„Vorsicht Wohnungsnot!“

Bericht zur Konferenz der Berliner MieterGemeinschaft

Bei der gut besuchten Tageskonferenz der Berliner MieterGemeinschaft unter dem Titel „Vorsicht Wohnungsnot!“ am 16. April 2011 im DGB-Haus kamen Personen zusammen, die das Thema bezahlbares Wohnen wieder auf die Tagesordnung setzen wollen

Nicht besonders vorteilhaft waren die Spitzenkandidaten von SPD, Die Linke und B’90/Die Grünen für die Berliner Abgeordnetenhauswahl auf Postern abgebildet, die am Tag der Konferenz im Foyer des Berliner DGB-Hauses hingen. Damit machte ein Bündnis von Berliner Stadtteil- und Mieterinitiativen auf den ersten Blick deutlich, dass sie kein Vertrauen in die wohnungspolitischen Erklärungen dieser Parteien setzen. Wie begründet diese Distanz zu den Parteien ist, wurde auf der Tageskonferenz von verschiedenen Referent/innen ausgeführt.

Das Publikum im überfüllten Saal verfolgte die Ausführungen der Referent/innen aus Ökonomie, Gewerkschaften, Stadtteil- und Mieterinitiativen aus Berlin, Hamburg und Witten mit großem Interesse. Im ersten Themenblock der Konferenz ging es um die steuer- und finanzpolitischen Hintergründe der Berliner Wohnungspolitik. Der Hamburger Wirtschaftswissenschaftler Joachim Bischoff sieht in einer Haushaltspolitik, die Steuererleichterungen für Spitzenverdiener zum politischen Credo erhebt, die Ursache für die gigantischen Einnahmeverluste der Haushaltskassen.

Sozialer Wohnungsbau – den haben wir gerade abgeschafft

Im zweiten Themenblock wurde Kritik an der aktuellen Berliner Haushalts- und Wohnungspolitik geübt. Joachim Oellerich von der Berliner MieterGemeinschaft skizzierte, dass die Mieten seit 2007 in der gesamten Stadt spürbar gestiegen seien und der Wohnungsneubau seit der Jahrtausendwende nahezu zum Erliegen kam. „Immer mehr Haushalte tummeln sich auf einem tendenziell schrumpfenden Wohnungsmarkt. Die Wohnungsversorgung verschlechtert sich“, so Oellerich. Insbesondere wurde kritisiert, dass die Berliner Landesregierung noch immer eine Wohnungsnot in der Stadt leugne und stolz auf den Ausstieg aus dem Sozialen Wohnungsbaus sei. Als sich die niederländische Königin Beatrix Mitte April bei ihrem Berlin-Besuch erkundigte, ob Berlin Sozialen Wohnungsbau betreibe, antwortete der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) laut eines Berichts im Tagesspiegel: „Den haben wir gerade abgeschafft.“

Im letzten Themenblock ging es bei der Konferenz um Perspektiven für den Widerstand. Oellerich zufolge können diese nur auf außerparlamentarischer Ebene gesucht werden. Da alle Parteien unabhängig von ihren Versprechungen in der Wohnungspolitik die Vorgaben des Wirtschaftsliberalismus exekutierten, sei die Formulierung von Wahlprüfsteinen überflüssig. Mit dieser Einschätzung war er sich mit der großen Mehrheit der Konferenzteilnehmer/innen einig.

Obwohl sie für die SPD zur Abgeordnetenhauswahl kandidiert, erklärte Gerlinde Schermer, die sich in den letzten Jahren wiederholt gegen die unsoziale Senatspolitik engagierte, sich auf der Konferenz am richtigen Ort zu fühlen. Wie bereits andere Referent/innen verwies sie darauf, dass trotz der zahlreichen Verkäufe öffentlicher Unternehmen die Schulden gestiegen seien und die Probleme nicht gelöst wurden. Daraus schloss Schermer: „Die Privatisierungs- und Kürzungspolitik aller Senate seit 1990 ist gescheitert.“

Impulse für eine Mieterbewegung

Als es während der Abschlussdiskussion um praktische Widerstandsmöglichkeiten ging, riet Andreas Blechschmidt vom Hamburger Netzwerk „Recht auf Stadt“, das für viele Berliner Aktivist/innen Vorbildcharakter hat, zu dezentralen Aktionen. Solche wurden anschließend von Aktivisten aus unterschiedlichen Stadteilen vorgestellt. Stephan Thiele stellte das neugegründete Bündnis „Wem gehört Kreuzberg?“ vor, das schwerpunktmäßig den Verkauf von Wohnungen im Kiez verhindern will (siehe Seite 26).

Mieter/innen des abgewickelten Sozialen Wohnungsbaus schilderten ihre Erfahrungen. Und Bewohner/innen der vom Abriss bedrohten Barbarossastraße 59/60 berichteten, wie sie sich trotz großem Druck gegen die Neubaupläne wehren.

Dass die Konferenz zum richtigen Zeitpunkt stattfand, zeigte sich in den darauf folgenden Wochen. So spielte das Thema Wohnen bei vielen Aktivitäten rund um den 1. Mai eine zentrale Rolle. „Bei fast allen Protesten geht es um den Einsatz für Frei- und Wohnräume. Damit erlebt der Tag endlich eine Repolitisierung“, so die taz in einer Nachbetrachtung.

Großdemonstration gegen Mieterhöhungen und Verdrängung

Samira van Zeer von der Treptower Stadtteilinitiative „Karla Pappel“ berichtete auf der Konferenz von einer für den 3. September 2011 geplanten Großdemonstration gegen Mieterhöhungen und soziale Verdrängung, die von Stadtteil- und Mieterinitiativen vorbereitet wird. Konsens bei der Vorbereitung der Demonstration ist – wie auch auf dem Kongress – die Unabhängigkeit von allen Parteien.

Weitere Infos und Dokumentation:
www.bmgev.de/politik/konferenz

http://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2011/detailansicht/article/vorsicht-wohnungsnot-1.html

Peter Nowak

Die Orphs geben Musikschule nicht auf

WEISSENSEE Gruppe hat Gebot für ehemalige Schule beim Liegenschaftsfonds abgegeben
„Wir wollen das Gebäude in der Falkenberger Straße 183 wieder beleben. Unsere Chancen stehen nicht schlecht“, glaubt Heike. Der Optimismus der Aktivistin der „Orphs“, eines Zusammenschlusses junger Menschen aus Weißensee, verwundert auf den ersten Blick. Schließlich wurde ihre Besetzung der ehemaligen Musikschule Weißensee vor zehn Tagen nach wenigen Stunden von der Polizei geräumt (taz berichtete). Doch sofort nach der Räumung hatte die Gruppe für einige Tage vor dem Gebäude in einem Zelt „eine ständige Vertretung der Orphs“ eingerichtet. „Uns ging es darum, die Nachbarn über unsere Pläne zu informieren“, so Heike. Mit der Resonanz ist sie zufrieden.

