Auch in Deutschland wächst die Zahl der Menschen, die nur durch die regelmäßigen Besuche von Lebensmitteltafeln über die Runden kommen. Dort geben Händler ihre knapp vor dem Ablauf des Verfallsdatums .
stehenden Waren ab, die dann von den Tafeln in einem streng reglementierten Verfahren an die Bedürftigen teilweise kostenlos, teilweise gegen ein geringes Entgeld abgegeben werden. Mit der Einführung von Hartz IV hat die Zahl der Tafeln und ihrer Nutzer sprunghaft zugenommen. Mittlerweile sind knapp 1,5 Millionen Menschen, neben Erwerbslosen und Rentnern auch zunehmend Geringverdienende und deren Kinder auf die Tafeln angewiesen. Führende Politiker haben die Tafeln mittlerweile als Ersatz für eine staatliche Sozialpolitik akzeptiert. So wetterte auf der letzten Bundeskonferenz der Tafeln Ende Juni in Suhl der stellvertretende Ministerpräsident von Thüringen Christoph Matschie (SPD) mit dem Bundesvorsitzenden der Tafeln, dass die Bevölkerung Thüringens bis zum 20ten Jubiläum der Tafelgründung im April 2013 exakt 32 Tonnen Lebensmitteln sammeln würde.
Aktivisten von sozialen Initiativen sind davon gar nicht begeistert und haben angekündigt, und haben das „Kritische Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln“ gegründet. In einen offenen Brief an die Schirmherrin der Tafeln, die Bundesministerin für Familien, Jugend und Senioren Christina Schröder und Christoph Matschie formulieren sie ihre Kritik. „Der Boom der Tafeln ist das Ergebnis des kontinuierlichen Abbaus des Sozialstaats. Anstatt die Armut nachhaltig durch politisches Handeln zu bekämpfen, wird die private Wohltätigkeit als kostengünstiger Ersatz instrumentalisiert und gefeiert“, heißt es in dem Brief, der unter anderem von dem emeritierten Politologieprofessor und Sozialaktivist unterschrieben wurde.
Manchen Erwerbslosengruppen ist die wesentlich von Intellektuellen getragene Kritische Aktionsbündnis noch zu kompromissbereit.
So ist die langjährige Erwerbslosenaktivistin und Sprecherin der „Hartz-4 Plattform Brigitte Vallenthin aus dem Projekt wieder ausgestiegen. Sie wirft den Initiatoren des Kritischen Aktionsbündnis vor, sich nicht eindeutig gegen die Tafeln auszusprechen sondern Brücken zu den Betreibern der Tafeln bauen zu wollen. „Arbeitslose sollen sich nicht als Begleitmusik für 20-Jahre-Tafel-Jubelfeiern missbrauchen lassen“ betont Brigitte Vallenthin.
Beim ersten Treffen des „kritischen Aktionsbündnisses 20 Jahre Tafeln wurde für das Protokoll festgehalten: „Die Mehrheit der Anwesenden stellte sich hinter die Idee, nicht plakativ gegen die Tafeln zu sein bzw. vorzugehen“ und nur „einige Teilnehmer wünschten sich eine fokussierte Tafelkritik..
„Schon in der Vergangenheit war es schwierig, eine politische Kampagne unter dem Motto „Gegen die Vertafelung der Gesellschaft“ anzustoßen“, erinnert sich ein Aktivist des ehemaligen Berliner Sozialforums. Es hatte vor einigen Jahren eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich mit der Vertafelung der Gesellschaft befassen wollte. „Über das Erstellen eines Thesenpapiers und das Verteilen einiger .Informationsblätter sind die Aktivitäten nicht hinausgekommen“. Er sieht einen Grund darin, auch in der ambivalenten Haltung vieler Erwerbsloser gegenüber den Tafel. Einerseits wird das rigide Kontrollsystem und das Gefühl zum Bittsteller abgestempelt zu werden immer wieder beklagt. Andererseits ist die Angst groß, ohne die Tafeln in noch größere Not zu geraten.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/233536.protest-gegen-vertafelung.html
Wie funktioniert die Stimmungsmache gegen »Transferbezieher«? Eine Untersuchung zeigt, was Bild-Leser von Empfängern des ALG II halten.
Kürzlich versorgte die Bild-Zeitung aus Anlass ihres 60jährigen Bestehens alle deutschen Haushalte mit einem Gratisexemplar. Auch der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) durfte seine Meinung in dieser Jubiläumsausgabe kundtun. Das Boulevardblatt könne »nur Trends verstärken, aber keine eigenen setzen«, befand Schröder im Interview. »Es muss immer eine Stimmung da sein, an die Bild anknüpfen kann.« In der Bevölkerung vorhandene Stimmungen zu nutzen, beherrschte auch er als Kanzler der Agenda 2010 virtuos. Schon zu Beginn seiner Amtszeit stellte er klar: »Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft.«
Der Ausspruch stieß nicht nur an Stammtischen auf Zuspruch. Bild nahm die Stimmung auf und sorgte mit der eigenen Berichterstattung dafür, dass sie erhalten blieb und verstärkt wurde. Das ist das alltägliche Kerngeschäft der Zeitung seit ihrer Gründung. Die Soziologen Britta Steinwachs und Christian Baron haben nun unter dem Titel »Faul, frech, dreist« ein Buch im Verlag »Edition Assemblage« herausgebracht, in dem sie genauer untersuchen, wie die Stimmungsmache gegen Arbeitslose funktioniert.
Anhand des Untertitels »Die Diskriminierung von Erwerbslosigkeit durch Bild-Leser*innen« wird schon deutlich, dass die Autoren einigen gedanklichen Kurzschlüssen mancher Kampagnen gegen die Bild-Zeitung nicht erliegen, in denen das Boulevardblatt vor allem als Medium denunziert wurde, das die Bevölkerung im Sinne der Herrschenden manipuliere. Baron und Steinwachs hingegen konstatieren nicht nur in der Ober- und Mittelschicht, sondern auch unter Lohnabhängigen und sogar den Erwerbslosen selbst eine Stimmung gegen Erwerbslose, die angeblich nicht arbeiten wollen und zu Unrecht Leistungen beziehen.
Als Grundlage der Untersuchung dient die Berichterstattung über den von Bild zu »Deutschlands frechstem Arbeitslosen« stilisierten Arno Dübel. Weil der schwer kranke und seit Jahrzehnten Arbeitslosengeld beziehende Mann sich dafür in der Öffentlichkeit nicht schämte, sondern freimütig bekannte, es gebe für ihn Schöneres als Lohnarbeit, wurde er zum Gegenstand einer Kampagne, an der sich die Leser der Zeitung eifrig beteiligten. Die Autoren haben hierzu Leserkommentare auf Bild.de ausgewertet und in ihre Untersuchung einbezogen. Sie sind in Auszügen auf mehr als 20 Seiten abgedruckt und liefern einen Eindruck von »Volkes Stimme«. Während schriftliche Leserbriefe vor dem Abdruck häufig noch verändert werden, zeigen die Beiträge im Internet ungefiltert, was die Kommentatoren aus der Bevölkerung über Menschen denken, die nicht dazu bereit sind, ihre Arbeitskraft zu jedem Preis und unter allen Bedingungen zu verkaufen.
