Werden auch TTIP-Gegner Obama nachtrauern?

Vom Dilemma der Freihandelsgegner angesichts der Präsidentenwahlen in den USA und des VW-Skandals

Der US-Präsident ist auf Abschiedstour in Europa und der deutsche Außenminister  Steinmeier erklärt[1] in den Medien: „Es kann sehr schnell kommen, dass wir Obama nachtrauern.“ Doch wer ist dieses Wir?

Zumindest die Kräfte innerhalb der Regierungskoalition, die sich den deutschen Aufstieg an der Seite oder zumindest in Kooperation mit den USA vorstellen, sind damit gemeint. Denn Obama hat immer deutlich gemacht, dass er  Deutschland als Führungsmacht in der EU anerkennt. Allein Obamas Agenda für seine Abschiedstour als Präsident in Europa macht das deutlich. Denn in Hannover ist nicht nur ein Ort für eine kurze Stippvisite. Es soll gleich einen kleinen Gipfel von Regierungsvertretern geben, die Deutschlands Machtanspruch verdeutlichen sollen.

Leere Drohungen Obamas in London

Es ist auch ein Affront gegen Großbritannien, wo Obama vor allem als der Staatsmann auftrat, der Ratschläge in Sachen EU-Mitgliedschaft erteilte und dabei Ankündigungen machte, die er nicht einlösen kann. Wenn er beispielsweise erklärt, dass es für Großbritannien nach einen EU-Austritt keine privilegierten Beziehungen mit den USA geben wird und sich das Land bei Verhandlungen hinten anstellen muss, können Brexit-Befürworter darauf verweisen, dass Obama genau hier unglaubwürdig ist.

Schließlich hätte er zumindest darauf hinweisen müssen, dass das für seine Amtszeit gilt und die läuft in wenigen Monaten aus. Seine möglichen Nachfolger aber haben sich darauf nicht festgelegt. Und so könnte sich die Drohung sogar als Pluspunkt für die Brexit-Gegner erweisen. Die können darauf verweisen, dass es eine leere Drohung aus Gefälligkeit gegenüber dem britischen Premierminister Cameron ist.

Sie stellt aber gleichzeitig Obamas Glaubwürdigkeit an diesem Punkt in Frage. Käme das Statement am Anfang von Obamas  Amtszeit, wäre es tatsächlich eine ernstzunehmende Drohung für die Brexit-Befürworter gewesen, aber nicht bei einem Präsidenten auf Abschiedstour. Die Brexit-Befürworter in Großbritannien und in anderen europäischen Ländern werden also nicht zu denen gehören, die Obama nachtrauen. Doch wie steht es mit den zahlreichen TTIP-Kritikern in Deutschland und Europa?

Trump – Hoffnung für TTIP-Gegner?

Erst am vergangenen Samstag sind in Hannover in Hannover in Vorfeld des Obama-Besuchs wieder mehrere Zehntausende[2] auf die Straße gegangen. Doch sie sind in einen Dilemma. Denn eigentlich müssen sie das Ende der Obama-Administration  begrüßen. Denn es scheint zurzeit fast so, als wäre er noch der letzte Garant, dass das TTIP-Abkommen überhaupt ratifiziert wird. Angesichts der ökonomischen Entwicklung ist die Stimmung in der Bevölkerung der USA längst nicht mehr freihandelsfreundlich, was sich auch in den Statements der Präsidentenanwärter widerspiegelt.

Ein konservativer TTIP-Gegner war seit jeher der US-Bewerber Trump, der  auch seinen Wahlkampf ganz stark auf den Widerstand gegen das Abkommen aufbaut. Seine Präsidentschaft  würde ziemlich sicher das Aus für TTIP bedeuten. Die rechten TTIP-Gegner, die es in allen Ländern gibt, machen ihre Sympathie mit Trump auch deutlich. Doch die Mehrheit der organisierten TTIP-Kritiker in Deutschland kommt eher aus der linken und gewerkschaftlichen Ecke. Sie haben in zentralen Fragen keine Sympathie mit den Positionen von Trump.

Sie würden sich sicher eher eine Präsidentschaft von Bernie Sanders wünschen, jenes US-Sozialdemokraten, der innerhalb der Demokratischen Partei  noch  immer der lange Zeit als gesetzt geltenden Hillary Clinton die Kandidatur streitig macht. Doch dass sich Sanders am Ende durchsetzt, ist ziemlich unwahrscheinlich. Es ist dagegen sehr wahrscheinlich, dass Clinton am Ende Präsidentschaftskandidaten der Demokraten wird. Ihre Haltung zu TTIP  ist widersprüchlich.

Lange Zeit gehörte sie wie Obama zu den Befürwortern des Abkommens. Erst als die Stimmung in der Bevölkerung der USA dem Freihandel gegenüber kritischer wurde und ihr innerparteilicher Konkurrent Sanders auch wegen seiner TTIP-Ablehnung punktete, distanzierte  sich auch Clinton halbherzig davon – ein Exempel jenes Opportunismus, der Clinton immer wieder vorgeworfen wird.  Es ist daher  ziemlich wahrscheinlich, dass die Präsidentin Clinton den Freihandelsvertrag nicht scheitern lassen wird und den neuerlichen Schwenk dann damit begründet, dass er nun schon ausverhandelt ist.

