Wie beim Bürgergeld verbergen sich auch beim Mindestlohn die unterschiedlichsten Konzepte. Nur wenige wären für die Beschäftigten eine Verbesserung
Der Mindestlohn ist in Deutschland beliebt. Das zeigte sich auf einer Bürgerkonvent genannten Wahlkampfauftaktveranstaltung der SPD in Berlin. Zu den 11 dort aufgestellten Forderungen gehörte die „Einführung eines gesetzlich geregelten Mindestlohns“ an erster Stelle. Über die Höhe schweigt man sich bei den Sozialdemokraten allerdings aus.
Dabei sorgt die Bundesregierung dafür, dass die SPD auch beim Thema Mindestlohn das Alleinstellungsmerkmal verliert. Nachdem die Union schon länger die Zustimmung zu einem Mindestlohn signalisierte, wird seit der Niedersachsenwahl auch von einem Kurswechsel der FDP gesprochen. Da hat die FDP noch mit ihren „Vier Gründen gegen den Mindestlohn“ ihr Klientel zufriedengestellt, wie das Wahlergebnis zeigt.
Seitdem ist sich die Presse uneinig, ob die FDP in Sachen Mindestlohn eine Kehrtwende vollzog oder sich doch treu geblieben ist. Die Wahrheit steckt im Detail. Längst werden mit dem Begriff Mindestlohn ähnlich wie beim Bürgergeld völlig unterschiedliche Konzepte verstanden. Nur wenige bringen den Lohnabhängigen Verbesserungen.
Flächendeckend, aber nicht einheitlich
Einen einheitlichen, flächendeckenden Mindestlohn lehnt die FDP aber ebenso wie die Union weiterhin ab. Stattdessen soll die Höhe der Lohnuntergrenzen auch künftig Branche für Branche dezentral festgelegt werden. Die von SPD, Grünen und Linken regierten Bundesländer hatten im Bundesrat einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro beschlossen. Während auch die von einer SPD-CDU-Koalition regierten Bundesländer Saarland und Mecklenburg-Vorpommern für diese Variante des Mindestlohns stimmten, enthielt sich das von der gleichen Parteienkonstellation regierte Berlin im Bundesrat, weil die CDU ihr Veto einlegte.
Nur auf den ersten Blick ist erstaunlich, dass ausgerechnet die FDP, die in den letzten Jahren immer wieder gegen die angebliche Macht der Gewerkschaften wetterte, die Wichtigkeit der Tarifautonomie betonte und mit dem Argument einen flächendeckenden Mindestlohn ablehnte. So haben die Gewerkschaften vor zwei Jahrzehnten auch nicht argumentiert und die Tarifautonomie gegen einheitliche gesetzliche Regelungen ins Feld geführt. Der Unterschied liegt in der Veränderung des Kräfteverhältnisses, die durch die ökonomische Entwicklung, aber auch durch eine wirtschaftsliberale Politik bewirkt wurde.
Vor 20 Jahren konnten Gewerkschaften in Tarifverhandlungen und -kämpfen noch Löhne durchsetzen, von denen die Beschäftigten leben konnten. Das ist seit mehreren Jahren in vielen Branchen nicht mehr der Fall, wie die zunehmende Zahl der Lohnabhängigen zeigt, deren Lohn ihre Reproduktionskosten nicht mehr deckt und die mit Hartz IV aufstocken müssen. Arm trotz Arbeit ist ein vielzitierter Spruch. Erst durch diese Veränderung dieses Kräfteverhältnisses wurden die meisten DGB-Gewerkschaften zu Befürwortern einen staatlichen Mindestlohns.
Wenn die FDP nun mit dem Verweis auf die Tarifautonomie gegen einen flächendeckenden Mindestlohn eintritt, unterstützt sie die Position des Unternehmerlagers, das eben in diesen Tarifauseinandersetzungen oft am längeren Hebel sitzt. Reinhard Bispinck von der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung warnte bereits im letzten Jahr vor einem Mindestlohn, von dem nicht leben kann.
Vernichtet Mindestlohn Arbeitsplätze?
Wie schon die FDP vor der Niedersachsenwahl warnen jetzt auch wirtschaftsnahe Institute vor einem Wirtschaftseinbruch in Deutschland und einer Zunahme der Arbeitslosigkeit, wenn ein flächendeckender Mindestlohn eingeführt wird. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft bezeichnet einen flächendeckenden Mindestlohn als Weg in eine erhöhte Erwerbslosigkeit. Der INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr brachte Frankreich als warnendes Beispiel in die Diskussion:
„In Frankreich entspricht der Mindestlohn 48 Prozent des durchschnittlichen Lohns – dort steigt die Jugendarbeitslosigkeit und ist mit aktuell 25 Prozent dreimal so hoch wie in Deutschland.“
Damit reiht sich das wirtschaftsnahe Institut in die Phalanx der Kräfte ein, die mit dem Verweis auf eine angeblich zu geringe Arbeitsproduktivität in Frankreich eine wirtschaftsliberale Politik durchsetzen wollen. Erst vor kurzen wurde das Lamento eines US-Reifenfabrikanten bekannt, der sich über mangelnde Arbeitsmoral, den Einfluss von kommunistischen Gewerkschaftern und einer angeblich „extremistischen Regierung“ in Frankreich warnte („Bis sie enden wie die Griechen“).
Der Arbeitsmarktforscher Steffen Lehndorff hingegen verweist auf positive Effekte durch die Arbeitszeitverkürzung. Auch die Initiative Mindestlohn versucht an vielen Einzelbeispielen aufzuzeigen, dass ein Mindestlohn der Wirtschaft nicht schade. Mit Blick auf die EU-Freizügigkeit wird der Mindestlohn sogar als Standortfaktor in Deutschland beworben.
TAGUNGSNOTIZEN
Aus Anlass des 80. Geburtstags der Historikerin Ulla Plener hatte der Förderverein für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung zu einem Kolloquium eingeladen, das sich der Rolle der Demokratie in der linken Strategiedebatte widmete. Axel Weipert erinnerte an die Konzepte, die
revolutionäre Betriebsräte 1919/20 in Deutschland umzusetzen versuchten. Die Unterstützung in der Arbeiterschaft war groß, doch wurde die Verwirklichung direkter Demokratie von der SPD-Führung mit Hilfe der Freikorps blutig verhindert. Ende der 20er Jahre begann dann auch in der SPD eine Debatte
über wirtschaftsdemokratische Elemente innerhalb der bürgerlichen Demokratie. Sie wurde mit dem Machtantritt der Nazis abrupt beendet. Der Jurist und Publizist Kamil Majchrzak erinnerte an Bemühungen um Arbeiterselbstverwaltung in Polen nach 1945, die von der sich als kommunistisch definierenden Staatspartei bekämpft wurde. Mit Blick auf aktuelle Diskussionen betonte er, dass Selbstverwaltung nur gegen die Interessen des Kapitals durchgesetzt werden könne. Damit grenzte er Selbstverwaltung von Mitbestimmung ab, die im kapitalistischen System durchsetzbar sei. Der Politikwissenschaftler Michael Hewener warnte gar mit Verweis auf die Schrift » Staat des Kapitals« von Johannes Agnoli vor Mitverwaltungsillusionen; sie würden den Kapitalismus nur effektivieren und die Ausbeutergesellschaft nicht grundlegend in Frage stellen.Die Sozialwissenschaftlerinnen Alexandra Wagner und Gisela Notz verwiesen auf einen blinden Fleck in historischen Rätekonzepten, die überwiegend von männlichen Arbeitern entwickelt worden sind. Würdigung fand in ihren Referaten die Genossenschaftsbewegung, in der die Geschlechterdemokratie ernst genommen worden sei und eine größere Rolle spielte als in Parteien und Verbänden. Leider blieb keine Zeit mehr, um auf den kritischen Einwurf einer Frau aus dem Publikum einzugehen, dass auch die Genossenschaften im Kapitalismus der Profitlogik unterworfen sind und so ebenfalls keine das System erschütternde Alternative seien.
Peter Nowak
Auf einer Pressekonferenz in Berlin wurde an eine besondere Form europäischer Entsolidarisierung durch die deutsche Politik erinnert
Zunächst dachte Gulia Tosti an ein Versehen ihres Jobcenters, als plötzlich kein ALG II-Geld mehr auf ihrem Konto eingegangen war. Die in Rom geborene Frau hat in Berlin als Assistentin in einer Kunstgalerie gearbeitet. Nachdem die Galerie schließen musste, wurde Tosti arbeitslos. Sie meldete sich beim Jobcenter und bezog Hartz IV, bis plötzlich ihr Konto im Minus war. Dabei handelte es sich allerdings nicht um ein Versehen des Jobcenters und Tosti war nicht die Einzige, der ohne Vorankündigung das Geld gestrichen wurde. Auch der in Spanien geborene Physiker Toni Chirrispe machte diese Erfahrung.
Wie Tosti teilte man auch ihm mit, die Rechtslage habe sich geändert und sie hätten keinen Anspruch mehr auf Hartz IV-Leistungen. Tosti bekam von ihrer Sachbearbeiterin noch den Ratschlag, entweder eine Arbeit zu finden, nach Italien zurückzugehen oder einen reichen Mann zu heirateten. Auch Chirrispe bekam am Jobcenter zu hören, er solle sich in Spanien einen Job suchen. Doch Tosti und Chirrispe hatten Glück. Sie fanden in ihrem Bekanntenkreis Menschen, die ihnen den Rat gaben, sich gegen den Hartz IV-Entzug zu wehren.
