„Gefährliche Zugeständnisse“ – Die Kritik am Atomdeal aus israelischer Sicht
Über mehrere Jahre prägte der Konflikt um das iranische Atomprogramm die Weltpolitik. Nun soll die Auseinandersetzung der Vergangenheit angehören, wenn man den optimistischen Kommentaren der Vereinbarung glauben darf. Es ist verständlich, dass ein solches Abkommen gegensätzliche Einschätzungen nach sich zieht. Doch wenn die Reaktionen wichtiger Akteure so diametral entgegengesetzt sind, wie nach dem Genfer Vereinbarungen, muss man schon bezweifeln, ob dieser Vertrag Bestand haben wird.
Für den russischen Außenminister Lawrow ist der Kompromiss zwischen den UN-Vetomächten, Deutschland und Iran eine Chance für alle. Die israelische Regierung jedenfalls sieht sich bei dem Abkommen nicht auf Seiten der Gewinner. In einer Pressemitteilung des israelischen Premierministers wird das Abkommen als „historischer Fehler“ beschrieben.
Netanyahu stellt auch klar, dass Israel nicht an das Abkommen gebunden ist. Formal bedeutet die Aussage erst einmal nur, dass Israel an den Verhandlungen nicht beteiligt war und schon daher keine Verpflichtungen daraus hat. Doch realpolitisch betrachtet ist Israel in seiner Einschätzung der Vereinbarung mit dem Iran jetzt in einer klaren Minderheit. Bereits wenige Tage vor dem Abschluss des Abkommens warnte der Politikwissenschaftler Stephan Grigat in einem Interview mit dem Deutschlandfunk vor diesem Szenario.
Genfer Abkommen – Kniefall vor dem Iran?
„Israel wird durch diese vollkommen verfehlte Iranpolitik des Westens, sowohl der EU als auch der USA, in eine Ecke gedrängt und wird geradezu genötigt, sich Gedanken darüber zu machen, gegebenenfalls eigenständig gegen diese unmittelbare, für Israel wirklich existenzielle Bedrohung vorzugehen“, meint Grigat, der auch in der Organisation „Stop the Bomb“ aktiv ist. Die hat das Abkommen Iran scharf kritisiert.
„Von einem ‚Einfrieren‘ des Atomprogramms kann nicht die Rede sein. Vielmehr werden dem iranischen Regime gefährliche Zugeständnisse gemacht: So darf das iranische Regime den Ausbau des Plutonium-Reaktors Arak unter leichten Einschränkungen weiterbetreiben, Zentrifugen werden nicht abgebaut und die Urananreicherung kann fortgesetzt werden“, heißt es in der Pressemeldung. Der Politikwissenschaftler Matthias Küntzel hat in einem Aufsatz die Kritikpunkte aus israelsolidarischer Sicht zusammengefasst.
Die Vereinbarungen würden sogar mehr Zugeständnisse an den Iran machen als in den UN-Beschlüssen vorgesehen. Wenn Küntzel dann in dem Text daran erinnert, dass die syrischen Giftgasvorräte und ihre Produktionsanlagen viel gründlicher zerstört wurden, erwähnt er nicht, dass das iranische Regime längst nicht so mit dem Rücken an der Wand steht wie das Assad-Regime nach dem monatelangen Bürgerkrieg.
Das Abkommen wird von den Kritikern auch als Appeasement gegenüber Iran bezeichnet. Als Appeasement-Politik wird in der Historie vor allem jene Politik der Zugeständnisse an Nazideutschland durch Frankreich und Großbritannien zwischen 1936 und 1938 klassifiziert. Das Münchner Abkommen, das die tschechische Republik den deutschen Großmachtstreben opferte, wird als Höhepunkt und Inbegriff dieser Appeasement-Politik gesehen. Der Hintergrund dieser Politik war die Überlegung der Eliten dieser Länder, dass Hitler-Deutschland als Bollwerk gegen die Sowjetunion gestärkt werden sollte. Erst als sich abzeichnete, dass das Naziregime auch gegen die westlichen Staaten vorgehen würde, verlor die Appeasement-Politik die Grundlage.
Seither wurde der Begriff in völlig unterschiedlichen historischen Situationen verwendet. So warnten Gegner der Entspannungspolitik gegenüber den nominalsozialistischen Staaten Ende der 1960er Jahre vor einen Appeasement gegenüber dem Ostblock.
