Mit einen Mietwal gegen Miethaie

Vor einigen Monaten sorgte die Bizim-Bakkal-Bewegung im Kreuzberger Wrangelkiez für großes mediales Interesse. Nachdem bekannt geworden war, dass ein Gemüseladen in der Wrangelstraße 77 gekündigt wurde, mobilisierten NachbarInnen über Internet den Protest und gingen jeden Mittwoch auf die Straße (MieterEcho Online berichtete).  In den letzten Wochen war es um die Bizim-Bakkal-Bewegung still geworden. Doch am 11.11. meldete sie sich mit einem Lichterumzug zurück.
Ca. 400 MieterInnen trafen sich vor dem Gemüseladen, dessen Zukunft noch immer ungewiss ist. Die Wrangelstr. 77 GmbH hat zwar die Kündigung zurückgenommen, doch ein neuer Mietvertrag ist bis heute nicht unterschrieben.  Daher ist auch völlig unklar, welche Mieterhöhungen auf die LadeninhaberInnen zukommen könnten. In einer kurzen Rede wurde nicht nur ein langfristiger Mietvertrag für den Gemüseladen sondern von der Politik auch ein besserer Schutz des Kleingewerbes im Stadtteil gefordert.
Nur wenige Meter entfernt befindet sich die Wrangelstraße 66. Die  MieterInnen hatten Ende Juli, als die Bizim-Bewegung auf den Höhepunkt war, die Mitteilung erhalten, dass ihre Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollen und es bereits einen Kaufinteressanten, die  mit Sitz in Luxemburg, gebe. Die  MieterInnen wurden aufgefordert,  innerhalb von zwei Monaten mitzuteilen, ob sie ihr gesetzliches Vorverkaufsrecht ausüben wollten. Doch sie organisierten sich und wurden Teil der Bizim-Bewegung. BezirkspolitikerInnen  haben sich eingeschaltet und  angekündigt, dass im Milieuschutzgebiet die Umwandlung in Eigentumswohnungen nicht infrage komme. Doch die MieterInnen fordern nun konkrete Taten.  Der Bezirk solle von seinem Vorverkaufsrecht Gebrauch machen und das Haus einer öffentlichen  Trägerschaft übertragen, lautet die Forderung einer Mieterin. Das wäre ein Signal über die Wrangelstraße 66 hinaus, dass die Investorenpläne auch von der Bezirkspolitik behindert werden können.

Protestlieder statt Rede
Weiter ging es dann in die Manteuffelstraße 99.  Dort betreibt Hans Georg Lindenau seit mehr als zwei  Jahrzehnten seinen  „Gemischtladen mit Revolutionsbedarf“, den sich  der auf einen Rollstuhl angewiesene Ladenbesitzer nach seinen Bedürfnissen eingerichtet hat. Seit Jahren haben verschiedene InvestorInnen  das als Haus Profitquelle entdeckt.  Doch sie haben es schnell wieder verkauft, als sie mitbekamen, dass Lindenau und viele MieterInnen des Hauses ihrer drohende Vertreibung  nicht einfach hinnehmen wollten. Jetzt aber soll Lindenau zum Jahresende den Laden verlassen. Die Hausverwaltung IDEMA GmbH hat viele der ursprünglichen MieterInnen des Hauses gekündigt. Manche sind schon ausgezogen. Lindenau gab statt einer Rede einige Protestlieder zum Besten und machte deutlich, dass er den Laden nicht freiwillig räumen wird. Der Lichterumzug endete mit einem Konzert vor der  Zeughofstraße 20, das von einem Münchner Rechtsanwalt erworben wurde. Anfangs gab er sich bewusst  mieterInnenfreundlich und kündigte eine soziale Modernsierung an.  Daher waren die BewohnerInnen besonders empört, als sie im Dezember 2014 mit einer Modernisierungsankündigung  konfrontiert wurden,  nach der sich die Mieten mehr als verdreifachen sollen.  Schikanen setzten ein und zwischenzeitlich sei die Heizung abgestellt worden,  berichteten Bewohner/innen auf der Kundgebung. Auf der Route berichteten weitere MieterInnen aus der Nachbarschaft  von geplanten Luxusmodernisierungen. Sie wären zunächst unschlüssig gewesen, ob sie den Widerstand aufnehmen sollen. Doch  die Existenz der Bizim-Bewegung habe ihnen Mut   gemacht, berichtete eine Bewohnerin der Muskauer Straße.  Tatsächlich hat der Lichterumzug deutlich gemacht, dass es der Bizim-Bewegung um mehr als den Erhalt eines Gemüseladens geht. Ein Maskottchen hat sie bereits. An der Spitze des Zuges wurde ein beleuchteter Wal getragen. Der hat keine Angst vor dem Miethai, dem nehmen wir jetzt immer mit zu unseren Aktionen, erklärten die TrägerInnen das Symbol.
http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/laternenumzug-bizim.html
Peter Nowak

