Kategorie: Soziales
IKEA schmeißt Arbeiter raus
Proteste in Norditalien
Piacenza. Im Arbeitskampf der italienischen Logistikarbeiter in Norditalien gab es in den letzten Tagen eine massive Verschärfung. In Piacenza wurden 26 Beschäftigte vom IKEA-Konzern entlassen, zuvor waren Streikposten zusammengeschlagen und verletzt worden. Seit 2011 kämpfen in Italien die meist marantischen Arbeiter der italienischen Logistikbranche für reguläre Arbeitsbedingungen. In mehreren großen Logistikunternehmen ist es den Streikenden gelungen, die Einhaltung der nationalen Standards zu erzwingen und sich gegen Vorarbeiter, Leiharbeitsfirmen sowie massiv auftretende Polizei durchzusetzen. Während die großen Gewerkschaften den Arbeitskampf weitgehend ignorierten, werden die Beschäftigten von Teilen der außerparlamentarischen Linken Italiens und der Basisgewerkschaft S.I. Cobas unterstützt. Nach den Entlassungen soll nun die internationale Unterstützung beginnen. In Berlin-Tempelhof ist für Mittwoch, den 25. Juni um 18 Uhr eine Solidaritätsaktion vor der IKEA-Filiale am Sachsendamm 47 geplant.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/936471.ikea-schmeisst-arbeiter-raus.html
Peter Nowak
Ist Psychiatrie heute noch Folter?
Eine Einladung nach Berlin macht deutlich, wie unterschiedlich die Ansichten über die Psychiatrie heute noch sind
„Menschenrechte und Psychiatrie“ [1] lautete der Titel einer Expertentagung mit hochkarätiger Besetzung, die am Donnerstag in Berlin stattgefunden hat. Auf Einladung der Deutschen Gesellschaft fürPsychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde [2] sprach dort auch der UN-Beauftragte zu Fragen des Genozids und Folter, [3]Juan E. Méndez [4].
Er wurde bereits am Eingang Transparenten empfangen. „Willkommen in Berlin, Herr Méndez“ [5] lautete das Motto eines Bündnisses von Kritikern der aktuellen Psychiatrie in Deutschland. Sie machten auch deutlich [6], dass der Willkommensgruß nur dem UN-Beauftragten, nicht aber dessen Gastgeber galten.“Juan E. Méndez hatte eine ungewöhnliche Einladung erhalten: eine Organisation der Täter, die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie,
Psychosomatik und Nervenheilkunde, hatte ihn zum Vortrag über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen in der Psychiatrie am 19.6.2014 nach Berlin eingeladen“, heißt es auf der Homepage der Psychiatriekritiker.
Folter in der Psychiatrie endlich abschaffen
Doch es sind nicht nur die Psychiatrieerfahrene und –betroffene, die auch die moderne Psychiatrie mit Folter in Verbindung bringen. So haben 9 Professoren, 4 Rechtsanwälte sowie ein ehemaliger BGH-Richter ein Bündnis gegen Folter in der Psychiatrie [7] gegründet, in dem sich inzwischen 20 Organisationen von Menschenrechtsaktivisten und Betroffene zusammengeschlossen haben.
Dieses Bündnis beruft sich nun ausdrücklich auf Juan E. Méndez. Er hat als Sonderberichterstatter über Folter des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in der 22. Sitzung des „Human Rights Council“ am 1. Februar 2013 Zwangsbehandlung in der Psychiatrie zu Folter bzw. grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung erklärt [8]. Zudem forderte Méndez dort von allen Staaten, dass sie „ein absolutes Verbot aller medizinischen nicht einvernehmlichen bzw. Zwangsbehandlungen von Personen mit Behinderungen“ verhängen sollen. Darunter fällt für ihn ausdrücklich die Anwendung „nicht-einvernehmlicher Psychochirurgie, Elektroschocks und Verabreichung bewusstseinsverändernder Drogen, sowohl in lang- wie kurzfristiger Anwendung“.
Die Verpflichtung, erzwungene psychiatrische Behandlung wegen einer Behinderung zu beenden, ist „sofort zu verwirklichen und auch knappe finanzielle Ressourcen können keinen Aufschub der Umsetzung rechtfertigen“, mahnte Méndez. In diesem Sinne hat auch das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit öfter geurteilt [9].
Umdenken bei der Psychiatrie?
Die Aktivisten, die den UN-Beauftragten aber nicht dessen Gastgeber in Berlin begrüßten, fordern vom Gesetzgeber, dass endlich die Postulate von Méndez auch in Deutschland umgesetzt werden. „Gewaltfreie Psychiatrie jetzt“ lautete das Motto. Könnte nicht die Einladung des erklärten Folter-Gegners durch die führende Organisation der Deutschen Psychiatrie ein hoffnungsvolles Zeichen für ein Umdenken bei den Organisatoren sein?
Rene Talbot, der bei den Berliner Psychiatrie-Erfahrenen aktiv ist, ist davon nicht überzeugt. Er bezeichnet es als zynisch, dass die Tagung mit dem Titel „Menschenrechte und Psychiatrie“ auf der Méndez eingeladen war und auf der eine „ethische Positionierung der DGPPN“ vorbereitet werden soll, ausgerechnet von einem Präsidenten der DGPPN, Prof. Wolfgang Maier, eröffnet wird, der ein deutscher Erbhygieniker sei. „Die Erbhygiene umetikettiert als ‚psychiatrische Genetik‘, die Prof. Wolfgang Maier als Vorsitzender der Sektion „Genetics of Psychiatry“ bei der World Psychiatric Association vertrat, war die ideologische Grundlage, mit der Ärzte versuchten, ihr systematisches Gaskammer-Massenmorden ab 1939 in Deutschland zu rechtfertigen – das Mordsystem, das anschließend zum Massenmord an Juden, Roma, Sinti und Homosexuellen ins besetzte Polen exportiert wurde“, so Talbot.
http://www.heise.de/tp/news/Ist-Psychiatrie-heute-noch-Folter-2236185.html
Peter Nowak
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Arm und sexy im Gemüsebeet
Die Verfechter der sogenannten Share-Ökonomie haben sich in Berlin getroffen. Ihre Vision von der Zukunft ist die Selbstverwaltung des Elends.
»Von der geteilten Stadt zur teilenden Stadt« – so lautete das Motto einer Veranstaltungsreihe, mit der zahlreiche Projekte, Initiativen, Sozialunternehmen und Startups die »Sharing Week« bewarben, die kürzlich in Berlin stattfand. Im zugehörigen Werbematerial fehlte es nicht an Floskeln, mit denen begründet werden sollte, warum gerade Berlin besonders geeignet sei, der sogenannten Share-Ökonomie zum Durchbruch zu verhelfen.
Warum die »einst geteilte Mauerstadt« der ideale Ort sein soll, um »eine ganz neue, ganz andere, durch und durch lustvolle Form des Teilens zu praktizieren«, bleibt allerdings das Geheimnis der Veranstalter der »Sharing Week«. Auch die These, dass »Besitzen, Konkurrieren und Trennen so etwas von gestern« seien und dass es heutzutage um den »gemeinschaftlichen Zugang zu Dingen, Wissen, Dienstleistungen, Autos, Bügeleisen, Küchengeräten, Computerdateien, Gärten« gehe, wird nicht begründet. Schließlich müssten die Autoren, wenn sie ihre Bekundungen ernst nähmen, über den Kapitalismus reden. Aber mit dem Bündnis für Share-Ökonomie kooperierende Unternehmer und Firmenbesitzer müssen nicht fürchten, dass ihr Eigentum an Produktionsmitteln in Frage gestellt wird. Genauso wenig wird erwähnt, dass Konkurrenz ein Wesensmerkmal des Kapitalismus ist.
