Fotografischer Blick auf die Krise

Ausstellung »The Bitter Years« über in Armut geratene Menschen im luxemburgischen Düdelingen
Bittere Jahre erlebt nicht nur Europa in seiner jetzigen Krise. Fotografien von Menschen in den USA während der großen Depression verdeutlichen die Gefahr sozialer Leiden.

»Ich sehe ein Drittel der Nation, in schlechten Wohnungen, schlecht gekleidet, schlecht ernährt«, erklärte der damalige US-Präsident Franklin Delano Roosevelt am 20. März 1937 in einer Rede über die soziale Situation in den USA. Die langanhaltende Wirtschaftskrise hatte Millionen Menschen in die Armut getrieben. Davon kann man sich jetzt ein Bild machen. In einem umgebauten Wasserturm hinter dem Kulturzentrum am Rande des luxemburgischen Städtchens Dudelange kann die beeindruckende Fotoausstellung „The bitter Years“ besichtigt werden. Mehr als zwölf Fotografen haben im Auftrag der Farm Security Administration (FSA) zwischen 1935 und 1944 in allen Teilen der USA die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Menschen festgehalten. Die Ausstellung, die kürzlich vom Museum of Modern Art in New York nach Luxemburg umgezogen ist, zählt zu den Pionierarbeiten der sozialkritischen Fotographie. Der Ort wurde gewählt, weil Luxemburg die Heimat des langjährigen Leiters der fotografischen Abteilung MoMA ist.
Auch heute noch verschaffen die Fotos dem Betrachter einen Eindruck von den Entbehrungen, die die Krise für Millionen Menschen mit sich brachte. Oft hat man den Eindruck, es seien Szenen aus der sogenannten dritten Welt. Ben Shahn hat Kinder in Arkansas fotografiert, deren Körper Hungerödeme zeigen. Rusell Lee zeigt das Gesicht eines blonden Mädchens, das aus einem schmutzigen zerfledderten Zelt blickt, das ihre Wohnung ist. Wie Millionen Menschen musste die Familie ihre Wohnungen in Zeiten der Krise räumen. Auf mehreren Fotos sind die Trecks zu sehen, in denen die Obdachlosen in die Zeltstädte ziehen, die damals am Rande der Städte entstanden sind. Sie zogen an Plakatwänden vorbei, die eine Mittelstandfamilie in einem Auto zeigt und für den American of Life als den höchsten Lebensstandard auf Welt preist.
Die Fotografen machten die Realität einer Klassengesellschaft und den alltäglichen Rassismus in den USA bekannt. Wenn die Arbeiten heute erstmals in Europa gezeigt werden, ist es durchaus auch ein Blick in die Gegenwart. Wer heute die Krisenfolgen und die Verarmung in Ländern der europäischen Peripherie wahrnimmt, kann durchaus Parallelen finden zu den Szenen der Fotos. Selbst in Luxemburg, das eher zu den Gewinnern in der aktuellen europäischen Krise gehört, sind die Zeichen sozialer Auseinandersetzungen nicht zu übersehen. Eine kürzlich im luxemburgischen Parlament beschlossene Rentenreform hat zu heftigen Protesten von Gewerkschaften und linken Parteien geführt. Die Armut der einfachen Bevölkerung ist indes in den Krisenländern Europas zu sehen. Zwangsräumungen wurden in Spanien nach mehreren Suiziden zwar ausgesetzt. In Griechenland aer geraten immer mehr Menschen in die Obdachlosigkeit.
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Peter Nowak
Hinweise zu geführten Touren durch die Ausstellung unter: www.steichencollections.lu