Streik als Privileg

Wirtschaft & Soziales: Gegen das geplante  Tarifeinheitsgesetz regt sich Widerstand

Die Erklärung »Linke Hauptamtliche in ver.di« erinnert an eine drastische Einschätzung des ehemaligen Vorsitzenden der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) Heinz Kluncker. Dieser sagte in den 1970er Jahren: »Wo ein Streik reglementiert  oder gar verboten ist, handelt es sich um reine Diktaturen.« Der Verweis in der ver.di-Erklärung kommt nicht von ungefähr, denn aktuell versucht die Bundesregierung das Streikrecht reglementieren. Besonders bitter: Der DGB-Vorstand und ein großer Teil seiner Einzelgewerkschaften stimmen dem von der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) in den Bundestag eingebrachten  Tarifeinheitsgesetz sogar zu. Danach soll ein Tarifvertrag nur dann Anwendung im Betrieb finden, wenn die vertragsschließende Gewerkschaft die Mehrheit der Mitglieder hat. Spartengewerkschaften, die nur in ein bestimmtes  Segment der Beschäftigten vertreten, wären nicht mehr tariffähig und hätten keine Verhandlungsmacht mehr. Sollte das Gesetz wie geplant im Sommer in Kraft treten, wären Gewerkschaften wie die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) die Hände gebunden. Die GDL hat bereits eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.  Der Arbeitskampf bei der GDL, der sich Anfang Mai mit einem fast einwöchigen Streik noch mal verschärft ist, steht bereits im Schatten der Tarifeinheit, bevor das Gesetz überhaupt in Kraft tritt. Die GDL will natürlich davor zu einer für sie vorteilhaften Einigung kommen. Der Bahn-Vorstand setzt hingegen auf eine Zermürbungstaktik und  will den Konflikt in die Länge ziehen, bis das Gesetz der GDL Grenzen setzt. Politik und Medien wiederum nutzen den Ausstand bei der Bahn, um  Stimmung für eine weitere Einschränkung des Streikrechts zu machen.

Unter dem Motto »Hände weg  vom Streikrecht« rief ein Bündnis linker Gewerkschafter_innen am 18. April zu einer bundesweiten Demonstration nach Frankfurt am Main auf. Die anarchosyndikalistische Basis-Gewerkschaft FAU brachte mit ihren schwarzroten Bannern Farbe in die Demonstration. Die Fahnen der Lockführergewerkschaft GDL waren indes weder so bunt noch so zahlreich vertreten. Dennoch wurden die Lokführer_innen in Frankfurt besonders freundlich begrüßt, schließlich hat die Gewerkschaft in den vergangenen Wochen gezeigt, dass es durchaus möglich ist einen Streik zu organisieren, der auch gesellschaftlich wahrgenommen wird. Viele Redner_innen bezogen sich auf die GDL und machten klar, dass das Bahnmanagement wohl auch deshalb im aktuellen Arbeitskampf auf Zeit zu spielen versucht, weil es nach der Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes mit der kämpferischen Gewerkschaft nicht mehr verhandeln müsste.

Trotz der kämpferischen Stimmung war die Demonstration zahlenmäßig enttäuschend. Dass lediglich 700 Kolleg_innen für die Verteidigung des Streikrechts demonstrierten, lag auch an den im DGB organisierten Einzelgewerkschaften. Keine der Gewerkschaften, die sich gegen das Tarifeinheitsgesetz positioniert haben, unterstützte die Demonstration. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unterstützt gemeinsam Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) eine von ver.di initiierte Unterschriftensammlung gegen das Gesetz. Obwohl sich die Dienstleistungsgewerkschaft seit Jahren klar gegen die Tarifeinheit ausspricht, ist diese Frage organisationsintern umstritten, wie  Erdogan Kaya von der linken Basisgruppe ver.di-aktiv auf  einer Berliner  Mobilisierungsveranstaltung für die Demonstration erklärte. So werde etwa die Tarifeinheitsinitiative von ver.di-Gewerkschafter_innen bei der Lufthansa unterstützt.

Dennoch stellen die Gegner_innen der Gesetzesinitiative bei ver.di die Mehrheit. Anders sieht dies in der IG Metall aus. Daher erhielt in Frankfurt das IG-Metall-Mitglied Christiaan Boissevain  aus München besonders viel Applaus, als er die Tarifeinheitsinitiative als »großen Angriff auf das Streikrecht im europäischen Rahmen« bezeichnete.

Tatsächlich wird das Streikrecht nicht nur durch das Tarifeinheitsgesetz angegriffen. Weitgehend unbemerkt von einer größeren Öffentlichkeit  versuchen die internationalen Kapitalverbände, in den Gremien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) das Streikrecht als Bestandteil der Koalitionsfreiheit im IAO-Übereinkommen 87 grundsätzlich in Frage zu stellen.  Die deutschen Unternehmerverbände sind darin aktiv beteiligt. »Hatte die Unternehmerlobby sich in den Vorjahren noch damit begnügt, gegen ein umfassendes und unbegrenztes Streikrecht zu agieren, stellt sie jetzt die Existenz eines internationalen Rechts auf Streik überhaupt in Frage«, kommentiert Jochen Gester in der März-Ausgabe der Sozialistischen Zeitung (SoZ) diesen Vorstoß. Die IAO-Richtlinien wirken sich auf die Rechtssprechung der Gericht auch in Deutschland auf.  Der DGB befürchtet  Verschlechterungen und hat eine Kampagne „Streikrecht im Übereinkommen 87 verteidigen“ gestartet (http://www.dgb.de/themen/++co++5051305e-b764-11e4-bdd7-52540023ef1a).