Der als »Vordenker der Occupy-Bewegung in den USA« vorgestellte Kulturphilosoph Charles Eisenstein führt im Magazin der »Sharing Week« aus: »Linke kritisieren, dass die Share-Ökonomie die Besitzverhältnisse nicht verändert. Bei Airbnb etwa profitierst du von der Nutzungskontrolle über dein Apartment, es herrscht weiterhin Kapitalismus.« Eisenstein widerspricht dem nicht, betont aber, er glaube trotzdem, die Share-Ökonomie sei ein Schritt in eine gemeinschaftliche Lebensweise.
Wie diese gemeinschaftliche Lebensweise im Jahr 2022 aussehen könnte, haben sich die Kulturarbeiterinnen Cemilia Elle und Jaana Prüss am Beispiel Berlins ausgemalt. Die phantastische »Share-City« macht jedoch nicht den Eindruck, als beherberge sie eine emanzipatorische Gesellschaft. Da wird Joachim Gauck zum Vorsitzenden des Bundesausschusses für Teilhabe, Angela Merkel gärtnert begeistert bei der Kampagne »Pflücken erlaubt statt betreten verboten« im Regierungsviertel – gemeinsam mit der selbsternannten Glücksministerin Gina Schöler. Auch den Menschen, die nicht zu den Gutsituierten gehören, haben Elle und Prüss einen Platz in der »Share-City Berlin« zugewiesen: als fleißige Null-Euro-Jobber. »Wie wild pflanzen nun Freiwillige in den öffentlichen Parks und Grünanlagen Essbares wie Kräuter, Kirschen und Kürbisse«, schreiben die Kulturarbeiterinnen.
Dass diese Zukunftsvision nicht vollkommen unwirklich erscheint, liegt an den Folgen der Krise, die viele Menschen zu spüren bekommen. Wenn Löhne und Einkommen nicht mehr die Reproduktionskosten decken, wird eben Nahrung überall da angebaut, wo es noch möglich ist. In Griechenland und Spanien begeben sich Menschen aufs Land, um Essbares anzubauen. Andere legen Beete und Felder in städtischen Brachen an. In den deindustrialisierten Gegenden von Detroit weiden Ziegen, Getreide und Obst werden dort gezüchtet.
In Deutschland ist das Interesse an der Share-Ökonomie ebenfalls in Zeiten gewachsen, in denen auch die Mittelschicht von unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnissen betroffen ist und der Niedriglohnsektor boomt. Wenn Menschen sich Sorgen machen müssen, wie sie das Geld für Essen und Miete aufbringen können, wächst das Interesse an der Subsistenz. Die »Sharing Week« und das Motto »Arm aber sexy«, das Klaus Wowereit der Stadt verordnet hat, gehören zusammen. Darüber findet sich in den Werbematerialien zur »Sharing Week« kein Wort. Stattdessen wird die Armuts- und Elendsökonomie mit schönen Worten und einer Prise Spiritualität zum neuen, angesagten Lebensstil erhoben.
http://jungle-world.com/artikel/2014/25/50076.html
Peter Nowak
Armenspeisung statt Erhöhung des Bafög
Peter Nowak über Studenten, die das Angebot der Essenstafeln annehmen müssen
Seit Jahren wächst in Deutschland die Zahl der Menschen, die das Angebot von Essenstafeln nutzen müssen, weil sie sonst mit ihren geringen Einkommen nicht über die Runden kommen. Längst sind auch junge Menschen davon betroffen. Der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutsche Tafeln e.V., Jochen Brühl, wies vor kurzem darauf hin, dass im letzten Jahr die Zahl der Studierenden, die die Essenstafeln nutzen müssen, angewachsen ist. In einigen Medien wurde diese Meldung zwar kurz aufgegriffen, aber schnell wieder vergessen. Der mit dem Begriff Vertafelung der Gesellschaft bezeichnete Boom der Tafeln im letzten Jahrzehnt ist ein Zeichen dafür, dass hierzulande auf die Verteilung von nicht einklagbaren Almosen statt auf eine gesetzliche garantierte Sozialpolitik gesetzt wird.
Im Kontrast dazu steht das Verhalten der Bundesregierung, die sich dafür feiert, dass sie den Bildungsstandort Deutschland stärkt. Die Meldung über die wachsende Zahl von Studierenden, die auf die Armenspeisung angewiesen sind, wurde durch die Nachricht überdeckt, dass der Bund die vollen Kosten des Bafög übernehmen will. Das stieß auf Zustimmung. Studentische Initiativen wie der bundesweite Zusammenschluss fzs monierten lediglich, dass eine Reform der staatlichen Studienförderung wieder einmal verschoben wurde.
Dabei hätte ihnen die Meldung vom Bundesverband Deutscher Tafeln die Grundlage für die Kritik an einer Bildungspolitik liefern können, die vermehrt Studierende zum Gang zu den Essenstafeln zwingt. Aus studentischer Sicht wäre denn auch eine Bafög-Erhöhung weniger eine Stärkung des Bildungsstandorts Deutschlands, sondern ein Beitrag zum Kampf gegen studentische Armut.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/936595.armenspeisung-statt-erhoehung-des-bafoeg.html
Peter Nowak
Papierlos, rechtlos
Bürokratie: Menschen ohne Arbeitserlaubnis können bei Verdi nicht mehr Mitglied werden. eine Justizposse
Gemeinsam kämpfen wir für bessere Arbeitsbedingungen. So präsentieren sich die deutschen Gewerkschaften gerne nach außen. Doch wenn es um Flüchtlinge geht, hört die Solidarität schnell auf – zumindest beim Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft verdi. Die Vorstandsetage ist nämlich der Auffassung, dass Ausländer ohne Arbeitserlaubnis nicht Verdi-Mitglied werden dürfen.Begonnen hat es im vergangenen Sommer, als rund 300 Flüchtlinge der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ in die Gewerkschaft aufgenommen wurden – vom Hamburger Fachbereich „Besondere Dienstleistungen“. Die Asylbewerber schrieben .