Sie fanden Juristen wie den Berliner Rechtsanwalt Lutz Achenbach, der zahlreiche Menschen verteidigt, denen die Hartz IV-Leistungen gestrichen wurden, weil sie keinen deutschen Pass haben. Im März 2012 hatte die Bundesregierung einen Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen eingelegt und damit die Grundlage dafür geschaffen, dass Tosti, Chirrispe und Tausende weitere EU-Bürger, die in Deutschland lebten und arbeitslos wurden, kein Geld mehr bekamen.
Die genaue Zahl der Betroffenen ist unbekannt, weil die Jobcenter keine Daten darüber erheben, berichtete Sebastian Müller vom Berliner Netzwerk gegen den deutschen EFA-Vorbehalt, das zum Jahrestag der Einführung des EFA-Vorbehalts die Pressekonferenz in Berlin veranstaltete. Man erinnerte an ein besonders prägnantes Beispiel europäischer Entsolidarisierung durch die deutsche Politik. Während in zahlreichen Ländern vor allem in der europäischen Peripherie die Verarmung großer Bevölkerungsteile nicht zuletzt durch von Berlin wesentlich bestimmte Sparprogramme zunimmt, werden oft hochqualifizierte Menschen, die mit der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland kommen, auch hier der Verarmung ausgesetzt.
Juristische Odyssee für die Betroffenen
Viele sind wieder in ihrer Heimat zurückgekehrt, nachdem ihnen die Leistungen entzogen worden waren, weil sie gar nicht wussten, wie sie sich wehren können. Andere wie Tosti und Chirrispe haben dagegen geklagt und waren mit einer juristischen Odyssee konfrontiert. Nachdem Tostis Eilantrag positiv beschieden wurde, bekam sie einige Monate wieder Hartz IV-Leistungen. Doch ein Folgeantrag wurde erneut abgelehnt. Als sie schließlich wieder in einer Galerie Arbeit fand, war ihr Lohn so gering, dass sie eigentlich Anspruch auf Hartz IV-Aufstockung gehabt hätte. Aber Tosti entschloss sich, die Klage weiterzuführen, weil sie nicht akzeptieren wollte, dass Hartz IV-Leistungen vom Pass abhängen sollten.
Rechtsanwalt Achenbach betonte, dass in Berlin über 50 Prozent der Klagen gegen den EFA-Entzug positiv beschieden werden. Die Jobcenter gingen dann allerdings meist in Berufung. Mindestens zwei Senate der zweiten Instanz würden regelmäßig die Anträge der Betroffenen ablehnen. So ist der Rechtsweg für die Betroffenen also oft ein Glücksspiel. Deswegen fordern Sebastian Müller vom Bündnis gegen den EFA-Entzug eine politische Antwort, die sofortige Rücknahme des Vorbehalts.
Im Bündnis engagieren sich neben Betroffenen, Sozialberatungen und Initiativen auch Erwerbslosengruppen. Sie setzten damit auch ein Zeichen für europäische Solidarität und verhindern, dass sich die Erwerbslosen gegenseitig ausspielen lassen. Schließlich werden auch Erwerbslosen mit deutschem Pass die Hartz IV-Leistungen auf Null gekürzt, wenn sie renitent sind.
Die Verarmungsstrategie sorgt wiederum dafür, dass der Niedriglohnsektor wächst. Denn wenn Erwerbslose mit oder ohne deutschen Pass kein Geld bekommen, sind sie gezwungen, Arbeit zu fast allen Bedingungen anzunehmen. Kurzzeitige öffentliche Empörungen, wie sie nach einem Fernsehbeitrag über die Arbeitsbedingungen bei Amazon zu beobachten waren, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Politik die Grundlagen dafür schafft, unter anderen mit dem EFA-Vorbehalt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153821
Foodwatch veröffentlicht Forschungsergebnisse von Deutscher Bank und Allianz
„Solche Spekulationen können für Landwirte und Verbraucher gravierende Folgen haben und sind im Prinzip nicht akzeptabel.“ Diese Einschätzung der Nahrungsmittelspekulation wurde von DB-Research, der Forschungsabteilung der Deutschen Bank verfasst. Bekannt gemacht wurde es von der Organisation Foodwatch, die seit langen gegen Nahrungsmittelspekulation agiert.
Sechs von Forschungsabteilungen der Deutschen Bank und der Allianz verfasste Papiere zu den Folgen von Nahrungsmittelspekulation hat die NGBO ins Netz gestellt. Foodwatch zitiert aus einem bei DB-Research verfassten Papier diese Einschätzung: „Bedenkt man jedoch […] den massenhaften Zustrom von Fonds und nicht-traditionellen Teilnehmern auf die Rohstoffmärkte, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass die Spekulation übermäßige Preisentwicklungen zumindest fördert, und zwar in beide Richtungen. Selbst wenn spekulative Kapitalströme nicht unbedingt der Auslöser für die Preisbewegungen der Jahre 2007 und 2008 waren, so ist es doch wahrscheinlich, dass sie die Preisentwicklung zumindest verstärkt haben.“
Kein empirischer Beleg?
Sie erhält ihre Brisanz vor allem durch die Auftraggeber der Forschung. Schließlich haben Vertreter der Deutschen Bank in der Öffentlichkeit immer den Eindruck erweckt, dass es die Nahrungsmittelspekulation keinen Einfluss auf die Nahrungsmittelpreise hat. So heißt es in einer Stellungnahme von Deutsche-Bank-Chefvolkswirt David Folkerts-Landau vor dem Ausschuss für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit im Deutschen Bundestag am 27. Juni 2012:
„Es gibt kaum stichhaltige empirische Belege für die Behauptung, dass die zunehmende Bedeutung von Agrarfinanzprodukten zu Preissteigerungen oder erhöhter Volatilität geführt hat.“
Noch deutlicher wurde DB-Co-Vorstandschef Jürgen Fitschen bei der diesjährigen „Grünen Woche“ in Berlin. Dort erklärte er nicht nur, dass Untersuchungen „kaum stichhaltige Belege für einen Zusammenhang dieser Geschäfte mit dem Hunger in der Welt“ erbracht hätten. „Im Gegenteil: Agrar-Derivate erfüllten für Nahrungsmittelproduzenten eine wichtige Funktion im weltweiten Handel. Mit dem Kauf dieser an Börsen gehandelten Papiere können sich Landwirte gegen fallende Preise absichern und ihr Angebot besser planen. Deshalb hat die Deutsche Bank entschieden, dass sie im Interesse ihrer Kunden weiterhin Finanzinstrumente auf Agrarprodukte“, wird Fitschen von der FAZ zitiert. Hier wird eine Entscheidung, die die Bank zur Mehrung ihrer Gewinne getroffen hat, so dargestellt, als wäre sie im Interesse der Landwirte.
Die Forschungsergebnisse aus dem eigenen Haus, die Zusammenhänge zwischen den Agrarderivaten und der Preisentwicklung herstellen, werden in den Erklärungen ignoriert. Organisationen wie Foodwatch können die nun bekannt gewordenen Papiere gut für ihre Kampagne gegen Agrarderivate nutzen – und das ist auch sinnvoll.
Allerdings sollte man sich vor zu großer moralischer Verve hüten. Wenn Foodwatch jetzt David Folkerts-Landau vorwirft, bei seiner Erklärung im Parlament gelogen zu haben und der Foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode den eigentlichen Skandal darin sieht, „dass Deutsche Bank und Allianz ganz genau wissen, welchen Schaden sie mit ihren Finanzprodukten anrichten – aber die Öffentlichkeit täuschen und sogar den Bundestag belügen, um weiterhin ohne Skrupel Geschäfte auf Kosten Hungernder zu machen“, wird die Verwertung, der die Nahrungsmittel wie alle Waren im Kapitalismus unterliegen, auf das als moralisch verwerflich bezeichnete Handeln von Managern simplifiziert.
Natürlich werden in Forschungsabteilungen großer Firmen unterschiedliche Hypothesen untersucht. So ist auch anzunehmen, dass Forschungsabteilungen von Energiekonzernen im AKW-Geschäft über die Gefährlichkeit der Radioaktivität forschen. In den Erklärungen der Konzernverantwortlichen aber werden natürlich die Aspekte im Mittelpunkt gestellt, die ihren Geschäftsinteressen dienen. So gehen übrigens auch die Nichtregierungsorganisationen bei der Verfolgung ihrer Interessen vor. Die Frage ob die Agrar-Derivate abgeschafft werden, ist denn auch eine Frage von gesellschaftlichem Druck möglichst auf internationaler Ebene. Forschungsergebnisse können ihn verstärken. Dabei könnte aber auch die Frage gestellt werden, warum Nahrungsmittel überhaupt eine Ware sein müssen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153799
Peter Nowak
Neuer Zusammenschluss gegen Europäische Zentralbank und soziale Missstände in Berlin
Knapp 50 Personen sind am Dienstagabend im Versammlungsraum eines sozialen Zentrums in Kreuzberg zusammengekommen, um die neue Blockupy-Plattform zu gründen. Das ist ein Zusammenschluss angelehnt an die Occupy-Bewegung, die im vergangenen Jahr auch in Berlin Plätze besetzte.
Von dieser Bewegung hört man zwar nicht mehr viel, doch einige ihrer Aktivisten machen jetzt bei Blockupy-Berlin mit. Hinzu kommen Vertreter von antifaschistischen Gruppen, die Naturfreunde und linke Hochschulgruppen. Auch Einzelpersonen machen mit. »Unorganisierte sind ausdrücklich willkommen. Die Plattform soll kein Delegiertentreffen politischer Gruppen, sondern ein Forum für alle Interessierten«, betont die Aktivistin Tina Pleitsch.