Mittlerweile sind in vielen europäischen Ländern Einschränkungen des Streikrechts bereits in Kraft oder in Vorbereitung.  So schreibt das italienische Streikrecht vor, dass Bahngewerkschaften Ausstände mindestens fünf Tage vorher ankündigen müssen. Zudem muss die Gewerkschaft eine »Grundversorgung« garantieren, während des Berufsverkehrs müssen Züge fahren. Solche Vorstellungen finden sich auch im Positionspapier »Für ein modernes Streikrecht – Koalitionsfreiheit sichern – Daseinsvorsorge sicherstellen« der CSU. Sollten diese Pläne realisiert werden, wäre das Streikrecht »nur noch formal vorhanden, aber in der Praxis ausgehebelt und unwirksam«, heißt es in einer Erklärung von ver.di Bayern. In Griechenland sorgt  die Austeritätspolitik der Troika nicht nur für eine massive Verarmung der Bevölkerung, sondern auch für eine Aushebelung von Tarif- und Gewerkschaftsrechten. In Spanien sind zahlreiche Gewerkschafter_innen  von langen Gefängnisstrafen bedroht, weil sie sich an Streikposten beteiligt hatten. Ausgangspunkt der dortigen Repression gegen Gewerkschafter_innen war der landesweite Streik im März 2012. Er wurde europaweit von linken Gruppen unterstützt. In Deutschland entstand in der Folge das M31-Netzwerk, das einen Aufruf zur Unterstützung eines europaweiten Generalstreiks verfasste. Es wäre an der Zeit, die Diskussion über die europaweite Verteidigung von Streik- und Gewerkschaftsrechten neu wieder weiter oben auf die Tagesordnung zu setzen.

aus:  ak 605 vom 19.5.2015

https://www.akweb.de/

Peter Nowak


Streikrecht ist ein Grundrecht

Der Streit um die gesetzliche Regelung der Tarifeinheit nimmt kein Ende / Im April soll demonstriert werden

»Wo ein Streik reglementiert oder gar verboten ist, handelt es sich um reine Diktaturen.« Diese drastische Einschätzung stammt von dem ehemaligen ÖTV-Vorsitzenden Heinz Kluncker aus den 70er Jahren. Daran erinnern »Linke Hauptamtliche in ver.di« in einer Erklärung nicht ohne Grund.

Aktuell will die Bundesregierung das Streikrecht reglementieren, und der DGB-Vorstand und ein großer Teil der Einzelgewerkschaften stimmen dem von der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am 5. März in den Bundestag eingebrachten Tarifeinheitsgesetz sogar zu.

Nach den Vorstellungen der Bundesregierung kann ein Tarifvertrag nur dann Anwendung im Betrieb finden, wenn die vertragsschließende Gewerkschaft die Mehrheit der Mitglieder hat. Spartengewerkschaften, die nur in ein bestimmtes Segment der Beschäftigten vertreten, wären dadurch im Nachteil. Denn, wenn sie nicht tarifvertragsfähig sind, sinkt auch ihre Verhandlungsmacht.

Unter dem Motto »Hände weg vom Streikrecht« ruft ein Bündnis linker GewerkschafterInnen für den 18. April zu einer bundesweiten Demonstration nach Frankfurt am Main auf. Die Initiative dazu hat eine Arbeitsgruppe ergriffen, die sich auf einer Aktionskonferenz am 24. Januar in Kassel gegründet hat. Zu den Unterstützern der Demonstration gehören neben der anarchosyndikalistischen Basisgewerkschaft Freie Arbeiterunion (FAU), die Lokführergewerkschaft GDL und verschiedene linksgewerkschaftliche Initiativen. Von den acht DGB-Mitgliedsgewerkschaften findet sich keine unter den UnterstützerInnen der Demonstration, die sich gegen das Tarifeinheitsgesetzt positioniert haben. »Wir haben über diese Demonstration keinerlei Informationen«, erklärte eine Mitarbeiterin der Pressestelle der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die sich von Anfang gegen das Tarifeinheitsgesetz stellte.

Die GEW unterstützt gemeinsam mit der NGG eine Unterschriftensammlung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gegen das Gesetz. Doch obwohl sich die Dienstleistungsgewerkschaft seit Jahren klar gegen die Tarifeinheit ausspricht, ist diese Frage organisationsintern nicht unumstritten, wie Erdogan Kaya von der linken Basisgruppe ver.di-aktiv auf der Berliner Mobilisierungsveranstaltung für die Demonstration in der letzten Woche erklärte. Er machte darauf aufmerksam, dass ver.di.-GewerkschafterInnen beispielsweise bei der Lufthansa das Tarifeinheitsgesetz unterstützen. Anders als bei ver.di sind in der IG Metall die Gegner der Initiative in der Minderheit.

Dazu gehört Günther Triebe vom Berliner IG Metall Ortsvorstand, der auf der Veranstaltung gesprochen hat. Der Basisgewerkschafter Willi Hajek erinnerte in seinen Abschlussbeitrag an eine Äußerung des damaligen DGB-Vorsitzenden Michael Sommer, der sich 2012 gegen den Generalstreik spanischer Gewerkschafter ausgesprochen und ihnen den Rat gegeben hat, dass in Krisensituationen Gewerkschafter und Arbeitgeber kooperieren sollen. Genau von diesem Geist der Sozialpartnerschaft sei auch das Tarifeinheitsgesetz geprägt. Hajek hat schon Pläne über die Demonstration hinaus. Wenn am 21. und 22. Mai das Tarifeinheitsgesetz in zweiter und dritter Lesung im Bundestag beraten und verabschiedet wird, soll auf einer Alternativveranstaltung darüber diskutiert werden, wie das Grundrecht auf Streik durchgesetzt werden kann.

Peter Nowak