„In der Gewerkschaft haben wir eine Partnerin gefunden, die die Ungerechtigkeit, die uns angetan wurde, realisiert und diesen Kampf mit uns zusammen führt“. Seitdem sah man auf Flüchtlingsdemonstrationen häufig Ver.di-Fahnen. Doch dann bekam der Hamburger Gewerkschaftssekretär Peter Bremme hat vom ver.di-Bundesvorstand eine Abmahnung bekommen. Er habe mit der Aufnahme der Flüchtlinge gegen die -Satzung verstoßen. Begründet wurde das mit einer Stellungnahme der Verdi-Verwaltung, die formaljuristisch in Ordnung sein mag, mit der Wirklichkeit und den Herausforderungen einer Gewerkschaft aber herzlich wenig zu tun hat. Zum einen wird bemängelt, dass eine Lampedusa-Flüchtlinge als Bauarbeiter oder Automechaniker arbeiteten, also bei der Dienstleistungsgewerkschaft falsch seinen. Dies verkennt jedoch die Lebensrealität der meisten Migranten, die sich mit kurzfristigen Arbeitsverhältnissen herumschlagen müssen. Sollen sie alle paar Wochen die Gewerkschaft wechseln? Zum anderen argumentieren die Bürokraten von Verdi, dass diejenigen Flüchtlinge, die keine Arbeitserlaubnis haben, weder lohnabhängig noch erwerbslos seine. Dabei gelingt der Gewerkschaftsführung ein Kunstgriff, in dem sie sich „weniger auf den Zustand der Erwerbslosigkeit als auf arbeitsmarktpolitische bzw. sozialrechtliche Zuordnung“ beruft. Das heißt: da die Flüchtlinge vom Staat nicht als erwerbslos gemeldet werden, dürfen sie sich nicht in Verdi organisieren.Muss eine Gewerkschaft die ausgrenzende Logik der deutschen Asylgesetze übernehmen, die Flüchtlingen eine Arbeitsaufnahme verbietet und so auch verhindert, dass sie sich arbeitslos melden können? Sollte der Staat entscheiden, wer Gewerkschaftsmitglied wird? Und wird durch ein solches Gebaren nicht die Verhandlungsposition von Verdi gegenüber den Arbeitgebern geschwächt? Es gibt einen guten Grund, weshalb sich nicht nur Lohnabhängige in Gewerkschaften organisieren. Die Erwerbslosen können leicht gegen sie ausgespielt werden. Wenn sie durch Sozialhilfekürzungen gezwungen sind, jeden noch so schlecht bezahlten Job anzunehmen, dann erhöht sich auch der Druck auf die Beschäftigten, eine miese Bezahlung zu akzeptieren. Bei Menschen ohne Arbeitserlaubnis ist es genauso. Wenn sie illegal für Hungerlöhne arbeiten, schwächt das auch die Gewerkschaften. Der Verdi-Vorstand schießt sich also ins eigene Knie, wenn er die Flüchtlinge ausschließt. Das erkennen inzwischen auch viele ehren- und hauptamtliche Gewerkschafter. Sie haben einen Aufruf unterzeichnet, der eine Verdi-Mitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatus fordert. Der Bundesvorstand ist inzwischen zwar nicht von seiner Position abgerückt, aber es gibt einige Hoffnungsschimmer. Die aufgenommenen Flüchtlinge aus Hamburg dürfen trotz des Gutachtens Verdi-Mitglieder bleiben. Zudem existieren seit einigen Jahren in mehreren Städten Ver.di-Arbeitskreise, die auch Beschäftigten ohne gültige Dokumente zu ihrem Recht verhelfen. Papierlos aber nicht rechtlos, lautet ihr Motto. Es sollte für alle Flüchtlinge gelten. Vor allem in den Gewerkschaften.
Peter Nowak
aus Wochenzeitung Freitag 24/2014 vom 6.4. 2014
https://www.freitag.de/inhaltsverzeichnis
Sondergesetze für Arme
Erwerbslosengruppen kündigen Kampagne gegen geplante weitere Verschärfung für Hartz IV-Empfänger an
Die bundesdeutsche Gesellschaft betont unentwegt, wie vorbildhaft sie sich gegen Neonazis und offene Rechte stellt und die Bild-Zeitung will dabei natürlich nicht hintanstehen. Allerdings werden oft genug die Parolen der Rechtsaußengruppierungen dort einfach übernommen, die für große Empörung gesorgt hätten, wenn sie in einer der Publikationen am rechten Rand erschienen wären.
So verwendeteBild Mitte Mai eine Schlagzeile bei der sich Rechtsaußenblätter wie die Nationalzeitung wahrscheinlich schon aus juristischen Gründen durch die Verwendung von Anführungszeichen abgesichert hätten. „Sozialschmarotzererklärt, warum ihm Hartz IV zusteht“ [1] wird dort der Sprachduktus aus dem LTI [2] gegen Michael Fielsch [3] gehetzt. Dieser erinnert mit seiner Installation „In Gedenken an die Opfer der Agenda 2010“ [4] an die Hartz IV-Empfänger, die wie die Rentnerin Rosemarie Fliess [5] nach einer Zwangsräumung starben oder die aus Angst vor einem Leben in Armut Selbstmord verübt haben. Für Bild führt die in ruhigem Ton vorgebrachte Erklärung von Fielsch, dass er eine solche Tätigkeit für sinnvoller als irgendwelche Maßnahmen des Jobcenters hält, zu dem menschenverachtenden Ausfall.
Im Duktus gemäßigter,im Inhalt ähnlich sozialchauvinistisch argumentiert die Autorin Rita Knobel-Ulrich, die Bücher mit den zynischen Titel „Reich durch Hartz IV“ verfasst und dafür in Bild, aber auch viel weiter rechts [6] viel Lob erfährt.
Widerspruch soll kostenpflichtig werden
Knobel-Ulrich fordert in Talkshows eine weitere Verschärfung für Hartz IV-Empfänger und geriert sich damit als Lautsprecher für entsprechende Bestrebungen in der Politik.
Unter dem unverfänglichen Titel „Rechtsvereinfachung im SGB II“ [7] hat eine vornehmlich aus wirtschaftsnahen Verbänden und Vertretern der Bundesagentur für Arbeit zusammengesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf mehr als 40 Seiten Maßnahmen aufgelistet, die Verschlechterungen für Hartz IV-Empfänger mit sich bringen. Erleichtert würde damit die Arbeit der Mitarbeiter von Jobcentern und Arbeitsagenturen, betont [8] Inge Hannemann, die wegen ihrer kritischen Haltung zu Sanktionen ihre Arbeit an einer Arbeitsagentur verlor.
24 der 120 Änderungsvorschlägen fanden am Mittwoch bei einem ersten „Fachgespräch“ im Bundestag bereits Anklang. Der Referent für Erwerbslosen- und Sozialrecht, Harald Thomé [9], rechnet damit, dass die Gesetzesnovelle im Herbst beschlossen wird und kommt aufgrund seiner Stellungnahme [10] zu dem Fazit [11], dass vielen Betroffenen mit der geplanten Novelle ein „Bewegen im rechtsfreien Raum“ droht. Beispielsweise könne das Amt überzahlte Beträge auch ohne Bescheid zurückfordern. Familienangehörige würden noch stärker als bisher für Rückforderungen haften. Rechtloser sollen auch Hartz-IV-Bezieher werden, denen das Jobcenter zu geringe Leistungen gezahlt hat. Komme die Arbeitsgruppe mit ihren Plänen durch, werde „eine Sonderrechtszone zementiert, die immer stärker vom einst gültigen Sozialrecht abweicht“. Thomé listet auch die wenigen Verbesserungen für Hartz IV-Empfänger durch die geplanten Reformen auf.
Vor allem die Bundesagentur für Arbeit drängt in diesem Zusammenhang auf schärfere Sanktionen für Langzeiterwerbslosen, die wiederholt Termine beim Jobcenter platzen lassen. Bislang werden die Leistungen in diesen Fällen um maximal 30 Prozent gekürzt, künftig sollen sie nach dem Willen der BA auch ganz gestrichen werden können. Auch die Möglichkeit, Bescheide der Jobcenter auf ihre Richtigkeit überprüfen zu lassen, soll eingeschränkt werden und mit Kosten verbunden sein. Das wäre für Erwerbslose eine gravierende Einschränkung, weil die Anzahl der Widersprüche gegen Bescheide vom Jobcenter seit der Einführung der Agenda 2010 massiv zugenommen hat und in vielen Fällen im Sinne der Betroffenen entschieden worden ist.
