Ein elfjähriges Kind soll in die Psychiatrie eingewiesen werden, weil es nicht als Junge, sondern als Mädchen leben will. Dagegen formiert sich Protest
In Berlin soll ein elfjähriges Kind in eine Psychiatrie eingewiesen werden. Es war als Junge geboren worden, lebt aber seit Jahren als Mädchen und wurde dabei von der Mutter und deren Freundeskreis unterstützt. Der Vater des Kindes war damit nicht einverstanden. Er ist der Meinung, dass die Mutter dem Kind die Transsexualität nur einredet.
Damit traf er bei einer vom Jugendamt bestellten Pflegerin auf offene Ohren. Das Amt ist für die Gesundheitsfürsorge des Kindes verantwortlich, wenn sich beide Elternteile nicht einig sind. Nach dem Willen dieser Pflegerin und des Vaters soll der Mutter das Sorgerecht entzogen werden. Das Kind, das in der Öffentlichkeit als Alex bekannt ist, soll zu Pflegeeltern. Zuvor soll ihm aber in der Psychiatrie sein „biologisches“ Geschlecht nahegebracht und „geschlechtsatypisches Verhalten“ unterbunden werden – so zitiert die Tageszeitung, die den Fall bekannt machte, den Chefarzt Klaus Beier von der Berliner Charité.
Auf dem Taz-Blog fragten viele Leser, ob Beier die in den vergangenen beiden Jahrzehnten geführte Debatte über die Konstruktion von Geschlechtern nicht zur Kenntnis nehmen will. „Die Annahme, es könne gelingen, mit Zwangsmaßnahmen psychische Gender-Repräsentanzen gegen den Willen einer Person quasi ‚anzutrainieren‘, widerspricht dem Stand internationaler Wissenschaft und den vielfältigen gegenteiligen Erfahrungen von Menschen, die dies als falsch zugewiesenes Geschlecht erlebten und sich von sozialen Zwängen in der Richtung nur traumatisiert fühlten“, heißt es auch in einer Stellungnahme der Interessengemeinschaft freiberuflicher Einzelfallhelfer und –helferinnen.
Gegen Zwangspathologisierung
Für das „Aktionsbündnis Alex“, in dem sich in Berlin Gruppen und Einzelpersonen zusammengeschlossen haben, die eine Psychiatrisierung des Mädchens verhindern wollen, sind die Positionen des Arztes nicht nur veraltet sondern auch gefährlich. „Professor Beier vertritt äußerst kontroverse Ansichten, die wissenschaftlich widerlegt wurden“, heißt es dort. „Die erzwungene Anpassung an das Geschlecht des Geburtseintrags funktioniert nicht und quält die Betroffenen.“
Die Konsequenzen seien schlimm, meint Klara Sonntag vom Aktionsbündnis. „In seiner Arbeit als Professor ist Klaus Beier auch an der Ausbildung von Medizinerinnen und Medizinern beteiligt und verbreitet somit falsche wissenschaftliche Theorien, die zweigeschlechtlich/sexistisch pathologisierende Gewalt zur Folge haben.“ Unter dem Motto „Stoppt Zwangspathologisierung!“ mobilisiert seit Jahren ein internationales Bündnis. Mit dem Begriff Zwangspathologisierung beschreiben Aktivisten Versuche, Menschen mit Hilfe von Justiz und Psychiatrie auf ein bestimmtes Geschlecht festlegen zu wollen.
Die zentrale Forderung des Netzwerkes ist die ersatzlose Streichung des Krankheitsbegriffs „Geschlechtsidentitätsstörung“ aus den Krankheitskatalogen, an denen sich weltweit Ärzte orientieren. Im kommenden Jahr sollen diese Kataloge turnusmäßig aktualisiert werden. Viele Aktivisten befürchten dabei sogar eine Verschlechterung für Transmenschen. Denn bisher ist es schwierig gewesen, diese Forderungen über den Kreis der Betroffenen hinaus populär zu machen.
Demonstration in Berlin
Durch das Urteil gegen Alex könnte sich das ändern. Denn plötzlich sind die Folgen sehr konkret geworden. Das zeigte die Teilnahme von über 300 Menschen an einer vom „Aktionskreis Alex“ am vergangenen Montag vor dem Berliner Senat für Bildung, Jugend und Wissenschaft in Berlin-Mitte organisierten Kundgebung. Unterstützt wurde sie unter anderem von der Initiative für einen geschlechtergerechten Haushalt, der AK Psychiatriekritik sowie zahlreichen Frauen- und Lesbengruppen.
Solidaritätserklärungen kamen aus verschiedenen europäischen Ländern, die über das Internet von dem Urteil gegen Alex erfahren hatten. Eine lesbische Mutter aus Frankreich erhoffte sich in ihrer Erklärung, dass es in Berlin gelingen möge, die Verfolgung und Diskriminierung von Transmenschen zu stoppen und damit Signale auch in andere Länder zu senden, in denen die Diskussionen noch am Anfang stehen.
Bei der Kundgebung war die Stimmung kämpferisch. Nachdem der Anwalt von Alex Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Kammergerichts eingelegt hat, ist etwas Zeit gewonnen. Die öffentliche Diskussion nach bekanntwerden des Urteils zumindest scheint Anlass für Optimismus zu liefern. Kaum jemand will die Zwangsmaßnahmen gegen Menschen verteidigen, die nicht nach dem in der Geburtsurkunde festgehaltenen Geschlecht leben wollen. Vielleicht bringt der Fall Alex etwas in Bewegung.
http://www.freitag.de/politik/1212-wider-den-zwang
Peter Nowak