Es dauert eine Stunde, dann teilen sich die Teilnehmer des Gründungstreffens auf drei Arbeitsgruppen auf. Schließlich haben sie sich für die nächsten Wochen viel vorgenommen: So will das neue Bündnis zu den Aktionstagen gegen die Europäische Zentralbank mobilisieren, die am 31. Mai und 1. Juni 2013 in Frankfurt am Main unter dem Motto »Blockupy 2013« stattfinden sollen. Dabei ist neben Camps, Blockaden und Veranstaltungen auch eine Großdemonstration geplant.
Diese Aktionspläne knüpfen an die ersten Blockupy-Aktionstage in der Mainmetropole im vergangenen Jahr an, die ein ganz ähnliches Konzept hatten. Dass die Polizei im letzten Jahr die Blockaden verboten hatte und zahlreiche Teilnehmer einkesselte, schreckt die Berliner Linken indes nicht ab. »Die Polizei hat uns die Arbeit abgenommen und die Frankfurter City blockiert«, kommentierte ein Teilnehmer von 2012.
Doch nicht alle Teilnehmer der Versammlung teilen diese optimistische Einschätzung, wie am Kopfschütteln einiger zu erkennen ist. Aber für grundsätzliche Diskussionen ist auf dem Blockupy-Treffen wenig Zeit. »Wir müssen in den nächsten Wochen eine Menge organisieren«, sagt eine Aktivistin. Als Erstes wird ein großer Stapel frisch gedruckter Plakate in Augenschein genommen. Mit den Postern will das Bündnis die Berliner Öffentlichkeit über die Aktionstage informieren.
Doch die Berliner Blockupy-Plattform will nicht nur die Werbetrommel für die Aktionstage in Frankfurt am Main rühren, sondern auch ganz konkret soziale Kämpfe in der Hauptstadt unterstützen. Einen ersten Probelauf hat das Bündnis bereits hinter sich: Gemeinsam mit zahlreichen sozialen Initiativen, Anwohnern und Nachbarn hat die Blockupy-Plattform in der vergangenen Woche ebenfalls zur Blockade einer Zwangsräumung in der Lausitzer Straße 8 in Kreuzberg aufgerufen.
»Wir wollen auch in Zukunft in Berlin solche sozialen Kämpfe unterstützen«, betont Tina Pleitsch. Ein nächster Termin stehe bereits fest: Anlässlich des EU-Gipfels am 13. März plant das Bündnis auch in Berlin sogenannte dezentrale Aktionen. Noch sei allerdings unklar, ob es sich dabei um eine medienwirksame Fotoaktion oder um eine politische Aktion handeln solle.
Es wird sich zeigen, wie groß die Mobilisierungsfähigkeit der Blockupy-Plattform ist. Gewerkschaftliche Gruppen oder Erwerbsloseninitiativen haben sich bis jetzt nicht dem Bündnis angeschlossen. In den kommenden Wochen sollen weitere Gruppen angesprochen werden.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/813581.linke-gruenden-blockupy-buendnis.html
Peter Nowak
Amazon war schon früher in Kritik geraten, der Fall zeigt, wie das Hartz-IV-Regime zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen generell beiträgt
Der Internetversandhandel amazon übt sich in Schadensbegrenzung. Nachdem Berichte über die besondere Ausbeutung der dort über eine Leiharbeiterfirma beschäftigten Wanderarbeiter bekannt wurden, feuerte der Konzern die Sicherheitsfirma Hess, die durch einen Fernsehbeitrag ins Gerede gekommen ist. Mitarbeiter mit Kontakten in die rechte Szene sollen dort beschäftigt gewesen sein, hieß es dort, was die um ihren Ruf besorgte Sicherheitsfirma sofort dementierte.
Für Amazon war es nicht tragbar, mit etwaigen rechten Umtrieben in Verbindung gebracht zu werden, was gesellschaftlich nicht goutiert wird. Anders ist es mit der ganz normalen Ausbeutung im Europa der Krise. So wird in dem TV-Beitrag berichtet, dass Leiharbeiter aus Spanien, die im Amazon-Logistikzentrum Bad Hersfeld für das Weihnachtsgeschäft arbeiteten, in engen Gemeinschaftsunterkünften des Seehotels Kirchheim in unmittelbarer Autobahnnähe untergebracht wurden. Dort sollen sie vom ins Gerede gekommenen Wachdienst rund um die Uhr kontrolliert worden sein. Das wird von Hess gar nicht bestritten. In der Erklärung der Sicherheitsfirma heißt es zum „Einsatz in Leiharbeitsunterkünften“:
„Der Grund für die Beauftragung von uns als Sicherheitsfirma liegt darin, dass in der gleichzeitigen Unterbringung einer größeren Anzahl von Menschen, die sich untereinander nicht kennen, ein erhebliches Konfliktpotential liegt.“
Horrorvisionen aus den Protestsongs der 70er Jahre heute übertroffen
Die Tatsache, dass im 21. Jahrhundert Menschen aus ganz Europa in engen Unterkünften zusammen gepfercht werden, wird nicht als gesellschaftlicher Skandal wahrgenommen. Solche Visionen haben Liedermacher wie Franz Josef Degenhardt vor 30 Jahren als negative Vision in ihren Songs dargestellt. Viele der Zuhörer, die durchaus kapitalismuskritisch waren, hätten wohl nicht gedacht, dass diese Horrorvisionen heute übertroffen werden.
Hat der Chansonier damals in dem Song „Umdenken Mister“ getextet: „Für eine gute ARBEIT zieht er meilenweit“, könnte man am Beispiel Amazon sagen: Für einen miesen Leiharbeiterjob nimmt er alles in Kauf.
Nun ist die Empörung groß und es gibt auch verschiedene Ansätze im Internet eine Veränderung der Situation zu erreichen. Während die Dienstleistungsgewerkschaft verdi eine Petition für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei Amazon lancierte, rufen kritische Konsumenten zum Boykott des Versandhandels auf. Solche Aktionen kann der Konzern nicht ignorieren und müht sich nun um Imageverbesserung. Mit einer grundlegenden Änderung der Arbeitssituation bei Amazon ist allerdings nicht zu rechnen, auch wenn nun die Beschäftigten im Logistikzentrum Augsburg erstmals einen Betriebsrat wählen können.
Ohne Lohn bei Amazon?
Amazon nicht zum ersten Mal wegen seiner schlechten Arbeitsbedingungen und geringen Löhne in der öffentlichen Diskussion.
Schon im Herbst 2011 wurde bekannt, dass für das Amazon-Weihnachtsgeschäft Hartz-Bezieher als Zeitarbeiter tätig waren, die von den Jobcentern zur Probe vermittelt wurden und zwei Wochen ohne jeglichen Lohn arbeiten sollten. Wenn sie sich weigerten, drohten ihnen Abzüge beim Hartz IV.
An diesem Beispiel wird deutlich, wie das Hartz IV-Regime zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen generell beiträgt. Auch die Anwerbung von Leiharbeitern aus ganz Europa ist eine Folge der von Deutschland wesentlich initiierten Sparprogramme. Sie führten zu einer massiven Rezension in den Ländern der europäischen Peripherie und zur Verarmung großer Teile der Bevölkerung. Solche Zustände sind der Grund, warum die Menschen unter fast jeden Umständen schuften und bereit sind, in engen Gemeinschaftsunterkünften von einer Sicherheitsfirma mit oder ohne rechte Kontakte bewacht, ihre „Freizeit“ zu verbringen. Die Politik trägt kräftigt dazu bei, indem sie dafür sorgt, dass erwerbslose EU-Bürger nicht Hartz IV-berechtigt sind.
Angesichts solcher politischer Vorgaben, die die Überausbeutung möglich macht, ist die rituelle Empörung heuchlerisch, die immer dann laut wird, wenn konkrete Fälle von großen Medien dokumentiert werden. Allerdings kann sie die Betroffenen zumindest ermutigen, nicht alle Arbeitsbedingungen hinzunehmen. Denn nicht immer ist es möglich, eine mediale Empörung auszulösen, wenn schlechte Arbeitsbedingungen in einem Unternehmen bekannt werden. So haben Berichte über die Behandlung von Leiharbeitern beim Internetschuhversand Zalando wenig Resonanz ausgelöst. Die Presseabteilung weigert sich konsequent, Fragen zu beantworten, welche Konsequenzen das Unternehmen aus den Berichten aus der Distanz von der Leiharbeitsfirma gezogen hat.
Besonders schwierig ist es für Leiharbeiter in kleinen Firmen, zu ihren Recht und ihrem Lohn zu kommen. So haben sich spanische Leiharbeiter an die kleine Basisgewerkschaft FAU Gewandt, nachdem sie ein Jahr bei der Firma Messeshop ohne Lohn gearbeitet haben (Die Berliner FAU hat mittlerweile eine Sektion „Foreign Members“ eingerichtet und informiert europäische Leiharbeiter in verschiedenen Sprachen über ihre Rechte.