Im Herbst Proteste gegen Verschärfungen geplant
Auf einem bundesweiten Treffen haben sich ca. 60 Erwerbslosengruppen ab September Widerstand gegen die geplanten Verschärfungen angekündigt. In einer gemeinsamen Erklärung [12] prangern sie den „permanenten Rechtsbruch im Jobcenter“ an. „Im Jobcenter erleben die Erwerbslosen schon heuteständig Unrecht und durch die neuen Reformen soll es noch einmal verschärft werden“, begründet Martin Künkler von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen [13] den neuerwachten Widerstandsgeist von manchen Erwerbslosenaktivisten
In den letzten Jahren hat es wenig kollektive Widerstandsformen gegeben. Dass es keine gesellschaftliche Reaktion darauf gibt, wenn die Bildzeeitung Erwerbslosenaktive als Sozialschmarotzer abqualifiziert, ist auch ein Symptom dafür, wie weit die Ideologie der Abwertung von einkommensarmen Menschen schon in der Gesellschaft verankert ist. Dafür ist allerdings die Zahl der Menschen gewachsen, die sich zu ihren Terminen am Amt haben begleiten [14] lassen. Es wird sich zeigen, ob die geplanten Verschärfungen tatsächlich zu einem neuen Aufschwung von Erwerbslosenprotesten führen.
http://www.heise.de/tp/news/Sondergesetze-fuer-Arme-2222112.html
Peter Nowak
Links:
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»Solidarisches Handeln überhaupt ermöglichen«
In Berlin trafen sich rund 300 GewerkschafterInnen aus aller Welt zur Konferenz des Onlineportals LabourStart
nd: Ist LabourStart der Neustart einer Arbeiterbewegung?
Wir werden mit der kleinen Initiative natürlich nicht die neue internationale Arbeiterbewegung erfinden. Doch LabourStart kann wichtige Bausteine liefern, die Menschen solidarisches Handeln überhaupt wieder ermöglichen.
Wie wollen Sie das erreichen?
LabourStart ist eine 1998 gegründete Nachrichten- und Kampagnenwebseite für die internationale Gewerkschaftsbewegung. Nach Konferenzen zur globalen Solidarität in London, Washington, Hamilton, Ontario , Istanbul und Sydney trafen sich Ende Mai über 300 Delegierte aus rund 75 Ländern erstmals in Berlin.
Warum gerade dort?
Kurz nach dem Kongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes, der ebenfalls in Berlin stattfand, bot die LabourStart-Konferenz eine Möglichkeit für Gewerkschafter von Basisaktiven bis zum Vorsitzenden und Vertreter der internationalen Gewerkschaftsorganisationen, aktuelle Fragen der Gewerkschaftsbewegung in einem informellen Rahmen zu diskutieren.
Können Sie einige Beispiele für die Arbeit von LabourStart nennen?
Sehr bekannt ist der internationale Kampf um Entschädigung für die Opfer des Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch. LabourStart hat mit dazu beigetragen, dass der Druck auf die verantwortlichen Textilkonzerne erhöht wurde, endlich das notwendige Geld in den vereinbarten Fonds einzahlen. Auch die verbindliche Umsetzung der Gebäudesicherheits- und Feuerschutzbestimmungen spielt in der Kampagne eine wichtige Rolle.
Die Unterstützung des Kampfes der Textilarbeiter in Kambodscha ist ebenfalls ein wichtiges Anliegen von LabourStart. Der Arbeitskampf dort dauert bereits mehrere Monate. Die Beschäftigten sind einer massiven Repression von Seiten des Staats ausgesetzt. Zahlreiche Gewerkschafter wurden verhaftet oder mussten untertauchen.
Unterstützt LabourStart auch Streiks in Deutschland?
Ja. Ich will nur an die internationale Solidaritätsaktion für die Streikenden des Raststättenkonzerns Autogrill erinnern, die gemeinsam mit der Gewerkschaft Nahrung-Genus-Gaststätten (NGG) für den Abschluss eines Tarifvertrages kämpfen. Anfang April sind Beschäftigte in Thüringen und Bayern in einen unbefristeten Streik getreten. LabourStart hat eine erfolgreiche internationale Solidaritätskampagne gestartet Innerhalb weniger Tage haben Tausende Menschen aus aller Welt den Autogrill aufgefordert, die Forderungen der Beschäftigten nach einen Tarifvertrag und fairen Löhnen nachzugeben.
Kann ein Mausklick Grundlage für eine weltweite Solidaritätsbewegung sein?
LabourStart ermöglicht den Menschen die Möglichkeit des Engagements auf unterschiedlichen Level. Wer wenig Zeit hat, kann einen Solidaritätsaufruf unterzeichnen. Andere können Texte in die verschiedenen Sprachen übersetzen. Zudem wird nach der Konferenz überlegt, ob in verschiedenen Ländern LabourStart-Unterstützergruppen gegründet werden.
Fragen: Peter Nowak
Verfahren gegen Ford-Arbeiter verschoben
Arbeiter protestierten 2012 gegen eine Werksschließung in Genk / Solidaritätsaktionen in Deutschland geplant
Am Mittwoch sollte vor dem Kölner Amtsgericht der erste Prozess gegen belgische Ford-Arbeiter beginnen, die sich Ende 2012 an Protesten gegen die Schließung ihrer Fabrik beteiligt hatten. Nun sagte das Gericht den Termin kurzfristig wegen eines Formfehlers ab. Den Angeklagten sei die Vorladung nur auf deutsch und nicht auf flämisch zugeschickt worden, so ein Gerichtssprecher.
Karin Blockmann ist skeptisch: »Warum fällt dem Gericht erst wenige Tage vor Prozessbeginn auf, dass den Angeklagten vor einigen Wochen die Schreiben nur auf deutsch zugeschickt wurden?«, fragt das Berliner Mitglied des »Solidaritätskreises 7. November«. Es ist nach dem Datum benannt, an dem die spontanen Proteste stattfanden, die nun ein juristisches Nachspiel haben sollen: 250 Beschäftigte des Ford-Werkes im belgischen Genk zogen damals zur Kölner Zentrale des Autobauers, wo zeitgleich der Europäische Ford-Betriebsrat tagte. Der Protest richtete sich gegen die geplante Schließung des Genker Werkes, die für die Region einen sozialen Kahlschlag bedeuten würde.
Die Beschäftigten wurden von einem großen Polizeiaufgebot eingekesselt und stundenlang festgehalten, bis alle Personalien aufgenommen wurden. Zunächst leitete die Polizei 24 Ermittlungsverfahren u.a. wegen Rädelsführerschaft und besonders schweren Landfriedensbruches ein. Diese Vorwürfe wurden im Anschluss zurückgenommen und 11 Verfahren eingestellt. 12 Beteiligte erhielten Strafbefehle mit hohen Geldbußen – sie legten Widerspruch ein. Für den Prozessbeginn am 11. Juni waren in mehreren Städten Solidaritätsaktionen vorbereitet worden, die wegen der kurzfristigen Verschiebung nun abgesagt wurden.
