„Wir verlangen, dass die Taliban die Verfassung nicht in Frage stellen“

Daud Rawosh (Volkspartei): Soziale Gerechtigkeit und der Kampf gegen ethnische Zersplitterung sind zentrale Ziele **

Es gibt Streit zwischen den USA und der afghanischen Regierung wegen der Verhandlungen mit den Taliban. Wie stehen Sie als Vorsitzender einer linken afghanischen Partei dazu?

Wir halten Gespräche mit den Taliban nur unter ganz klaren Bedingungen für sinnvoll. Dazu gehört die Respektierung der afghanischen Verfassung, was die Rechte der Frauen einschließt. Zudem müssen sie den bewaffneten Kampf aufgeben.

Befürchten Sie nach dem Abzug der NATO-Truppen einen Machtzuwachs der Taliban?

Die ausländischen Truppen ziehen nicht vollständig ab. Zudem ist mittlerweile auch eine afghanische Sicherheitsstruktur entstanden, die eine Machtübernahme der Taliban verhindern könnte. Aber selbst auf dieses schlimmste Szenario ist unsere Partei vorbereitet. Schließlich konnten wir selbst unter der Taliban-Herrschaft bis 2001 illegale Strukturen aufrechterhalten.

Wie steht Ihre Partei zur Militärintervention von 2001?

Wir sind prinzipiell gegen jede Besatzung. Doch 2001 gab es für uns nur die Alternative, weiter unter dem besonders reaktionären, mittelalterlichen Taliban-Regime zu leben oder es durch die Intervention loszuwerden. Zudem darf nicht übersehen werden, dass in dieser Zeit Afghanistan zum Aufmarschgebiet von Al Qaida und anderen islamistischen Gruppen geworden war. Deshalb lehnen wir nicht die Intervention ab. Wir protestieren aber gegen jegliche Menschenrechtsverletzungen durch die NATO-Truppen in unserem Land.

Afghanische Frauenorganisationen sehen nicht nur in den Taliban, sondern auch in den Warlords ein Problem.

Wir teilen diese Einschätzung völlig. Der Einfluss islamistischer Herrscher ist ein großes Hindernis bei der Durchsetzung von Demokratie und Frauenrechten.

Könnte durch die Verhandlungen mit den Taliban nicht das Gewicht dieser reaktionären Gruppierungen wachsen?

Die in der Verfassung garantierten Rechte dürfen weder durch die Taliban noch durch andere Gruppierungen infrage gestellt werden.

Wie sehen Sie die Rolle von Präsident Hamid Karsai?

Es ist bekannt, dass Karsai einem korrupten politischen System vorsteht, das in Drogenhandel verstrickt ist. Daher sind wir erklärte Gegner von Karsai. Das schließt allerdings nicht aus, dass wir einzelne Maßnahmen von Karsai unterstützen, wenn sie zur Stärkung der demokratischen Rechte beitragen.

Wie ist die von Ihnen repräsentierte Partei entstanden?

Sie ging voriges Jahr aus »Bewegungen für Demokratie« hervor, die in Afghanistan aktiv waren. Die Partei sieht sich in der historischen Tradition der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA), die 1978 führend an der Aprilrevolution beteiligt war. Dennoch sind wir eine völlig neue Partei, die unter den aktuellen Bedingungen und auf dem Boden der afghanischen Verfassung agiert.

Wie groß ist der Zuspruch bisher?

Viele Aktivisten der DVPA sind auch in der neuen Partei aktiv. Mittlerweile ist sie in 24 der 34 Provinzen vertreten. Ein Schwerpunkt der Partei ist die Arbeit in Gewerkschaften und Frauenorganisationen. Auch der Vorsitzende des afghanischen Handwerksverbandes ist Mitglied unsere Partei.

Welche zentralen Ziele verfolgt Ihre Partei?

Wir kämpfen um soziale Gerechtigkeit und lehnen die ethnische Spaltung ab. Die meisten Parteien in Afghanistan sind nur in einer bestimmten Ethnie verankert, was zur Zersplitterung des Landes führt. Wir hingegen haben eine gesamtgesellschaftliche Perspektive und kämpfen für egalitäre Verhältnisse.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 21. Juni 2013
https://www.neues-deutschland.de/artikel/825090.wir-verlangen-dass-die-taliban-die-verfassung-nicht-in-frage-stellen.html

Interview: Peter Nowak