Auch auf der politischen Ebene sind die Orphs nicht untätig geblieben. Am Montag haben sie bei einer Kundgebung vor dem Liegenschaftsfonds ihr Gebot für das Gebäude abgegeben. Dabei wurden Linkspartei und SPD an ihre Erklärungen zur Förderung sozialer Belange bei der Vergabe von Grundstücken des Liegenschaftsfonds erinnert. Die Immobilie in Weißensee soll allerdings nach dem Willen des Fonds im Rahmen des Bieterverfahrens vergeben werden. Das sei auch politischer Wille des zuständigen Pankower Bezirksamts gewesen, betonte Liegenschaftsfonds-Pressesprecherin Irina Dähne gegenüber der taz.

Die Stellvertretende Pankower Bezirksbürgermeisterin Christine Keil (Die Linke) plädierte gegenüber der taz für einen differenzierten Umgang mit landeseigenen Immobilien. „Ich sehe die Vergabepolitik kritisch, allerdings ist die wirtschaftliche Verwertung von Landesimmobilien der Hauptauftrag des Liegenschaftsfonds.“ Sie verwies auf Erfolge, die sie an verschiedenen Stellen im Bezirk bei der sozialen Nutzung von Grundstücken erzielt habe. Zur ehemaligen Musikschule äußerte sie sich allerdings nicht.

Die Orphs haben auch Kontakt zum Humanistischen Verband Deutschland (HVD) aufgenommen, der sich um die frühere Musikschule beworben hat. HVD-Pressesprecher Thomas Hummitzsch reagierte positiv auf das Kooperationsangebot. „Auch der HVD will das Gebäude gesellschaftsdienlichen Zwecken zuführen. Wir sind ebenso gegen die Einrichtung von privaten Luxusapartments in dem Gebäude.“

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2011%2F05%2F21%2Fa0211&cHash=84c9c12a86

Peter Nowak

Ehemalige Schule soll kein Eigentum werden

 Linke Aktivisten besetzen kurzfristig eine frühere Schule in Weißensee. Die will der Liegenschaftsfonds an den Meistbietenden verkaufen – ohne soziale Kriterien einzubeziehen. Allein Geld und die Bonität der Bieter sollen darüber entscheiden, an wen die ehemalige Musikschule Weißensee geht.  
So ein Gedränge hatte der Liegenschaftsfonds wohl nicht erwartet: Zum Besichtigungstermin am Dienstag um 10 Uhr vormittags in der ehemaligen Musikschule Weißensee kamen mehr als 40 Interessenten. Doch nicht alle waren eingeladen, das seit Ende 2009 leer stehende Gebäude in der Falkenberger Straße 183 zu begehen. Rund 40 AktivistInnen der Gruppe Orphs nutzten den Termin für eine „Wiederbelebung des Gebäudes“, wie ein Transparent aus dem Fenster der 1. Etage verkündete.
 
Kaum hatte der Hausmeister die Tür aufgeschlossen, machten sie es sich in den Räumen mit Sekt und einem kleinen Imbiss gemütlich. Während im Erdgeschoss laute Musik aus dem Ghettoblaster schallte, spielte ein junger Mann auf einen Klavier, das die AktivistInnen vor der Eingangstür aufgebaut hatten. Am frühen Nachmittag wurde es von der Polizei abtransportiert. Schon gegen 13 Uhr wurden 13 Personen, die sich noch in dem Gebäude befunden haben, von der Polizei geräumt. Alle wurden nach einer Feststellung der Personalien sofort freigelassen und müssen mit einer Anzeige wegen Hausfriedensbruchs rechnen.
 

 Unter dem Namen Orphs firmiert eine Gruppe junger Menschen aus Weißensee, SchülerInnen, Auszubildende und Studierende, die sich im Stadtteil politisch engagieren. Für die ehemalige Schule haben sie ein Nutzungskonzept verfasst und im Internet veröffentlicht. Danach soll im Erdgeschoss ein Kunstraum und Treffpunkt für die Nachbarschaft eingerichtet werden. Auch den Garten hinter dem Haus wollen sie gemeinschaftlich bearbeiten. Die obere Etage des Hauses könnte als Wohnraum für rund 15 Menschen dienen. Als Rechtsform soll ein an dem Mietshäusersyndikat orientiertes Genossenschaftsmodell zur Anwendung kommen. „Das Haus kommt uns nicht zurück auf den Markt und gehört denen, die es nutzen“, so Orphs-Aktivistin Judith.
 
Auch über die Finanzierung haben sich die Orphs Gedanken gemacht. “ Wir werden ein sechsstelliges Gebot machen und dennoch darauf achten, dass wir bei bezahlbarem Wohn- und Gemeinschaftsraum ankommen“, sagt Enrico von den Orphs. Allerdings sei man nicht bereit, sich in einen Bieterwettbewerb mit einer Baugruppe zu begeben, die auf ihrer Homepage unter dem Motto „Eigentum bilden – aber richtig“ 300.000 Euro für das Gebäude bieten will.
 
Die Chancen, das Haus zu erwerben, stehen daher für die Orphs nicht so gut. „Die Gruppe kann gern mitbieten, das Verfahren läuft noch bis nächste Woche. Doch dabei sind der Höchstpreis und die Bonität der BewerberInnen die einzigen Bedingungen“, sagte die Pressesprecherin des Liegenschaftsfonds, Irina Dähne, der taz. Die Orphs hatten diese Vergabepolitik als unsozial kritisiert. Ihre Behörde sei jedoch die falsche Adresse für die Schelte, so Dähne. Es sei der politische Wille des Lenkungsausschusses des Liegenschaftsfonds, dieses Gebäude im Rahmen des Bieterverfahrens zu verkaufen, bei dem der Höchstpreis zählt – und in diesem Fall keine sozialen Kriterien aufzustellen.
 
Neben mehreren Senatoren ist im Lenkungsausschuss auch das für die Immobilie zuständige Pankower Bezirksamt entscheidungsbefugt. Die Stadträtin für Jugend um Immobilien in der BVV Christine Keil (Die Linke) war für eine Stellungnahme bis Redaktionsschluss nicht erreichbar. Wegen einer Sitzung habe sie auch keine Zeit gehabt, sich das Anliegen der Orphs während der Aktion erläutern zu lassen.
 
Lediglich Patrick Technau, der für die Linke in der BVV-Pankow sitzt, war als Privatperson während der Freiraumaktion vor Ort. Er betonte, dass der Bezirk durchaus die Möglichkeit habe, das Grundstück in eigener Regie zu nutzen.

http://www.taz.de/1/berlin/artikel/1/ehemalige-schule-soll-kein-eigentum-werden/

Peter Nowak

Protest ist manchmal die halbe Miete

WOHNEN Kongress der Mietergemeinschaft soll Start für mehr außerparlamentarische Bewegung sein

Von den Spitzenkandidaten der SPD, Linken und Grünen und deren wohnungspolitischen Positionen halten Berlins Mietaktivisten wenig – zumindest jene, die sich am Samstag im DGB-Haus zur Tagung „Vorsicht, Wohnungsnot“ kamen. Ökonomen, GewerkschafterInnen, Stadtteil- und MieterInnenaktvistInnen aus Berlin, Hamburg und Witten diskutierten über Modelle, wie Wohnen und Leben in der Stadt attraktiv und erschwinglich bleibt.