Genau das nämlich forderten viele, die sich auf Bild.de über Dübel äußerten. Selbst Krankheit und Alter wurden dabei nicht mildernd berücksichtigt. So empfahlen gnädige Bild-Leser, der Mann solle zum »Pappe aufheben im Park« verpflichtet werden oder Einkaufswagen einsammeln. Andere wünschten, er solle im Winter unter Brücken schlafen oder »ganz weggesperrt« werden. »Auf die Straße mit dem Arbeitsverweigerer, der hat nichts anderes verdient«, urteilte eine Person. Schon in der Wortwahl wird deutlich, dass es den meisten Usern um Sanktionierung und Repression ging. Doch Bild-Leser haben auch ein Herz. »Der arme Hund. Der kann doch nichts dafür«, litt ein Schreiber beispielsweise mit Dübels Haustier.
Häufig verwiesen diejenigen, die sich besonders bei der Hetze gegen den Mann hervortaten, darauf, dass sie auch arbeiteten, ohne staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. »Also, ich gehe gerne jeden Morgen arbeiten und bin nicht neidisch auf solche Schmarotzer wie Dübel«, lautet ein repräsentativer Satz. Einige betonten stolz, keine ALG-II-Empfänger in ihrem Freundeskreis zu haben. Manche fanden es besonders verabscheuungswürdig, dass Dübel mit seinem Verhalten »die ehrlichen und anständigen Arbeitslosen« verunglimpfe.
»Wer Gesetze zu seinem Lebensunterhalt in Anspruch nehmen will, muss sich an die Regeln dieser Gesetze halten«, lautete eine gängige Auffassung. Zwar führten wenige Leser Konventionen und Gesetze an, die es verbieten, einen offensichtlich kranken Mittfünfziger mittellos auf die Straße zu setzen. Andere Kommentatoren sahen denn auch gerade in der Existenz solcher Bestimmungen einen schweren Fehler des Sozialstaats. Häufig endeten solche Postings mit den Worten: »Armes Deutschland!«
Baron und Steinwachs haben eine ergiebige Übersicht geliefert. Doch so begrüßenswert ihr Ansatz ist, die Rolle der Bild-Leser in den Mittelpunkt ihre Untersuchung zu rücken und damit die plumpe These zu hinterfragen, das Boulevardblatt betreibe Manipulation von oben, so fragwürdig bleiben ihre weiteren Erklärungen. Sie interpretieren die Hassbotschaften, die sich gegen Dübel richteten, als ein Beispiel von »Klassismus«, einer Diskriminierung von Erwerbslosen durch Lohnabhängige. Allerdings ist diese Klassifizierung in zweifacher Hinsicht fragwürdig.
So dürften zu den Kommentatoren auf Bild.de auch pflichtbewusste Erwerbslose gehören, die ihre ständige Suche nach Lohnarbeit von jemandem wie Dübel lächerlich gemacht sehen. Davon zeugt die Empörung über die vermeintliche Verunglimpfung »ehrlicher und anständiger Arbeitsloser«. Andererseits finden sich unter den Empfängern von ALG II immer mehr Menschen, deren Lohnarbeit nicht mehr ihre Lebenskosten deckt und die daher staatliche Unterstützung benötigen.
Zu diesem Ergebnis kommt eine im Juni veröffentlichte Studie des DGB. Demnach ist das Verarmungsrisiko für Erwerbstätige in den vergangenen Jahren gestiegen und weist zudem regionale Unterschiede auf. In den alten Bundesländern waren Ende 2011 durchschnittlich fast 29 Prozent der ALG-II-Empfänger erwerbstätig. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR war es fast ein Drittel. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen ist sogar mehr als ein Drittel von ihnen berufstätig. Zwischen 2007 und 2010 stieg die Zahl der Haushalte mit mindestens einem erwerbstätigen Empfänger von ALG II in den alten Bundesländern um 14 Prozent, in Ostdeutschland um elf Prozent. Am stärksten war der Anstieg in Berlin. Aber in Bremen, Hessen und Hamburg ist die Zahl der sogenannten Aufstocker ebenfalls stark gestiegen.
Auch sie werden häufig den »Transferbeziehern« zugerechnet und in abwertender Weise den Lohnabhängigen gegenübergestellt, die ohne staatliche Unterstützung auskommen. Der Begriff des Sozialchauvinismus, mit dem linke Gruppen diese Art der Diffamierung in jüngster Zeit häufiger bezeichnen, ist treffender, als von »Klassismus« zu sprechen, denn er umfasst die Aversion gegen die »Transferbezieher«, die eine zentrale Rolle spielt. Der Sozialchauvinismus kann dabei ALG-II-Empfänger mit und ohne Lohnarbeit genauso treffen wie einen Staat wie Griechenland und seine Bevölkerung. Es ist kein Zufall, dass sich auch hier Bild besonders dabei hervortut, vorhandene Stimmungen zu verstärken.
http://jungle-world.com/artikel/2012/28/45835.html
Erwiderung von Andreas Kemper:
http://andreaskemper.wordpress.com/2012/09/24/sozialchauvinismus-oder-klassismus/
Peter Nowak
In einer aktuellen Entscheidung bewertet das Gericht die Hartz IV-Sätze als mit dem Grundgesetz vereinbar
Geklagt hatte eine arbeitslose 54-jährige Frau, die im Raum Mannheim allein in einer Mietwohnung lebt. Sie hält den Hartz-IV-Satz für Erwachsene von derzeit 374 Euro pro Monat für zu niedrig und forderte rund 1.000 Euro. Andernfalls seien ihre Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip verletzt. Bereits das Landessozialgericht Baden-Württemberg hatte ihre Klage 2011 abgelehnt. Das vom Gesetzgeber gewählte Statistikmodell, das auf den Verbrauch der 15 Prozent niedrigsten Verdiener in Deutschland abstellt, sei zulässig. Abschläge für chemische Reinigung, Färben der Kleidung, aber auch für Alkohol seien vertretbar, so die Richter. Weil die Frau in Revision ging, musste sich nun erstmals das Bundessozialgericht in einem Piloturteil mit den Hartz IV-Sätzen befassen.
Hoffnungen auf Bundesverfassungsgericht?
Auch einige Erwerbslosengruppen machten sich große Hoffnungen, dass die neuen Hartz IV-Sätze juristisch zu Fall gebracht werden könnten. Ihre Hauptargumente lauteten, bei den neuen Hartz-Sätzen seien als Vergleichsmaßstab statt vorher 20 Prozent nur 15 % der Bevölkerung mit niedrigem Einkommen herangezogen worden. Sie sind daher anders, als es das Bundesverfassungsgericht 2010 in seinen Urteil gefordert hatte, nicht nachvollziehbar und transparent errechnet worden.
Zudem seien in dieser Gruppe auch Menschen im Niedriglohnsektor vertreten gewesen, denen eigentlich Leistungen nach Hartz IV zustehen, die aber diese Leistungen nicht beantragen. Auf diese Weise wurde der Satz künstlich niedriger berechnet. Zudem halten es die Erwerbslosengruppen nicht für plausibel, dass ein Essen im Restaurant oder Geld für Schnittblumen oder alkoholische Getränke nach dem Willen der Bundesregierung nicht mehr zu den Posten gehören sollen, die aus dem Regelsatz für Hartz-IV-Bezieher bezahlt werden. Damit werde der Grundsatz verletzt, dass das Existenzminimum auch die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen ermöglichen müsse.
Dieser Lesart ist das Bundessozialgericht nicht gefolgt und steht jetzt in der Kritik von Erwerbslosenaktiven. So moniert Martin Behrsing vom (Erwerbslosenforum Deutschland
„Das Bundessozialgericht (BSG) hält die sogenannte Hartz-IV-Reform von 2011 und die damit verbundene Armut verfassungsgemäß.“
Behrsing wirft den Kassler Richtern vor, „kaum etwas mit den Realitäten der Hartz IV-Armut zu tun zu haben“. Allerdings war es von Anfang auch unter aktiven Erwerbslosen umstritten, mangels einer durchsetzungsstarken Bewegung auf die Richter zu setzen. Doch noch sind die Hoffnungen auch bei den Erwerbslosen, die auf den Rechtsweg setzen, nicht ganz geschwunden.