Das Institut für Demokratieforschung an der Göttinger Universität ist eine wichtige Institution, wenn es um die wissenschaftliche Protestforschung in Deutschland geht. Nachdem kürzlich bekannt wurde, dass der Energiekonzern BP eine Studie des Instituts zu aktuellen Bürgerprotesten in Auftrag gegeben hat, ist die Einrichtung allerdings in die Kritik geraten. Institutsleiter Franz Walter warnt vor einer Verdachtskultur und betont, dass die Forschungsergebnisse nicht von BP beeinflusst gewesen seien. Freilich hat diesen Vorwurf auch niemand erhoben. Die NGO LobbyControl monierte allerdings, dass die teilnehmenden Protestgruppen nicht von Anfang an über den Auftraggeber der Studie informiert gewesen seien. Zudem dürfte das Interesse von BP an einer Studie über Umweltbewegungen nicht nur theoretischer Natur gewesen sein. Der Kontakt zwischen BP und dem Institut lief über das kmw outrage Management, das es sich laut Selbstdarstellung zur Aufgabe macht, Krisen und Risiken für das Unternehmen im Vorfeld zu erkennen und zu minimieren. Bürgerinitiativen, die gegen Projekte des Konzerns protestieren, gehören zu diesen Risiken.
Das Göttinger Demokratieindustrie hat die neueren Protestbewegungen unter den Oberbegriff Wutbürger gefasst und das Bild von nörgelnden egoistischen Rentnern gezeichnet, die die Forderung nach direkter Demokratie oft nur aus taktischen Gründen verwendet würden. Nun soll nicht behauptet werden, dass ein solches Bild von den Protestgruppen, das dem Auftraggeber BP gefallen wird, durch direkte Einflussnahme des Konzerns zustande gekommen ist. Eine direkte Einflussnahme ist auch gar nicht nötig, wenn Forscher wissen, wer ihre Studie bezahlt.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/812963.bp-konzern-sponsort-protestforscher.html
Peter Nowak
Warum gibt es in Europa trotz der großen Krise relativ wenig gemeinsamen Widerstand? Ein kürzlich im Verlag Assoziation A erschienenes Buch mit dem Titel »Krisen. Proteste« gibt einige Antworten auf diese Frage und zieht eine Zwischenbilanz der Proteste, Aufstände und Streikbewegungen, die es bisher als Reaktion auf die sozialen Verwerfungengab. Die Ungleichzeitigkeit der Krisenpolitik und der Wahrnehmung bei den Betroffenen erschwert einen gemeinsamen Widerstand. Diese Entkoppelung stellt für die Linken ein großes Problem dar, »das keineswegs mit bloßen Appellen und weltweiten Aufrufen bewältigt werden kann«, schreiben die Herausgeber des Buches, Peter Birke und Max Henninger, in der Einleitung. In zwölf Aufsätzen, die größtenteils auf der Onlineplattform Sozial.Geschichte Online veröffentlicht wurden, werden die aktuellen Bewegungen in den unterschiedlichen Ländern auf hohem Niveau analysiert. Zur Lage in Griechenland gibt es gleich zwei Beiträge. Während der Historiker Karl Heinz Roth die Vorgeschichte der Krise rekonstruiert und dabei auf das Interesse des griechischen Kapitals am Euro eingeht, beschäftigt sich der Soziologe Gregor Kritidis mit der vielfältigen Widerstandsbewegung der letzten Jahre. Er sieht in den Aufständen nach der Ermordung eines jugendlichen Demonstranten durch die Polizei im Dezember 2008 »die Sterbeurkunde für die alte Ordnung«. Ausführlich geht er auch auf die Bewegung der Empörten ein, die im Sommer 2011 aus Protest gegen die EU-Spardiktate öffentliche Plätze in Griechenland besetzten und mit massiver Polizeirepression konfrontiert waren. Ebenso stellt Kritidis die Bewegung zur Schuldenstreichung vor, die es seit einem Jahr gibt.Kirstin Carls zeigt am Beispiel Italien auf, wie die technokratische Monti-Regierung in den letzten Monaten
Einschnitte in die Arbeits-, und Sozialgesetzgebung umgesetzt hat, die Berlusconis Regierung nach heftigem Widerstand hatte zurückziehen müssen. Das Bündnis The Free Association liefert Hintergrundinformationen über die Proteste in Großbritannien. Zwei spanische Aktivisten beschreiben, wie sich ein Teil der Empörten, nachdem sie Zelte auf den öffentlichen Plätzen aufgegeben hatten, auf den Kampf gegen Häuserräumung und die Unterstützung von Streiks konzentrierten. Das Buch kann nach den Blockupy-Aktionstagen in Frankfurt wichtige Anregungen für eine Perspektivdebatte der Krisenprotestbündnisse liefern.
aus: Sprachrohr
http://medien-kunst-industrie.bb.verdi.de/sprachrohr/#ausgaben-2012
Peter Nowak Peter Birke, Max Henninger, Krisen.Proteste,
Berlin 2012, 312 Seiten, 18 Euro, ISBN
978-3-86241-413-0
Ein Bündnis von Wissenschaftlern, Politikern und Gewerkschaftern setzt Akzente gegen Niedriglohn, Stress und Arbeitshetze
Immer wieder wird über Arbeitshetze und vermehrten Stress geklagt. Jetzt haben 100 Gewerkschafter, Wissenschaftler und Politiker der Links- und Piratenpartei eine besondere Therapie vorgeschlagen. In einem Offenen Brief schlagen sie eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden wöchentlich bei vollem Lohnausgleich vor. Die dahinterstehende Wirtschaftsanalyse ist linkskeynsianistisch geprägt und geht davon aus, dass durch ein höheres Einkommen die Massenkaufkraft steigt und damit die Wirtschaft angekurbelt wird:
„Seit Jahren findet eine sozial und ökonomisch kontraproduktive Umverteilung von den Arbeits- zu den Besitzeinkommen (Gewinn, Zins, Miete, Pacht) statt. Dadurch wurde die Binnennachfrage eingeschränkt und das überschüssige Kapital – weg von der produzierenden Realwirtschaft – in den Finanzsektor umgeleitet. Gewaltige Finanzspekulationen und Finanzkrisen waren die Folge. Die Krisenbewältigung darf nicht denen überlassen werden, die aus den Krisen hohe Gewinne gezogen haben und jetzt erneut versuchen, mit Scheinalternativen und einer Therapie an Symptomen ausschließlich den Besitzstand der Vermögenden auf Kosten der großen Bevölkerungsmehrheit zu sichern. Fast vierzig Jahre neoliberaler Kapitalismus sind genug.“
Ziel Vollbeschäftigung?
Auffällig ist, dass die Initiatoren die Arbeitszeitverkürzung schon in der Überschrift als Allheilmittel gegen die Erwerbslosigkeit anpreisen. „Ohne Arbeitszeitverkürzung nie wieder Vollbeschäftigung“, heißt es dort. Im ersten Absatz wird dann dazu aufgerufen, „dem Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit höchste wirtschaftliche, politische, soziale und humanitäre Priorität einzuräumen“. Aus der linksgewerkschaftlichen Perspektive der Autoren ist die Massenarbeitslosigkeit ein politisch gewolltes wirtschaftsliberales Projekt, um in Deutschland einen Niedriglohnsektor durchzusetzen. „Die neoliberale Umverteilung wäre ohne die langandauernde Massenarbeitslosigkeit nicht durchzusetzen gewesen. Ein Überangebot an den Arbeitsmärkten führt zu Lohnverfall“, heißt es in dem Aufruf.
Die Konzentration auf die Durchsetzung Vollbeschäftigung ist ein Manko in dem Aufruf, weil damit die Diskussion über Arbeitsverhältnisse im Dienstleistungs- und Reproduktionssektor ausgeblendet wird. Vor allem könnte diese argumentative Engführung dazu führen, dass der Aufruf in die traditionsgewerkschaftliche Ecke gesteckt wird. Das aber wäre bedauerlich. Denn das Grundanliegen des Aufrufs ist unterstützenswert. Weil durch die Entwicklung der Produktivkräfte zumindest in den hochkapitalisierten Staaten die Lohnarbeit knapp wird, sollte die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung wieder verstärkt in die gesellschaftliche Diskussion gebracht werden.
Der Aufruf knüpft an Diskussionen in Teilen der Gewerkschaften an, in denen versucht wurde, das Thema Arbeitszeitverkürzung dort wieder zu popularisieren. Schließlich können sich noch manche an die Kampagne zur Durchsetzung der 35 Stunden Ende der 70er Jahre erinnern, die eine gesellschaftliche Debatte weit über das Gewerkschaftsmilieu hinaus auslöste. Allerdings haben sich die aktuellen Gewerkschaftsvorstände so auf Defensivkämpfe eingestellt, dass sie sich an eine solche Forderung nicht mehr heranwagen. Das zeigen auch die gewerkschaftlichen Reaktionen auf den Aufruf zur 30-Stunden-Woche. Führende verdi-Gewerkschafter erinnerten daran, dass man in den Betrieben heute eher das Problem hat, gegen Arbeitszeitverlängerungen anzukämpfen. Aber gerade dieser Befund macht noch einmal deutlich, wie notwendig eine Kampagne für eine Arbeitszeitverkürzung wäre, die mit vielen Argumentationshilfen vorbereitet werden muss, damit die Beschäftigten in der Lage sind, auch für diese Forderung zu streiken.
„Weltfremd, falsch, gefährlich“?
Dass die Auseinandersetzung nicht einfach wird und gegen einen zähen neoliberalen Konsens ankämpfen muss, zeigten die ersten Reaktionen auf den Aufruf. Das wirtschaftsliberale Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bezeichnet die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich als „weltfremd“ und „von marxistischen Vorstellungen geprägt“.