»Wir hatten Plakate und Transparente vorbereitet und wollten zu einer Ford-Niederlassung nach Berlin ziehen, um unsere Solidarität mit den belgischen Kollegen auszudrücken«, so Blockmann. Man werde aber wieder auf die Straße gehen, wenn ein neuer Termin feststehe.
Vielleicht wird das Verfahren aber auch ganz eingestellt. Selbst der Kölner Polizeipräsident hat den Einsatz gegen die Ford-Arbeiter mittlerweile als Fehler bezeichnet. Man habe die Streiktraditionen in Belgien zu wenig berücksichtigt. Schließlich gehören das Anzünden von Autoreifen und das Abbrennen von Fackeln dort zur Streikchoreographie und werden nicht strafrechtlich geahndet.
Die Kriminalisierung hat mit zu der Solidarisierung beigetragen, die sich die Arbeiter erhofft haben. Sie bezeichnen den Protest als »Weckruf an die Ford-Kollegen in Deutschland«. In der Vergangenheit sei ein Standort nach dem anderen abgewickelt worden, weil die anderen Beschäftigten hofften, noch einmal davon gekommen zu sein. »Wir wollen mit unserer Aktion deutlich machen, dass europaweiter Widerstand eine Alternative wäre«, so einer der Arbeiter.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/935488.verfahren-gegen-ford-arbeiter-verschoben.html
Peter Nowak
Protest vor der Schule
Schwedische Kirche entlässt Erzieher in Wilmersdorf
Das kommt in der beschaulichen Landhausstraße in Wilmersdorf nicht alle Tage vor. Rund 50 Menschen demonstrierten am vergangenen Freitagabend vor der dort ansässigen Schwedischen Schule in Berlin (SSB). »Komm schon Lena« war auf deutsch und schwedisch auf Transparenten und bunten Luftballons zu lesen. Es war ein Appell an die Geschäftsführerin der SSB, Lena Brolin, die Kündigungen zurückzunehmen, die der Anlass für den Protest sind. Am 28. Mai wurde der gesamten Belegschaft der Schule gekündigt. Insgesamt handelt es sich um acht Beschäftigte, darunter Lehrende, Erzieher und Betreuer. Zuvor hatten sie in einem Offenen Brief gegen von der Schulleitung geplante Lohnkürzungen bei der Hortbetreuung protestiert.
Weil mehrere Beschäftigte in der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) organisiert sind, hat die noch vor Pfingsten mit dem Protest begonnen. Am Freitagabend fand im Schulgebäude ein Fest für Kinder und Eltern statt. Sie sollten mit der Kundgebung angesprochen werden. Deswegen schallten aus den vor dem Gebäude aufgebauten Lautsprechern auch schwedische Kinderlieder. Eltern und Kinder beteiligten sich spontan an der Kundgebung. Vor allem die Luftballons fanden bei den Kindern Anklang. Weniger erfreut zeigte sich dagegen die Schulleitung über den Ballons aufgedruckten Appell an die Geschäftsführerin.
Einer der entlassenen Erzieher ist Linus Kolberg. »Noch am Dienstag sah es so aus, als könnten wir uns mit der Schulleitung über die Verteilung der Unterrichtsstunden im neuen Schuljahr einigen und dann kam die Kündigung, ohne dass mit uns gesprochen wurde«, sagt er dem »nd«. Auch seine Kollegen sehen in dem Schritt einen Bruch in den bisherigen Beziehungen zwischen Beschäftigten und Schulleitung. Bereits vor vier Jahren kämpfte die Belegschaft der Schule erfolgreich gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Seit 2010 hatte die FAU-Gewerkschaftsgruppe zahlreiche Verbesserungen durchgesetzt. Ab Herbst 2011 erhielten alle Pädagogen erstmals schriftliche Arbeitsverträge. Alle Arbeitsstunden und Klassenfahrten werden seitdem bezahlt. Zudem wurden ein Arbeits- und ein Lehrerzimmer in der Schule eingerichtet.
Einen wesentlichen Anteil an den Verbesserungen hatte der Lehrer Johnny Hellquist, der bereits in der schwedischen Basisgewerkschaft SAC organisiert war, bevor er den Job in der SSB antrat. Zuvor hatten sich die Lehrer vergeblich an die schwedische Akademikergewerkschaft und die Berliner GEW gewandt. Die SAC will auch nach der Kündigung Solidaritätsaktionen mit den Entlassenen in Schweden organisieren, wo der Schulbetreiber, die protestantische Kirche in Schweden, sitzt.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/935440.protest-vor-der-schule.html
Peter Nowak
Mensa war gestern
Die Tafeln beobachten, dass immer mehr Studierende in Deutschland ihr Angebot nutzen. Proteste gegen die Verarmung oder gar Bündnisse mit anderen Prekarisierten gibt es bislang nicht.
Es wird einiges getan für die »Bildungsrepublik Deutschland«. Bund und Länder haben sich kürzlich auf ein »Bildungspaket« geeinigt. Der Bund soll mit sechs Milliarden Euro die Kosten für das Bafög übernehmen. Die notwendige Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge soll aber erst 2016 erfolgen.
Auch manche Kritiker des Vorhabens argumentieren ganz im Sinne vom »Bildungsstandort«. So sagte ein Sprecher des Freien Zusammenschlusses von Studierendenschaften: »Die Bafög-Reform ist ein Projekt für die Zukunft, kein Projekt in der Zukunft. Es gibt keinen Grund, warum die Studierenden selbst auf die notwendigsten Anpassungen noch zwei weitere Jahre warten müssen.« Dabei gäbe es zumindest aus studentischer Sicht einen viel plausibleren Grund für die sofortige Erhöhung des Bafög: die Bekämpfung der wachsenden studentischen Armut.
Wie in der vergangenen Woche in den Medien berichtet wurde, sind es neben Flüchtlingen vor allem Studierende, die im vergangenen Jahr vermehrt das Angebot der Essenstafeln in Anspruch nahmen. Darüber informierte Jochen Brühl, der Vorsitzende des Bundesverbands Deutsche Tafeln e. V., auf einer Pressekonferenz, auf der die Jahresbilanz des Verbands vorgestellt wurde. Zahlen nannte er zwar nicht, doch sei schon seit Jahren zu beobachten, dass neben Erwerbslosen auch vermehrt Lohnabhängige vor allem aus dem Niedriglohnsektor und Alleinerziehende mit Kindern die Tafeln nutzen müssen. Kritiker sprechen von einer »Vertafelung« der Gesellschaft, in deren Zuge die Sozialpolitik durch eine nicht einklagbare Verteilung von Almosen ersetzt werde (Jungle World 18/2013).
Wie aber gehen die Studierenden mit ihrer Verarmung um? Empirische Erkenntnisse zu dieser Frage gibt es nicht. Vor mehr als 20 Jahren konstatierte der Hamburger Arzt und Sozialwissenschaftler Karl Heinz Roth, dass viele Studierende ihre Aussicht auf eine gut bezahlte Tätigkeit verlieren und teilweise ins Prekariat abrutschen würden. Diese Prognose verband er mit der Hoffnung, es könnte eine Solidarisierung mit anderen prekarisierten Menschen stattfinden, die als Grundlage für ein Bündnis verschiedener Gruppen von Prekären dienen könnte. Allerdings hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass Sprösslinge der Mittelschicht, die von Armut bedroht sind, keineswegs automatisch zu solcher Solidarität bereit sind. Häufig sympathisieren sie mit rassistischen und sozialchauvinistischen Bewegungen, die gegen Gruppen und Personen mobil machen, die in der gesellschaftlichen Rangordnung noch weiter unten stehen.