Schließlich muss sich auch das Bundesverfassungsgericht noch mit den Hartz IV-Sätzen befassen. Denn Ende April hatte die 55. Kammer des Sozialgerichts Berlin die Position vertreten, dass die Hartz-IV-Sätze derzeit für Erwachsene um 36 Euro im Monat zu niedrig liegen. Richter Georg Rudnik hat daher seinerseits das Bundesverfassungsgericht um Prüfung gebeten (Hartz IV beschäftigt weiter die Gerichte). Die Karlsruher Richter sind nicht von den Entscheidungen der Kasseler Kollegen abhängig. Allerdings beobachten sie die Rechtssprechung und können sich mit ihrer Entscheidung Zeit lassen. So mag der Richterspruch aus Kassel nicht alle Hoffnungen auf ein juristisches Aus der Hartz-IV-Sätze bedeuten, ein Dämpfer ist er allemal.
Subvention für Unternehmer: Hartz IV ist längst nicht mehr nur eine Art prekäre Grundsicherung für Erwerbslose, sondern auch für Erwerbstätige
Immer öfter reicht das Einkommen von Beschäftigten nicht mehr zum Leben und die Betroffenen müssen mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle DGB-Studie. Demnach ist das Verarmungsrisiko Erwerbstätiger in den letzten Jahren gestiegen und weist große regionale Unterschiede auf. In den alten Bundesländern waren Ende 2011 durchschnittlich fast 29 Prozent der Hartz-IV-Empfänger zwischen 15 und 64 Jahren erwerbstätig. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR waren es fast ein Drittel. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen ist sogar mehr als ein Drittel der Hartz-IV-Bezieher berufstätig. Zwischen 2007 und 2010 stieg die Zahl der Haushalte mit mindestens einem erwerbstätigen Hartz-IV-Bezieher in den alten Bundesländern um 14 Prozent und in Ostdeutschland um 11 Prozent.
Berlin: arm, aber Hartz IV
Am stärksten war der Anstieg von erwerbstätigen Hartz-IV-Empfängern in Berlin. „Arm, aber Hartz IV“, könnte man einen vielzitierten Spruch des amtierenden Regierenden Bürgermeisters variieren. Aber auch in Bremen, Hessen und Hamburg ist die Zahl der erwerbstätigen Hartz-IV-Empfänger stark gestiegen. Die Studie belegt einmal mehr eine in der Öffentlichkeit noch immer zu wenig wahrgenommene Tatsache: Hartz IV ist längst nicht mehr nur eine Art prekäre Grundsicherung für Erwerbslose, sondern auch für Erwerbstätige.
Die Vorstellung der klassischen Nationalökonomie, dass die Unternehmen für die Reproduktionskosten der bei ihnen Beschäftigten aufkommen müssen, wird so tendenziell immer häufiger außer Kraft gesetzt. Hartz IV ist so auch eine Subvention für die Kapitalseite. Schließlich sind die Reproduktionskosten für den Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Arbeitskraft der Beschäftigten unabdingbar. Genau diese Funktion kann in immer mehr Fällen nur noch mittels Hartz IV sichergestellt werden.
In einigen Branchen des boomenden Niedriglohnsektors mag es für die Unternehmen tatsächlich nicht möglich sein, die Reproduktionskosten der Beschäftigten zu tragen. Das trifft beispielsweise auf den boomenden Spätkaufsektor, aber auch für Internetcafes oder Friseurläden zu. In anderen Fällen bedeutet die Lohnsubvention durch Hartz IV einen Extraprofit für die Unternehmer, weil sie nicht einmal mehr für die Reproduktionskosten der Beschäftigten aufkommen müssen. Das ist auch eine Folge der fehlenden Verhandlungsmacht der Beschäftigten und der Gewerkschaften.
Es ist kein Zufall, dass der Anteil der erwerbstätigten Hartz-IV-Empfänger in den neuen Bundesländern besonders hoch ist. Schließlich wurde dort in den 1990er Jahren die Strategie des fast gewerkschaftsfreien Niedriglohnsektors durchgesetzt und dann auf die alten Bundesländer übertragen.
„Helft Heinrich“
Der DGB zieht aus den Ergebnissen der Studie das Fazit, dass ein Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro die Zahl der Hartz-IV-Aufstocker senken und zu einer finanziellen Entlastung der Kommunen und Gemeinden beitragen kann. Zudem würde er die Beschäftigten davor schützen, Lohnarbeit zu fast jeder Bedingung anzunehmen. Genau aus diesem Grunde aber sind Kapitalverbände, die FDP und Teile der Union strikt gegen diese Mindestlöhne. Schließlich hat der Hartz-IV-Bezug sanktionierende und disziplinierende Wirkung und führt zudem noch zur Stigmatisierung. Wenn BILD-Leser voller Stolz posten, keine Hartz IV-Bezieher in ihrem Bekanntenkreis zu haben, wie Christian Baron und Britta Steinwachs in ihrer kürzlich veröffentlichten Untersuchung von „Diskriminerung von Erwerbslosigkeit durch BILD-Zeitungsleser“ dokumentieren, dann wird diese Funktion besonders deutlich. Auch die Autoren unterliegen dabei noch einem Irrtum: Nicht nur Erwerbslose, sondern auch Erwerbstätige mit Niedriglohn werden hier diskriminiert.
Angesichts der Studienveröffentlichung erscheint es gar nicht so absurd, dass belgische Gewerkschaften im letzten Jahr mit der Kampagne „Helft Heinrich“ vorgeschlagen haben, Arbeitnehmer in Deutschland beim Kampf für höhere Löhne zu [www.ak-gewerkschafter.de/2011/07/15/interview-mit-manni-engelhardt-zu-helft-heinrich/ unterstützen]. Auch die Begründung war bedenkenswert.
Höhere Löhne in Deutschland würden auch den Druck der deutschen Regierung vor allem auf die Staaten der europäischen Peripherie verringern, dort ähnliche Niedriglohnsektoren einzuführen. Nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass in Griechenland und Spanien kein Spielraum für die staatliche Lohnsubventionierung nach dem Hartz-IV-Äquivalent besteht und dort die Menschen in die nackte Armut getrieben werden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152278
Peter Nowak
Tarifpartner wollen Modelle für alternsgerechtes Arbeiten im Dienstleistungsbereich entwerfen
Alle reden davon, dass die Zahl der jüngeren Menschen in unserer Gesellschaft zurückgeht. Was bedeutet die Entwicklung für die Arbeitswelt? Dieser Frage widmete sich eine Konferenz in Berlin.
Mit einer Konferenz in Berlin wurde diese Woche der Startschuss für das bislang größte Demografie- und Tarifprojekt zur Zukunft der Dienstleistungsbranche in einer alternden Gesellschaft gegeben. Getragen wird es von der Gewerkschaft ver.di, Branchenverbänden und Politik. Unter dem Namen »Zusammen wachsen, Arbeit gestalten« sollen bis 2014 für fünf große Dienstleistungsbereiche – Handel, Pflege, Erziehungs- und Sozialdienst, ÖPNV und Straßenmeistereien – Modelle für alternsgerechte Arbeit entwickelt und erprobt werden. Experten aus 50 Tarifgebieten sind beteiligt.