Eine aktuelle Meldung auf der DIW-Homepage lautet: „Immer mehr Menschen im Rentenalter sind berufstätig.“ Das ist eine Folge des Niedriglohnsektors, der sich im Rentenalter als Altersarmut fortsetzt. Die massive Senkung der Kosten der Ware Arbeitskraft würde durch eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich konterkariert, daher haben wirtschaftsliberale Kriese daran kein Interesse. Auch sozialdemokratisch orientierte Wirtschaftswissenschaftler wie Peter Bofinger oder Heiner Flassbeck, die schon mal einen zu harten neoliberalen Kurs sanft kritisieren, haben sich schon gegen die 30-Stunden-Woche positioniert.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153724
Peter Nowak
Eine Klage von Veolia gegen den Verleih von „Water makes Money“ könnte für den Konzern selbst zum Bumerang zu werden
Am kommenden Dienstag wird auf Arte mit Water makes Money ein Film ausgestrahlt, der besonders viel Aufmerksamkeit erfahren dürfte . Schließlich ist es ungewiss, ob der Film noch nach lange in dieser Version gezeigt werden kann.
Am 14. Februar beginnt im Pariser Justizpalast der Prozess des französischen Konzerns Veolia gegen den Verleih La Mare aux Canards, der den Film vertreibt. Der Konzern gibt an, in dem Film mit Korruption in Verbindung gebracht zu werden und dadurch beleidigt worden zu sein.
Der Film läuft am kommenden Dienstag im Rahmen eines Themenabends, der sich mit dem Lobbyismus großer Konzerne befasst. Die Titel der anderen Beiträge lauten: „Die Macht der Lobbyisten“ und im „Vorzimmer der Macht“. Tatsächlich zeigt der Film sehr prägnant, wie im Zuge der neoliberalen Regulationsphase mächtige Konzerne verstanden haben, mit dem lebenswichtigen Wasser große Profite zu machen (Trinkwasser als Geschäftsmodell).
„Seit ‚New Labour‘, Blair und Schröder – seit viele die Folgen der Privatisierungen am eigenen Leib verspüren, ist es aber unschicklich geworden, von Privatisierung zu sprechen. Seither klopfen Heere von Beraterfirmen bei finanziell klammen Kommunen an und versprechen neue Geschäftsmodelle: PublicPrivatePartnership, Crossborder leasing, Franchising und vieles dergleichen mehr“, heißt es im Filmmaterial.
Diese Zauberworte des Wirtschaftsliberalismus, die ein Peer Steinbrück genau so selbstverständlich verwendet wie ein Friedrich Merz oder ein Philipp Rösler werden in dem Film kenntlich als Geldmaschine für wenige Konzerne und Enteignung von Millionen Kunden in vielen Ländern. Die Filmemacher dokumentieren, wie französische Kommunen, seien sie von den Kommunisten oder den Konservativen regiert, der Marketingstrategie von Veolia und Co. folgen. Der Film geht ins Detail und dokumentiert, wie Wirtschaftsliberalismus im Kleinen groß funktioniert (Tröpfchen für Tröpfchen Qualität).
Inhaltliche Fehler werden dem Film nicht vorgeworfen:
„Nicht die im Film gezeigten Fakten werden bestritten, nur ‚Korruption‘ hätte man sie nicht nennen dürfen“, erklären Leslie Franke, Herdolor Lorenz und Lissi Dobbler, die den konzernkritischen Film gemeinsam produziert haben. In einer Erklärung gibt sich ein Veolia-Sprecher konziliant und beteuert, den Film nicht verbieten zu wollen und sich der Diskussion stellen zu wollen.
Die Konzernkritiker fragen, wie diese Erklärung dazu passt, dass nun eine Verleihfirma vor Gericht gezogen wird. Zudem scheiterte der französische Konzern mit einer Klage gegen die Filmregisseure Leslie Franke und Herdolor Lorenz, weil die deutschen Behörden sich verweigert und die deutsche Veolia-Tochter sich der Klage nicht anschließen wollte.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153706
Peter Nowak
Forderung der neuen Sozial-AG beim Berliner Energietisch
Start eines Volksbegehrens, das kommunale Energieversorgung in Berlin fordert, ist am 11. Februar. Auf die Aktivisten des Berliner Energietisches, die das Volksbegehren organisieren, kommt eine Menge Arbeit zu. Bis zum 10 Juni 2013 wollen sie 200 000 Unterschriften für ihren Gesetzentwurf sammeln, der eine »demokratische, ökologische und soziale Energieversorgung« in Berlin fordert.
Zu Wochenbeginn gründete sich die Arbeitsgruppe Soziales im Berliner Energietisch neu. Sie will dafür sorgen, dass die sozialpolitischen Grundsätze beim Sammeln der Unterschriften deutlich werden. Auf einem Flyer sollen die sozialprogrammatischen Grundsätze zusammengefasst werden. Zum Kreis der Aktivisten gehören Mitglieder der Gruppe »Für eine linke Strömung (fels), der umweltpolitischen Gruppen BUND und Gegenstrom sowie der Grünen Jugend.
Menschen mit geringen Einkommen machten sich Sorgen, weil häufig die Energiewende für Strompreiserhöhungen verantwortlich gemacht werde, meinte ein Mitglied der AG. »Sie sind daher oft für ökologische Belange oft schwer erreichbar. Gerade sie wollen wir mit unseren sozialpolitischen Forderungen ansprechen und für die Unterstützung des Volksbegehrens gewinnen.«
Bei der Sozial-AG wird nicht vom Energiesparen, sondern von Maßnahmen gegen die zunehmende Energiearmut in der Gesellschaft gesprochen. Davon sind Menschen mit geringen Einkommen besonders betroffen. Als Beispiel werden Stromsperren genannt, von denen auch in Berlin jährlich tausende Menschen betroffen sind. Zu den Maßnahmen gegen die Energiearmut, die in den sozialpolitischen Grundsätzen vorgeschlagen werden, gehört neben der Erhöhung der Regelsätze von Hartz IV und Wohngeld auch ein verbilligtes Stromkontingent. Die Forderung nach einer bestimmte Menge Gratisstrom stieß auf Widerspruch bei Umweltgruppen. Sie befürchteten, dass das im Widerspruch zur Verringerung des Stromverbrauchs stehen könnte
www.neues-deutschland.de/artikel/812303.verbilligte-strom-kontingente-fuer-beduerftige.html
Anonyme Anzeigen gegen Hartz-IV-Bezieher werden in deren Akten aufgenommen, ohne sie davon in Kenntnis zu setzen. Die Datenschutzbestimmungen der Jobcenter garantieren die Anonymität der Informanten
Verdient sich der Hartz IV beziehende Nachbar etwa noch etwas dazu oder lebt er gar nicht in einer Zweck-Wohngemeinschaft? Es gibt Zeitgenossen, die sich solche Fragen über die in ihrer Umgebung wohnenden Mitmenschen stellen und dem Jobcenter entsprechende Hinweise geben. Für die Betroffenen kann das gravierende Folgen haben.
So wurde bereits 2010 durch die taz ein Fall in Göttingen bekannt, wo ein anonymer Anrufer das Jobcenter darüber informierte, dass eine Hartz IV-Bezieherin mehr bei ihrem Freund als in ihrer Wohnung leben würde. Mitarbeiter des Jobcenters leiteten weitere Erkundigungen in der Nachbarschaft der Denunzierten ein. Danach wurde der Frau die Hartz IV-Leistung gestrichen, ohne sie vorher auch nur angehört und mit den Vorwürfen konfrontiert zu haben. Dabei handelte es sich um einen alltäglichen Vorgang, der nur publik wurde, weil die Betroffene die Öffentlichkeit informierte.
Bis heute hat sie keine Ahnung, wer sie denunziert hat. So geht es vielen Betroffenen, bei denen plötzlich Sozialdetektive auftauchen, die feststellen wollen, wie viele Zahnbürsten im Badezimmer eines Erwerbslosen zu finden sind und ob die Butter im Kühlschrank einer Bedarfsgemeinschaft getrennt aufbewahrt wird. Diese Besuche empfinden die betroffenen Hartz IV-Bezieher besonders demütigend, weil es sich hier um einen massiven Eingriff in die Privatsphäre handelt. Jeder Hartz IV-Bezieher muss schon bei der Antragsstellung zustimmen, dass er den Behörden Einblick in sämtliche Konten gewährt. Nun ist selbst die eigene Wohnung nicht mehr vor Kontrolle sicher. Besonders belastend ist es für viele Betroffene, dass sie nicht wissen, von wem sie angezeigt worden sind. War es ein Nachbar, ein Bekannter oder womöglich sogar ein vermeintlicher Freund?
Dass soll auch in Zukunft so bleiben. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten der Linken Katja Kipping hervorgeht, garantieren die Datenschutzbestimmungen der Jobcenter die Anonymität der Denunzianten. In der Antwort der Bundesregierung auf ihre schriftliche Anfrage, bestätigt der Staatssekretär des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Gerd Hoofe, dass anonyme Anzeigen gegen Hartz-IV-Bezieher in deren Akten aufgenommen, ihnen aber nicht zur Kenntnis gegeben werden. Vor einer möglichen Akteneinsicht durch die Betroffenen sollen anonyme Anzeigen aus der Akte entfernt werden.
Datenschutz für Informanten?
Auf Kippings Frage, welche Anweisungen bzw. Regelungen und welche konkreten Praktiken in den Jobcentern hinsichtlich der in die Leistungsakte eines Hartz IV-Beziehers aufzunehmenden anonymen Anzeigen bzw. Strafanzeigen bestehen, heißt es in der Antwort:
„Der Informant hat Anspruch auf Geheimhaltung seiner personenbezogenen Daten. … Daher sollen im Regelfall entsprechende (anonyme) Anzeigen in einem verschlossenen Umschlag in der Leistungsakte aufbewahrt werden. Bei der Gewährung von Akteneinsicht ist diese im Regelfall herauszunehmen.“
Auf die Frage, welche Möglichkeiten für einen Hartz IV-Bezieher bestehen, Kenntnis über anonyme Anzeigen bzw. Strafanzeigen gegen ihn zu erlangen und sich gegen diese rechtlich zur Wehr zu setzen, antwortet der Ministeriumsvertreter, dass die Betroffenen die Namen der Informanten in Erfahrung bringen könnten, wenn es sich bei den Anzeigen nachweislich um Falschaussagen handelt und sie sich dagegen juristisch wehren wollen. Das können die Betroffenen aber nicht, wenn sie gar nicht wissen, dass gegen sie Anzeigen vorliegen.
