Nicht nur in Ellwangen setzt Seehofer um, was die AfD fordert

Die größere Gefahr für Flüchtlinge und Anhänger einer solidarischen Gesellschaft kommt heute nicht von der AfD, sondern vom Bundesinnenministerium. Ein Kommentar

Es braucht gar keine AfD in der Regierung, AfD-Politik kann auch Hort Seehofer. Das hat er am vergangenen Donnerstag bewiesen, als er mit einem großen Polizeiaufgebot in die Landeserstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen in Baden-Württemberg einrücken ließ. Mehrere Flüchtlinge wurden festgenommen.

In Abschiebehaft sitzt auch ein Mann aus Togo, der bereits vor einigen Tagen nach Italien abgeschoben werden sollte, das nach dem Dublin-Regeln für ihn zuständig ist. Weil in Italien viele Flüchtlinge mit einer geringen sozialen Unterstützung überleben müssen, wollen viele von ihnen das Land schnell verlassen.
Die Flüchtlinge haben mit ihren Protesten die Abschiebung zunächst verhindert. Sofort wurde in den Medien behauptet, die Flüchtlinge hätten sich gewaltsam gegen die Abschiebung gewehrt. Doch wenn man die Pressemeldung der Polizei Ellwangen[1] zu dem Vorfall genau liest, ist das Geschehen, was die tatsächliche ausgeübte Gewalt betrifft, schon viel undramatischer.

Die als extrem aggressiv und gewaltbereit empfundene Konfrontation führte dazu, dass die Polizei die bereits im polizeilichen Gewahrsam befindliche Person wieder freilassen musste, auch um eine andernfalls befürchtete massive Eskalation der Situation zu vermeiden. Durch Schlagen mit den Fäusten auf die zwei Streifenwagen war zu diesem Zeitpunkt bereits ein Dienstfahrzeug beschädigt worden.

Polizeipräsidium Aalen Öffentlichkeitsarbeit[2]

Die Fakenews von den bewaffneten Flüchtlingen

Von Gewalt gegenüber Polizisten ist hier also nicht die Rede, auf Nachfrage der Taz[3] konnte die Polizei den Schaden an den Wagen durch das aggressive Klopfen nicht beziffern und sprach allgemein von einer „Delle“. Auch die Waffen, die die Geflüchteten angeblich besessen haben sollen, wurden bei der Durchsuchung nicht gefunden.

Dabei hatte selbst der CDU-Innenminister aus Baden-Württemberg die Fake-News von den Flüchtlingen, die eine weitere Abschiebung mit Waffengewalt verhindern wollen, verbreitet, was dann auch von verschiedenen Medien kolportiert wurde.

So setzt wieder einmal die sogenannte Mitte die Stichworte in die Welt, die die AfD und Co. dann nur aufgreifen und radikalisieren müssen. In Ellwangen hat diese Arbeitsteilung zwischen den Parteien der Mitte und der AfD gut geklappt. Der grüne Ministerpräsident Kretschmann hat der Polizei für ihren Einsatz gedankt.

Seehofer wandte sich ausdrücklich an den rechtstreuen Bürger, für den es ein Schlag ins Gesicht ist, wenn sich Geflüchtete gegen ihre Abschiebung wehren. Damit richtet sich der Polizeieinsatz in Ellwangen gegen Geflüchtete, die sich selber organisieren und damit auch Abschiebungen behindern, aber auch gegen die antirassistischen Initiativen und zivilgesellschaftliche Bleiberechtsinitiativen, die den Widerstand gegen Abschiebungen unterstützen.

Für sie bedeutet die Razzia in Ellwangen ein Schlag ins Gesicht, weil sie für eine solidarische Gesellschaft kämpfen und Menschenrechte nicht vom richtigen Pass abhängig machen.

Der angebliche BAMF-Skandal von Bremen

Ein Schlag ins Gesicht ist auch die Kampagne über einen angeblichen BAMF-Skandal in Bremen[4]. Er richtet sich gegen die Leiterin der BAMF-Außenstelle sowie weitere Mitarbeiter, darunter einen Dolmetscher.

Sie hätten vor allem jesidischen Flüchtlinge unrechtmäßig Bleibemöglichkeiten verschafft, so der Vorwurf. Anfangs wurde noch kolportiert, dass dabei Geld geflossen, inzwischen ist klar, hier waren Amtsmitarbeiter zu humanitär für die deutschen Asylbehörden. Fast alle Medien und Politiker jeglicher Couleur echauffierten sich über die BAMF-Leitung. Nur wenige nahmen die Vorwürfe kritisch unter die Lupe. Dazu gehört Uwe Kalbe im Neuen Deutschland[5]:

Widerspruch gegen vorschnelle und pauschale Urteile im Fall des Bremer „Skandals“ wird im allgemeinen Sturm der Entrüstung eher vereinzelt, aber von fachlicher Seite laut. Anwälte entgegnen beispielsweise auf den Vorwurf, die Außenstelle Bremen habe „Verfahren aus anderen Bundesländern an sich gerissen“, dies sei zu jener Zeit im BAMF geradezu Usus und erwünscht gewesen. Wegen der Überlastungen hätten Außenstellen andere unterstützt, indem sie deren Akten übernahmen. Auch eine angeblich in Bremen versäumte erkennungsdienstliche Behandlung wurde in jenen Jahren in der Regel nicht oder verspätet vorgenommen.