»Der zu erwartende Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter um gut fünf Millionen in den kommenden 15 Jahren macht deutlich, dass die Zeit drängt«, erklärte Projektleiterin Tatjana Fuchs. Als einen wichtigen Schritt nannte sie eine Verständigung über Bedingungen für ein gesundes und motivierendes Arbeiten »vom Berufsstart bis zum Renteneintritt«. Wie ver.di-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger erklärte, sollen Beschäftigte »auch in Zukunft gesund und sozial abgesichert in Rente gehen können«.
Davon können allerdings viele Arbeitnehmer schon heute nur träumen. Vor allem im Einzelhandel und im Pflegebereich sind niedrige Löhne und der Arbeitsdruck besonders stark ausgeprägt. Deshalb könnten sich die Bedingungen für die Beschäftigten sogar verbessern, wenn durch die demografische Entwicklung Arbeitskräftemangel herrscht. Es war der Vertreter des Unternehmerlagers, der diesen Punkt offen ansprach. Bald werde die Zeit vorbei sein, so Rainer Marschaus, Tarifexperte der Metro AG, wo Mitarbeiter mit der Drohung eingeschüchtert werden können, es warteten Hunderte, die seine Stelle gerne übernehmen würden.
Verbessern sich durch diese Situation die Kampfbedingungen für Gewerkschaften? Die Antwort von ver.di-Frau Nutzenberger fiel zurückhaltend aus. Einerseits bekräftigte sie die Kritik ihrer Gewerkschaft an der Rente mit 67. Andererseits ließen gleich mehrere Podiumsteilnehmer durchblicken, dass sie von einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit ausgehen – den Kampf also verloren geben. Nutzenberger betonte an dieser Stelle erneut, dass die Arbeitsbedingungen derart verbessert werden müssten, dass gute Arbeit von der Ausbildung bis ins hohe Alter möglich würde. Die Frage nach dem Beginn des Rentenalters blieb hierbei offen. Auch von der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens und Weiterbildens sprachen mehrere Podiumsteilnehmer. Auch hier wurde die Frage ausgeblendet, wie aus einem Recht eine Pflicht zum lebenslangen Lernen wird.
Der Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium Gerd Hoofe blieb mit seiner Argumentation ganz dem Standort Deutschland verpflichtet, wenn er davor warnte, dass ein durch die demografische Entwicklung bedingter Arbeitskräftemangel die Wirtschaft Deutschlands gefährde. Unternehmen, die kräfteschonende Arbeitsbedingungen schaffen und das Wohlbefinden der Beschäftigten in den Mittelpunkt stellen, sind für ihn daher gleich ein Beitrag zur Stärkung des deutschen Wirtschaftsstandorts.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/230445.demografie-und-arbeitswelt.html
Peter Nowak
Während selbstbewusste Vorschläge der Beschäftigten in den Medien größtenteils ignoriert wurden, werden sie zu rettungsbedürftigen Opfern erklärt
Alles, nur nicht in Hartz IV enden. Dieses Credo führt seit Jahren dazu, dass Lohnabhängige immer wieder der Verschlechterung ihres Lohnes und ihrer Arbeitsbedingungen zuzustimmen, damit sie nur nicht arbeitslos werden. Für Tausende Schlecker-Beschäftigte ist nach dem endgültigen Aus der Drogeriekette das Horrorszenario wahr geworden. Für viele von ihnen scheint der Weg in Arbeitslosigkeit und der Hartz IV-Bezug unausweichlich. Nun stilisiert die FAZ ausgerechnet den Hartz IV-Namensgeber Peter Hartz pauschal zum Retter der Schlecker-Frauen.
Die Meldung ist allerdings eher ein Beispiel für Meinungsmache durch irreführende Überschriften. Denn erst im Text wird die örtliche Begrenzung des Angebots auf das kleine Saarland erwähnt. Doch auch für sie ist diese Rettung eher ein beleidigendes Angebot, das sie in ihrer Notlage aber nicht wohl mehrheitlich nicht ausschlagen können.
„Das Minipreneure-Zentrum in Saarbrücken bietet den „Schlecker-Frauen“ an, sie zu schulen und herauszufinden, wo ihre Stärken liegen, mit ‚Talentdiagnostik‘, ‚Gesundheitscoaching‘ und ‚Kreativworkshop‘. Um die Arbeitslosen zu revitalisieren, wie Peter Hartz einmal sagte. Saarbrücken bietet den ‚Schlecker-Frauen‘ an, sie zu schulen und herauszufinden, wo ihre Stärken liegen, mit ‚Talentdiagnostik‘, ‚Gesundheitscoaching‘ und ‚Kreativworkshop‘.“
Wie die Schlecker-Frauen ganzheitlich in den Blick genommen werden
Es sollen also die Methoden an den Schlecker-Frauen ausprobiert werden, die zum Kernbestand der Hartz IV-Gesetzgebung gehören und seit der Einführung genau so stark in der Kritik sind wie die Sanktionen und die niedrigen Hartz IV-Sätze. Es geht um den gläsernen Erwerbslosen, der fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden soll.
In der Sprache der professionellen Arbeitsvermittler heißt es auf der Homepage des Projektes:
„Minipreneure ist ein transdiziplinäres Projekt, das in ganzheitlicher und differenzieller Weise langzeitarbeitslose Menschen in den Blick nimmt.“
Dabei zeigt sich gerade am Beispiel der Schlecker-Beschäftigten, wie absurd das Angebot ist. Sie sollen revitalisiert werden, obwohl sie nicht nur seit Monaten um ihre Arbeitsplätze kämpfen und auch immer wieder betonen, mit der schlechten Geschäftspolitik, die zur Pleite führte, bestimmt nichts zu tun haben. Viele von ihnen haben im Rahmen der Schlecker-Kampagne, die zum Startschuss für eine Gewerkschaftspolitik wurde, die mit sozialen Initiativen kooperierte, gegen schlechte Löhne und Arbeitsbedingungen und das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren und Betriebsräte zu wählen, gekämpft.
Auch nach Bekanntwerden der Schlecker-Pleite war bei vielen von ihnen etwas von dem Selbstbewusstsein zu spüren, das sie sich in der langen Auseinandersetzung mit dem Schlecker-Imperium erworben haben. So brachten vor allem einige Scklecker-Beschäftigte aus dem Südwesten der Republik den Vorschlag ein, die Läden in Form einer Genossenschaft weiterzubetreiben. Anders als ihre Bosse würden sie schließlich genau wissen, was ihre Kunden wünschten und so trauen sie sich zu, die Läden in kurzer Zeit wieder in die Gewinnzone zu bringen, so ihre Begründung.
Hilfe durch Kredite zu Wulff-Bedingungen
Da es auch aus gewerkschaftlicher Sicht begründete Vorbehalte gegen das Genossenschaftsmodell gab, weil die Beschäftigten dort mit ihren Löhnen haften müssten, hatten einige der Schecker-Frauen den Vorschlag gemacht, der Staat solle mit einen Wulff-Kredit aushelfen. Zur Erinnerung: Der damalige Bundespräsident Christian Wulff stand wegen eines Kredites zu sehr günstigen Bedingungen für die Finanzierung seines Eigenheimsbaus in der Kritik. Statt sich der landesweiten moralischen Empörung anzuschließen, forderten die Schlecker-Beschäftigten Kredite zu solchen Konditionen zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Die Debatte um solche unkonventionellen Modelle wurde allerdings in den meisten Medien ignoriert.