Im ersten Block ging es um die steuer- und finanzpolitischen Hintergründe der Berliner Wohnungspolitik. Der Hamburger Wirtschaftswissenschaftler Joachim Bischoff sieht in einer Haushaltspolitik, die Steuererleichterungen für SpitzenverdienerInnen zum politischen Credo erhebt, die Ursache für die gigantischen Einnahmeverluste in den Haushaltskassen.

Bewegung von unten

Die Folgen für den Wohnungsmarkt skizierte Joachim Oellerich von der Berliner MieterInnengemeinschaft. So seien die Mieten seit 2007 in der gesamten Stadt spürbar gestiegen, der Wohnungsneubau seit der Jahrtausendwende nahezu zum Erliegen gekommen. „Immer mehr Haushalte tummeln sich auf einem tendenziell schrumpfenden Wohnungsmarkt“, so Oellerich. Mit seiner wirtschaftsliberalen Wohnungspolitik habe die rot-rote Landesregierung den Wohnungsmarkt sich selbst überlassen. Besonders kritisiert wurde, dass die Landesregierung noch immer leugne, dass es eine Wohnungsnot gibt.

Am Nachmittag ging es um Widerstandsperspektiven, die für Joachim Oellerich nur auf außerparlamentarischer Ebene gesucht werden können. Die zur Wahl stehenden Parteien seien ununterscheidbar geworden. Auch Samira van Zeer von der Treptower Stadtteilinitiative Karla Pappel setzte auf die Bewegung von unten und berichtete von einer für den 3. September geplanten Großdemonstration gegen Mieterhöhungen.

Privatisierung gescheitert

Obwohl sie für die SPD zur Abgeordnetenhauswahl kandidiert, fühlte sich Gerlinde Schermer in der Runde sichtlich wohl. Sie werde auch im Abgeordnetenhaus ihre Meinung sagen, und die laute: „Die Privatisierungspolitik aller Senate seit 1999 ist gescheitert“.

Als es im letzten Kongressteil um praktische Widerstandsmöglichkeiten ging, riet Andreas Blechschmidt vom Hamburger Netzwerk „Netzwerk Recht auf Stadt“, das für viele Berliner AktivistInnen Vorbildcharakter hat, zu dezentralen Aktionen. Die haben sich auch in Berlin schon entwickelt. Stephan Thiele stellte das neue Bündnis „Wem gehört Kreuzberg“ vor, das schwerpunktmäßig den Verkauf von Wohnungen im Kiez verhindern will. Auf der Homepage www.sozialmieter.de vernetzen sich BewohnerInnen des abgewickelten sozialen Wohnungsbaus. Am 27. April wird ab 21 Uhr auf dem Boxhagener Platz in Friedrichshain eine Videokundgebung gegen die kapitalistische Verwertung am Arbeitsplatz und im Stadtteil organisiert.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2011%2F04%2F18%2Fa0122&cHash=18a9b45f43

PETER NOWAK

Bakuninhütte kann wieder genutzt werden

Die Bakuninhütte bei Meiningen darf wieder als Schutz- und Wanderhütte genutzt werden. Allerdings dürfen in dem in den 1920er Jahren errichteten Gebäude weder Essen noch Übernachtungen angeboten werden. Mit diesem Vergleich endete ein Streit über die Hüttennutzung am Oberverwaltungsgericht Thüringen zwischen dem Kreis der Wander- und Naturfreunde Meinigen e.V. und dem Landkreis Schmalkalden-Meiningen (ND vom 5.1.2011). Das Haus war für die libertäre Bewegung in der Endphase der Weimarer Republik ein wichtiger Treffpunkt.

Der Verein ist erfreut über den Ausgang des Verfahrens: »Dies ist die Grundlage, um das historische Gebäude der Bakuninhütte zu erhalten und für Wanderfreunde und -freundinnen wieder zugänglich zu machen«, erklärte ein Vorstandsmitglied gegenüber ND.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/195347.bewegungsmelder.html

www.bakuninhuette.de

Peter Nowak

Modernisierung ist nicht das Problem

Initiativen wollen sich gegen Mietsteigerungen wehren / Konferenz am Wochenende

Die Passionskirche am Marheinekeplatz in Kreuzberg war gut gefüllt. Aber nicht die Seelsorge, sondern die Angst vor Mieterhöhung und Vertreibung hatte die Menschen zu dem Diskussionsabend mobilisiert. Eingeladen hatten verschiedene Mieterbündnisse, die sich seit Monaten regelmäßig treffen und verschiedene Arbeitsgruppen gegründet haben. Eine Recherchegruppe erforscht die Besitzverhältnisse bestimmter Häuser. Eine Politik-AG bereitet einen Spaziergang im Chamissokiez vor.

»Nicht die Modernisierung ist das Problem, sondern die folgenden Mietsteigerungen«, betonte Mieteranwalt Heinz Paul. Die Chancen für eine erfolgreiche Gegenwehr seien ungleich höher, wenn sich die Bewohner eines betroffenen Hauses möglichst frühzeitig und zahlreich zusammenfinden und organisieren, betonte der Jurist. Schließlich wollen die meisten Eigentümer zeit- und kostenaufwendige Gerichtsprozesse vermeiden und bevorzugen außergerichtliche Einigungen.

In der Diskussion wurde der Politik Benachteiligung der Mieter vorgeworfen. So berichtete eine Mieterin, dass ihr Wohnhaus von einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gekauft worden sei. Diese Rechtsform ermögliche jedem Gesellschafter Kündigungen wegen Eigenbedarfs und trage so zur Aushebelung des Mieterschutzes bei. Die Wohnungspolitik des Senats wurde heftig kritisiert. So sei die Zweckentfremdungsverordnung aufgehoben, aber keine Rechtsverordnung für den Milieuschutz erlassen worden. Auch eine Verlängerung der Sperrfrist von Kündigungen nach der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen war eine Forderung aus dem Publikum.

Der Berliner Mieterverein, der Landesverband des Arbeitslosenverbandes e.V. und die »Kampagne gegen Zwangsumzüge nach Hartz IV« haben den Senat aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass die Jobcenter die Aufforderungen an Erwerbslose aussetzen, wegen zu hoher Mietkosten die Wohnung zu wechseln. Außerdem müsse der Senat unverzüglich regeln, welche Kosten der Unterkunft (KdU) angemessen sind.

