Arbeitskampf bei der Lebenshilfe

Nach außen sozial, nach innen brutal

Die Lebenshilfe ist Selbsthilfevereinigung, Eltern-, Fach- und Trägerverband für Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Familien. Bei der Frankfurter Lebenshilfe läuft gerade ein Arbeitskampf und verschiedene Gewerkschaften kooperieren.
«Achtung tariffreie Zone» und «Lebenshilfe – nach innen sozial, nach außen brutal», stand mit großen Lettern auf dem Weg, der zu einer Kleingartensiedlung am Rande von Frankfurt am Main führte. Die örtliche Lebenshilfe hatte dort am 19.September zur Gartenfeier geladen. Doch die Gäste wurden schon auf dem Weg über den Kampf informiert, mit dem seit Monaten Kolleginnen und Kollegen der Lebenshilfe für bessere Arbeitsbedingungen eintreten.
Viele von ihnen hatten sich zu Beginn des Gartenfestes gemeinsam mit Unterstützern versammelt. Als eine der Beschäftigten die Parolen am Weg entdeckte, lächelte sie. «Diese Solidarität tut gut», meinte sie nur. Ihren Namen will sie wie alle Betroffenen nicht in der Zeitung lesen. Die Angst vor Repressalien ist gewachsen, nachdem Paul L., einem aktiven Gewerkschafter, gekündigt wurde. Gegenüber der Frankfurter Neuen Presse (FNP) erklärte Lebenshilfe-Geschäftsführer Volker Liedtke-Bösl, die Kündigung stehe «in keinen Fall in Zusammenhang mit einer gewerkschaftlichen Tätigkeit». Kollegen des Gekündigten haben inoffiziell allerdings erfahren, dass die gewerkschaftliche Tätigkeit bei der Entlassung sehr wohl eine Rolle spielte.
Auch wenn die Verunsicherung groß ist, lassen sich die Beschäftigten nicht einschüchtern. Das zeigte sich am 19.September, als etwa 60 Menschen mit einer Kundgebung im Kleingarten die Besucher in zwei kurzen Redebeiträgen über ihre Situation informierten. Von schlechter Bezahlung war da die Rede und von seit Jahren verweigerten Lohnerhöhungen. «Wir sind hier und wir sind laut, weil man uns die Kohle klaut», skandierten die Überraschungsgäste am Ende der Beiträge. Sichtlich unangenehm war den Verantwortlichen der Lebenshilfe, dass die Gäste des Gartenfests auf diese Weise über einen Konflikt informiert wurden, der nicht recht zu einer Organisation mit einem sozialen Image passt. «Nach außen sozial – nach innen brutal», diese Parole wurde mehrmals wiederholt.
Viele Besucher hörten sich die Reden an und kamen mit den Protestierenden ins Gespräch. Die betonten, dass sie immer hoch motiviert und bereit sind, für ihre Klientel zu arbeiten. Dass sie dafür bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne brauchen, leuchtet ein. Viel Eindruck machte aber auch, dass gleich mehrere Gewerkschaften an den Protesten mit Fahnen beteiligt waren. Neben GEW und Ver.di zeigte auch die Basisgewerkschaft FAU ihre schwarzroten Banner. «Für uns ist es selbstverständlich, dass wir zusammenstehen und solidarisch sind. Schließlich sind wir gemeinsam von den schlechten Arbeitsverhältnissen betroffen», meinte eine Frau mit einer GEW-Fahne. «Wir sind doch alle Gewerkschafter und haben die gleichen Ziele, auch wenn wir in unterschiedlichen Gewerkschaften sind», meinte auch ein Mann mit einer Ver.di-Fahne.
Allerdings hat die Geschäftsleitung auch schon versucht, einen Keil zwischen die Gewerkschaften zu treiben und die Belegschaft über die gesellschaftsverändernden Ziele des Anarchosyndikalismus informiert. «Bei einigen Kollegen hat das schon gewirkt. Aber am Ende hat wohl auch eine Rolle gespielt, dass man sich in einem Branche mit 60 Beschäftigten persönlich kennt», begründete ein Mitglied der FAU-Betriebsgruppe, warum das Kalkül der Geschäftsführung doch nicht aufging.
Arbeitskämpfe in so kleinen Betrieben sind längst keine Seltenheit mehr. Ob Spätkaufläden, Pizzerien, Kopierläden oder Spielsalons – mittlerweile gibt es in vielen Städten Arbeitskämpfe in Bereichen, wo die Zahl der Mitarbeiter klein ist und Chefs und Belegschaft sich duzen. Doch wenn es zum Konflikt kommt, wird schnell klar, wer der Boss ist. Das zeigte sich auch bei der Lebenshilfe in Frankfurt.

SoZ Ausgabe Oktober 2015

http://www.sozonline.de/2015/10/arbeitskampf-bei-der-lebenshilfe/

Peter Nowak