Deutschland hat der Pforte gezeigt, wo die Musik bei Hofe spielt

Die Debatte um die Armenienresolution machte einmal mehr deutlich , wie wenig die parlamentarische Opposition in der Lage ist, die deutschen Interessen adäquat zu kritisieren

Am Donnerstag hat eine ganz große Koalition im Bundestag, die von der CSU bis zur Linkspartei reicht, wieder einmal vorgeführt  wie man mit Moral Geschichtspolitik machen kann. Bei einer Ablehnung und einer Enthaltung stimmte das Parlament für die Armenienresolution (Bundestag verabschiedet Armenien-Resolution[1]), die bereits seit Wochen Schlagzeilen macht.

Offiziell soll an das Genozid an den Armeniern in den Jahren 1915 und 1916 erinnert werden[2]. In einem Antrag[3] von CDU/CSU, SPD und Grünen, den auch die Linken, die nicht mitmachen durften, unterstützen wurden, heißt es, dass man sich vor den Opfern verneigen wolle. Das nationalistische jungtürkische Regime wird historisch durchaus zu Recht, wegen der Vorbereitung und Durchführung des Genozids angeklagt. Nur sehr vorsichtig wird auch die damalige deutsche Regierung angesprochen.

Der Bundestag bedauert die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reichs trotz eindeutiger Informationen auch von Seiten deutscher Diplomaten und Missionare über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier nicht versucht hat, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen. Das Gedenken des Deutschen Bundestages ist auch Ausdruck besonderen Respektes vor der wohl ältesten christlichen Nation der Erde.

Dr. Mordtmann und das deutsche Interesse an den Massakern

Auffällig ist dabei, dass der damalige deutsche Regierung lediglich vorgeworfen wird, die Morde nicht verhindert zu haben. Dabei geht man in der Forschung längst davon aus, dass führende deutsche Militärs Beihilfe bei den Morden geleistet zu haben.

So schreibt[4] im Juni 1915 der deutsche Botschafter Hans von Wangenheim aus Konstantinopel an den deutschen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg:

Dass die Verbannung der Armenier nicht allein durch militärische Rücksichten motiviert ist, liegt zutage. Der Minister des Innern Talaat Bey hat sich hierüber kürzlich gegenüber dem zur Zeit bei der Kaiserlichen Botschaft beschäftigten Dr. Mordtmann ohne Rückhalt dahin ausgesprochen,  dass die Pforte den Weltkrieg dazu benutzen wollte, um mit ihren inneren Feinden – den einheimischen Christen – gründlich aufzuräumen, ohne dabei durch die diplomatische Intervention des Auslandes gestört zu werden; das sei auch im Interesse der mit der Türkei verbündeten Deutschen, da die Türkei auf diese Weise gestärkt würde.

Deshalb hat der Grünen-Politiker Cem Özdemir völlig Recht, wenn er auf die Mitschuld der damaligen deutschen Politik an dem Massaker[5] hinweist. Wenn er allerdings schreibt, dass es sich bei der Resolution auch um ein Stück deutsche Geschichtsaufarbeitung handelt, führt das in die Irre. Die Rolle Deutschlands wird kleingeredet und spielt auch in der Resolution nicht die zentrale Rolle. Es geht eben nicht um eine Aufarbeitung deutscher Verbrechensgeschichte am Beispiel des Massakers an den Armenieren.

Auf beiden Seiten werden nationale Narrative bedient

Es geht um die Durchsetzung deutscher Interessen mit dieser Gedenkpolitik und es geht bei beiden Seiten um die Konstruktion nationaler Kollektive. Bei dem Erdogan-Regime ist das Kalkül sehr klar.

Indem die AKP-Regierung  die Armenien-Resolution als Angriff auf die Türkei hochstilisiert, will sie innerhalb des nationalistischen Spektrums die Hegemonie erhalten und die Konkurrenten von der kemalistischen CHP und der nationalistischen MHP marginalisieren.

Das ist der Regierung schon bei der Frontstellung gegen die demokratische Linke und der kurdischen Nationalbewegung gelungen. So stimmte kürzlich ein großer Teil der kemalistischen Parlamentarier, die traditionell zu den Intimfeinden der islamistischen AKP gehören, für die Auflösung der Immunität für einen großen Teil der Abgeordneten der linkssozialdemokratischen HDP und machte sich damit zum Steigbügelhalter für Erdogans angestrebter Präsidialmacht.

Das nationalistische Ticket siegte über den innerideologischen Zwist. Bei der Armenienresolution hatte es das Erdogan-Regime ebenso leicht, die nationale Karte zu bedienen. Wenn die türkische Regierung jetzt ihren Botschafter aus Berlin kurzfristig abberuft, ist das eine Reaktion, die zu erwarten war. Schließlich zieht die türkische Regierung damit auch die nationalistische Karte gegenüber Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben und dort oft auch geboren waren.