Im vergangenen Jahr forderten die Berliner Jobcenter in 8770 Fällen Erwerbslose zur Senkung ihrer Mietkosten auf. In 3917 Fällen wurde eine Senkung der Kosten erreicht, in 428 Fällen durch einen Wohnungswechsel. In den übrigen Fällen mussten die Erwerbslosen durch Einsparungen an anderer Stelle oder durch Untervermietung die zusätzlichen Mietkosten aufbringen.

Die Mieterinitiativen wollen den Wahlkampf zum Abgeordnetenhaus nutzen, um für eine mieterfreundliche Politik zu werben. Dass dabei alle Parteien in der Kritik stehen, zeigte sich an Plakaten mit den gar nicht so freundlichen Konterfeis der Spitzenkandidaten. Der nächste Termin für die Protestkoordinierung steht schon fest. Am 16. April lädt die Berliner Mietergemeinschaft von 10.30 Uhr bis 18 Uhr unter dem Titel »Vorsicht Wohnungsnot« zu einer Konferenz ins DGB-Haus, Keithstraße 1/3.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/195416.modernisierung-ist-nicht-das-problem.html

Peter Nowak

Mieterinitiative gegen Zwangsumzüge

HARTZ IV Wohnpauschale für Erwerbslose ist zu niedrig, sagen Mieter- und Arbeitslosenvereine
Der Berliner Mieterverein und der Berliner Landesverband des Arbeitslosenverbandes e. V. fordern ein Ende der Zwangsumzüge von Hartz-IV-Beziehern. Der Senat müsse Sorge tragen, dass die Jobcenter die Aufforderungen an Erwerbslose aussetzen, wegen zu hoher Mietkosten die Wohnung zu wechseln. Außerdem müsse der Senat unverzüglich neu regeln, was als angemessene Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft (KdU) gelten kann. Die 2005 erlassene Verwaltungsvorschrift zur Wohnkostenübernahme sei wegen der gestiegenen Mieten in Berlin Makulatur und stehe im Widerspruch zu höchstrichterlichen Vorgaben. „Aber wir befürchten, dass SPD und Linke im Senat wegen Uneinigkeit die Frage einer Neuregelung bis nach den Abgeordnetenwahlen im Herbst hinauszögern will“, begründete der Geschäftsführer des Mietervereins Reiner Wild am Montag auf einer Pressekonferenz die Initiative.

„Eine weitere Verzögerung würde für Tausende von Bedarfsgemeinschaften trotz gestiegener Mieten und Heizkosten zu geringe Wohnkostenübernahmen bedeuten und hätte eine neue Klagewelle vor den Sozialgerichten zur Folge“, betont Wild. Unterstützt wird die Initiative von der „Berliner Kampagne gegen Zwangsumzüge nach Hartz IV“, die Erwerbslose berät, die zu Senkungen ihrer Miete aufgefordert werden. Kampagnen-Mitbegründerin Eva Willig erklärte, die Frage, ob Erwerbslose ihre Wohnung behalten können, sei für viele existenziell.

So forderten die Berliner Jobcenter 2009 in 8.770 Fällen Erwerbslose zur Senkung ihrer Mietkosten auf. In 3.917 Fällen wurde eine Senkung der Kosten erreicht, in 428 Fällen durch einen Wohnungswechsel. In den übrigen Fällen kommen die Erwerbslosen durch Einsparungen an anderer Stelle oder durch Untervermietung für die zusätzlichen Mietkosten auf.

Um die Koordinierung von MieterInnenprotesten wird es auch auf einer Konferenz gehen, zu der die Berliner Mietergemeinschaft am Samstag von 10.30 Uhr bis 18 Uhr ins DGB-Haus in die Keithstraße 1-3 einlädt

Mehr Infos: www.bmgev.de

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F04%2F12%2Fa0143&cHash=c028da55de

Peter Nowak

Bürger wehren sich gegen Verdrängung

Bei einem Straßenfest machen die MieterInnen zweier Häuser im Neuköllner Reuterkiez auf ihre Angst vor Verdrängung durch steigende Mieten aufmerksam. Auch Nachbarn berichten von Mieterhöhungen.

Aus einem Fenster des Hauses Weichselpatz 8/9 in Nordneukölln hängt ein Transparent: „Hier wehren sich Neuköllner MieterInnen.“ Gegenüber des Gebäudes haben sie am Sonntagnachmittag Info- und Essenstische aufgebaut. Etwa 100 Menschen kommen zum ersten Straßenfest gegen Verdrängung der Häuser Weichselplatz 8/9 und Fuldastraße 31/32.

Der Gebäudekomplex war im letzten Jahr von der neunköpfigen „Grundstücksgemeinschaft Weichselplatz“ gekauft worden, die die Häuser mit finanzieller Unterstützung der Kreditanstalt für Wiedeaufbau (KfW) nach ökologischen Gesichtspunkten modernisieren will. Viele MieterInnen befürchten nun, sich die Wohnungen danach nicht mehr leisten zu können.

Hartz-Aufstockerin Eva Möller* zahlt für ihre Wohnung bisher 470 Euro Miete im Monat. Nach der Modernisierung wären es 621 Euro. „Damit wäre ich über der Höchstgrenze, die das das Jobcenter übernimmt und müsste mir eine neue Wohnung suchten“, sagt Möller. Sie verweigerte die Unterschift unter der Modernisierungsvereinbarung und koordinierte sich mit ihren NachbarInnen.

Klaus Weins*, der ebenfalls am Weichselplatz 8/9 wohnt und dessen Miete nach der Modernisierung sogar bis zu 60 Prozent steigen könnte, ergänzt: „Seit acht Monaten treffen wir uns regelmäßig, haben uns bei einem Anwalt der Mietergemeinschaft informiert, machen uns gegenseitig Mut und besprechen unser gemeinsames Vorgehen.“

Andere Nachbarn erzählen auf dem Straßenfest von ähnlichen Problemen. „Ich wohne in der Weichselstraße 68. Auch dort versuchen wir uns gegen eine mit einer geplanten Modernisierung verbundene Mieterhöhung zu wehren“, sagt ein junger Mann. Die ersten Treffen seien auch positiv verlaufen. Allerdings seien einige MieterInnen mit geringen Einkommen aus Angst vor den Mieteröhungen inzwischen ausgezogen.

Wer sich wehren will, sollte allerdings erst einmal „keine Modernisierungsvereinbarung unterschreiben“, sagt Herrmann Wehrle von der Berliner MieterInnengemeinschaft. Mehr als die Hälfte der

MieterInnen des Weichselplatzes 8/9 und der Fuldaer Straße 31/32 folgten diesem Ratschlag. Als Totalabsage wollen sie das nicht verstanden wissen. „Wir können uns vorstellen, mit den EigentümerInnen ein sozialverträgliches Konzept für eine faire Modernisierung zu entwickeln“, so Weins. Allerdings müssten zuvor die Klagen zurückgenommen werden, die die EigentümerInnen auf Duldung der Modernisierung gegen drei MieterInnen gestellt haben.

