog/appell-gegen-rechtsextremismus-und-rassismus-was-jetzt-zu-tun-ist

[6]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149236

[7]

http://www.akubiz.de/index.php/hintergrundinformationen-zur-extremismusklausel.html

[8]

http://www.lorenz-caffier.de/

[9]

http://www.taz.de/Hintergruende-zur-Roten-Flora/!129866/

[10]

http://florableibt.blogsport.de/

[11]

http://lampedusa-in-hamburg.tk/

[12]

http://www.regierung-mv.de/cms2/Regierungsportal_prod/Regierungsportal/de/im/_Service/Presse/Aktuelle_Pressemitteilungen/index.jsp?pid=64851

[13]

http://www.deutschlandfunk.de/proteste-in-hamburg-es-gibt-einen-von-der-polizei.694.de.html?dram:article_id=272868

Von der Leyen als Managerin des Unternehmens Bundeswehr

Links

[1]

http://www.bmvg.de/

[2]

http://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/bundestagswahl/id_67028578/-guenther-jauch-ursula-von-der-leyen-hat-mordsrespekt-vor-neuem-job.html

[3]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152549

[4]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/155482

„Wir sind alle Amazon“?

Links

[1]

http://www.labournet.de/category/branchen/dienstleistungen/handel/

[2]

https://www.verdi.de/

[3]

http://berlin.blockupy-frankfurt.org/

[4]

http://www.linke-sds.org/

[5]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154358

[6]

https://blockupy-frankfurt.org/2241/blockupy-zeil-auswertung/

[7]

https://www.facebook.com/pages/Streik-Soli-B%C3%BCndnis-Leipzig/597593186963849

[8]

http://www.amazon-verdi.de/

[9]

http://www.amazon.de

[10]

http://www.zalando.de/

[11]

http://www.theguardian.com/profile/carolecadwalladr

[12]

http://www.theguardian.com/technology/2013/dec/01/week-amazon-insider-feature-treatment-employees-work

[13]

http://www.n-tv.de/mediathek/videos/wirtschaft/Streik-bei-Amazon-geht-weiter-article11930311.html

[14]

http://www.pin-ag.de

[15]

http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/pin-ag-kaempft-gegen-streik-der-zusteller-polizei-hausverbot-und-praemie/9233278.html

[16]

http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/streik-bei-pin-ag-beendet-die-gekaufte-versoehnung/9244558.html

Kunden gegen Billiglohn

Berliner Blockupy-Bündnis solidarisiert sich mit Streikenden im Einzelhandel

Rund 70 Personen versuchten heute Nachmittag eine H&M-Filiale in der Friedrichstraße zu blockieren. Die Polizei versucht immer wieder den Eingang freizuhalten und drängt die Aktivisten zur Seite.

Seit über einem Jahr wehren sich die Beschäftigten im Einzelhandel, überwiegend Frauen, gegen die massive Verschlechterung ihre Arbeitsbedingungen. Die Einzelhandelsunternehmen haben sämtliche Entgelt- und Manteltarifverträge gekündigt. Ihr Ziel ist die generelle Absenkung von Löhnen und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der Handelsbranche, wo es für die Beschäftigten besonders schwer ist, sich zu organisieren. Darauf setzt die Unternehmerseite in Berlin.

Während die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in mehreren Bundesländern Tarifverträge geschlossen hat, wollte das Berliner Unternehmerlager den Konflikt aussitzen. Doch sie hatten nicht mit der Kampfbereitschaft der Beschäftigten gerechnet. Auch die Unterstützer außerhalb der Gewerkschaften hatten sie nicht auf dem Schirm. Seit Wochen haben sich studentische und soziale Initiativen mit eigenen Aktionen mit den Beschäftigten solidarisiert. »Wir sind Kundinnen und Kunden. Uns ist es nicht egal, unter welchen Bedingungen die Kassiererinnen arbeiten«, erklärte Elke Sommer ihre Beteiligung an der Aktion am Freitag. Sie arbeitet im Berliner Blockupy-Bündnis, dessen Streik-AG die Aktion am Freitag vorbereitete. »Blockupy goes Arbeitskampf« lautet das Motto, das auch auf den Transparenten stand.

Das Bündnis, in dem Gruppen der außerparlamentarischen Linken, gewerkschaftliche Organisationen, aber auch die Studierendengruppe »Die Linke.SDS« zusammenarbeiten, bereitete die bundesweiten Krisenproteste Anfang Juni in Frankfurt am Main vor. Schon damals stand der Kampf im Einzelhandel auf der Agenda des Bündnisses: »Mit unserer Aktion knüpfen wir an die Aktion in der Frankfurter Zeil im Mai dieses Jahres an, wo wir mit kreativem Widerstand den Geschäftsbetrieb gestört haben«, erklärt Anton Kohanov vom Blockupy-Bündnis gegenüber »nd«.

