Wie Zuwanderer dem deutschen Arbeitsmarkt nützen sollen

Die Frage nach Qualifikationen, die ihnen auch in ihren Herkunftsländern nützt, wird gar nicht gestellt

„Deutsche Arbeitgeber zufrieden mit Migranten“[1], so fasste Telepolis einen OECD-Bericht[2] zusammen, der die „Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen in Deutschland“ untersucht. Die Kollegen von der Zeit titelten fast wortgleich: „Arbeitgeber meist zufrieden mit Flüchtlingen“[3].

Schon im Vorwort wird klargemacht, worum es den Verfassern der Studie geht: „Ein frühzeitiger Arbeitsmarkteintritt ist ein entscheidender Faktor für die langfristigen Arbeitsmarktergebnisse. Was dies anbelangt, hat Deutschland eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die einen frühzeitigen Arbeitsmarkteintritt erleichtern, und die derzeitigen Rahmenbedingungen für den Arbeitsmarktzugang von Asylbewerbern sind im OECD-Vergleich relativ liberal.“

Tatsächlich gehen sie von der Prämisse aus, dass die Flüchtlinge möglichst schnell in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden sollen. Dabei werden auch Probleme von Unternehmen angesprochen. Sicher werden nicht alle Migranten zu Facharbeitern. Doch viele der Zuwanderer werden in Sektoren mit niedrigschwelligen Arbeitsgelegenheiten gebraucht.

Dieser Begriff ist ein Euphemismus und meint Jobs im prekären Niedriglohnsektor, wo die Beschäftigten wenig Qualifikationen benötigen und schnell geheuert und gefeuert werden. Hier wird eine alte Tradition fortgesetzt.

Schon die Arbeitsmigranten der 1960er und 1970er Jahre wurden oft in Sektoren angestellt, wo die Arbeit schlecht bezahlt und besonders schmutzig war. So wurde allenthalben berichtet, dass Zuwanderer aus Italien, der Türkei oder aus Jugoslawien die Jobs erledigten, die viele Beschäftige mit deutschem Pass damals nicht mehr machen wollten. Mit der neuen Zuwanderung scheint sich das fortzusetzen.

Es ist verständlich, dass die Unternehme zufrieden sind. Schließlich erhoffen sie sich durch die Zuwanderung die billigen Arbeitskräfte, die das Lohnniveau senken, nach denen die deutsche Wirtschaft schon länger händeringend sucht. Dass die kurze Zeit der durchlässigen Grenzen also durchaus im Gesamtinteresse der deutschen Wirtschaft war, können die Rechtspopulisten nicht verstehen, die deshalb aktuell bei der Mehrheitsströmung des deutschen Kapitals auch wenig Unterstützung haben.

Es ist erstaunlich, dass auch die OECD nur in eine Richtung denken kann – wie können die Zuwanderer in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden … „In der kommenden Zeit wird die Herausforderung darin bestehen, die häufig etwas isolierten ersten Integrationsmaßnahmen in eine koordinierte längerfristige Strategie einzubinden“, schreiben die Autoren. Dabei gehe es nicht nur um „berufsbezogene Sprachkenntnisse und Kompetenzen, sondern auch um die Kenntnis der Funktionsweise des Arbeitsmarkts“, schreibt die Zeit.

Dabei wird überhaupt nicht die Frage gestellt, ob die Mehrzahl der Migranten überhaupt mittel- und langfristig in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden will. Es wird fast selbstverständlich davon ausgegangen. Übersehen wird aber, dass es viele Berichte und Erklärungen von Migranten gibt, die mittel- und langfristig in ihre Herkunftsländer zurückkehren wollen. Das betrifft unterschiedliche Gruppen von Zuwanderern.

So kann man von Geflüchteten aus Syrien oft lesen, dass sie so schnell wie möglich wieder zurückkehren wollen, wenn es die politischen Verhältnisse zulassen. Ähnliche Statements kann man auch von Migranten aus anderen sogenannten Krisenländern hören. Vor allem Migranten, die vor einer unmittelbaren Bedrohung fliehen, seien es Kriege, Bürgerkriege oder politischer oder religiöser Terror betonen oft, dass sie nicht dauerhaft in Deutschland bleiben wollen.

Aber auch die Menschen, die sich durch die Migration vor allem ein etwas besseres Leben erhoffen, was für viele Zuwanderer aus Nordafrika zutrifft, wollen oft nicht dauerhaft in Deutschland bleiben. Oft hoffen sie hier Geld zu verdienen, um dann wieder in ihre Herkunftsländer zurückzukehren oder auch zwischen den Ländern zu pendeln. Doch diese Bedürfnisse vieler Geflüchteter werden in der OECD-Studie nicht berücksichtigt.

Der bestimmende Blickwinkel sind die Interessen der deutschen Wirtschaft, die Arbeitskräfte braucht und die relative Zufriedenheit deutscher Unternehmer mit der Integration der Migranten. Deren Bedürfnisse und Befindlichkeiten kommen hingegen kaum vor.

So wird auch nicht die Frage gestellt, ob es angesichts der erklärten Bereitschaft vieler Zuwanderer, dauerhaft oder zeitweise in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, nicht das Ziel sein müsste, Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen, die den Menschen in diesen Ländern nützen können und vielleicht sogar in diesen Ländern noch politische Impulse schaffen könnten.