Informelle Mitarbeiter der DDR können neidisch werden
„Anonyme Anzeigen gegen die Betroffenen in den Leistungsakten der Jobcenter sind ein Skandal. Erst recht, wenn sie dem Angezeigten nicht mal zur Kenntnis gegeben werden, weil sie bei Akteneinsicht vorher entfernt werden. Die Anzeigen beeinflussen den Fallmanager und der Betroffene weiß von nichts“, so Kippings Einschätzung, die von Erwerbsloseninitiativen geteilt werden.
Schließlich ist es absurd, wenn ausgerechnet Informanten sich auf Datenschutz berufen können sollen, den die beschuldigten Hartz IV-Bezieher nicht haben. Mancher ehemalige Informelle Informant der DDR dürfte da neidisch werden. Die haben sich gerne auch auf den Datenschutz berufen, als die Bürgerbewegung ihre Daten offenlegte.
Dieser von der Politik gewollte Datenschutz für anonyme Informanten ist auch ein Symptom für die gewollte Entsolidarisierung einer Gesellschaft. Denn so wird das Denunziantentum gefördert. In Zeiten, in denen ein Sarrazin zum Bestseller-Autor wird und Bild oder Sendungen wie Hart aber Fair mit Hetze gegen Erwerbslose Geschäfte machen bzw. für Aufmerksamkeit sorgen, gibt es genügend Willige, die dazu bereit sind.
Opel Bochum zeigt, wie schwer sic hdie Belegschaften mit der Automobilkrise tun
„Hier hat sich die Belegschaft selbst organisiert. Von Donnerstag an stand fest, die Belegschaft handelt und entscheidet gemeinsam jeden Schritt und jede Aktion. Ohne großartige Abstimmungen wurden die Tore besetzt, um zu verhindern, dass LKWs mit Ladung das Werk verließen – leer konnten sie fahren.“ Dieser Lagebericht des oppositionellen Bochumer Opel-Betriebsrates Manfred Strobel ist vor acht Jahren in der Zeitschrift Express erschienen, die gewerkschaftlichen Kämpfen in und außerhalb des DGB ein Forum gibt.
Damals hatte ein durch angekündigte Massenentlassungen ausgelöster sechstägiger Streik der Opel-Belegschaft in Teilen der Linken für Begeisterung gesorgt. Denn die Aktion hatte erkennbar nicht die Handschrift der IG-Metall-Führung getragen. Der Berliner Verlag „Die Buchmacherei“ hat unter dem Titel „6 Tage der Selbstermächtigung“ ein Buch herausgegeben, in dem die damaligen Kämpfe anschaulich dokumentiert sind. Acht Jahre später wurde der Schließungsbeschluss des Opelwerkes verkündet und es gab keine Torbesetzungen und Streiks. Kurz nach Bekanntwerden des Beschlusses demonstrierten am 10. Dezember knapp 100 Beschäftigten durch das Werk. Am 14. Dezember hatte die IG-Metall zu einer Kundgebung vor dem Tor 4 aufgerufen. Der Tenor der meisten Reden war Zweckoptimismus. Es sei schon ein Erfolg, dass die Gespräche weitergehen. So soll über die Auszahlung der 4,3% Tariflohnerhöhung, die Opel wegen als Vorleistung der Belegschaft gestundet worden sind, weiterverhandelt und das Ergebnis dann den Kollegen zur Abstimmung vorgelegt werden. Zudem wurde von den Betriebsräten die Aufsichtsratsversammlung vom 12. Dezember als erfolgreich bezeichnet, weil dort kein Schließungsplan vorgelegt worden war.
„Das halte ich für eine Nebelkerze. Schließlich wissen alle, dass es den Schließungsbeschluss gibt“, kommentierte Wolfgang Schaumberg diesem Versuch, die Belegschaft ruhig zu stellen. Schaumberg war jahrzehntelang in der oppositionellen Gewerkschaftsgruppe Gegenwehr ohne Grenzen (GoG) aktiv. Sie und ihre Vorläufer haben in den vergangenen drei Jahrzehnten bei Opel eine wichtige Rolle gespielt und sicher auch mit zum 6tägigen Streik vor 8 Jahren beigetragen. Dass die Gruppe, die die Standortlogik und das gewerkschaftliche Comanagement immer bekämpft hat, bei der letzten Betriebsratswahl erstmals kein Mandat mehr bekommen hat, zeigt das veränderte Klima.
Viele wollen lieber die Abfindung kassieren
Heute liegt der Altersdurchschnitt im Werk bei über 47 Jahren. „Gerade die Älteren hoffen auf eine Abfindung und rechnen sich schon aus, wie sie mit Abfindungen und Arbeitslosengeld bis zum Rentenalter kommen“, beschreibt Schaumberg die Situation Weil die Komponentenfertigung für andere Werke aus Bochum abgezogen wurde, könnte ein Ausstand heute nicht mehr wie 2004 die Opel-Produktion in ganz Europa lahmlegen. Dieser durch die technologische Entwicklung begünstigte Verlust der Produzentenmacht hat auch dazu geführt, dass sich viele StreikaktivistInnen von 2004 mit Abfindungen aus dem Betrieb verabschiedet haben. Dazu gehört auch der Express-Autor Manfred Strobel. Die Figur des “Arbeitermilitanten“, der, wie der vor einigen Jahren verrentete Wolfgang Schaumberg, über Jahrzehnte im Betrieb arbeiteten und Kampferfahrungen an neue Generationen weitergaben, war auch bei Opel schon vor den Schließungsplänen ein Auslaufmodell. Schließlich haben die Bochumer OpelanerInnen den Machtverlust selber erfahren können. In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Anzahl der Belegschaftsmitglieder kontinuierlich zurück gegangen.
Dieser Rückgang der ArbeiterInnenmacht, bedingt durch den technologischen Fortschritt und die Politik der Wirtschaftsverbände, machen Belegschaften in vielen europäischen Ländern zu schaffen. Diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass Entscheidungsstreiks in einzelnen Fabriken in den letzen Jahren zurückgegangen sind und dafür die aus der Defensive geführten politischen Streiks zugenommen haben, lautet die These des von Alexander Gallas, Jörg Nowak und Florian Wilde kürzlich im VSA-Verlag erschienenen Buch „Politische Streiks im Europa der Krise“.
Der IG-Metall-Vorstand zumindest macht sich über neue Kampfformen kaum Gedanken. Auf ihrer Homepage wird der Opel-Konflikt zu einem Kampf zwischen den Standorten USA und Deutschland stilisiert. Dort ist von „einer Kampfansage von General Motors an Opel Bochum“ die Rede. Das Management habe die Marke Opel beschädigt, lautet die Klage der gewerkschaftlichen Komanager, die ein profitables Opel-Werk fordern. „Damit sind weitere Verzichtserklärungen der Beschäftigten schon vorprogrammiert“, kommentiert Schaumberg realistisch.
Allerdings gibt auch bei Opel noch verschiedene Formen von Widerspruch gegen diese IG-Metall Linie. So empfahl ein oppositioneller Betriebsrat auf der Kundgebung am 14. Dezember, sich an den belgischen Ford-Kollegen aus Genk ein Beispiel zu nehmen, die Anfang November nach der Ankündigung der Werkschließung vor dem Ford-Werk in Köln protestierten. Die Aktion sei in den Medien in Deutschland als Randale hingestellt worden, es habe sich aber um eine Protestaktion mit Vorbildcharakter, erklärte er unter Applaus.
Oppositonelle Gewerkschafter gespalten
Ebenfalls aus den Reihen oppositioneller Opel-Gewerkschafter wird mit dem Vorschlag, Gewerkschaften und Umweltorganisationen sollen sich gemeinsam für die Produktion umweltfreundlicher Autos einsetzen, an die Konversionspläne der 70er Jahre angeknüpft.
„Solche Forderungen können nicht in einem Werk umgesetzt werden, sondern setzen eine ganz andere Auseinandersetzung mit dem Kapital voraus“, betont Schaumberg. Bei der GoG wird daher die Forderung diskutiert, dem Management mit der Position gegenüber zu treten, die Arbeit könnt ihr behalten, aber ihr müsst uns weiter bezahlen. Schließlich hätten die Lohnabhängigen die Situation nicht verursacht, die zum Schließungsbeschluss führte. Damit knüpfen sie an die Parole „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ an. Im Fall Opel ist die Parole sehr treffend. Denn es ist auch die durch die deutsche Krisenpolitik der europäischen Peripherie aufoktroyiertes Verarmungsprogramm, das den deutschen Export einbrechen ließ und Opel unrentabel macht. Wer jeden Cent zweimal umdrehten muss, kauft schließlich keine Autos.
Ein erstes Fazit, das sich aus den Reaktionen auf die Opel-Krise ziehen lässt, ist so also durchaus zwiespältig. Viele außerparlamentarische Linke hätten natürlich jeden direkten Widerstand im Werk als Zeichen für die weiterhin lebendige ArbeiterInnenbewegung interpretiert. Dass aber die KollegInnen eben nicht einfach die Brocken hinwerfen und stattdessen ihre Abfindungen ausrechnen, ist auch der Erkenntnis geschuldet, dass im heutigen Kapitalismus eine isolierte Lösung in einer einzelnen Fabrik nicht möglich ist.