Die H&M-Filiale sei ausgewählt worden, weil es dort eine besonders kämpferische Belegschaft gibt, die sich gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen seit Monaten wehrt.

Besonders sauer sind die Beschäftigten der Filiale in der Friedrichstraße, dass sie für niedrigere Löhne arbeiten sollen als ihre Kollegen in Westberlin. Während die einen Stundenlohn von 8,50 Euro erhalten, bekommen die Ostberliner Angestellten 8,25 Euro. »Ob Ost, ob West – gleicher Lohn jetzt«, lautete denn auch eine der Parolen, die von den Demonstranten skandiert wurden und auch bei den zahlreichen Passanten auf Zustimmung stießen.

Nicht wenige kehrten vor dem Eingang von H&M um. Manche wegen des großen Polizeiaufgebots, andere folgten den Aufrufen der Demonstranten, aus Solidarität mit dem Streik auf einen Einkauf in der Filiale zu verzichten.

Für Blockupy-Sprecher Anton Kohanov war die Aktion ein Erfolg, die auch im nächsten Jahr wiederholt werden könne, findet er.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/918826.kunden-gegen-billiglohn.html

Peter Nowak

Kommunismus als zivilgesellschaftliches Ziel

Eine Berliner Diskussionsrunde mit dem „gefährlichsten Philosophen Mitteleuropas“

„Wir sitzen im Theaterbild von Frontex“, erklärte die Leiterin des Berliner Theaters Hebbel mit Blick auf die eine blau-weiß straffierte Weltkarte an der Bühnenwand. Sie ist Teil der Requisiten für die Theateraufführung des Stücks Frontex Security des Regisseurs Hans-Werner Kroesinger. Im Zentrum steht dort das Frontex-System, das die Festung Europas gegen die Armen diese Welt schützt.

Am Dienstagabend warf der französische Philosoph Alain Badiou im Rahmen der Passagengespräche einen anderen Blick auf Welt. Er gehört zu einer kleinen Gruppe von politisch engagierten Philosophen, die vehementen Einspruch gegen den aktuellen Zustand der Welt äußern.

Nach 1989 schien es so, als würde eine politisch engagierte Philosophie und Wissenschaft der Vergangenheit angehören. Aber spätestens mit den Interventionen von den Theorien Bourdieus und dem Aufstand der Zapatistas war die TINA-Phase („There is no Alternative“) beendet. Mit Stephan Hessel wurde Gesellschaftskritik sogar wieder mehrheitsfähig. Doch Alain Badiou unterscheidet sich von den Genannten an einem entscheidenden Punkt. Er kritisiert nicht nur die aktuellen Verhältnisse. Zu ihrer Überwindung hält er am Kommunismus als Ziel fest.

Kein Bannerträger des Antitotalitarismus

An diesem Abend konnte man gut beobachten, wie schnell eine meist moralisch imprägnierte diffuse Kritik an den Finanzmärkten und der Globalisierung beliebig und zahnlos wird. Der Leiter des Passagen-Verlags, Peter Engelmann, der seit Jahren Schriften linker französischer Autoren und somit auch Badiou verlegt, versicherte immer wieder, wie er nahe er in der Kritik am aktuellen Zustand der Welt seinem Diskussionspartner stehe. Mit dem Kommunismus als Zielvorstellung könne er sich aber nicht anfreunden, solange nicht geklärt sei, warum die bisherigen Versuche, ihn einzuführen, gescheitert sind.

Gescheitert ist aber auch das beharrliche Insistieren des Moderators René Aguigah, den ehemaligen DDR-Gefangenen Engelmann, der von der BRD freigekauft wurde, als Bannerträger des Antitotalitarismus gegen Badiou in Stellung zu bringen. Engelmann ist dafür zu intelligent; gelegentlichen Versuche, die Gestapo und die Stasi in einen Zusammenhang zu bringen, wurden vom zahlreich erschienenen Publikum eher als Peinlichkeit, denn als Provokation wahrgenommen.

Die drei Etappen des Kommunismus nach Badiou

Badiou hingegen, der vom Feuilleton der Berliner Zeitung schon mal zum „gefährlichsten Philosophen Mitteleuropas“ geadelt wurde, konnte sicher nicht alle im Publikum mit seinem Plädoyer für den Kommunismus überzeugen. Aber auch und gerade für seine Kritiker war er in keiner Minute beliebig und langweilig.