Der Begriff bekam nach den islamistischen Anschlägen vom 11. September 2001 auch im Rahmen der Nahost-Debatte der außerparlamentarischen Linken eine neue Bedeutung. Israelsolidarische Gruppen warnten damals vor einem Appeasement vor dem Islamismus und meinten vor allem den Teil der Linken, die damals in erster Linie vor einen Krieg der USA warnten. Ein Teil der damaligen Aktivisten unterstützt heute die Initiative die Initiative „Stop the Bomb“, so dass man durchaus eine Verbindung vor den damaligen und den heutigen Warnungen ziehen kann.
Welche Alternative zu Genf?
In den nächsten Wochen wird sich erweisen, ob die Warnungen von Israel und den mit dem Land solidarischen Gruppen berechtigt sind. Sollte das Abkommen, aus welchen Gründen auch immer, scheitern, dürfte eine kriegerische Auseinandersetzung mit Iran kaum zu vermeiden sein. Dann haben sich die Kritiker als politisch weitsichtig erwiesen.
Es könnte aber auch sein, dass die Vereinbarungen tatsächlich der Beginn einer Entschärfung des Konflikts sind und sogar den Weg für Verhandlungen über eine atomwaffenfreie Zone in der gesamten Region eröffnen, wie es palästinensische Politiker erhoffen. Es fällt auf, dass bei den Kritikern des Abkommens und des gesamten Verhandlungsprozesses diese Möglichkeit nicht einmal erwähnt wird.
Natürlich verschwenden die Befürworter des Abkommens keine Gedanken daran, dass das iranische Regime damit nur Zeit gewinnen könnte, um weiter an seinem Atomprogramm zu arbeiten „und Israel vernichten“, wie es die Kritiker unterstellen. Wenn es allerdings um Alternativen zu den Verhandlungen geht, findet man auch bei ihnen nur die Forderung nach Erhalt und die Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran.
Grigat erklärt in dem Radiointerview seine grundsätzlichen Bedenken, mit einem reaktionären diktatorischen Regime wie den Iran zu verhandeln. Doch vergisst er zu erwähnen, dass fast sämtliche arabischen Nachbarländer nicht weniger diktatorisch sind und Saudi-Arabien, das aus anderen Gründen als Israel eine Übereinkunft mit dem Iran ablehnt, als Zentrum der islamischen Reaktion gelten kann.
Zudem ist gerade die antiisraelische Haltung des Regimes in der iranischen Öffentlichkeit am wenigsten umstritten und es gelingt ihm damit immer noch, Teile der Bevölkerung hinter sich zu bringen. So könne gerade eine Entschärfung dieses Konflikts dazu beitragen, dass die Opposition im Iran wieder stärker wird. Auch für die israelische Gesellschaft könnte eine erfolgreiche Entschärfung des Konflikts positive Folgen haben.
Wenn die Angst vor der iranischen Bombe wegfallen würde, könnte die Diskussion über Zukunftsperspektiven des Landes wieder stärker in den Mittelpunkt treten. Es ist aber fraglich, ob die Regierung daran so viel Interesse haben wird. Denn konservative und nationalistische Parteien haben bei tatsächlichen oder fiktiven Bedrohungen von Außen immer Konjunktur.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155382
Peter Nowak
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http://edition.cnn.com/2013/11/24/world/meast/iran-deal-text/
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http://moskau.vonminutezuminute.info/info/?1258777/Lawrow-Bei-Einigung-uber-Irans-Atomprogramm-gewinnen-alle-Seiten#.UpKFqic0-78
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http://www.pmo.gov.il/English/MediaCenter/SecretaryAnnouncements/Pages/govmes241113.aspx
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http://www.deutschlandfunk.de/iran-einigung-waere-fauler-kompromiss-mit-katastrophalen.694.de.html?dram:article_id=269922
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http://de.stopthebomb.net
[6]
http://de.stopthebomb.net/presse/presseaussendungen.html
[7]
http://www.matthiaskuentzel.de/contents/der-kniefall-von-genf
[8]
http://www.freunde-palaestinas.de/palaestina-heute/831-palaestinenser-wir-wollen-einen-mittleren-osten-von-atomwaffen-frei.html
[9]
http://www.deutschlandfunk.de/iran-einigung-waere-fauler-kompromiss-mit-katastrophalen.694.de.html?dram:article_id=269922