Solche selbstbewussten Vorschläge passten nicht in eine Medienlandschaft, welche die Schlecker-Beschäftigten zu duldenden Opfern macht. Dass ein Angebot, das für die Betroffenen eine Zumutung sein muss, als Rettung durch Peter Hartz gefeiert wird, vervollständigt dieses Bild.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152138
Peter Nowak
Öko-Textil-Versand Hessnatur an Private-Equity-Fonds verkauft
Überraschend hat das Besitzerkonsortium von Hessnatur den Naturmodehersteller an den Schweizer Fonds Capvis verkauft.
Der Naturmodehersteller Hessnatur soll vom Schweizer Finanzinvestor Capvis übernommen werden. Bei Mitarbeitern und Kunden sorgt diese Meldung für Empörung. Dabei schienen sie vor wenigen Tagen noch am Ziel eines monatelangen Kampfes zu sein: »Die hnGeno eG, die Genossenschaft zur Weiterführung von Hessnatur, plant gemeinsam mit der Deutschen Industrie-Holding (DIH) das Naturmodeunternehmen zu erwerben, das Geschäft weiterzuführen und weiter zu entwickeln. Ein entsprechender Konsortialvertrag wurde bereits notariell beurkundet«, heißt es in einer Pressemitteilung vom 31. Mai.
Dass Beschäftigte »ihre« Firma nicht an jeden Investor verkaufen lassen wollen, ist selten und hat eine Vorgeschichte: Im Dezember 2010 war bekannt geworden, dass Hessnatur an den Rüstungsinvestor und Private-Equity-Fonds Carlyle verkauft werden sollte. Viele Kunden und Mitarbeiter lehnten diesen Deal ab. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac organisierte unter dem Motto »Hessnatur in die Hände von Kunden und Belegschaft« eine bundesweite Kampagne. In der ersten Runde setzten sich die Kritiker durch. Nachdem Tausende einen Boykottaufruf unterzeichnet hatten, zog sich Carlyle zurück.
Der Erfolg war für die Kritiker Ansporn, mit der Genossenschaft eine Alternative zu kreieren, die auch über Hessnatur hinaus ausstrahlen könnte. Hierin dürfte auch der Grund liegen, dass der Verkäufer KarstadtQuelle Mitarbeitertrust (KQMT), der in Hessnatur in erster Linie eine Finanzierungsquelle für die Rentenansprüche des in Konkurs gegangenen Unternehmens sieht, nicht an die Genossenschaft verkaufen will, sondern jetzt das Angebot des Fonds Capvis annahm. Finanzielle Gründe können es nicht gewesen sein: Die Genossenschaft habe die gleiche Summe wie Capvis geboten und die Rentensprüche seien garantiert gewesen, betont Jutta Sundermann vom Attac-Koordinierungsrat gegenüber »nd«.
Auch Giuliana Giorgi von der Kampagne »Betriebe in Belegschaftshand / Netzwerk Solidarische Ökonomie« sieht in der Nichtberücksichtigung des Genossenschaftsangebots den Versuch, ein Modell zu verhindern, in dem Beschäftigte und Mitarbeiter selbst aktiv werden. »Ich finde es unglaublich, dass der KQMT nicht zur Kenntnis nimmt, dass sich Beschäftigte und Mitarbeiter zusammengeschlossen haben, um die Firma Hessnatur mit ihrem bisherigen Profil zu retten«, so Giorgi. Sollte der Verkauf an Capvis nicht gestoppt werden, könnten viele Kunden die Firma demnächst boykottieren, so ihre Befürchtung. In einem Dilemma befinden sich dann die Mitarbeiter, die um ihre Jobs fürchten müssten.
Sundermann kritisierte in einer Pressemitteilung, der Verkauf an einen reinen Finanzinvestor wie Capvis stehe im Widerspruch zum sozialen und ökologischen Unternehmensmodel von Hessnatur. Die Gefahr eines baldigen Weiterverkaufs – auch an Rüstungsprofiteure wie Carlyle – sei sehr groß.
Trotz der Lektion in fehlender Wirtschaftsdemokratie, die der KQMT erteilt hat, will die hnGeno nicht aufgegeben. Schließlich ist der Kaufvertrag mit Capvis noch nicht endgültig abgeschlossen. Die Genossenschaft versucht sich nun weiterhin als attraktiver Mitbieter zu präsentieren. Das ist wiederum ein Dilemma für Organisationen wie Attac, die deshalb bisher nicht zu Protesten gegen den Blitzverkauf aufgerufen haben. Denn noch gibt es die Hoffnung, dass die Genossenschaft zum Zuge kommt, wenn sie ihr Eigenkapital erhöht.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/228681.
genossenschaft-unerwuenscht.html
Peter Nowak
Warten auf Tag X
Mit einem Tag X will der „Aktionsauschuss 100 Prozent S-Bahn“ in den kommenden Wochen gegen eine geplante Ausschreibung des Verkehrsmittels protestieren. Die Ausschreibung werten soziale Initiativen als Einstieg in die Privatisierung. Mobilisiert werden sollen sowohl GewerkschafterInnen, die bei einer Privatisierung die Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen fürchten, aber auch S-Bahn-NutzerInnen und soziale AktivistInnen. Die Art der Aktionen ist offen, zentrale Vorgaben sind nicht geplant.
Schon seit Monaten sammeln im Bündnis S-Bahn-Tisch zusammengeschlossene Initiativen Unterschriften für ein Volksbegehren gegen die Privatisierung. Die erste Stufe wurde erfolgreich abgeschlossen. Weil der Senat den Inhalt des Referendums juristisch prüft, liegt es derzeit auf Eis. „Es ist eine Missachtung der Demokratie, dass die Vorbereitungen zur Ausschreibung weiterlaufen“, so eine Sprecherin des S-Bahn-Tischs gegenüber der Taz. Mit dem Tag X könnte so auch der Unmut über die Verschleppung des Volksbegehrens ausgedrückt werden.
Der „Aktionsausschuss 100 Prozent S-Bahn“ hofft, dass sich unterschiedliche Initiativen zu Volksbegehren am Protest beteiligen. Mit dem Energietisch und dem Wassertisch gibt es derzeit drei Initiativen, die sich mit Referenden gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen wenden. Eine Sprecherin des Aktionsausschusses sieht gute Chancen, dass der Tag X auf große Resonanz auch bei den übrigen Initiativen stößt: „Es hat sich immer wieder gezeigt, dass sich eine Mehrheit der Bevölkerung gegen die Privatisierung öffentlicher Güter wendet. Mit dem Tag X könnten diese Mehrheiten von Umfragen auch in politische Aktivititäten umgewandelt werden.“
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2012%2
F05%2F31%2Fa0179&cHash=9f982589a2
Peter Nowak
Nichtregierungsorganisationen gehen mit dem scheitenden Chef der Deutschen Bank Ackermann ins Gericht und machen sich Sorgen um das Image der Bankenelite
Die Ära Ackermann ist sozial und ökologisch verheerend. Zu diesem wenig überraschenden Befund kommt das Bündnis „Andere Banken braucht das Land“, die gestern in Berlin ein Dossier vorgestellt haben, in dem sie mit Ackermanns Wirken bei der Deutschen Banken hart ins Gericht gehen. Im Details finden sich sehr prägnante Beispiele für ihren kritischen Befund.
So weist Thomas Küchenmeister von der NGO Facing Finance auf die Rolle der Deutschen Bank im Rüstungsgeschäft hin.