„Es geht um mehr um einen Gemüseladen“

„Je suis  Bizim Bakkal“, „Wir sind Gemüseladen“ oder einfach nur „Wir sind Bizim-Kiez“. Solche Sprüche waren am Mittwochabend rund um die Wrangelstraße 77 massenhaft zu sehen. Dort betreibt Ahmet Caliskan seit 28 Jahren. den Bizim Bakkal, was auf Deutsch “Unser Gemüseladen“ heißt. Viele der Anwohner/innen nehmen diese  Bezeichnung sehr Ernst. Das zeigte sich bei der ersten Nachbarschaftsversammlung am 10. Juni. Kurz vorher war bekannt geworden, dass die  Wrangelstraße 77 GmbH , die seit einigen Monaten Eigentümerin des Hauses ist, den Ladeninhaber zum 30. September 2015 gekündigt hat.  Das Haus hatte in der letzten Zeit viele Eigentümerwechsel und wurde vor einigen Monaten von der Immobilienfirma Wrangelstraße 77  GmbH erworben.  Vertriebspartner ist die Gekko Real  Estate GmbH, die  kaufkräftige Interessenten mit dem Werbespruch wirbt: «Suchen Sie eine passende Immobilie oder ein kreatives Projekt für Ihre Investition? Sie haben sehr individuelle Vorstellungen? Dann sprechen Sie mit uns gezielt über Ihr Vorhaben.»

„Ich habe mit anderen Anwohnern  Einladungen für eine  Nachbarschaftsversammlung verbreitet, nachdem  ich von der Kündigung erfahren hatte. Wir      haben mit ca. 25 Menschen gerechnet, gekommen sind aber 125“, erklärt Nachbar Martin Steinbach gegenüber dem MieterEcho.  Auch viele junge Menschen seien gekommen, die konkrete  Aktionsvorschläge beigesteuert hätten. Sofort wurden Flyer und Plakate gestaltet und eine Homepage erstellt.  So hat sich  Protest gegen die Kündigung des Ladens schnell  auf der Straße und im Internet verbreitet. Am 17.Juni beteiligten sich  mehrere Hundert Menschen an der Kundgebung. “Wir müssen noch viel mehr werden“, rief eine Rednerin und bekam viel Applaus. Doch auch eine SPD-Politikerin wurde  mit Applaus bedacht, als sie sich vor dem Offenen Mikrofon für den Erhalt des Gemüseladens einsetzte. Da wollte niemand die Harmonie stören und daran erinnern, dass die Politik der SPD in Bund und Ländern Immobilienfirmen wie der Gekko Real Estate GmbH den roten Teppich ausgelegt hat. Viele, der am Protest Beteiligten, ist der Stolz in der Stimme anzuhören,  dass schon nach der kurzen Protestzeit  in- und ausländischen Medien über den Kampf in der Wrangelstrasse berichten.