In dieser Hinsicht zeigt sich Tim Lühning von der Grundstücksverwaltung zumindest gesprächsbereit. „Da es unser Wunsch ist, dass so viele MieterInnen wie möglich im Haus wohnen bleiben können, sind wir zu Kompromissen bereit. Allerdings müssen die in ihrer Gesamtheit für uns wirtschaftlich tragfähig sein“, erklärte er.

http://www.taz.de/1/berlin/artikel/1/buerger-wehren-sich-gegen-verdraengung/

Peter Nowak

Neuköllner Mischung bedroht

Am Weichselplatz formiert sich Mieterprotest gegen mögliche Verdrängung durch Sanierung

»Wir bleiben alle«. In verschiedenen Farben war die Parole auf schwarzen Stoff gemalt. Am 13. März flatterten die Fähnchen mit dem Motto an zahlreichen Fenstern der Häuser Weichselplatz 8/9 und Fuldastraße 31/32. Der Gebäudekomplex war im letzten Jahr von der Grundstücksgemeinschaft Weichselplatz gekauft werden. Sie besteht aus neun Personen, die es sich nach eigenem Bekunden zum Ziel gesetzt haben, die Häuser energiegerecht mit finanzieller Unterstützung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zu sanieren. Man wolle keinen Mieter verdrängen und die in den Häusern bestehende Neuköllner Mischung erhalten, erklärten die Neubesitzer den Mietern.

Doch manche wollen den beruhigenden Worten nicht mehr so recht trauen. Das liegt vor allem an den drohenden Mietsteigerungen nach Abschluss der Modernisierungsmaßnahmen. »Dann kann ich in dem Haus nicht mehr wohnen«, meinte Eva Möller (Name geändert) vom Weichselplatz 8. Bisher zahlt die Hartz-IV-Aufstockerin 470 Euro Miete, nach der Modernisierung wären es 621 Euro. Damit wäre sie aber beträchtlich über dem Mietzins, den das Jobcenter übernimmt. »Ich würde zur Senkung meiner Mietkosten aufgefordert, müsste also ausziehen«, meint Möller illusionslos.

Doch damit will sie sich nicht abfinden. Deswegen hat sie sich mit anderen Mietern zusammengesetzt. »Seit acht Monaten treffen wir uns regelmäßig, tauschen uns aus, informieren uns bei einem Anwalt der Mietergemeinschaft, machen uns gegenseitig Mut und besprechen unser gemeinsames Vorgehen«, meinte auch Klaus Weins (Name geändert). Die Angst vor der Verdrängung habe erst dazu geführt, dass sich die Hausbewohner besser kennengelernt haben, berichtet er. Zurzeit sei die Stimmung unter den Aktivisten überwiegend sehr gut. Das sei wegen der Unterschiedlichkeit der Bewohner nicht einfach gewesen.

In dem Haus wohnt die Studentin, die seit wenigen Jahren in einer Wohngemeinschaft in dem Haus lebt, neben der Rentnerin, die auf einige Jahrzehnte in dem Gebäude zurückblicken kann. Einige Mieter haben in den letzten Monaten auch gekündigt, weil sie sich dem Stress nicht gewachsen fühlten. »Schließlich bedeutet die Modernisierung, einige Monate auf einer Baustelle zu wohnen und hinterher noch mehr Miete zu zahlen«, so ein Bewohner.

Doch mehr als die Hälfte der Mieter hat die Modernisierungsvereinbarungen nicht unterschrieben. Beim angepeilten Baubeginn im November 2010 standen die Handwerker vor verschlossenen Türen. Mittlerweile haben die Eigentümer erste Klagen auf Duldung der Modernisierung an die Mieter verschickt. Die gerichtliche Entscheidung darüber steht noch aus.

Die aktiven Mieter wollen nicht klein beigeben. Am Sonntag sind sie erstmals mit Transparenten, Fahnen, Saft und Tee an die Öffentlichkeit gegangen. Mit einem Blog unter nk44.blogsport.de sind sie auch im Internet. Zuvor haben sie verschiedene Stadtteilinitiativen kontaktiert, die vor den gleichen Problemen stehen. Schließlich ist Nordneukölln ein bei Touristen, aber auch beim kulturinteressierten Mittelstand sehr beliebter Stadtteil, in dem die Mieten in den letzten Jahren im Berliner Vergleich besonders stark gestiegen sind.

Tim Lühning von der Grundstücksverwaltung Weichselplatz zeigte sich überrascht über die Mieterproteste. Es habe immer wieder Gespräche gegeben und man sei auch weiterhin zu Verhandlungen und außergerichtlichen Einigungen mit den Bewohnern des Hauses bereit.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/193070.neukoellner-mischung-bedroht.html

Peter Nowak

Liebig heißt jetzt Scharni

Die Scharnweberstraße 29 soll teilgeräumt werden – der Eigentümer begründet den Rausschmiss mit Vertragsverletzung. Bürgermeister Schulz unterstützt das Hausprojekt in Friedrichshain.

Knapp einen Monat nach der Räumung der Liebigstraße 14 droht in Friedrichshain erneut ein Polizeieinsatz zur Durchsetzung von Vermieterinteressen: Am 3. März soll das Erdgeschoss der Scharnweberstraße 29 geräumt werden. Dort hatte auch ein Schenkladen sein Domizil, in dem gebrauchte Dinge kostenlos abgegeben wurden. Im April öffnet der Laden in der Jessnerstraße 41 neu. „Obwohl wir uns einer gerichtlichen Entscheidung fügen, um unser Projekt am Leben zu halten, akzeptieren wir das Vorgehen des Eigentümers Gijora Padovicz nicht“, erklärt Silke Pflüger (Name geändert) vom Schenkladen. Padovicz hatte die Räume mit der Begründung gekündigt, dass in den abgeschlossenen Verträgen eine Nutzung zu Wohnzwecken vorgesehen sei. „Uns wurde von Padovicz damals ein Wohnmietvertrag aufgenötigt, obwohl wir in den Verhandlungen betonten, dass wir im Erdgeschoss Vereinsräume des Scharnweber e. V. einrichten wollen“, betont Pflüger.

Weil das Geld des Förderprogramms „Soziale Stadterneuerung“ nur für Wohnraumsanierung fließt, seien die Interessen der MieterInnen ignoriert worden. Vor Gericht bekam Padovicz mit seiner Klage Recht. „So dienen öffentliche Mittel dem Profitinteresse des Eigentümers. Ein soziales Projekt muss weichen“, resümiert Pflüger bitter.

Größere Chancen für die MieterInnen sieht ihr Rechtsanwalt Burkhard Dräger in einem anderen Konflikt. Am 7.Oktober 2010 ließ Padovicz die seitdem leerstehende erste Etage des Hauses räumen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Urteile des Landgerichts Berlin, die zur Räumung führten, aufgehoben und die Angelegenheit an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Anspruch der Mieter auf rechtliches Gehör sei erheblich verletzt worden, rügt der BGH die Richterin, die der Kündigung wegen einer um einen Tag zu spät gezahlten Miete sowie einer Mietminderung nach einem Heizungsausfall stattgegeben hatte.