„Allein zu den fünf weltweit größten Waffenherstellern und Exporteuren unterhält die Deutsche Bank Geschäftsbeziehungen in einer Größenordnung von über 3 Mrd. Euro. Die Geschäftsbeziehungen zu Streumunitionsherstellern summieren sich derzeit – und trotz mehrfacher Ausstiegsbeteuerungen seitens der Bank – auf 500 Mio. Euro.“
So gehören zu den Geschäftspartnern der Deutschen Bank auch die Herstellerfirmen des Kampfpanzers Leopard 2, der an Saudi-Arabien geliefert werden soll. Der stellvertretende Geschäftsführer der Verbraucherorganisation foodwatch Matthias Wolfschmidt moniert die PR-Tricks der Deutschen Bank:
„Es ist unredlich, die Absage an neue, börsengehandelte Anlageprodukte auf Basis von Grundnahrungsmitteln als großen Fortschritt zu verkaufen, wenn gleichzeitig die bestehenden Produkte fortgeführt werden und die Hungerkrise in der Welt verschärfen.“
Viele der Kritikpunkte sind nicht neu und trotzdem ist es sinnvoll, sie noch einmal in einem Dossier zusammen zu tragen.
Sehnsucht nach der besseren Bankelite?
Doch auffällig ist, dass das Bündnis teilweise auftritt, als ging es ihm vor allem um das Image der Deutschen Bank. In dem Dossier sehen sie es nämlich durch Ackermann persönlich beschädigt.
„Dem Anspruch, zur weltweit führenden Bankenelite zu gehören, wird Ackermann in keiner Weise gerecht. Im Gegenteil: Oftmals hat die Bank in der Vergangenheit auch Geschäfte getätigt, die bei anderen Finanzinstituten längst auf dem Index stehen.“
Dies moniert beispielsweise Barbara Happe von der Nichtregierungsorganisation urgewald. Die Frage, ob nicht Banken, besonders wenn sie zur Elite gehören wollen, bestimmten systemischen Zwängen unterliegen, die ein Ackermann weder erfinden noch außer Kraft setzen kann, stellt sich dann scheinbar nicht.
Es ist sicher verständlich, dass von einem Bündnis, das schon im Namen den Anspruch trägt, bessere Banken aufbauen zu wollen, keine grundsätzliche Kritik an der kapitalistischen Verwertung erwartet werden kann. Allerdings hätte man schon erwarten können, dass in die Kritik der Gedanke aufgenommen wird, dass es nicht in erster Linie die Fehler einzelner Bankiers, die auch noch populistisch als Zocker beschrieben werden, zu den in den Dossier beschriebenen Fehlentwicklungen beigetragen haben.
Vielleicht werden die Ackermann-Kritiker sich sogar mal zu der Zeit zurück sehnen, als der Namensgeber für das scheinbar perfekte Feindbild sorgte. Auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank am kommenden Donnerstag wird er diese Rolle noch einmal ausfüllen.
Das globalisierungskritische Netzwerk Attac lädt zu einem Pressetermin ein. In der Einladung wird die Choreographie so beschrieben:
„Unter einem Banner mit dem Schriftzug ‚Ackermanns Vermächtnis – Jain, lass es sein‘ stehen drei menschliche Statuen. ‚Steuerflucht‘ hält eine Palme in den Händen, sie ist bereits auf dem Weg in Richtung Steueroase; ‚Rüstungsinvestitionen‘, trägt ein Gewehr; und ‚Nahrungsmittelspekulation‘ macht aus Weizenähren lieber Geld als Brot.“
Tatsächlich dürften auch die Aktivisten wissen, dass der von ihnen geforderte Kurswechsel auch nach dem Ende der Ära Ackermann nicht stattfinden wird, solange die inkriminierten Produkte Profite bringen. Zumindest dürfte dann klar werden, dass die Fehler eben nicht in erster Linie bei Ackermann liegen. Nur wird es nicht einfach sein, seine Nachfolger als ebenso große mediale Feindbilder aufzubauen. Das wäre die richtige Zeit für die Kritiker zu überlegen, ob es nicht Zeit für eine weniger personifizierende Bankenkritik wäre und ob sie die Sorgen um das Ranking um die Bankenelite nicht den Aktionären überlassen sollten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152094
Peter Nowak
Kreuzberger Mieter/innen wehren sich gegen Vertreibung
Wo sich die Manteuffelstraße und die Waldemarstraße kreuzen, treffen zwei Realitäten aufeinander. Das grelle Schild mit der Leuchtschrift „Casino“ über dem Laden in der einen Haushälfte des Eckgebäudes zeugt von der Ausbreitung einer Unterhaltungsbranche auf Niedriglohnbasis. Auf anderen Haushälfte prangt wie ein Relikt aus dem Kreuzberg der 80er Jahre der handgemalte Schriftzug „M99 – Gemischtwarenhandel mit Revolutionsbedarf“.
Erst vor wenigen Monaten konnte der Betreiber des Geschäfts „M99“ Hans-Georg Lindenau wieder einmal eine Klage zur Räumung seiner Ladenwohnung zurückweisen. Er weiß, dass er mit dem juristischen Erfolg vor allem Zeit gewonnen hat. Denn die Vertreter der Hauseigentümer, der BPP Berlin Property GmbH & Co. KG, verhehlen nicht, dass sie bereits eine neue Kündigung vorbereiten und mit dem Fotoapparat nach möglichen Gründen Ausschau halten. Für sie sind die Altmieter/innen ein Investitionshindernis. Das große vor 1862 erbaute Gebäude weckte bereits das Interesse verschiedener Investoren. In den letzten Jahren kapitulierten nacheinander fünf Hauseigentümer vor den gut vernetzten Mieter/innen, die ihre Rechte kennen und so manche Modernisierungspläne durchkreuzten. Der sechste Eigentümer scheint hartnäckiger zu sein.
Verdoppelung der Mieten nach Modernisierung
Die BPP Berlin Property GmbH & Co. KG besitzt Immobilien in verschiedenen Berliner Stadtteilen, darunter mehrere große Eckhäuser, beispielsweise in der Mittenwalder Straße 51 und der Reichenbergerstraße 152 in Kreuzberg sowie in der Eisenacher Straße 3 und 3a in Schöneberg. Auch in der Manteuffelstraße 99 sind mittlerweile sieben Wohnungen modernisiert und zu Quadratmeterpreisen von 10 Euro vermietet, während die fünf Altmieter/innen weiterhin weniger als die Hälfte zahlen. Zwischen den beiden Mietergruppen gibt es wenig Berührungspunkte. Das liege aber nicht an einer emotionalen Ablehnung, sondern an den unterschiedlichen Interessen, betont Lindenau. Weil die Neumieter/innen nicht nur mehr als die doppelte Miete zahlen, sondern auch ganz andere Mietverträge als die Altmieter/innen haben, sind ihre Forderungen oft auch völlig verschieden. So haben die Neumieter/innen in einem Brief an die Eigentümerin die Abschaffung des Hausmeisters gefordert. Die Altmieter/innen lehnen das strikt ab, weil sie befürchten, dass es dann noch schwieriger wird, Reparaturen oder auch nur das Auswechseln einer kaputten Glühbirne im Treppenhaus durchzusetzen. Vor Gericht mussten die Altmieter/innen ziehen, weil die ihnen mietvertraglich zustehenden Keller an die Neumieter/innen verteilt werden sollten. Diese hatten übersehen, dass ihnen entsprechend ihrer Mietverträge kein Keller zusteht. Der Erhalt ihrer Kellerräume war ein weiterer Erfolg der Altmieter/innen. Sie bekommen Unterstützung von anderen Kreuzberger Mieter/innen, die sich ebenfalls gegen Verdrängungsversuche wehren. So hat eine Projektgemeinschaft, die vor zwei Jahren die Räume eines ehemaligen Schülerladens in der Oranienstraße 14a gemietet hat, ihre Nachbar/innen in einen offenen Brief über ihren Widerstand gegen eine Mieterhöhung von 50% zum 1. Mai 2012 informiert.