Nun ist eine Konstellation Trump versus Clinton bei den Präsidentschaftswahlen nicht unwahrscheinlich. Für die Mehrheit der organisierten TTIP-Gegner auch in Deutschland entsteht so eine paradoxe Situation. Sie müssten eigentlich auf einen Erfolg von Trump hoffen, der am ehesten den TTIP-Vertrag beerdigt, obwohl sie in vielen anderen Punkten mit ihm nichts zu tun haben wollen. Gestärkt würden auf jeden die rechten und rechtspopulistischen Freihandelsgegner, die dann realpolitisch argumentieren können, dass eine Präsidentschaft Trumps garantiert TTIP beerdigt.

Volkswagen-Affäre: Die Rechte der Verbraucher in den USA

In einer Zeit, in der in vielen Protestbewegungen solidarische, auf Egalität aller Menschen ausgerichtete Positionen, umkämpft oder auch ganz in der Minderheit sind, sind solche Positionen natürlich auch heute schon in der Bewegung  gegen den Freihandel, die historisch immer auch reaktionäre Züge trug, vertreten. Mit einer Kandidatur von Trump aber hätte sie eine realpolitische Komponente, so wie sich Gegner einer liberalen Flüchtlingspolitik auf einen Erfolg der FPÖ bei den Präsidentschaftswahlen in Österreich berufen können.

Wir haben ja gerade erlebt, dass in den USA die Rechte der Verbraucher und übrigens die Umwelt besser, effizienter geschützt wird als in Deutschland

Neben diesem strategischen Dilemma sind die der TTIP-Gegner auch durch den VW-Skandal argumentativ in die Defensive geraten. Denn ein Großteil der TTIP-Gegner warnt recht undifferenziert vor Verschlechterungen für Verbraucher,  Lohnabhängige etc.,  wenn die Verträge in Kraft treten. Dabei wurde gern übersehen, dass es beispielsweise beim Verbraucherschutz in den USA teilweise gesetzliche Rechte gibt, die auch für die EU ein Fortschritt wären. Das hat sich jetzt beim VW-Skandal gezeigt.

Selbst wirtschaftsnahen FDP-Politiker fällt auf, dass VW-Kunden in den USA rechtlich besser gestellt sind. Der niedersächsische Wirtschaftsminister Jürgen Bode wurde von einem Journalisten des Deutschlandfunk gefragt[3]: „Warum ist es eigentlich unmöglich, dass auch die deutschen Kunden so wie in den USA mit etwa 4.500 Euro entschädigt werden?“

Bode antwortet:

Das ist nicht unmöglich. Es ist scheinbar eine bewusste Entscheidung von Volkswagen, in Deutschland und Europa Kunden zweiter Klasse haben zu wollen, und ich bin schon überrascht, dass die Vertreter der Landesregierung im Aufsichtsrat auch auf Nachfrage erklärt haben, dass sie diese Position stützen.

Dass es sich dabei um unterschiedliche Verbraucherrechte in den USA und Deutschland handelt, erwähnt Bode natürlich nicht. Der ehemalige grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin erwähnt diese Unterschiede zumindest in seinem Deutschlandfunk-Interview[4].

Wir haben ja gerade erlebt, dass in den USA die Rechte der Verbraucher und übrigens die Umwelt besser, effizienter geschützt wird als in Deutschland. In Deutschland haben wir eine Kommission eingesetzt durch Herrn Dobrindt, von der man lange nicht wusste, wer da drinsitzt und nun feststellt, die gibt es zwar, aber was die rausbekommen haben, das ist bis heute der Öffentlichkeit vorenthalten worden.

Müsste das nicht ein Umdenken bei dem Teil der TTIP-Kritiker bewirken, die keine Option in einer Präsidentschaft Trumps oder eines anderen konservativen Freihandelsgegners sehen? Wieso wird nicht die Forderung erhoben, dass dort, wo die Verbraucher- und Umweltrechte in den USA fortschrittlicher als an der EU sind, sich die Unterhändler an diesen orientieren sollen?

Darüber hinaus machen die Dilemmata der TTIP-Kritiker deutlich, was schon Karl Marx beschäftigte[5]: eine Kritik am Freihandel, die den Kapitalismus nicht mit einbezieht, ist in der Regel eher konservativ als fortschrittlich. Zudem ist der Streit um den Freihandel immer eine Auseinandersetzung unterschiedlicher Kapitalfraktionen in den jeweiligen Ländern gewesen, die natürlich für ihre Argumentation immer das Wohlergehen der Subalternen heranzog

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48062/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

https://www.tagesschau.de/inland/bericht-aus-berlin-steinmeier-101.html

[2]

http://ttip-demo.de/home/

[3]

http://www.deutschlandfunk.de/vw-skandal-der-verbraucher-hat-in-deutschland-zu-wenig-macht.694.de.html?dram:article_id=352118

[4]

http://www.deutschlandfunk.de/vw-deal-in-den-usa-neurotische-dieselfixierung-beenden.694.de.html?dram:article_id=352067

[5]

http://www.mlwerke.de/me/me04/me04_444.htm