Jetzt will Dräger juristisch durchsetzen, dass die ehemaligen MieterInnen die Wohnungen wieder beziehen können. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung scheiterte bisher, weil keine ladefähige Postadresse der Eigentümer vorlag. Dort wollte auf Nachfrage der taz die Vorwürfe niemand kommentieren.

Bei einem Treffen mit der Der Dreh:Mieterberatungsstelle Asum und Kreuzbergs Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) erhielten die MieterInnen Unterstützung. „Der Bezirk ist daran interessiert, dass der Verein im Gebäude sein Hausprojekt verwirklichen kann“, sagte Schulz der taz. Bei einem Gespräch mit dem Bürgermeister am vergangenen Dienstag lehnte Padovicz einen Räumungsaufschub ab. Trotzdem will Schulz die Moderationsversuche auch bei den anderen Konflikten fortsetzen. So beklagen die MieterInnen gegenüber der taz, dass ihnen jede Untervermietung untersagt sei und von ihnen vorgeschlagene NachmieterInnen abgelehnt werden. Auch der Asum-Geschäftsführer Werner Oehlert spricht sich für Verhandlungen zwischen den MieterInnen und dem Eigentümer aus. Schließlich habe der eine soziale Verpflichtung, wenn er die Häuser mit öffentlichen Geldern finanziere. Oehlert betonte allerdings, die Mittel des Bezirks seien begrenzt. Der habe bei Neuvermietungen ein Vorschlags-, kein Belegungsrecht.

Mittlerweile steht die Protestagenda. Am 3.März gibt es ab 10 Uhr vor der Scharni 29 eine Kundgebung gegen die Räumung. Auch am kommenden Samstag startet um 16 Uhr eine Demonstration vor dem Haus. Schon um 14 Uhr wird dagegen am Boxhagener Platz für eine Räumung demonstriert. Es geht um den seit Jahren bestehenden, bei Rechten beliebten Thor-Steinar-Laden „Tromsö“, gegen den die Friedrichshainer „Initiative gegen Rechts“ mobilisiert.

 http://www.taz.de/1/berlin/artikel/1/liebig-heisst-jetzt-scharni/

Peter Nowak

Die alten Parolen sind wieder angesagt

GENTRIFIZIERUNG Einst war der Kreuzberger Chamisso-Kiez ein Zentrum der Hausbesetzerszene. Heute fürchten dort viele Mieter die Verdrängung: Investoren haben die Gegend entdeckt und kaufen Immobilien auf

Der Kreuzberger Chamissokiez mit seinen Kopfsteinpflaster und den altmodischen Laternen macht auf viele BesucherInnen den Eindruck eines Freilichtmuseums zum Thema „Berlin vor 100 Jahren“. Dass die in der Endphase des Kaiserreichs gebauten Mietskasernen erhalten blieben, ist vor allem HausbesetzerInnen zu verdanken. Sie bewahrten Ende der 70er Jahre zahlreiche leerstehende Gebäude in der Gegend vor den Abriss. Später erhielten sie oftmals Mietverträge. Doch gut 30 Jahre nach der Besetzerhochphase müssen viele Bewohner wieder um ihre Wohnungen kämpfen. Und sogar die alten Lieder von damals erklingen wieder.

„Das ist unser Haus, ihr kriegt uns hier nicht raus“ – der ganze Saal singt den Refrain des Rauchhaussongs von Ton Steine Scherben mit. Die meisten Besucher des Stadtteilzentrums im Chamissokiez sind in der zweiten Lebenshälfte. Das passt, denn die Gruppe, die zu diesem Treffen vor einigen Tagen eingeladen hat, heißt „Jung bleiben – alt werden im Kiez“. Der Andrang ist groß, schon zehn Minuten vor Beginn sind alle Plätze belegt. Viele BewohnerInnen rund um den Chamissoplatz fürchten in der Tat, dass sie dort nicht mehr alt werden können.

In den vergangenen Jahren zeigten immer mehr Immobilienfirmen Interesse an den Gründerzeithäusern – und hoffen auf hohe Mieteinnahmen. Nach dem Kauf sollen die MieterInnen meist rasch zum Auszug bewegt werden, berichten Bewohner auf der Versammlung, die vor wenigen Tagen stattfand. „In der Arndtstraße 38 zum Beispiel stehen von neun Wohnungen vier leer“, sagt Jutta, die sich ironisch eine der letzten „Standhaften“ nennt. Eine Immobilienfirma aus Baden-Württemberg, die das Haus gekauft hat, habe ihr wegen verspäteter Zahlung der Kaution gekündigt. Im März werde darüber vor Gericht entschieden.

Auch die 27 Mieterparteien in der Katzbachstraße 17 sind nach einem Eigentümerwechsel verunsichert. Wegen eines Streits zwischen Alt- und Neueigentümern um die Ölrechnung fiel in diesem Winter schon zweimal die Heizung aus, erzählt ein Hausbewohner. Trotz der Größe des Hauses und der Unterschiedlichkeit der MieterInnen habe es mittlerweile erste gemeinsame Treffen gegeben, berichtet er. Man wolle sich organisieren.

Die BewohnerInnen der Willibald-Alexis-Straße 34 – das Hausprojekt WAX 34 – sind schon weiter. Nachdem ihr Haus im Herbst 2010 verkauft worden war, haben sie ihre Ziele formuliert. „Wir wollen das Haus dem Spekulationsmarkt entziehen und mit offenen Briefen an PolitikerInnen aller Parteien eine Debatte um bezahlbaren Wohnraum in Gang setzen“, erzählt Bewohner Michael. Im Kiez stößt er damit auf offene Ohren. „Wer hier länger lebt, spürt, dass der Kiez kippt“, berichtet eine ältere Frau. Ein Anzeichen dafür sieht sie auch in der wachsenden Zahl der Ferienwohnungen. Die würden nicht nur die Mieten in die Höhe treiben. Auch der Zusammenhalt in der Nachbarschaft gehe verloren, wenn die BewohnerInnen wöchentlich oder gar täglich wechseln, moniert sie.

Politiker aufrütteln

Beim Beklagen der Situation wollen es viele BewohnerInnen des Chamissokiezes nicht belassen. Eine Podiumsdiskussion mit PolitikerInnen aller Parteien wollen sie vorbereiten. Und beim Sammeln der Forderungen haben sie fachkundige Beratung: Der ehemalige Kreuzberger Baustadtrat der Alternativen Liste (AL), Werner Orlowsky, unterstützt die BewohnerInnen. Er betont, es gebe gesetzliche Möglichkeiten auf Bezirks- und mehr noch auf Senatsebene, um dem Häusermonopoly entgegenzuwirken. Die Wiedereinführung einer Fehlbelegungsablage gehöre ebenso dazu wie ein besserer MieterInnenschutz und die Neuauflage des sozialen Wohnungsbaus in Berlin.