In den letzten Tagen sah man in Berlin in Deutschland geborene junge Menschen, deren Eltern oder Großeltern aus der Türkei migrierten, mit Türkei-Fahnen in den Händen. Das zeigt, dass wieder einmal die nationalistische Karte bei Menschen gezogen wird, die eigentlich mit dem Land am Bosporus nicht mehr zu tun haben als die meisten Pauschaltouristen aus Deutschland. Diese nationalistische Mobilisierung von Seiten des türkischen Regimes wurde in vielen Medien und in der politischen Klasse Deutschlands ausführlich diskutiert und kritisiert.

Doch, dass auch die Bundesregierung mit der Armenienresolution nationale Narrative bediente, wurde kaum zur Kenntnis genommen. Dabei muss man nur Handlungsanweisungen[6] an die Bundesregierung lesen, die mit der Resolution verbunden sind.

Wie man mit Geschichtsaufarbeitung Weltpolitik macht

Das kommt alles ohne nationalistisches Brimborium und in zivilgesellschaftlichen Ton daher. Mit von der Partie ist aber auch jener typisch deutsche Nationalismus, der mit der Geschichtsaufarbeitung Weltpolitik  betreibt und die deutschen Interessen befördert.

Eine der wenigen kritischen Stimmen dazu kam von dem Politikwissenschaftler Christian Hacke, der im Interview[7] mit dem Deutschlandfunk  gut erkennt, dass die Moralisierung von Politik für den selbsternannten Aufklärungsweltmeister Deutschland seit Jahren der beste Weg ist, die eigenen Interessen durchzusetzen.

Das fast einstimmige Ergebnis bei der Verabschiedung der Armenien-Resolution zeigt, wie gut das funktioniert und wie artig die Oppositionsparteien ihren Part dabei mitspielen. Von den Grünen, die ja ein Schwungrad bei der Übersetzung von Interessenpolitik in Moral sind und waren, war nichts anderes zu erwarten. Da musste Cem Özdemir auch nicht erklären, warum er sich vor mehr als einen Jahrzehnt noch gegen eine Armenienresolution im Bundestag ausgesprochen[8] hat.

Auch die Linkspartei hatte keinen kritischen Blick auf die Interessen des modernisierten deutschen Nationalismus bei der Debatte um die Armenien-Resolution. Das zeigte sich daran, dass sie immer noch davor warnte, die Bundesregierung solle nicht vor Erdogan einknicken[9], als längst klar war, dass es eine klare Fehleinschätzung war. Dabei wurde von vielen Linken-Politikern ein falscher Zusammenhang mit dem Flüchtlingsdeal hergestellt.

Die Türwächter dürfen nicht zu frech werden

Die Armenienresolution sollte nicht diesen Abkommen geopfert werden, im Gegenteil flankiert sie die Politik Deutschlands. Dass die Verabschiedung gerade zu diesem Zeitpunkt erfolgte, sendete die Botschaft aus, die Türkei soll den Torwächter zur Festung Europas spielen, aber bitte nicht mitbestimmen, welche Musik in der Festung bei Hofe gespielt wird.

Es ist dabei bezeichnend, dass bereits vor 100 Jahren von den Planern und Exegeten des deutschen Imperialismus die heutige Türkei mit dem Begriff „Pforte“ belegt wurde. Diese Türwächterrolle soll das Land auch heute noch spielen, wie eben der Flüchtlingsdeal zeigt.

Die Fehleinschätzung der parlamentarischen Linken zeugt von ihrer Unfähigkeit, außenpolitische Ziele Deutschlands analytisch zu erfassen und zu kritisieren.  Wenn dann immer gewarnt wird, nicht vor der Türkei einzuknicken, wird suggeriert, der türkische Nationalismus gebe den Ton vor[10]. Da kann die deutsche Regierung mit Bravour darauf verweisen, dass sie mit der Armenien-Resolution der Pforte schon gezeigt hat, wo die Macht spielt.

Wenn derweil die linke türkische Band Grup Yorum[11] in Deutschland am Auftritt  gehindert[12] und potentiellen Veranstaltern  sogar mit Strafe gedroht wird, dann ist auch das keine Liebdienerei für die Türkei, sondern eine gemeinsame  Interessenpolitik.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48418/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48410/

[2]

https://www.bundestag.de/presse/hib/201606/-/425466

[3]

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/086/1808613.pdf

[4]

https://books.google.de/books?id=bx6GBwAAQBAJ&pg=PA204,#v=onepage&q&f=false

[5]

http://www.hna.de/politik/kontra-armenien-resolution-heftig-umtritten-6447832.html

[6]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundestag-armenien-resolution-im-wortlaut-a-1095397.html

[7]

http://www.deutschlandfunk.de/armenier-resolution-im-bundestag-zusaetzliche-moralisierung.694.de.html?dram:article_id=355827

[8]

http://www.genios.de/presse-archiv/artikel/FAZ/20010405/langer-gang-am-bosporus-was-gegen-e/FD120010405858332.html

[9]

https://www.jungewelt.de/2016/06-02/001.php

[10]

http://www.deutschlandfunk.de/fluechtlingspolitik-europa-hat-sein-schicksal-in-die-haende.694.de.html?dram:article_id=348920

[11]

https://www.facebook.com/grupyorum1985/

[12]

http://political-prisoners.net/item/4322-aufruf-zur-solidaritaet-mit-grup-yorum-an-alle-fortschrittlichen-kraefte-in-europa.html