Die Tatsache, dass in den Jahren, in denen eine wachsende Zahl Studierender die Tafeln aufsuchte, die Protestbereitschaft abgenommen hat, könnte ein Hinweis auf den Mangel an Solidarität sein. Noch im vergangenen Jahrzehnt gab es bundesweite Bildungsproteste, die mit Universitätsbesetzungen und dem Boykott von Vorlesungen verbunden waren. Doch die vergangenen Jahre waren an den Universitäten eine protestarme Zeit. In diesem Jahr gründete sich ein bundesweites Bündnis für Studienproteste. Es entwickelte einen Zeitplan für Proteste, die sich über mehrere Semester erstrecken sollen, wohl in der realistischen Annahme, dass in absehbarer Zeit ein bundesweiter Streik an den Universitäten nicht zu realisieren ist und es längere Zeit benötigt, um genügend Unterstützung für die Proteste zu finden und weitere Bündnisse zu schließen.
Ein gutes Beispiel für Studierendenproteste ließ sich in jüngster Zeit an der Londoner Universität beobachten. Dort solidarisierten sich Studentinnen und Studenten mit prekär beschäftigten Putzkräften am Campus. Erfreulich wäre es, wenn sich zumindest ein Teil der Studierenden auch in Deutschland ähnlich engagierte – gegen die Verarmung und Vertafelung der Gesellschaft.
http://jungle-world.com/artikel/2014/23/50001.html
Peter Nowak
Kampf gegen die Fußball-WM
BEWEGUNG Linke Aktivisten diskutieren in Leipzig über Flüchtlings- und Stadtpolitik. Gäste aus Venezuela und Brasilien berichten über ihre Heimat
BERLIN taz | „Wir sind eine der ältesten noch bestehenden Solidaritätsstrukturen in Deutschland“, betont Buko-Aktivistin Martina Meister. Sie gehört zur Bundeskoordination Internationalismus, die am Wochenende in Leipzig getagt hat. Mehr als 300 Interessierte waren gekommen. Ihnen wurde eine große Palette von Diskussionsveranstaltungen und Workshops geboten.
Gegen Profitlogik
Die zwei thematischen Schwerpunkte der Buko waren in diesem Jahr die Flüchtlingspolitik und das Recht auf Stadtbewegung. Dabei wurde der Blick über den Tellerrand ernst genommen. So waren unter anderem AktivistInnen aus Venezuela und Brasilien angereist, um über die Kämpfe um das Recht auf Stadt in ihren Ländern zu berichten. Die Bedingungen sind denkbar unterschiedlich.
Die AktivistInnen aus Venezuela berichten, dass sie durch das Landgesetz zahlreiche Rechte erhalten haben. Carla Hirt von der brasilianischen Bewegung gegen die Fußballweltmeisterschaft betonte auf der Konferenz, die Menschen in Leipzig und Rio de Janeiro würden gegen die Folgen der kapitalistischen Profitlogik kämpfen. Die transnationale Kooperation beschäftigt den Buko seit seiner Gründung vor 36 Jahren. Er wurde als loser Dachverband von Solidaritätsgruppen, Erste-Welt-Läden und entwicklungspolitischen Organisationen bereits 1977 gegründet und hat die Flaute der linken Bewegung bisher überlebt. „Der Buko ist immer ein Spiegelbild des Standes der außerparlamentarischen Linken“, betonte Buko-Aktivistin Martina Meister. Die Flüchtlingskämpfe und der Widerstand gegen Zwangsräumungen waren im letzten Jahr zentrale Kampffelder der außerparlamentarischen Linken geworden. Dass es keinen Kontakt zu den Leipziger Amazon-Beschäftigten gab, die seit Wochen für einen besseren Arbeitsvertrag streiken, bedauert Martina Meister. In diesem Jahr waren viele FlüchtlingsaktivistInnen auf der Konferenz vertreten. Sie machten sich am Sonntag von dort aus auf den Weg zu ihrem „Marsch für die Freiheit“ durch mehrere europäische Länder.
Von Leipzig fuhren sie mit dem Bus ins luxemburgische Schengen, um gegen die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit zu protestieren. „Das war ebenso ein gelungenes Beispiel für eine transnationale Solidarität wie der Auftritt der brasilianischen Aktivistin auf der Demo zum Erhalt eines Wagenplatzes in Leipzig“, meinte Marina Meister.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=2014%2F06%2F02%2Fa0034&cHash=35b28b416c5bd1cc01445046bfce063e
Peter Nowak
Solidarität von der Pleiße bis an die Copa Cabana
In Leipzig kam die Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) zu ihrem 36. Kongress zusammen
Leipzig hat seit dem 24. Mai einen neuen Wagenplatz. Die Bewohner des Trailerparks wollen eine Brache im Osten der Stadt zu ihren Lebensmittelpunkt machen. Doch nun droht die Räumung. Am vergangenen Samstag gingen die Wagenplatzbewohner in Leipzig mit internationaler Unterstützung auf die Straße. In einem Redebeitrag erklärte Carla Hirt von der brasilianischen Bewegung gegen die Fußballweltmeisterschaft, in Leipzig wie in Rio de Janeiro kämpfen die Menschen gegen ein kapitalistisches System, dass den Profit zur einzigen Maxime erhoben habe. Eingeladen wurde Hirt von der Bundeskoordinierung Internationalismus (BUKO), der vom 29. Mai bis 1. Juni in der Leipziger tagte. »Wir sind eine der ältesten noch bestehenden Solidaritätsstrukturen«, betont BUKO-Aktivistin Martina Meister. Tatsächlich wurde der Dachverband von Solidaritätsgruppen, Eine-Welt-Läden und entwicklungspolitischen Organisationen bereits 1977 gegründet und hat die Flaute der linken Bewegung bisher überlebt. »Dabei sah die Perspektive des BUKO schon öfter schlecht aus«, betont Meister.
Als die Koordination 2008 für das 30. Jubiläum zum ersten Mal nach Leipzig eingeladen hatte, hätte kaum jemand darauf gewettet, dass sie sechs Jahre später erneut in der Stadt tagen wird. »Ohne viel unbezahltes Engagement wäre diese enorme Arbeit nicht zu leisten«, meint auch Joachim Kleist, der ebenfalls im ehrenamtlichen BUKO-Vorbereitungskreis tätig ist.
In diesem Jahr gab es auf dem Kongress zwei Themenkomplexe. Der eine kreiste um die Flüchtlingspolitik, der andere um die Mietenkämpfe, die auch unter dem Oberthema Recht auf Stadt diskutiert wurden. Wie ist es möglich, diese Bewegungen zusammenzuführen, lautete eine zentrale Frage auf verschiedenen Podiumsdiskussionen und Workshops. Die Notwendigkeit einer besseren Kooperation hat niemand bestritten. So betonte eine Aktivistin der Bewegung gegen Zwangsräumungen, dass der Grund für Mietschulden in dem wachsenden Niedriglohnsektor in Deutschland und der Sanktionspolitik der Jobcenter liege. Daher wäre der Kampf für höhere Löhne und die Abschaffung der Sanktionen für Hartz IV-Empfänger auch ein Beitrag dazu, dass es gar nicht erst zu Räumungsklagen kommt.
