»Ein Streik steht, wenn man ihn selber macht«

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung wirft einen genauen Blick auf neue Formen des Arbeitskampfes.

Kaum organisierte Arbeiter streiken plötzlich, innovative Arbeitskämpfe auch in Branchen mit überwiegend prekär Beschäftigten – zwei Publikationen stellen die neuen Entwicklungen vor.

»Jede Zeit, jede konkrete gesellschaftliche Konstellation entwickelt ihre eigene Artikulation von Gegenwehr und ihre eigenen Streikformen. Ein genauer Blick auf Streiks in Deutschland zeigt interessante Trends und Entwicklungen«, schreibt Fanny Zeise, Referentin für Arbeit, Produktion und Gewerkschaften bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, im Vorwort zu »Erneuerung durch Streik«. Beschäftigte, die vorher kaum organisiert waren, beginnen zu streiken. Gewerkschaftsaktive entwickelten neue Formen der Gegenwehr, auch in den Bereichen mit hohem Anteil prekärer Beschäftigung. Diese neuen Entwicklungen haben das Potenzial, die Gewerkschaften zu erneuern.

Unter dem Titel »Erneuerung durch Streik« hatte die Stiftung im vergangenen Jahr bereits eine Konferenz veranstaltet, die auf großes Interesse stieß. Im Oktober soll eine Nachfolgekonferenz in Hannover erneut Hunderte Gewerkschaftsaktive und Wissenschaftler zu einem Erfahrungsaustausch zusammen bringen.

Die Broschüre löst den versprochenen »genauen Blick« ein: Tiefgründig werden auf den 40 Seiten fünf Arbeitskämpfe analysiert, die in den letzten Jahren in Deutschland für Aufmerksamkeit sorgten. Mehr als neun Monate streikten die Beschäftigten des Verpackungsherstellers Neupack. Trotz der engagierten Kollegen und Solidarität von linken Gruppen konnte das eigentliche Ziel, ein Tarifvertrag, nicht erreicht werden. Lediglich eine Betriebsvereinbarung war das Ergebnis. Immerhin wurden Tätigkeitsbeschreibungen für die Belegschaft durchgesetzt.

Erfolgreicher war der Streik beim Öffentlichen Personennahverkehr 2011 in Baden Württemberg. Ein großer Teil der gewerkschaftlichen Forderungen konnte durchgesetzt werden. Bei der Mitgliederentwicklung gehört der Fachbereich Verkehr von ver.di Baden Württemberg seit dem Streik zur Spitze. »Die beste Mitgliederwerbung ist eine aktive und kämpferische Tarifpolitik«, lautet das Fazit von Wolfgang Hoepfner. Auch der 126-tägige Ausstand beim Callcenter S-Direkt in Halle endete mit einem Erfolg. Rabea Hoffmann, neben Zeise Herausgeberin der Broschüre, nennt die Ausdauer der Belegschaft und die demokratische Streikkultur als die Hauptgründe für den Ausgang. »Ein Streik steht, wenn man ihn selber macht«, zitiert sie den Betriebsratsvorsitzenden Thomas Bittner.

Die beiden letzten Arbeitskämpfe, die in der Broschüre genauer betrachtet werden, wurden im Reproduktionssektor geführt, wo Streiks besonders schwer umzusetzen sind. Berichtet wird vom Arbeitskampf beim »Club Behinderter und ihrer Freunde« in Frankfurt am Main, der 2012 für Tariflöhne geführt wurde sowie vom Erzieherinnenstreik aus dem Jahr 2009. Neben den Fallbeispielen erörtert der Soziologe Klaus Dörre mit einem kurzen Text die These, dass die neuen Streikerfahrungen die Gewerkschaften als Ganzes erneuerten.

Eine weitere Publikation der Luxemburg-Stiftung widmet sich ausschließlich dem Arbeitskampf der Pflegekräfte an der Berliner Charité von 2011. Sie forderten höhere Löhne und eine Mindestbesetzung in der Klinik. Die Studie untersucht, welche Rolle die Frauen in dem Streik gespielt haben und ob er Einfluss auf die patriarchale Rollenverteilung in der Klinik hatte.

Fanny Zeise, Rabea Hoffmann (Hg.): Erneuerung durch Streik – die eigene Stärke nutzen; Sophia Zender: Streiken bis das Patriarchat kommt. Der Arbeitskampf der Pflegekräfte an der Berliner Charité. Die Broschüren können in der Rubrik Publikationen auf www.rosalux.de heruntergeladen werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/942477.ein-streik-steht-wenn-man-ihn-selber-macht.html

Peter Nowak