Außerdem wollen MieterInnen im Kiez eine Demo unter dem bewährten Motto „Wir bleiben alle!“ vorbereiten. „Wenn alles nicht hilft, müssen wir wieder Häuser besetzen“, meinte ein etwa 50-jähriger Mann. Er erhält nicht nur umfassende Zustimmung auf der Versammlung, sondern auch die Adresse eines Hauses, das im guten Zustand ist – und schon lange leer steht.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F02%2F18%2Fa0145&cHash=d39db4b2af

Peter Nowak

Immobilienmonopoly im Chamisso-Kiez

Gegen Vertreibung aus dem Kiez regt sich Protest
 
In der Kreuzberger Willibald-Alexis-Straße fühlen sich die Mieter vom Eigentümer bedrängt.
»Kreuzberg – nur noch für Reiche?« Diese provokante Frage lockte viele Anwohner aus dem Chamissokiez im Stadtteil Kreuzberg am Dienstagabend zum Stadtteilgespräch in das Kulturzentrum Wasserturm. Die Sitzgelegenheiten reichten bei weitem nicht für alle Interessierten aus. Eine der Moderatorinnen des Abends fasste in ihrem Eingangsstatement in Worte, was viele der Anwesenden bewegt. »Werde ich mir in zehn Jahren in dem Kiez die Miete noch leisten können?« »Was wird aus den Plänen, auch im Alter in den beschaulichen Chamissokiez wohnen zu können, wenn dort immer mehr Mietwohnungen in Eigentums- und Ferienquartiere umgewandelt werden?«

Die Immobilienfirmen, die Interesse an den oft über 100 Jahre alten Gründerzeithäusern im Kiez zeigen, haben unterschiedliche Namen, doch ihre Methoden ähneln sich stark: In der Arndstraße 38 beispielsweise hat die AWL-Immobilien GmbH aus dem baden-württembergischen Baden-Baden das Haus vor einigen Jahren gekauft. Schon bald danach wurden ersten Kündigungen gegen Mieter ausgesprochen. Die waren zwar ungültig, trotzdem sind mittlerweile nur noch fünf Wohnungen vermietet. Das berichtete Hausbewohnerin Jutta, über deren Kündigung im März entschieden wird. Sie ist jedoch entschlossen, sich nicht vertreiben zu lassen.

Darin ist sich die Bewohnerin mit den Mietern der Willibald-Alexis-Straße 34 (WAX 34) einig. Diese haben extra einen eigenen Verein gegründet. In Briefen an Bezirkspolitiker von Friedrichshain-Kreuzberg und den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), formulierten die Bewohner ihr Ziel: »Wir wollen das Haus dem Spekulationsmarkt entziehen, gemeinsames Wohnen organisieren und darüber hinaus ökologisch und sozial sanieren und somit auch im Sinne der oben zitierten Milieuschutzsatzung ›kieznah‹ erhalten«.

Seit September 2010 gehört das Haus der Willibald Alexis Str. 34 GmbH und Co.KG. »Wir machen kein Geheimnis daraus, dass wir Geschäftsleute sind«, erklärt eine Sprecherin gegenüber ND und betont aber: »Wir haben nie einen Mieter vertrieben oder ohne Grund gekündigt.« Den Mietern der WAX 34 wirft sie vor, dass es ihnen nur darum gehe, »für wenig Miete in einem gefragten Kiez zu leben«.

Günstig zu wohnen wird jedoch nicht nur im Chamissokiez immer schwieriger, sondern auch im nahegelegenen Kreuzberger Gräfekiez, wie Martin Breger erzählt. Mit der dortigen Mietenentwicklung beschäftigt sich der Stadtteilaktivist seit Jahren. Selbst viele Einzimmerwohnungen in den Seitenflügeln und Hinterhäusern seien dort für Hartz-IV-Empfänger nicht mehr zu bezahlen, erläutert Breger. Mit konkreten Zahlen untermauert er seine These, dass das Immobilienmonopoly zunimmt. Während im Zeitraum zwischen 1996 und 2004 im Gräfekiez 90 Etagenwohnungen in Eigentum umgewandelt worden sind, waren es zwischen 2005 und 2010 schon über 150 Wohnungen.

Bei einer bloßen Bestandsaufnahme wollen es die Kiezbewohner indes nicht belassen. An einem Folgetreffen in der übernächsten Woche sollen Aktionen beschlossen werden. Eine Demonstration durch mehrere Kieze ist ebenso im Gespräch wie eine Diskussionsveranstaltung mit Politikern von verschiedenen Parteien. Einige Forderungen an die Politiker wurden am Dienstagabend schon zusammengetragen, darunter ein besserer Mieterschutz, die Wiedereinführung einer Fehlbelegungsabgabe und eine Renaissance des sozialen Wohnungsbaus.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/190710.immobilienmonopoly-im-chamisso-kiez.html

Peter Nowak

Briefe schreiben gegen die Verdrängung

GENTRIFIZIERUNG In Kreuzberg wollen die Mieter eines exbesetzten Hauses den Neueigentümern trotzen
Wer durch den Kreuzberger Chamisso-Kiez geht, findet kaum noch Spuren der Instandbesetzungen aus den frühen 80ern. Die Willibald-Alexis-Straße 34 („WAX 34“) ist eine Ausnahme. Die Tür ist unverschlossen, im Treppenhaus des Seitenflügels hängen politische Plakate, auf einer Tafel sind mit Kreide aktuelle Termine angeschrieben. Unterm Dach haben MieterInnen einen Wintergarten eingerichtet. „Schon im Frühjahr, wenn die Sonne scheint, ist das hier ein angenehmes Plätzchen“, schwärmt Bewohner Jörg Seifert* (Name geändert).

Wie lange sich Seifert daran noch erfreuen kann, ist offen. Seit dem Eigentümerwechsel im September ändert sich viel. Auf dem Schwarzen Brett wurde der Beginn von Baumaßnahmen für November 2011 angekündigt, im Hof ein Gerüst aufgestellt. „Eine von den Eigentümern beauftragte Moderatorin bietet Auszugswilligen Abfindungen an“, erzählt Mieter Wolfgang Steinke* (Name geändert).

Einige gingen darauf ein, die Mehrheit entschied sich anders: Sie schickten offene Briefe an die Medien, BezirkspolitikerInnen und den Regierenden Bürgermeister. „Wir in der Willibald-Alexis-Straße 34 wollen hier wohnen bleiben und nicht nur das. Wir wollen das Haus dem Spekulationsmarkt entziehen und gemeinsames Wohnen organisieren und darüber hinaus ökologisch und sozial sanieren und somit auch im Sinne der oben zitierten Milieuschutzsatzung ,kieznah‘ erhalten“, heißt es.