Die von der Umweltgewerkschaft angefachte Debatte über die Produktion von umweltfreundlichen Fahrzeugen ist nur möglich, wenn die Eigentumsfrage und ProduzentInnenmacht und Konzepte einer gesamtgesellschaftlichen, demokratischen Planung der Produktion wieder gestellt wird. In Zeiten, in denen die Markt- und Kapitallogik scheinbar alternativlos erscheint , könnten damit linke Zielvorstellungen wieder in der Öffentlichkeit platziert werden. Für das erste März-Wochenende plant die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Stuttgart eine Konferenz zum Thema „Erneuerung durch Streik“. In dem detaillierten Programm, das auf der Homepage http://www.rosalux.de/event/46538/erneuerung-durch-streik.html veröffentlicht, ist bisher allerdings Opel-Bochum nicht erwähnt.
aus analyse und kritik 579
http://www.akweb.de/
Peter Nowak
Die Jobcenter verhängen immer häufiger Sanktionen. Auch eine Kürzung der Hartz-IV-Leistungen um 100 Prozent ist möglich.
Drucken»Die Minderung erfolgt für die Dauer von drei Monaten und beträgt 100 Prozent des Arbeitslosengeld II«, teilte die Sachbearbeiterin des Jobcenters der Stadt Forst dem erwerbslosen Bert Neumann* mit. Als wäre diese Mitteilung nicht schon aussagekräftig genug, heißt es im nächsten Absatz des Schreibens: »Ihr Arbeitslosengeld II fällt in diesem Zeitraum komplett weg.« Als Grund gab das Jobcenter an, Neumann sei einem Computergrundkurs des Bildungswerks »Futura GmbH« unentschuldigt ferngeblieben. »Ich wurde zum dritten Mal in den gleichen Computerkurs geschickt, der aber immer von unterschiedlichen Trägern veranstaltet wurde«, sagt der Erwerbslose der Jungle World. Dort seien den Kursteilnehmern für die Jobsuche die Grundlagen der Internetnutzung beigebracht worden. Da Neumann seit Jahren mit Computern arbeitet, langweilte er sich in dem Kurs schon beim ersten Mal. Dass ihn die Sachbearbeiter des Jobcenters gleich dreimal zum Kursbesuch aufforderten, interpretiert er ebenso als Schikane wie den Totalentzug des ALG II.
Für den Kauf dringend benötigter Lebensmittel wurde ihm vom Amt ein Gutschein im Wert von 176 Euro ausgehändigt. Genussmittel dürfen damit nicht erworben werden. Wenn nicht der gesamte Betrag bei einem Einkauf ausgeben wird, verfällt der Restbetrag, weil kein Wechselgeld ausgezahlt werden darf. Nach dem Ende der Sperre wird der Wert der Gutscheine monatlich mit zehn Prozent von seinen Hartz IV-Leistungen abgezogen, bis der Betrag beglichen ist. Seit der Streichung des ALG II kann Neumann auch seine Miete nicht zahlen, er fürchtet die Kündigung. Mittlerweile hat sein Anwalt Klage gegen den Totalentzug von Hartz IV eingereicht. Seine Erfolgsaussichten sind nicht schlecht. Eine 100-Prozent-Sanktion sei prinzipiell rechtmäßig, im Detail aber an sehr vielen Punkten angreifbar, sagt Harald Thomé, Referent für Arbeitslosen- und Sozialrecht beim Verein Tacheles, der Jungle World. Erfolge gebe es regelmäßig. »Ich würde behaupten, dass in der juristischen Prüfung etwa 75 Prozent der Sanktionsbescheide kassiert werden.« Eine Sanktion, die einen Wohnungsverlust zur Folge hat, sei verfassungswidrig, interpretiert Thomé anhand zweier Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Höhe von Hartz IV und zum Asylbewerberleistungsgesetz vom Februar 2009 und Juli 2012. Allerdings ist der Weg durch die juristischen Instanzen zeitaufwendig. Ein Mensch, der befürchten muss, die Wohnung zu verlieren, hat diese Zeit oft nicht.
Zur Unterstützung von Bert Neumann hat sich in Forst ein »Freundeskreis« gegründet. Unter dem Motto »Sanktionen treffen einzelne, doch gemeint sind alle« lädt er für den 8. Februar zum Podiumsgespräch über Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger. Allein in Forst wurden in letzter Zeit fünf Beziehern von ALG II die Leistungen auf null gekürzt. Bundesweit hat die Zahl der gegen Hartz-IV-Bezieher verhängten Sanktionen im vorigen Jahr einen Rekordstand erreicht. Wie die Bundesanstalt für Arbeit mitteilte, verhängten die Jobcenter von August 2011 bis Juli 2012 erstmals in mehr als einer Million Fällen Strafen gegen Langzeitarbeitslose. Als Gründe für dieses Vorgehen wurden die gute Arbeitsmarktsituation und die Professionalisierung der Jobcenter genannt. Damit zeigt sich, dass mit dem statistischen Rückgang der Erwerbslosenzahlen, der im Wesentlichen auf dem Boom des Niedriglohnsektors beruht, der Druck auf die Bezieher von Transferleistungen zunimmt. Zugleich steigt der gesellschaftliche Druck auf Erwerbslose, die als »renitent« wahrgenommen werden. Das musste auch Ralph Boes erfahren, der sich für das bedingungslose Grundeinkommen engagiert und zur Diskussionsveranstaltung in Forst eingeladen wurde. Nachdem er Anfang Dezember bei einem Auftritt in der Talkshow »Menschen bei Maischberger« die Hartz-IV-Sanktionen als Zwang bezeichnet und deren Abschaffung gefordert hatte, attackierte ihn die Bild-Zeitung als »Hartz-IV-Schnorrer«.
* Name von der Redaktion geändert
http://jungle-world.com/artikel/2013/05/47046.html
Peter Nowak
Zum politischen Streik in Deutschland seit dem Zeitungsstreik 1952
Am 14. November gab es den ersten länderübergreifenden europäischen politischen Streik. Schwerpunkte waren Spanien, Zypern, Malta, Italien, Portugal, aber auch einige Branchen in Belgien. In Deutschland beschränkte sich der Aktionstag auf Solidaritätskundgebungen, die von linken Gruppen und der FAU initiiert worden waren. Nachdem linke GewerkschafterInnen noch einen Monat vor dem Aktionstag in Offenen Briefen die Vorstände von DGB und Einzelgewerkschaften daran erinnerten, dass der 14. November in den europäischen Gewerkschaftsgremien einvernehmlich unterstützt worden war, sprang auch der Gewerkschaftsapparat auf den Zug auf.
Die linkssozialdemokratische Rosa-Luxemburg-Stiftung hatte bereits im Mai 2012 in Berlin einen Kongress zum Thema Politischer Streik in Europa veranstaltet und GewerkschafterInnen aus verschiedenen europäischen Ländern eingeladen. Dabei wurde aber schnell deutlich, dass die Renaissance des politischen Streiks aus einer defensiven Position erfolgt. Weil durch die zunehmende internationale Vernetzung der Produktion kaum noch erfolgreiche Fabrikkämpfe zu führen seien, verlagern sich in vielen europäischen Ländern die Arbeitskämpfe auf das politische Terrain, so das Fazit vieler der eingeladenen GewerkschafterInnen.
Der in der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Gewerkschaftspolitik zuständige Referent Florian Wilde hat kürzlich gemeinsam mit den Politologen Jörg Nowak und Alexander Gallas im VSA-Verlag ein Buch mit dem Titel „Politische Streiks im Europa der Krise“ herausgegeben. Wilde skizziert dort den defensiven Kontext, in dem sich die politischen Streiks heute abspielen und der sich diametral von den Zeiten unterscheiden, als Rosa Luxemburg in den Massenstreiks eine Schule zur Vorbereitung der politischen Revolution sah.
„Die zunehmende Zahl von politischen Streiks und Generalstreiks ist zunächst Ausdruck der hochgradig defensiven Stellung, in der sich die Gewerkschaften nach drei von Niederlagen geprägten Dekaden heute befinden (…) Die Gewerkschaften und die gesellschaftliche Linke kämpfen in dieser Situation mit dem Rücken an der Wand. Aus dieser Konstellation ergibt sich sowohl die massive Zunahme politischer Streiks als auch ihr vorrangig defensiver Charakter“, schreibt Wilde.
Vergessene politische Streiks in Deutschland
In einem eigenen Kapitel wird ein kurzer Rückblick auf die politischen Streiks in der BRD gegeben, die heute weitgehend vergessen sind. Ein Grund dürfte auch darin gelegen haben, dass die politischen Streiks in der Regel nicht so benannt werden, weil sie ungesetzlich sind und die DGB-Gewerkschaften immer auf dem Legalitätsprinzip beharrten. Mit dieser Position lehnten DGB- und IG-Metall-Vorstände vehement Aufrufe von außerparlamentarischen Gruppen ab, mit den Mitteln des Generalstreiks gegen die Wiederbewaffnung oder die Notstandgesetze zu protestieren. Dieses Legalitätsprinzip bewahrte GewerkschafterInnen nicht vor Kriminalisierung, wie die langjährige IG-Metall-Bevollmächtigte Heidi Scharf am Beispiel des Stuttgarter Frauenstreiktags vom 8. März 1994 erläuterte. Scharf und eine weitere Gewerkschafterin erhielten einen Strafbefehl wegen Rädelsführerschaft, weil sie eine nicht für den Fußgängerübergang vorgesehene Straßenkreuzung überquerten. Lehnten die Gewerkschaftsvorstände Aufrufe zu politischen Streiks bei Themen vehement ab, in denen sie hätte in Konfrontation zur SPD gehen müssen, wie es bei den Notstandsgesetzen und der Wiederbewaffnung der Fall war, so unterstützte sie schon mal politische Arbeitsniederlegungen, wenn auch die SPD davon profitierte.