http://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2012/me-single/article/
modernisierung-in-der-manteuffelstrasse-99.htm
MieterEcho 354 / Mai 2012
Peter Nowak
Prominent besetzt wird die heutige Veranstaltung wohl sein: EU-Kommissar Günther Oettinger und die Bundesminister Peter Ramsauer (CSU) und Philipp Rösler (FDP) sowie Exminister Joschka Fischer (Grüne) werden im Schöneberger Gasometer erwartet. Sie werden mit dem Lobbyverband „Zentraler Immobilienausschuss“ den Tag der Immobilienwirtschaft begehen und über verbesserte Rahmenbedingungen für die Wirtschaft beraten. Ab 12 Uhr wollen MieterInnenverbände vor dem Tagungsort gegen das Treffen protestieren. „Wir wollen ausdrücken, dass die Interessen der MieterInnen vom Lobbyverband der Immobilienwirtschaft mit Füßen getreten werden“, begründete David Schuster vom Protestbündnis gegenüber der taz die Aktion. MieterInnen aus verschiedenen Stadtteilen wollen außerdem über ihren Widerstand gegen Mieterhöhungen berichten.
Der Protest soll ein Warm-up für eine berlinweite Demonstration unter dem Motto „Keine Rendite mit der Miete“ sein, mit der MieterInnen- und Stadtteilverbände am 18. Juni gegen den an diesem Tag im Hilton-Hotel stattfindende Jahrestagung der Immobilienwirtschaft protestieren wollen.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/
?ressort=ba&dig=2012%2F05%2F23%2Fa0145&cHash=7a58646a45
Peter Nowak
Nach einem erfolgreichen Volksentscheid müssen die Initiatoren oft weiter für ihr Anliegen kämpfen
Welche Bedeutung haben Volksbegehren für den Kampf gegen Privatisierung und für die Durchsetzung umweltfreundlicher Politik? Die Erfahrungen in Berlin sind zwiespältig.
Der Berliner Energietisch will die Stromnetze der Stadt wieder in kommunale Hand überführen. Aktivisten haben in den vergangenen Wochen über 16 000 Unterschriften gesammelt, um die erste Phase des Volksbegehrens einzuleiten. Zu dem Bündnis aus 39 Organisationen, das das Volksbegehren gestartet hat, gehört die Gruppe »Für eine linke Strömung« (FelS). Sie sieht darin einen Beitrag zum Kampf gegen umweltschädliche Energieformen und für den Zugang für alle zu Energie. Dass diese Frage nicht nur im globalen Süden aktuell ist, macht Susanne Pahnke von FelS am Beispiel der Strom- und Gasabschaltungen deutlich, mit denen einkommensschwache Menschen auch hierzulande konfrontiert sind. »Wenn ich Unterschriften sammle, kommt die Diskussion schnell auf die Frage, wem die Politik der Privatisierung nutzt und wem sie schadet«, sagt sie. Schnell werde man sich dann einig, dass die Güter der Daseinsvorsorge dem Gesetz der Profitmaximierung entzogen werden sollen. Für die FelS-Aktivistin ist das Volksbegehren eine Möglichkeit, Kapitalismuskritik in größeren Kreisen der Bevölkerung zu verankern.
Dorothea Härlin hat mit dem Berliner Wassertisch schon ein erfolgreiches Volksbegehren organisiert. Dadurch mussten die Verträge, die Konzerne wie Veolia mit dem Land Berlin geschlossen haben, veröffentlicht werden. Doch die Konflikte gehen auch danach weiter. Der durch das Volksbegehren installierte Sonderausschuss des Abgeordnetenhauses drohe zur Alibiveranstaltung zu werden, moniert Härlin. Zudem haben Veolia und RWE eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz eingereicht, das durch das Volksbegehren beschlossen wurde. Demnach sind Verträge unwirksam, wenn sie innerhalb von einem Jahr nach Inkrafttreten dieses Gesetzes nicht offen gelegt werden. Für die Aktivisten hat die Klage den Verdacht erhärtet, dass noch nicht alle Teile der Wasserverträge offengelegt worden sind. Sie müssen weiterkämpfen.
Die Aktivisten machten noch weitere ernüchternde Erfahrungen nach ihrem Volksentscheid. So blieb der Kreis der Mitstreiter trotz der Aufmerksamkeit für ihr Anliegen begrenzt. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Initiativen, die Volksbegehren organisieren, verläuft eher schleppend. »Es geht immer um sehr spezielle Fälle und es ist für alle Initiativen ein großes Problem, die Unterschriften zu sammeln und die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen«, benennt Härlin die Probleme, über den eigenen Tisch hinauszublicken.
Zur Zeit hat besonders der S-Bahn-Tisch Unterstützung nötig. Er sammelt auf seiner Homepage Solidaritätsunterschriften. Denn das Volksbegehren, das sich gegen die Zerschlagung der Berliner S-Bahn wendet, kann zur Zeit nicht weiter verfolgt werden, obwohl die nötigen Unterschriften für die Einleitung des Volksbegehrens beisammen sind. Doch der Berliner Senat spielt auf Zeit und lässt den Inhalt des Volksbegehrens juristisch überprüfen, während er zugleich die Ausschreibung der S-Bahn weiter vorantreibt. Wenn die Ausschreibung bekannt gegeben wird, wollen die Aktivisten protestieren. Dann wird sich auch zeigen, ob die Zusammenarbeit mit der außerparlamentarischen Bewegung der Stadt auch jenseits des Sammelns von Unterschriften funktioniert.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/227556.sieg-auf-halber-strecke.html
Peter Nowak
Was bringt der politische Streik? Darüber diskutierten Gewerkschafter aus verschiedenen europäischen Ländern am Wochenende in Berlin.
Jahrelang seien die Gewerkschaftsfunktionäre nicht hinter ihren Schreibtischen hervorgekommen. Doch der Generalstreik habe alles verändert. Michael Pieber von der österreichischen Gewerkschaft der Privatangestellten berichtete fast schwärmerisch über den Generalstreik gegen die Rentenreform im Jahr 2003. Schließlich handelte es sich damals um den ersten landesweiten Streik seit 50 Jahren. Zum Vergleich: In Portugal gab es in den vergangenen 30 Jahren acht Generalstreiks. In Griechenland wurde in den vergangenen drei Jahren sogar ein Dutzend Mal der Generalstreik ausgerufen.
Am vergangenen Samstag kamen Gewerkschafter aus verschiedenen europäischen Ländern auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin zu einer Konferenz mit dem Titel »Politische Streiks im Europa der Krise« zusammen. Einen Grund für den Meinungsaustausch deutete Florian Wilde an, der Referent für Gewerkschaftspolitik bei der Stiftung: »Die massive Zunahme politischer Generalstreiks führte bisher leider nicht zu durchgreifenden Erfolgen der Gewerkschaften.«
Olga Karyoti lieferte eine Erklärungen dafür. Sie gehört der griechischen Übersetzergewerkschaft an, einer kleinen Gewerkschaft prekär Beschäftigter, die sich in den vergangenen Jahren jenseits der traditionskommunistisch und sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaftsverbände gegründet hat. Karyoti beschrieb den Generalstreik als ein Gewerkschaftsritual, das von den Vorständen oft ohne Basisbeteiligung beschlossen werde. Die jüngsten beiden Streiks seien zudem erst einen Tag vor Beginn bekannt gemacht worden. Entsprechend schwach sei die Beteiligung gewesen. Auch Deolinda Martin von der portugiesischen Lehrergewerkschaft hatte wenig Ermutigendes über die jüngsten Generalstreiks in ihrem Land zu berichten. Die Beteiligung sei sehr gering gewesen, die Streiks hätten die Gewerkschaften geschwächt. Nun wollen diese enger mit den sozialen Bewegungen kooperieren.