Uwe Kalbe, Neues Deutschland

Tatsächlich dient der angebliche BAMF-Skandal dem Bundesinnenministerium zur Durchsetzung einer harten Linie in der Asylpolitik. An den BAMF-Mitarbeitern wird beispielhaft vorgeführt, was passiert, wenn eine Behörde zu humanitär ist. Ein Schlag ins Gesicht ist die Kampagne auch gegen die Jesiden, die durch die Behörde Papiere bekommen haben. Nun sollen ihre Fälle erneut geprüft werden und am Ende droht die Aberkennung ihres Schutzstatus. Den könnten sie verlieren, obwohl sie ihn korrekt bekommen haben:

Am meisten schadet der Vorgang den Interessen der Flüchtlinge selbst. Die betroffenen Jesiden dürften jetzt um den Bestand ihres Schutzstatus zittern. Denn während syrische Jesiden weiter von Verfolgung bedroht seien, gelte das für die in Irak nicht mehr, heißt es. Die Anerkennungspraxis wurde demnach in den letzten Jahren verschärft. Es kann also sein, dass die Bremer Asylentscheidungen in der Sache durchaus gerechtfertigt waren, ihre neuerliche Überprüfung nun aber zu einem schlechteren Schutzstatus für die Betroffenen führt.

Uwe Kalbe, Neues Deutschland

Das Bundesinnenministerium führt eine Kampagne gegen humanitäre BAMF-Mitarbeiter und die Jesiden. Das ist der wahre BAMF-Skandal.

Wie Law and Order tötet

Dass in der Flüchtlingspolitik das Bundesinnenministerium die größere Gefahr als die AfD ist, zeigt sich jetzt deutlich. Diese Politik kann tödliche Folgen haben, wie sich in Fulda zeigte. Mitte April 2018 wollte afghanischer Flüchtling im hessischen Fulda frühmorgens Brötchen kaufen und wurde nicht bedient. Er wurde darauf hin laut und warf auch einige Steine gegen die Schaufenster der Bäckerei. Als die Polizei eintraf hatte er sich schon beruhigt.

Trotzdem schoss die Polizei 12 Mal auf den unbewaffneten Mann, der in Hausschuhen zur Bäckerei gegangen ist. In den USA wäre es ein Fall für Black Live Matter. In Fulda hingegen scharte sich eine breite Front um die Polizei. Es sei für eingesetzte Beamte in solch einem Fall nicht immer möglich, nur Arme oder Beine zu treffen. Schließlich bewege sich die Person auch, erklärte[6] der Sprecher des Hessischen Landeskriminalamtes (LKA) Christoph Schulte[7].

Auch die Fuldaer CDU mit ihrem Oberbürgermeister an der Spitze warnte vor Vorverurteilungen der Polizei. Verurteilt hingegen wurden afghanische Flüchtlinge, die nach dem Tod ihres Mitbewohners auf der Straße protestierten[8]. Der Vorsitzende des Fuldaer Ausländerbeirats[9], Demir Abdulkerim Demir[10] forderte eine juristische Aufarbeitung des Falls und warnte vor den Folgen, falls diese unterbleibe.

„Wenn dieser Fall nicht aufgeklärt wird, dann wird die Polizei das nächste Mal den nächsten Mann erschießen“, so seine Voraussage. Die AfD hatte daran wohl wenig auszusetzen. Sie instrumentalisierte: „Merkels Ausländerpolitik endet tödlich – auch in Fulda“[11], heißt es in einer Solidaritäts-Erklärung.

Kürzlich hat die Partei eine Solidaritätskundgebung mit der Polizei organisiert. „Auch sei den Polizisten für ihre Entschlossenheit zu danken. Diese Entschlossenheit sollte als Signal dafür verstanden werden, dass bei uns nicht jeder machen kann, was er will“, schreibt die AFD und das kann durchaus als Drohung nicht nur für Geflüchtete verstanden werden.

Andere rechte Seiten fordern[12] sogar das Bundesverdienstkreuz für den Todesschützen. Mindestens bis zu den bayerischen Landtagswahlen dürften wir erleben, dass die Union die Forderungen der AFD umsetzt und die dann noch nachlegt und sich weiter radikalisiert.

Peter Nowak

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[3] http://www.taz.de/!5500584/
[4] https://www.nwzonline.de/bremen/bremen-berlin-nach-bamf-skandal-in-bremen-tausende-asyl-entscheidungen-werden-ueberprueft_a_50,1,1907190501.html
[5] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1086844.fluechtlingspolitik-der-bundesregierung-jesiden-muessen-wieder-zittern.html
[6] https://www.abendblatt.de/vermischtes/article214033303/Toedliche-Schuesse-vor-Baeckerei-Kritik-am-Polizeieinsatz.html
[7] https://www.polizei.hessen.de/Dienststellen/Hessisches-Landeskriminalamt/broker.jsp?uMen=15e70ee1-825a-f6f8-6373-a91bbcb63046&uCon=f820ecc1-f7fb-9f33-62d6-1611142c388e&uTem=bff71055-bb1d-50f1-2860-72700266cb59
[8] https://www.hessenschau.de/gesellschaft/fluechtlinge-demonstrieren-gegen-toedliche-polizeischuesse,fluechtlinge-fulda-100.html
[9] https://www.fulda.de/rathaus-politik/stadtpolitik/sonstige-gremien/auslaenderbeirat/
[10] https://osthessen-news.de/n11586809/politische-reaktionen-auf-toedlichen-polizeieinsatz-demir-soll-sich-entschuldigen.html
[11] https://fd.afd-hessen.org/merkels-politik-fordert-ihre-opfer-auch-in-fulda/
[12] https://nixgut.wordpress.com/tag/abdulkerim-demir