Die niedrigschwelligen Arbeitsverhältnisse sind es zumindest nicht. Es müssten Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse sein, mit denen die Menschen sich in Deutschland qualifizieren und die ihnen in ihren Herkunftsländern den Aufbau einer Existenz ermöglichen. Das könnten Arbeiten im Handwerk, der Industrie oder in der Landwirtschaft sein. So würde auch verhindert, dass die Zuwanderer nur einseitig den deutschen Arbeitsmarkt nutzen.

Die Folgen für die Herkunftsländer, die oft Teil der zweiten oder dritten Welt sind, werden oft gar nicht thematisiert. Besonders dramatisch ist die Situation, wenn Menschen, die in Afrika oder Asien studiert oder die Berechtigung für einen Hochschulabschluss erlangt haben, in Deutschland oder anderen europäischen Ländern dann im Niedriglohnsektor ihr Dasein fristen müssen. So werden die sowieso schon unterentwickelt gehaltenen Länder noch weiter wirtschaftlich und auch kulturell marginalisiert.

Folglich wäre es auch ein zentraler Punkt, die schulische oder berufliche Qualifikation der Migranten zur Grundlage zu machen und nicht die Interessen des deutschen Arbeitsmarkts. Daraus könnten dann Projekte entstehen, in denen sich die Menschen weiter qualifizieren und auch Grundlagen schaffen, um sich eben in ihren Heimatländern eine eigenständige Existenz aufzubauen.

Blinder Fleck der Flüchtlings- und Migrationsbewegung

Es dürfte nicht überraschen, dass solche Forderungen nicht im Interesse der deutschen Wirtschaft stehen und daher von ihren Lobbyverbänden nicht vertreten werden. Erklärungsbedürftiger ist schon, warum auch die Flüchtlingsbewegung diese Forderungen kaum stellt. Auch dort wird eher der Schwerpunkt auf die Integration der Zuwanderer in die deutsche Gesellschaft gelegt und die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt gehört dazu.

Diskussionen über eine Qualifikation, die den Migranten auch in ihren Herkunftsländern nützen könnten, hört man weniger. Das könnte daran liegen, dass man fürchtet, mit einer solchen Diskussion Kräfte zu bestätigen, die sich gegen die Aufnahme von Migranten richten. Aber die Befürchtung ist dann gegenstandslos, wenn man die Bedürfnisse der Zuwanderer zur Grundlage nimmt.

Diejenigen, die dauerhaft in Deutschland bleiben wollen, sollen natürlich die Möglichkeit dazu haben. Aber die Interessen, derjenigen, die das gar nicht wollen, sollten auch besser berücksichtigt werden. In der Flüchtlingsbewegung und bei den Unterstützern wird sehr berechtigt das Recht auf Flucht und Migration propagiert. Doch es sollte ergänzt werden durch das Recht aller Menschen, auch in ihren Herkunftsländern ein Leben ohne Angst und Not führen zu können.

Die Frage nach den Arbeitsbedingungen, der Höhe der Löhne und der Arbeitsrechte ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Das betrifft Arbeitsverhältnisse in Deutschland ebenso wie in den Heimatländern der Menschen. Doch das waren nie Geschenke und Zugeständnisse, sondern immer Ergebnisse von Kämpfen in Gewerkschaften und anderen Organisationen der Arbeiterbewegung.

Es ist klar, dass Unternehmer wenig Interesse an starken und durchsetzungsfähigen Gewerkschaften haben. Aber Organisationen und Menschen, die Geflüchtete und Migranten unterstützen, müssten dieses Interesse haben.

Es gibt ein gutes Beispiel einer solchen transnationalen Gewerkschaftsarbeit. Es war der Masseneintritt von Geflüchteten[4] in die Dienstleistungsgewerkschaft verdi in Hamburg 2013, der die die Diskussion um eine Gewerkschaftsmitgliedschaft ohne Migrationskontrolle[5] angeregt und auch die Grenzen der DGB-Gewerkschaften[6] aufgezeigt hat.

Es müsste ein zentraler Teil von solidarischer Flüchtlingsarbeit sein, die Position der kämpferischer transnationalen Gewerkschaftsarbeit in- und außerhalb des DGB stark zu machen. Dann würden die niedrigschwelligen Arbeitsgelegenheiten für die Unternehmen nicht mehr so attraktiv, es würde auch ein Dumpingwettbewerb im Lohnsegment verhindert und die Migranten hätten eine Erfahrung gemacht, die ihnen in Deutschland genauso wie in ihren Heimatländern nützlich ist: Solidarität ist unabhängig von der Herkunft möglich. Die Arbeitgeber in Deutschland und anderswo dürften mit den Arbeitnehmern dann nicht mehr so zufrieden sein.


https://www.heise.de/tp/features/Wie-Zuwanderer-dem-deutschen-Arbeitsmarkt-nuetzen-sollen-3655970.html

Peter Nowak

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[1] https://www.heise.de/tp/features/OECD-Deutsche-Arbeitgeber-zufrieden-mit-Migranten-3652951.html
[2] http://www.oecd.org/berlin/publikationen/Arbeitsmarktintegration-von-Fluechtlingen-in-Deutschland-2017.pdf
[3] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-03/oecd-studie-arbeitgeber-meist-zufrieden-mit-fluechtlingen
[4] http://www.labournet.de/interventionen/asyl/arbeitsmigration/gewerkschaften-und-migrantinnen/fluchtlinge-und-ver-di-am-bsp-lampedusa-in-hamburg/
[5] https://www.facebook.com/lampedusainhamburg/posts/604720162896588
[6] http://www.taz.de/!5052397/