Aus Deutschland konnten keine Erfahrungen beigesteuert werden, weil Generalstreiks hierzulande rechtswidrig sind. Eine Organisation hessischer Gewerkschafter, die sich für das Recht auf einen politischen Streik einsetzt, war mit einem Informationsstand vertreten. Der Verdi-Bezirk Stuttgart plant zudem für nächstes Jahr eine weitere Konferenz, in der es auch um die Bedeutung politischer Streiks in Krisenzeiten gehen soll. Für eine ergiebige Debatte wäre es allerdings wohl sinnvoll, wenn auch Personen zu Wort kämen, die nicht dem DGB angehören.
Anna Leder wäre eine geeignete Referentin. »Selbstermächtigte Arbeitskämpfe tragen Elemente rätedemokratischer und syndikalistischer Konzepte in sich, indem sie Stellvertreterpolitik ablehnen und zum Mittel der direkten Aktion greifen«, schreibt sie im Vorwort des von ihr herausgegebenen Buches »Arbeitskämpfe im Zeichen der Selbstermächtigung«, das vor kurzem im Promedia-Verlag erschienen ist. Darin werden Arbeitskämpfe betrachtet, an denen die großen Gewerkschaften gar nicht oder nur am Rande beteiligt waren.
Der Kölner Autor Christian Frings diagnostiziert in seinem Beitrag eine deutliche Zunahme solcher Arbeitskämpfe in Deutschland. »Das Auftreten neuer, autonomer Formen des Arbeiterwiderstands muss auch als Reaktion auf den völligen Ausfall einer gewerkschaftlichen Abwehrpolitik in den Jahren zuvor verstanden werden«, lautet seine Einschätzung. Frings’ Skepsis bezüglich der Rolle des DGB ist gut begründet, allerdings bewertet er die selbstorganisierten Basiskämpfe doch etwas sehr optimistisch.
Dass man sich auf der Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf den DGB konzentriert und andere Gewerkschaften ausgespart hat, ist ein Merkmal der Gewerkschaftspolitik der Linkspartei, der die Stiftung nahesteht. Der Parteivorsitzende und ehemalige Gewerkschafter Klaus Ernst verhielt sich denn auch ganz wie ein Funktionär. Nachdem er seinen Eröffnungsbeitrag gehalten hatte, eilte er zu anderen Terminen.
http://jungle-world.com/artikel/2012/19/45415.html
Peter Nowak
Als 2007 in Kreuzberg die Pflegeeinrichtung Türk Bakim Evi eröffnet wurde, fand sie bundesweit Beachtung. Das „Haus des Wohlbehagens“, so die Übersetzung des Namens, war das bundesweit erste Seniorenheim für Menschen, die aus der Türkei eingewandert waren. Heute nennt sich die Einrichtung schlicht Pflegehaus Kreuzberg und hat von ihren multikulturellen Zielen Abstand genommen. „Eine Aufrechterhaltung wurde aus kulturellen und ökonomischen Gründen nicht länger verfolgt“, heißt es auf der Website.
Nun macht die Einrichtung wieder Schlagzeilen – allerdings keine positiven. Am heutigen Freitag werden die Verfahren zweier ehemaliger Beschäftigter vor dem Berliner Arbeitsgericht verhandelt. Zwei MitarbeiterInnen des Pflegehauses seien fristlos gekündigt worden, weil sie einen Betriebsrat gründen wollten, so Michael Musall von Ver.di. „Wildwestmethoden“ wirft Ver.di den Betreibern der Einrichtung, der Marseille-Kliniken AG, deshalb vor. Seine Gewerkschaft hat den Kolleginnen Beratung und rechtliche Unterstützung zugesagt. Die Geschäftsführung des Pflegehauses war gegenüber der taz zu keiner Stellungnahme bereit.
Unterdessen beschäftigen sich Solidaritätsgruppen mit der Situation von Beschäftigten im Pflegebereich und unterstützten sie bei der Durchsetzung ihrer Rechte. So organisiert ein Solikomitee am heutigen Freitag ab 21 Uhr im Friedrichshainer Vetomat eine Solidaritätsparty für eine weitere Pflegehelferin. Sie hatte sich für bessere Arbeitsbedingungen bei der Hauskrankenpflege Mitte eingesetzt und war gemobbt worden. Nun droht ihr Erzwingungshaft, weil sie sich weigert, die Kosten aus dem folgenden Arbeitsgerichtsverfahren zu bezahlen (taz berichtete).
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2012%2F05%2F11%2Fa0225&cHash=9779f84bc6
PETER NOWAK
BEHÖRDENWILLKÜR Jobcenter will in Berlin lebendem Spanier kein Geld zahlen – trotz Gerichtsbeschluss
Seit Ende März erhält Esteban Granero (Name geändert) kein Geld mehr vom Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg. Dabei hat der Anwalt des Spaniers, Michael Wittich, erfolgreich einen Eilantrag beim Sozialgericht gestellt, das die Behörde zur Weiterzahlung verpflichtete.
Der seit einem Jahr in Berlin erwerbslos gemeldete Graneros hatte bis Leistungen nach SGB III bezogen. Ende März informierte ihn das Jobcenter, die Leistungen würden zum 1. April eingestellt. „Der Antragssteller ist spanischer Staatsbürger und hält sich nur zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland auf. Er fällt damit unter die Personengruppe, die nach der Vorbehaltserklärung der Bundesregierung gegen das Europäische Fürsorgeabkommen (EPA) von Hartz-IV-Leistungen ausgeschlossen ist“, so die Behörde. Das Sozialgericht hält dies für unvereinbar mit Europarecht – es gab dem Eilantrag statt.
Gegen den Richterspruch legte das Jobcenter Widerspruch ein. Man wolle erst die Entscheidung des Landessozialgerichts abwarten, so Behörde. Anwalt Wittich hält das für rechtswidrig. „Ein Eilantrag muss sofort umgesetzt werden. Es liegt nicht im Belieben der Behörde, die Umsetzung wochenlang zu verschleppen.“ Der Jurist hat gegen die Verzögerung juristische Schritte eingeleitet und ist optimistisch, dass sein Mandant Erfolg hat.
Doch Graneros ist weiterhin ohne Geld. Seine Wohnung droht er deshalb zu verlieren. Das Jobcenter reize seine Macht auf Kosten des Erwerbslosen aus, moniert Anwalt Wittich. Dabei geht es für die Behörden um ein Nullsummenspiel: Wenn das Gericht gegen Graneros entscheidet, muss der Bezirk einspringen.
Wittichs Mandant ist nicht der einzige EU-Bürger, der Probleme mit dem Jobcenter hat. Weitere Erwerbslose wurden nach Streichung der Hartz-IV-Leistungen nicht zu den Sozialämtern weitergeleitet, andere sind ausgereist (taz berichtete).
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/
?ressort=bl&dig=2012%2F05%2F08%2Fa0157&cHash=5b0c4ee0e3
Peter Nowak