So gab es anlässlich des letztlich gescheiterten Misstrauensvotums der Unionsparteien gegen die Regierung Brandt/Scheel 1972 Arbeitsniederlagen in verschiedenen Großfabriken, die von der Gewerkschaftsbasis ausgingen, aber Unterstützung bis auf die Vorstandsebene fanden auch die Arbeitsniederlegungen Mitte der 80er Jahre gegen den heute weitgehend vergessenen „Franke-Erlass“, die eindeutig als politische Streiks zu klassifizieren waren, genossen die Unterstützung von DGB-Vorständen und der SPD. Dabei ging es um eine Verfügung des damaligen Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Lohnabhängigen, die während eines Streiks von den Unternehmen ausgesperrt wurden, keine Unterstützungsleistungen mehr zu gewähren.
Hinter Franke stand die konservative-liberale Bundesregierung, die nach dem Vorbild der britischen Thatcher-Regierung auch in Deutschland die Gewerkschaftsmacht einschränken wollte. Dabei ging es aber nicht um eine Beschränkung von Arbeiterselbstorganisation. Getroffen werden sollte vielmehr ein eng mit der SPD verbundener Gewerkschaftsapparat. Die SPD versuchte ihrerseits mit ihrer Kampagne gegen den Franke-Erlass während der Regierungszeit von Bundeskanzler Helmut Schmidt verloren gegangenes Vertrauen bei Teilen der Gewerkschaftsbasis zurückzugewinnen. Daraus wird deutlich, dass auch die Unterstützung eines politischen Streiks durch die Gewerkschaftsvorstände kein Indiz für eine Linksentwicklung des Apparats sein muss.
Machtkampf im Zeitungsstreik
Es gab aber auch in der bundesdeutschen Geschichte Beispiele für politische Streiks, die sich zum Machtkampf zwischen Teilen der Lohnabhängigen und den Staatsapparaten entwickelten. Dazu gehört der Zeitungsstreik von 1952. Er war Teil des Kampfes der DGB-Gewerkschaften um eine erweitere Mitbestimmung in der frühen BRD. Anfang der 50er Jahre, als die Restauration der alten Besitz- und Machtverhältnisse in der BRD in vollem Gange war, wollten die Gewerkschaften mit dem Kampf um die Mitbestimmung ihren Anspruch auf die Mitverwaltung im Staat deutlich machen. Doch die politischen Eliten hatten daran kein Interesse, zumindest nicht, solange die Gewerkschaften dazu auch Kampfmittel einsetzen. Gerade mit dem überraschenden, weil unangekündigten Zeitungsstreik begaben sich die Gewerkschaften auf ein politisches Feld, in dem sie praktisch demonstrierten, dass sie die Macht hatten, die Medien zum Schweigen zu bringen, die überwiegend eine Kampagne gegen die Gewerkschaften gefahren hatten. Hier blitzte tatsächlich die Vorstellung der Macht einer Arbeiterklasse auf. 1919 hatten bewaffnete ArbeiterInnen das Berliner Zeitungsviertel besetzt, was die SPD-Führung mit dem Standrecht und dem Einsatz der konterrevolutionären Freikorps beantworte.
1952 hatten die DGB-Gewerkschaften mit ihrem Zeitungsstreik keineswegs eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft im Sinn. Aber sie wollten demonstrieren, dass sie durchaus Druckmittel haben, um ihren Platz als Sozial- und Mitbestimmungspartner durchzusetzen und damit Verhandlungen zu erzwingen. Wer im Spiegel (www.spiegel.de/spiegel/print/d-21976896.html) jener Tage liest, wie Betriebsräte und GewerkschafterInnen den Versuchen der Bundesregierung, als Antwort auf den Zeitungsstreik ein eigenes Bulletin herauszugeben, enge Grenzen setze und mehrmals den Titel und die Auflage korrigierten, bekommt tatsächlich den Eindruck, hier gab es in Ansätzen eine Art Gegenmacht. Der Kapitalseite war das sehr bewusst, was sich an der Intervention einiger Verlegerverbände zeigte, die sich gegen die Herausgabe des Bulletins wandten, weil sie die befürchteten, die Gewerkschaften könnten darauf mit einer Streikverlängerung reagieren.
Nipperdey kassiert politisches Streikrecht
Die juristischen Gegenmaßnahmen folgten schnell. Die Verleger klagten gegen die Streiks. Nachdem mehrere Landesarbeitsgerichte den Ausstand für „ungesetzlich und sittenwidrig“ erklärt hatten, befasste sich schließlich das Bundesarbeitsgericht mit dem Fall. Der Gründer der Kölner Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der Kölner Universität, Carl Nipperdey, verfasste ein Gutachten, das Streiks nur im Rahmen von Tarifforderungen für zulässig erklärte und schuf damit jenes deutsche Sonderrecht, das als Verbot von politischen Streiks bekannt ist. Als Vorsitzender Richter des Bundesarbeitsgerichtes schrieb Nipperdey 1958 die in dem Gutachten niedergeschriebenen Grundsätze in einem Urteil gegen den von der IG Metall ausgerufenen Streik zum Kampf für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall fest. Er erklärte ihn für ungesetzlich und verurteilte die Gewerkschaft zu einem Schadenersatz von 38 Millionen an die bestreikten Unternehmer.
Wenn auch juristische Autoren Nipperdey als „Anreger für eine Neubegründung des juristischen Denkens“ feierten, so sich der Jurist an der Akademie für Deutsches Recht im Nationalsozialismus erste wissenschaftliche Sporen im Kampf gegen die Selbstorganisation der ArbeiterInnen verdient. So schrieb er 1937 in der Fachzeitschrift „Deutsches Arbeitsrecht“ einen Aufsatz unter dem Titel „Die Pflicht des Gefolgsmanns zur Arbeitsleistung“. Aber es wäre sicher falsch, Nipperdey noch in den 50er und 60er Jahren als Gefolgsmann des Nationalsozialismus zu sehen. Er stand vielmehr in der Tradition konservativer WissenschaftlerInnen, die Klassenkampf und Streiks ablehnten und für eine ständische Gesellschaft eintreten, in denen statt Streik und Widerstand Gefolgschaft und Unterordnung herrschen sollten. Diese Ideologien sind älter als der NS und mit diesem natürlich nicht verschwunden. Sie haben sich selbst in Teilen der Lohnabhängigen gehalten. Wenn aktuell wieder verstärkt über politischen Streik in Deutschland gesprochen wird, gilt es gerade diesen Vorstellungen den Kampf anzusagen. Es ist daher nicht in erster Linie eine Frage der Gesetze, wie es linke DGB-GewerkschafterInnen wie der hessische IG-Bau Sekretär Veit Wilhelmy sehen, die eine Kampagne für ein Recht für ein umfassendes Streikrecht begonnen haben und dafür unter einem Wiesbadener Appell (politischer-streik.de) Unterschriften sammeln. Diese Initiative ist sicher nicht falsch. Der politische Streik wird aber an den Arbeitsstellen und auf der Straße geführt und gewonnen.
Politischer Streik – heute noch aktuell?
Dabei werden sich manche fragen, ob die Frage eines politischen Streiks angesichts der Veränderung der Arbeitsverhältnisse nicht obsolet geworden ist. Schließlich dominieren isolierte Arbeitsplätze und die Großfabriken verschwinden zumindest in Mitteleuropa. Daraus ziehen auch viele anarchistischen Gruppen den Schluss, dass heute Kämpfe nur noch außerhalb der Produktionssphäre möglich sind. So heißt es in einem Interview des anarchistischen Kollektivs Crimethinc in der Jungle World 8/2012: Wir haben es mit Prekarität zu tun. Damit, dass wir keine feste Position mehr in der Wirtschaft haben“. Als Alternative wird die Occupy-Bewegung genannt, die gezeigt habe, dass und wie es möglich ist, solche Kämpfe außerhalb der eigenen Arbeitsplätze zu führen. Ähnlich argumentierte eine studentisch geprägte Berliner Initiative, die kürzlich eine Streikzeitung herausgab. Im Editorial schreiben sie, dass sich die AktivistInnen den Streikbegriff aneignen, „auch in dem Bewußtsein, dass Streik im klassischen Sinn als „Arbeiter_innenkampf weder zeitgemäß noch realistisch ist“. Dabei machen beide Gruppen den Fehler, Streiks mit Massenkämpfen in Großfabriken verbinden. Sie vergessen dabei, dass unter den heutigen Arbeitsbedingungen Streiks geführt und auch gewonnen werden. Erinnert sei an die Putzleute in den Südstaaten der USA, die der Regisseur Ken Loach in seinen Film „Brot und Rosen“ würdigt oder an die weniger spektakulären Arbeitskämpfe in Callcentern, in Spätverkäufen und anderen Branchen des Niedriglohnsektors. Wer solche Kämpfe ignoriert, braucht über politische Streiks nicht zu reden.
aus: Direkte Aktion 215/Januar, Februar2013
http://www.direkteaktion.org/215/in-der-defensive
Peter Nowak
Der Artikel wurde nachgedruckt in Schattenblick:
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/da-552.html