Während in große Teile der außerparlamentarischen Linken vermehrt auf zivilgesellschaftliche Aktionen setzen, warnt das Bundesinnenministerim vor der Zunahme linker Gewalt
Am Dienstag stellte das Bundesinnenministerium die neuesten Zahlen über politisch motivierte Gewalt in Deutschland [1] vor. Demnach ist die Zahl der politisch motivierten Straftaten im Jahr 2013 angestiegen.
Insgesamt wurden 31.645 Straftaten und 2.848 Gewalttaten registriert, was einer Steigerung von 15,3 Prozent bzw. 15,6 Prozent entspricht. 2012 wurden 27.440 Straf- und 2.464 Gewalttaten verzeichnet. Nach den Berechnungen des Innenministeriums hat es im linken Bereich bei den Straftaten einen Zuwachs um 40,1 Prozent gegeben.
Politisch rechts motivierte Straftaten hätten dagegen von einem hohen Niveau um 3,3 Prozent abgenommen. Ein Anstieg um 11,2 % wurde allerdings bei rassistischen Delikten registriert, die vom Innenministerium weiterhin unter dem verkürzten Begriff fremdenfeindlich klassifiziert werden.
Mehr zerstörte Wahlplakate?
Natürlich wäre es interessant zu wissen, welche unterschiedlichen Handlungen sich unter dem Containerbegriff politische Straftaten und politische Gewalt verbergen und ob es überhaupt sinnvoll ist, sie unter einem Begriff zu fassen.
In einem eigenen Absatz wird auf politische Gewalt im Umfeld der Bundestagswahlen eingegangen, damit ist die Beschädigung oder Zerstörung von Wahlplakaten gemeint. Innenminister de Maizière gibt sich besorgt:
Allerdings stellt sich hier schnell die Frage, wie sinnvoll es überhaupt ist, die Zerstörung von Wahlplakaten umstandslos in die Kategorie politisch motivierte Gewalt zu stellen. Schließlich können Wahlplakate auch einfach von manchen Passanten als ästhetisches Ärgernis betrachtet und zerstört werden.
Zudem gehören kreative, künstlerische Veränderungen von Werbeplakaten mittlerweile zumindest in vielen Großstädten zum Alltag. Diese Praxis wird auch auf die Wahlplakate übertragen, was es noch zweifelhafter macht, sie einfach unter politisch motivierte Gewalt abzuheften. Doch selbst, wo eine politische Motivation hinter der Plakatveränderung steckt, sollte man fragen, ob sie immer abzulehnen ist. Kann nicht die kreative Betätigung an Plakaten extrem rechter Parteien auch ein Beitrag zur Zivilcourage sein?
Könnte man nicht umgekehrt das Anbringen von Plakaten rechter Parteien mit Propaganda gegen Geflüchtete nicht auch als politische Gewalt bezeichnen? Diese Frage macht deutlich, wie schwer es ist, diesen Begriff genau einzugrenzen. So wurden in Berlin lange Zeit Brandstiftungen an Autos generell unter linke Gewalt subsumiert, obwohl längst klar war, dass ein Großteil dieser Delikte keine politischen Hintergründe hat.
Werden linke Demonstrationen militanter?
Ebenso umstritten sind die Aussagen über die Zunahme von Gewalt auf linken Demonstrationen. Nach den jüngsten Zahlen sind 1.873 Personen im letzten Jahr durch politisch motivierte Gewalttaten – aus allen Lagern – verletzt worden, 283 Personen mehr als im Vorjahr. Vor allem im Zusammenhang mit Demonstrationen habe es 354 Gewalt- und insgesamt 5.484 Straftaten gegeben.
Dabei gehen diese Delikte nach Angaben des Berichts zu mehr als 80 % von linken Demonstrationen aus. Die Gewalt gegen Polizisten habe zugenommen. In diesen Zahlen sind die verletzten Polizisten nach einer Demonstration für den Erhalt des linken Kulturzentrums Rote Flora in Hamburg im Dezember vergangenen Jahres enthalten [2].
Diese Demonstration war allerdings eher eine absolute Ausnahme. In den letzten Jahren ist die Gewalt bei linken Demonstrationen zurückgegangen. Das wurde anlässlich einer von autonomen Gruppen organisierten Antirepressionsdemonstration in Berlin sogar von der Polizei bestätigt [3].
Auch im Vorfeld der diesjährigen „Revolutionären 1.Mai-Demonstration“ [4] wird in Berlin in mehreren Zeitungen betont, dass statt Krawall politische Inhalte im Mittelpunkt stehen. So heißt es in einem Bericht über eine Pressekonferenz im Vorfeld der Demonstration in der Taz [5]:
Auch die militante Fraktion flüchtet sich eher in Zynismus statt in Aktionismus [6]. Erst vor wenigen Wochen hat die autonome Antifabewegung auf einem Kongress in Berlin betont [7], dass sie neben den klassischen Mitteln wie Blockaden und Demonstrationen verstärkt auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit rechten Ideologien setzen will.
Auf dem Kongress wurde auf hohen theoretischen Niveau über neuere Entwicklungen in der rechten Szene Deutschlands und Europas sowie über Gegenstrategien diskutiert [8]. Trotzdem schürten konservative Boulevardzeitungen [9] die Angst vor gewaltbereiten Autonomen und hätten es am liebsten gesehen, wenn der Kongress verboten worden wäre.
Dagegen verortete [10] die Taz-Berichterstatterin die Antifa gleich auf der Spur der Linkspartei, was natürlich ebenfalls ein verkürzter Eindruck ist, aber deutlich macht, dass auch dort keineswegs die Straßenmilitanz propagiert wurde.
Polizeigewalt wird nicht thematisiert
Auch mit dem aktuellen Bericht aus dem Innenministerium wird bereits Politik gemacht. „Unsere Sicherheitsbehörden werden das Gewaltpotential insbesondere der linken bzw. linksextremistischen Szene weiterhin deutlich im Blick behalten und jede Gewalt unterbinden, wo immer dies möglich ist“, so der Bundesinnenminister.
Mit der Begründung, Gewalt zu verhindern, hat die Polizei im letzten Jahr während der Blockuppy-Demonstration [11] in Frankfurt/Main tausende Menschen stundenlang eingekesselt [12]. Gewalt von Polizisten gegen Demonstrationen wird von zivilgesellschaftlichen Organisationen immer wieder beobachtet, taucht aber in den Bericht des Innenministeriums natürlich nicht auf.
Dafür werden viele Polizeieinsätze nachträglich für rechtswidrig erklärt, sie lassen aber die Zahlen für politisch motivierte Delikte ansteigen. Denn, wenn sich Demonstranten, die aus einem später für rechtswidrig erklärten Polizeikessel passiv durch Aufstützen gegen ihre Festnahme wehren, müssen sie mit einer Anzeige wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt rechnen und die fallen ebenfalls unter die politischen Delikte.
http://www.heise.de/tp/news/Was-sagen-die-Zahlen-ueber-die-politische-Gewalt-in-Deutschland-aus-2180511.html
Peter Nowak 30.04.2014
Links:
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