Ein Grund für die Schwierigkeiten, Gewerkschaften, Erwerbslosengruppen und Mieterinitiativen im Kampf gegen eine Zwangsräumung zusammenzubringen, sahen mehrere Konferenzteilnehmer in dem Fehlen einer linken Organisation, die in der Lage wäre, verschiedene Teilbereichskämpfe zu verbinden. Viele der ca. 300 BUKO-Teilnehmer sind an linken Organisationsprojekten wie der Interventionistischen Linken (IL) beteiligt. Andere wollen dezentrale Strukturen nicht zugunsten fester bundesweiter Organisationen ersetzen.
In der praktischen Kooperation war man sich einig. So machten Flüchtlinge auf ihrem Marsch für die Freiheit durch mehrere europäische Länder beim BUKO Zwischenstation. Von Leipzig fuhren sie mit dem Bus ins luxemburgische Schengen, um gegen die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit zu protestieren. »Das war ebenso ein gelungenes Beispiel für eine transnationale Solidarität wie der Auftritt der brasilianischen Aktivistin auf der Demo zum Erhalt eines Wagenplatzes in Leipzig«, meinte Martina Meister.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/934653.solidaritaet-von-der-pleisse-bis-an-die-copa-cabana.html
Peter Nowak
Wenn das Gefängnis keine gewerkschaftsfreie Zone mehr ist
In der JVA Tegel wird ein Novum versucht
Oliver Rast ist seit fast 3 Jahren inhaftiert [1]. Verurteilt wurde er nach Paragraph 129 StGB, wegen der mutmaßlichen Mitgliedschaft in der „Militanten Gruppe“ (mg) – eine sog. kriminelle Vereinigung. Im Zuge einer Großrazzia gegen die vermeintliche mg-Nachfolgeorganisation „RAZ“ wurde er in den geschlossenen Vollzug der JVA Tegel verlegt. Rast ist ein sogenannter „Wobblie“, ein Gewerkschafter der Basisgewerkschaft Industrial Workers of the World [2] und Sprecher der im Mai gegründeten Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel [3].
Nicht einmal eine Woche nach der Gründung, kam es am 27. Mai zu einer Razzia in seiner Zelle. „Beschlagnahmt wurden drei Briefe sowie die Gründungserklärung und die Pressemitteilung der Gewerkschaft“, so sein Anwalt Sven Lindemann. In der Gründungserklärung heißt es, dass die Inhaftierten „auf das grundgesetzlich verankerte Recht auf Koalitionsfreiheit Bezug“ nehmen.
Aufhänger für die gewerkschaftliche Arbeit hinter Gittern sollen der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Arbeitsstunde und der Anspruch auf Rentenversicherung sein. Von beidem sind Gefangene bislang ausgenommen, obwohl das Strafvollzugsgesetz eine sog. Arbeitspflicht vorsieht, die bis zu drei Monate pro Jahr beträgt. In der öffentlichen Diskussion um den gesetzlichen Mindestlohn sind Gefangene praktisch ausgeschlossen.
Bislang gibt es sechs Vergütungsstufen für Gefangene. Emma Michel, ein
Mitglied des Solidaritätskomitee für Rast, in einem Interview [4] zu den Arbeitsvergütungen im Strafvollzug:
Der aufmüpfige Gewerkschafter scheint der JVA Tegel durchaus ein Dorn im Auge zu sein. Bereits im Oktober 2013 sorgte er für Wirbel. Nach seiner Verlegung in den geschlossenen Vollzug entschied sich Rast zu einem Studium der Kulturwissenschaften an der Fernuniversität Hagen. Zu den 38 Stunden Studium pro Woche kamen weitere 40 Stunden Arbeit.
Rast musste damals zusätzlich in der Kartonageabteilung der Berliner Vollzugsanstalt Kartons kleben. Eigentlich sollten 78-Stunden-Wochen Geschichte sein, doch die JVA Tegel zeigte, dass dies nicht unbedingt bei allen Gefangenen der Fall sein muss.
Der JVA-Sprecher Lars Hoffmann versucht gegenüber der Berliner Tageszeitung TAZ die Vorwürfe zu
entkräften [5]:
Warum der Gefangene dann trotz der Empfehlung seiner Sozialarbeiterin nicht von der Arbeit freigestellt wurde, konnte Hoffmann nicht sagen. Die Gründung einer Gewerkschaft innerhalb der Gefängnismauern ist Neuland und birgt durchaus Zündstoff. Dessen war sich auch Rast bewusst.
So schrieb er am 23. Mai in einem Brief an eine Freundin: „Das wird hier vermutlich hohe Wellen schlagen – wir sammeln gerade Unterschriften für die Gefangenen Gewerkschaft (…) Aber: die Gegenwehr wird kommen (…)“
Kaufmannsladen im Knast
Der mögliche Nachahmungseffekt der Gefangeneninitiative dürfte die Behörden alarmiert haben. So heißt es in der Gründungserklärung:
Tegel ist nicht die einzige Vollzugsanstalt, die die Vorteile des – auch in Deutschland entstehenden „gefängnisindustriellen Komplexes“ wittert. In Hessen gibt es bereits eine teilprivatisierte Haftanstalt die Kaffee verkauft.
Der Knastshop „SANTA FU – kreative Zellen“ wirbt mit „heißen“ und „originellen“ Produkten und Geschenkideen „direkt aus Hamburgs Knast“. Der Justizvollzug Nordrhein-Westfalen bietet auf der Seite
www.knastladen.de Produkte für Privatkunden aber auch für die öffentliche Hand an. Der sächsische online-shop www.gitterladen.de sieht die Gefangenenarbeit „als ‚verlängerte Werkbank‘ des Handwerks
und der Industrie“ um deren „Auftragsspitzen schnell und kompetent abfangen“ zu können.
Dem marktwirtschaftlichen Interesse der JVA Tegel, die mit ihrem markigen Motto „Kaufmannsladen im Knast [6]“ um Kunden wirbt, laufen die gewerkschaftlichen Bestrebungen mit großer Sicherheit zuwider.
Protest gegen Einschränkung der Gewerkschaftsfreiheit
Der Berliner Rechtsanwalt Sven Lindemann, der Rast juristisch vertritt, betont, dass die gewerkschaftlich engagierten Häftlinge nur ihr Grundrecht wahrnehmen. Schließlich gelte das in Artikel 9, Absatz 3 [7] des Grundgesetzes verankerte Recht auf Koalitionsfreiheit auch im Gefängnis.