Der Sprecher der grünen BVV-Fraktion in Kreuzberg, Daniel Wesener, begrüßt das: Die Grünen setzten sich für die Verbesserung des MieterInnenschutzes ein. So soll die 2011 auslaufende Regelung, die MieterInnen bei Umwandlung ihrer Wohnungen in Eigentumswohnungen 7 Jahre vor Eigenbedarfskündigungen schützt, verlängert und die Frist auf 10 Jahre ausgeweitet werden.

Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) kritisiert, dass der Senat eine vom Baugesetzbuch vorgesehene Verordnung, die die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in Milieuschutzgebieten genehmigungspflichtig machen würde, noch immer nicht erlassen hat. Das wäre „ein wirkungsvolles Instrument zur Durchsetzung von MieterInneninteressen“. Die Willibald-Alexis-Straße 34 GmbH und Co.KG, eine Investorengruppe, die sich auf den Kauf von Altbauten spezialisiert hat, erklärt in einer Stellungnahme, MieterInnen würden von ihnen niemals ohne Grund gekündigt. Den BewohnerInnen der WAX 34 werfen sie „Profit durch Untervermietungen“ vor. Ihnen gehe es darum, „für wenig Miete in einem gefragten Kiez zu leben“.

Über die Zukunft des Hauses wird am heutigen Dienstag um 19.30 Uhr auf einer Stadtteilveranstaltung im Wasserturm geredet.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2011%2F02%2F08%2Fa0159&cHash=3743baeed0

PETER NOWAK

Unterstützer von Berliner Hausprojekt „besetzen“ Onlineshops

 

Mit der „Aktion 101 Websites defaced“ wollten sich Hacker mit dem am Mittwoch geräumten Hausprojekt Liebig 14 solidarisch erklären

Wer sich am Donnerstag beim Juweliershop Elze online über die Preise für Schmuck informieren wollte, dürfte sich gewundert haben. Auf der Website fand sich eine Erklärung zur Räumung des Berliner Hausprojekts Liebigstraße 14 am Mittwoch.

Der gleiche Text fand sich auch auf Online-Shops, die Hochzeitsdeko anbieten, auf den Seiten von Online-Sexshops oder bei Online-Autovermittlern. Sie gehören zu den 101 Webseiten, die Hacker in der Nacht zum 3. Februar virtuell besetzt und mit einer Solidaritätserklärung für das Hausprojekt versehen haben. In einer auf Indymedia veröffentlichten kurzen Erklärung der heißt es:

„Im Rahmen der Soli-Aktionen haben wir in dieser Nacht auf 101 Internetseiten einen Text platziert um auf die Räumung der Liebig 14 hinzuweisen und um klarzumachen das wir auf allen Ebenen kämpfen werden!“

 Schon im Vorfeld der Räumung hatten die Bewohner des Projekts und die Unterstützer angekündigt, dass 101 weitere Projekte entstehen werden, wenn das Haus geräumt wird. In der letzten Woche gab es aus dem Kreis der Unterstützer zahlreiche kurzfristige Besetzungen von leerstehenden Gebäuden in Berlin. Nach der Räumung kam es zu Protestaktionen in deutschen und europäischen Städten, selbst im peruanischen Iquitos.

Dass die Unterstützer des Hausprojekts auch zum Internetprotest griffen, war denn doch überraschend. Schließlich gehört das „Defacement“ von Webseiten, also das unautorisierte Veröffentlichen von Inhalten, bisher nicht zu den vorherrschenden Protestformen in Deutschland. Zuletzt wurde die Aktionsform bekannt, als Ende 2010 auf dem Jahreskongress des Chaos Computer Clubs in Berlin eine Reihe von Internetseiten gehackt wurden, unter anderem der Online-Shop der FDP. Dort wurde das Angebot so umgebaut, dass unter den zu kaufenden Produkten auch ein Heißluft-Handtrockner erschien, der angeblich eine Rede von Guido Westerwelle wiedergeben sollte.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/149199 
Peter Nowak

Mieterkampf oder Revival der Instandbesetzer?

Eine Häuserräumung in Berlin-Friedrichshain sorgt für Diskussionen

Am 2. Februar hatte man in dem Stadtteil Berlin-Friedrichshain den Eindruck, die Instandbesetzerbewegung der frühen 90er Jahre würde ein Revival erfahren. Mehrere Polizeihundertschaften räumten die Liebigstraße 14, in dem Haus hatten sich 9 Bewohner verbarrikadiert. Erst fünf Stunden, nachdem die Polizei sich auf dem Dach des Hauses präsentiert hatte, gelang es ihr die Menschen herauszutragen. Sie wurden unter dem Verdacht des Widerstands und schwerer Körperverletzung vorläufig festgenommen.

Die bevorstehende Räumung des Hauses hatte wochenlang für Schlagzeilen, zunächst in der Berliner, in den letzten Tagen auch in den überregionalen Medien wie der Faz gesorgt. Dabei fehlt selten der Hinweis auf die Instandbesetzerbewegung, die in Westberlin in den frühen 80er und in Ostberlin in den frühen 90er Jahren die Berliner Stadtpolitik wesentlich mitbestimmte. Doch diese Reminiszenzen stimmen für das am Mittwoch geräumte Haus nur bedingt. Es war in den 90er Jahren besetzt wurden, doch die Bewohner hatten schon wenige Jahre danach Mietverträge bekommen.

Erst einige Jahre später wurde es von dem Duo Suitbert Beulker und Edwin Thöne gekauft. Seitdem gab es Konflikte zwischen den Eigentümern und den Mietern. Ihr Ziel, diese loszuwerden, erreichten sie mit einer gerichtlich bestätigten Kündigung, weil ohne die Einwilligung der Eigentümer eine Zwischentür und ein Boiler eingebaut worden war. Der Stadtforscher Andrej machte darauf aufmerksam, dass solche Kündigungen gegen Mieter in Berlin heute längst nicht mehr selten sind. Der Wohnraum wird knapp, der soziale Wohnungsbau ist in der Stadt ganz zum Erliegen gekommen und die Mieten steigen, was Menschen mit geringen Einkommen unter Druck setzt.

„Doch nur selten leisten Menschen, die unter gekündigt wurden, Widerstand. Sie ziehen meist aus, bevor es zu einer Räumung kommt“, meinte das Mitglied einer Berliner Mieterorganisation gegenüber Telepolis. Kritisiert wird, dass nicht nur in den Medien, sondern auch in der Mobilisierung der Hausbewohner oft von Besetzern gesprochen und geschrieben wird. Dadurch bleibt oft unbeachtet, dass erst durch die gerichtlich bestätigten Kündigungen zwangsweise Mieter wieder zu Besetzern geworden sind. Die durch das Label Hausbesetzer erwünschte Solidarität dürfte trotzdem begrenzt sein. Auf eine Anfrage der Taz erklärten mehrere Westberliner Ex-Hausbesetzer, bei ihnen spiele die Liebigstraße keine Rolle. Manche hatten sogar noch nie von dem Haus gehört. 
 
http://www.heise.de/tp/blogs/8/149192

Peter Nowak