Zunächst teilte er die Geschichte des Kommunismus in drei Etappen ein. Im 19. Jahrhundert sei der Kommunismus die Utopie einer klassenlosen Gesellschaft gewesen, wie sie von Marx, Proudhon und vielen anderen Theoretikern formuliert wurde. Die wichtigsten Ziele seien die Aufhebung der Klassengesellschaft und der Arbeitsteilung sowie ein Absterben des Staates gewesen.

Die zweite Etappe sei durch die Oktoberrevolution geprägt gewesen, die Badiou als die erste gelungene Revolution nach den vielen gescheiterten und blutig niedergeschlagenen Arbeiteraufständen des 19.Jahrhunderts klassifizierte. Er benennt aber auch das Dilemma, das in der siegreichen Revolution schon ihr Scheitern eingeschrieben hat. Lenin habe aus der Niederlage der Pariser Kommune die Konsequenz gezogen, dass eine zentralistische Organisation nötig sei.

Damit konnte die Revolution erfolgreich sein, doch es sei nicht möglich gewesen, eine demokratische Zivilgesellschaft aufzubauen. Weder sei die Arbeitsteilung noch der Staat abgeschafft werden, wie es die Kommunisten der ersten Phase anstrebten.

Die dritte Phase des Kommunismus hat für Badiou nach 1989 begonnen. Damit müsse man sich von der Macht emanzipieren und wieder an die Basis gehen. So dementierte Badiou auch alle Versuche, ihn in die Schublade des Stalinismus oder der Marx-Orthodoxie zu stecken. Die von ihm vorgeschlagene Bewegung von unten, die sich in Streiks, in Besetzungen und Asambleas materialisiert, ist durchaus kompatibel mit Politikformen, wie sie in der außerparlamentarischen Bewegung seit Jahrzehnten praktiziert wird, mögen sich die Akteure nun Kommunisten nennen oder nicht.

Demokratie als Herrschaftsform

Den größten Widerspruch erntete Badiou für seine Demokratiekritik. Dabei betonte er, dass er damit nicht die Vollversammlungen und Assambleas, sondern die bürgerliche Gesellschaft meinte. Als er dann Demokratie als Form der staatlichen Organisierung des entwickelten kapitalistischen Staats klassifizierte, erntete er spontane Zustimmung, aber auch Widerspruch.

Engelmann konnte nicht verstehen, wie man die Fundamentalkritik an der Demokratie mit Applaus belohnen könne. Wenn Engelmann dann aber selber die Demokratie als die beste Form, einen Bürgerkrieg bzw. einen sozialen Aufstand zu verhindern, bezeichnete, war er zumindest theoretisch gar nicht so weit von Badiou entfernt. Als dann in der Fragerunde aus dem Publikum Badiou-Kritiker darauf verwiesen, dass momentan in der Ukraine gerade für die bürgerliche Demokratie gekämpft werde, zeigte sich, wie recht der Philosoph mit seiner Demokratiekritik hat.

Schließlich kämpfen in der Ukraine zwei Machtblöcke um die außenpolitische Orientierung des Landes, ob sie näher an der EU oder an Russland sein soll. Doch auf dem Boden der bürgerlichen Demokratie stehen beide. Auch die staatliche Repression gegen die Proteste ist nicht ein Dementi, sondern Teil der bürgerlichen Demokratie. Dabei war der Einsatz der Polizei gegen die Blockupy-Proteste in Frankfurt/Main Anfang Juni allerdings wesentlich härter als momentan gegen die Protestler in Kiew.

Wäre nach dem Ende der Passagen-Gespräche einer der zahlreichen Zuhörer aus dem linken Milieu auf den Gedanken gekommen, Badiou in die Praxis umzusetzen und die SPD-Bundeszentrale gegenüber dem Hebbel-Theater zu blockieren, hätte man die Demokratie in ihrer repressiven Form sofort beobachten können. Das wäre ein passendes Ende einer Diskussion mit „dem gefährlichsten Philosophen Mitteleuropas“ gewesen.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/155539

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.hebbel-am-ufer.de

[2]

http://www.hebbel-am-ufer.de/programm/spielplan/kroesinger-frontex-security/760/

[3]

http://www.egs.edu/faculty/alain-badiou/biography/

[4]

http://www.hebbel-am-ufer.de/programm/spielplan/passagen-gespraeche-badiou-engelmann/759/

[5]

http://www.passagen.at/cms/index.php?id=80&L=0&autor=927

[6]

http://www.deutschlandfunk.de/der-philosoph-und-verleger-peter-engelmann.1782.de.html?dram:article_id=248174

[7]

https://portal.dnb.de/opac.htm

8]

http://www.berliner-zeitung.de/kultur/philosoph-alain-badiou-und-sei-es-mit-gewalt,10809150,23104062.html

[9]

http://de.wikipedia.org/wiki/Asamblea_%28Occupy-Bewegung%29