Auch der Gefangenenbeauftragte des zivilgesellschaftlichen Komitees für Grundrechte und Demokratie [8] Christian Herrgesell sieht in der Gewerkschaftsgründung von Häftlingen die Wahrnehmung eines Grundrechts. Allerdings zeige die Erfahrung immer wieder, dass die Anstaltsleitungen häufig mit der Wahrung von Sicherheit und Ordnung in der JVA argumentieren, um Grundrechte in Bezug auf die politische Willensbildung im Gefängnis einzuschränken. In einer Erklärung [9] betont das Grundrechtekomitee:
Unterstützung kam auch von Basisgewerkschaften [10]. Dieser Druck scheint auch bei der Gefängnisverwaltung nicht ohne Wirkungen. Mittlerweile betont ein Sprecher, dass sie die Gewerkschaftsgründung nicht verhindern wollen. Allerdings müssten Unterschriftensammlungen vorher angemeldet werden.
http://www.heise.de/tp/news/Wenn-das-Gefaengnis-keine-gewerkschaftsfreie-Zone-mehr-ist-2212580.html
Peter Nowak und Sven Wegner
Links:
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Studentische Armut und die Mühen des Widerstands
Während immer mehr Kommilitonen auf Essenstafeln angewiesen sind, ist die Organisierung von Protest schwerer geworden. Aktuell machen Studierende einen neuen Anlauf
Überraschend ist die Meldung nicht, die vor einigen Tagen durch die Medien ging. Neben Geflüchteten sind es vor allem Studierende, die vermehrt das Angebot der Essenstafeln [1] annehmen müssen, um über die Runden zu kommen. Auf ihrer jährlichen Bilanz-Pressekonferenz [2] betont der Vorsitzende des Bundesverbandes Jochen Brühl:
Schon lange konnte beobachtet werden, dass neben Erwerbslosen auch vermehrt Lohnabhängige die Tafeln nutzen müssen, vor allem Menschen im Niedriglohnsektor und Alleinerziehende mit Kinder. In dem jüngsten Bericht hat Brühl besonders hervorgehoben, dass auch Studierende vermehrt das Tafel-Angebot nutzen müssen.
Die „Vertafelung der Gesellschaft“ [3] ist auch ein Zeichen dafür, dass statt Sozialpolitik immer mehr die Verteilung von Almosen, die nicht einklagbar sind, zu den Stützpfeilern einer Gesellschaft gehören, die gar nicht mehr den Anspruch hat [4], Armut zu bekämpfen.
Wenn das Studium kein Privileg mehr ist
Wenn nun in verschiedenen Medien der Anteil der Kommilitonen an den Tafelnutzern besonders herausgestellt [5] werden, könnte dahinter noch immer die Vorstellung stehen, dass es die nun wirklich nicht verdient haben. Eine solche Vorstellung wäre mit einer weiteren Abwertung der nichtstudentischen Tafelnutzer verbunden.
Die Frage ist, wie die betroffenen Studierenden ihre Verarmung gesellschaftlich verarbeiten. Es könnte sich eine Solidarisierung mit den vielen Menschen einstellen, die schon lange auf Tafeln angewiesen sind. Die Forderung, niemand solle darauf angewiesen sein, könnte die Grundlage eines Bündnisses der verschiedenen Gruppen von Prekären sein.
Die Hoffnung auf ein solches Bündnis leitete den Hamburger Arzt und Sozialwissenschaftler Karl Heinz Roth [6], als er vor mehr als 20 Jahren konstatierte, dass die Studierenden ihre Elitenfunktion verlieren würden und teilweise ins Prekarität absinken würden. Er hielt damals noch Bündnisse von Studierenden, Niedriglohnarbeitern und Erwerbslosen als emanzipatorische Alternative möglich, gerade weil die Studierenden eben nicht mehr nach einigen Jahren in die Elite abwandern, wie es noch bei der Kohorte der 68er oft zu beobachten war.
Allerdings hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass es illusionär wäre, davon auszugehen, dass Mittelständler, die in die Armut abrutschen, automatisch solidarische Vorstellungen entwickeln. Häufig gehen sie vielmehr in Abwehrhandlung und unterstützen rassistische und sozialchauvinistische Bewegungen, die gegen Gruppen und Personen mobil machen, die in der gesellschaftlichen Wertung noch weiter unten stehen. Die Tatsache, dass in den Jahren der zunehmenden Verarmung der Studierenden die Protestbereitschaft eher abgenommen hat, ist ein Hinweis darauf.
Welche Perspektive hat der Bildungsstreik 2014?
Gab es noch im letzten Jahrzehnt in mehrjährigen Abständen längere Bildungsproteste, die mit Unibesetzungen und den Boykott von Vorlesungen verbunden waren, so können die letzten Jahre als protestarme Zeit auf dem Campus gelten.
In diesem Jahr begannen immerhin wieder universitäre Proteste [7] , ein bundesweites Bündnis [8] hat sich gegründet. Die Aktivisten formulieren eine Protestagenda über mehrere Semester, wohl in der realistischen Erkenntnis, dass in absehbarer Zeit ein bundesweiter Unistreik nicht zu realisieren ist.
Es wird sich zeigen, ob es den Aktivisten gelingt, ihre Protestagenda umzusetzen. Nur dann könnte es gelingen, Studierende auch als Teil eines gesellschaftlichen Bündnisses gegen Verarmung und Vertafelung der Gesellschaft zu gewinnen. Schließlich bieten solche Protestaktionen immer die Möglichkeit, dass sich zumindest ein Teil der Aktivisten öffnet für gesellschaftliche Erfahrungen und Lösungsvorschläge abseits des politischen und gesellschaftlichen Mainstreams.
Ein gutes Beispiel war in der letzten Zeit an der Londoner Universität zu beobachten, wo sich Kommilitonen mit prekär beschäftigten Putzkräften am Campus solidarisierten [9] und von der Unileitung mit Repression bedroht wurden.
Eine Professorin für Gender Studies an der Londoner Universität sieht [10] in den Aktivitäten der Studierenden eine Spätfolge der heftigen Bildungsproteste in Großbritannien im Jahr 2010, die von der Regierung mit einer massiven Repression beantwortet worden war. Es ist sicher kein Zufall, dass die Staatsapparate alles unternehmen, um ein Bündnis gegen eine Wirtschaftspolitik, die Armut produziert verhindern wollen, an dem sich Studierende, prekär Beschäftigte und Erwerbslose gemeinsam organisieren.
In Deutschland braucht es einstweilen noch keine große Repression, hier ist der ideologische Kitt noch so fest, dass solche Bündnisse schwer zu schaffen sind. Ein bundesweites Bildungsstreiksemester könnte diesen ideologischen Kitt brüchiger werden lassen.
Bafög, das nicht zum Leben reicht
Wenn in den letzten Tagen in den Medien berichtet wird, dass sich Bund und Länder auf ein Bildungspaket 2015 geeinigt haben und der Bund jetzt mit 6 Milliarden Euro die Kosten für das Bafög übernimmt, sollte das nicht als Beitrag gegen die studentische Armut falsch verstanden werden.
Diese Maßnahme wurde mit der Förderung der Bildungsrepublik Deutschland begründet. Selbst dieses Ziel ist damit kaum zu erreichen. Denn der Betrag von 6 Milliarden Euro ist verglichen mit den Milliarden für die Bankenrettung nicht besonders hoch. Zudem können die Länder mit den durch die Übernahme der BAföG-Kosten freiwerdenden Gelder beliebige Haushaltslöcher stopfen.
Es ist also keineswegs sicher, dass sich damit die Bildungsausgaben insgesamt erhöhen. Zudem wurde die BAföG-Reform erst einmal wieder verschoben, worauf studentische Initiativen kritisch hinweisen [11]. Doch selbst sie argumentieren ganz in der Logik der Förderung des Bildungsstandorts Deutschlands, wenn ein fzs-Sprecher erklärt:
Dass mit dem Bafög die Vertafelung des studentischen Lebens vielleicht verhindert werden könnte, scheint selbst den studentischen Kritikern gar nicht mehr realistisch, zumindest wird der Zusammenhang erst gar nicht erst hergestellt
http://www.heise.de/tp/news/Studentische-Armut-und-die-Muehen-des-Widerstands-2211187.html
Peter Nowak
Links:
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