Mit dem Laden werden die Kunden vertrieben

Wenn die Bildzeitung ihren Bericht mit der Schlagzeile „Rührender Protest in Berlin – Hier kämpft ein ganzer Kiez für einen Gemüseladen“ aufmacht,  wird deutlich,  wie die Proteste entpolitisiert werden sollen. Für Mieterin Gabriele  Stangenberg hat der drohende Rauswurf des Bizim Bakkal das Fass zum Überlaufen gebracht. „Im  Wrangel-Kiez sind viele kleine Gewerbetreibende ebenfalls vom Rauswurf betroffen, weil sie die hohen Mieten nicht zahlen können“, berichtet sie gegenüber MieterEcho. Viele von ihnen seien vor Jahren mit öffentlichen Geldern gefördert worden, damit sie aus der Erwerbslosigkeit kommen. Nun stehen sie vor dem  Aus. Stangenberg spricht von einem Investorentsunami, der über den Stadtteil zieht.  „Nicht nur die  Läden,  auch den Kunden, die oft nur wenig Einkommen haben, droht die Vertreibung. Dagegen wehren wir uns“, erklärt eine andere Nachbarin.  Schließlich ist in der  Öffentlichkeit weniger bekannt, dass in der  Wrangelstraße 77 außer dem Gemüseladen auch die dort lebenden MieterInnen verschwinden sollen. Der neue Eigentümer bietet Umzugsprämien bis zu 28000 Euro an. Ein Mieter erhielt das Angebot, eine Wohnung von knapp 100 Quadratmeter für vierhundertdreißigtausend Euro zu kaufen.  Zwei Mietparteien überlegen mittlerweile, sich gegen die Kündigungen zu wehren, berichtet  Martin Steinbach.  Viele aber seien auch eingeschüchtert und noch unsicher, wie sie auf den drohenden Rausschmiss reagieren sollen. Die aktuellen Proteste könnten eine Unterstützung für sie sein. Das zeigte sich am vergangenen Mittwoch, als in der Oppelner Straße in unmittelbarer Nähe des Gemüseladens eine Zwangsräumung verhindert wurde. Ca. 50 Menschen blockierten den Zugang zum Haus, so dass die Gerichtsvollzieherin  den Rückzug antreten musste. Das Amtsgericht Kreuzberg lehnte  einen Räumungsschutz ab, den die Mieterin per Eilantrag durchsetzen wollte, obwohl ihr ein amtsärztliches  Attest bescheinigt, aus gesundheitlichen Gründen nicht umzugsfähig zu sein.  In zwei Wochen soll es einen  weiteren Räumungsversuch geben. Dann wird sich zeigen, ob die sich auch einige der NachbarInnen beteiligen, die  durch die Solidarität mit Bizim Bakkal politisiert wurden.

MieterEcho online 19.06.201

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/bizim-bakkal.html

Peter Nowak

«Wir sind Gemüseladen»

In Kreuzberg soll der Lebensmittelladen Bizim Bakkal teuren Investorenwünschen weichen

Seit 28 Jahren betreibt Ahmet Caliskan seinen Gemüseladen in der Kreuzberger Wrangelstraße 77. Jetzt will ihn der Investor bis Ende September rausschmeißen.

«Je suis Bizim Bakkal», «Wir sind Gemüseladen» oder einfach nur «Wir sind Bizim-Kiez». Solche Sprüche sind in den letzten Tagen rund um die Wrangelstraße in Kreuzberg auf Flyern, Plakaten und Transparenten zu lesen. Seit bekannt wurde, dass der Gemüseladen Bizim Bakkal in der Wrangelstraße 77 zum 30. September 2015 gekündigt wurde, probt die Nachbarschaft den Widerstand.

Das Haus hatte in der letzten Zeit viele Eigentümerwechsel und wurde vor einigen Monaten von der Immobilienfirma Wrangelstraße 77  GmbH erworben.  Vertriebsparnter ist die Gekko Real  Estate GmbH, die  kaufkräftige Interessenten mit dem Werbespruch wirbt: «Suchen Sie eine passende Immobilie oder ein kreatives Projekt für Ihre Investition? Sie haben sehr individuelle Vorstellungen? Dann sprechen Sie mit uns gezielt über Ihr Vorhaben.»

Viele Nachbarn kennen solche Sprüche und haben ganz oft erfahren, dass wenige Jahre später kein Platz mehr für Menschen mit geringen Einkommen war. Deshalb haben sie mit eigenen kreativen Ideen erste Protestaktionen für den Laden geplant. Martin Steinbach war über die Resonanz selber erstaunt. Er wohnt in unmittelbarer Nachbarschaft und ist seit fast 25 Jahren Kunde bei Bizim Bakkal. «Ich habe mit anderen Nachbarn die ersten Einladungen für eine Nachbarschaftsversammlung verbreitet. Wir haben mit ca. 25 Menschen gerechnet, gekommen sind aber 125 Nachbarn», sagt Steinbach. Vor allem seien darunter viele junge Menschen gewesen, die gleich mit konkreten Aktionsvorschlägen gekommen sind. So wurden Flyer und Plakate gestaltet und eine Homepage erstellt. Damit ist der Protest gegen die Kündigung des Ladens auf der Straße und im Internet angekommen. «Der Protest zum Widerstand kam aus der Nachbarschaft und nicht von außen», betont auch eine andere Nachbarin, die sich für den Erhalt des Ladens engagiert. «Die Menschen haben in den letzten Jahren mitbekommen, wie sich der Stadtteil immer mehr verändert hat. Sie haben sicher auch erlebt, wie sich Stadtteil- und Mieterinitiativen dieser Entwicklung entgegen zu stellen versuchen. »Dass nun auch Bizim Bakkal verschwinden soll, hat für viele das Fass zum Überlaufen gebracht«, sagt sie.

Ahmet Caliskan betreibt seinen Gemüseladen seit 28 Jahren. Erst im letzten Jahren hat er viel Geld in die Renovierung gesteckt. Sollte der Laden verschwinden, würden nur noch Discounterläden in dem Stadtteil übrig bleiben. Doch der Protest sei keine Sehnsucht nach dem Tante-Emma-Laden, betont eine Unterstützerin. »Mit dem Laden werden auch die Kunden mit geringem Einkommen verschwinden. Dagegen wehren wir uns«, erklärt sie. Neben Caliskan sollen aus der der Wrangelstraße 77 auch die anderen Mieter des Hauses verschwinden. Der neue Eigentümer soll Umzugsprämien von bis zu 28 000 Euro anbieten. Einem Mieter wurde das Angebot unterbreitet, seine Wohnung von knapp über 100 Quadratmetern für vierhundertdreißigtausend Euro zu verkaufen. Zwei Mieter hätten sich schon an die Initiative gewandt und überlegen, wie sich gegen die Kündigungen wehren, berichtet Steinbach. Für den 17. Juni lädt die Nachbarschaftsinitiative ab 19 Uhr erneut zum Nachbarschaftstreffen mit Picknick in die Wrangelstraße ein. Während die erste Versammlung noch spontan war, drängte die Polizei dieses Mal auf eine Anmeldung und erließ Auflagen. »Nicht mehr spontan, dafür um so zahlreicher«, lautet das Motto der Initiative. Tatsächlich haben sich viele Aktivisten aus Kreuzberg und anderen Berliner Stadtteilen angesagt. Das Medienecho hat inzwischen auch dazu beigetragen, dass der anfangs kleine Aufstand gegen die Vertreibung eines Ladens so großen Zulauf bekam.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/974667.wir-sind-gemueseladen.html

Peter Nowak