Bischof Richard Williamson von Pius-Bruderschaft ausgeschlossen

Offiziell wird dies mit Gehorsamsverweigerung begründet, ein Zusammenhang mit dem anstehenden Gerichtsverfahren gegen Williamson wegen Holocaustleugnung ist aber nicht zu übersehen

„S.E.Bischof Richard Williamson hat sich seit mehreren Jahren von der Führung und Leitung der Priesterbruderschaft entfernt und sich geweigert, den Respekt und den Gehorsam zu bezeigen, den er seinen rechtmäßigen Oberen schuldet. Deshalb wurde er durch eine Entscheidung des Generaloberen und seines Rates am 4. Oktober 2012 als von der Bruderschaft ausgeschlossen erklärt.“

Mit diesen dürren Sätzen wurde auf der Webseite der rechtskonservativen Piusbruderschaft eine Personalentscheidung bekanntgegeben, die über das rechtskatholische Milieu hinaus von Interesse ist. Denn Richard Williamson hat dafür gesorgt, dass sich die christdemokratische Bundeskanzlerin kritisch zu einer Entscheidung des Papstes äußerte und dafür bei ihrer Parteibasis auf Unverständnis stieß.

Schließlich hat Williamson in einem TV-Interview den massenhaften Mord der Nazis an den Juden bestritten. Wörtlich sagte er damals (aus dem Englischen übersetzt):

„Ich glaube, dass die historischen Beweise gewaltig dagegen sprechen, dass sechs Millionen Juden vorsätzlich in Gaskammern vergast wurden als vorsätzliche Strategie Adolf Hitlers. (…) Ich glaube, es gab keine Gaskammern.“

Da der Papst erst kurz vor Bekanntwerden dieses Interviews die kircheninterne Aufhebung der Exkommunion des Bischofs verfügt hat, geriet auch er schnell in die Kritik – auch von Merkel. Zumal Williamson schon vor dem Interview aus seinem Holocaustrevisionismus kein Hehl gemacht hatte.

Ein neuer Gerichtstermin

Aber erst das Interview hatte für ihn Konsequenzen. Er musste Argentinien im Ende Februar 2009 verlassen, um einer Ausweisung zuvorzukommen (Argentinien wirft Bischof Williamson raus). Wegen Volksverhetzung muss er sich im kommenden Jahr erneut vor dem Regensburger Amtsgericht verantworten.

Eine erste Verurteilung des Bischofs hatte das Oberlandesgericht Nürnberg im Februar wegen Verfahrensmängeln aufgehoben. Daraufhin hatte die Staatsanwaltschaft einen überarbeiteten Strafbefehl von maximal 6.500 Euro erlassen.

Williamson hat sich störrisch gezeigt und wollte selbst aus taktischen Gründen keine Fehler zugeben. Das dürfte auch der Grund sein, dass sich die Piusbruderschaft jetzt von ihrem langjährigen Mitglied trennt. Schließlich würde sie bei dem neu aufgerollten Verfahren erneut im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen. Ihr Bemühen, im rechtskonservativen Milieu wieder aktiv mitzuwirken, würde damit untergraben.

Katholischer Antisemitismus

In diesem Kreisen wird durchaus weiter ein katholischer Antisemitismus praktiziert, in dem die Juden als Jesusmörder diffamiert werden – bei der Beurteilung der Shoah hält man sich aber öffentlich lieber zurück. Weil Williamson sich nicht daran gehalten hat, wird er nun genau wegen Gehorsamsverweigerung ausgeschlossen.

So umschifft man auch den für die Piusbruderschaft heiklen Punkt, zur Holocaustleugnung Stellung nehmen zu müssen, ohne die teilweise nach rechtsaußen weit offenen Mitglieder zu verprellen. Da in diesen Kreisen Autorität und Gehorsam zentrale Werte sind, wenn es um die eigene Organisation geht – der Papstkirche gegenüber hat man das ja bekanntlich anders praktiziert -, ist die Ausschlussbegründung so verfasst, dass sie in diesen Kreisen konsensfähig ist.

Lebhaft wird auf der rechtskatholischen Webseite Kreuz.net, das wegen seiner homophoben Einstellung erst kürzlich massiv in die Kritik geriet (15.000 Euro für Enttarnung der „Katholiban), über Williamsons Ausschluss debattiert. Zahlreiche Postings verbreiten wiederum antisemitische Klischees. Daher ist es fraglich, ob es der Piuskirche gelingt, mit dem Ausschluss von Williamson einer Debatte über ihre eigene Position zu entgehen.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/153050
Peter Nowak

Verdient Judith Butler den Adorno-Preis?

Über die Positionen der postfeministischen Philosophin zu Israel und den Nahostkonflikt sollte diskutiert werden, nicht aber über ihre Eignung für den Adorno-Preis

Die politische Theoretikerin und Philosophin Judith Butler hat vor mehr als einem Jahrzehnt mit ihren Thesen zur Dekonstruktion der Geschlechter für viel Aufmerksamkeit gesorgt. In den letzten Jahren macht Butler mehr politische Schlagzeilen. Im vorletzten Jahr schlug sie einen Preis des Berliner CSD aus und kritisierte bei den Veranstaltern des schwullesbischen Festes verschiedene Formen von Rassismen.

Jetzt geht es um einen Preis mit einer ganz anderen Bedeutung. Der Philosophin soll in Frankfurt/Main der Adorno-Preis verliehen werden, der alle 3 Jahre an Personen gehen soll, die in der Tradition der Kritischen Theorie stehen, die der Namensgeber wesentlich begründet hat. In der Jerusalem Post heißt es, mit Butler werde eine Befürworterin des Israel-Boykotts und eine Unterstützerin der islamistischen Organisationen Hamas und Hisbollah ausgezeichnet. In einem Interview mit der Jungle World hat Butler letzterem Vorwurf schon 2010 klar widersprochen und klargestellt, dass ihre Aussagen bei einer Veranstaltung zum Krieg zwischen Israel und Libanon in Berkeley falsch interpretiert worden seien:

„Als Antwort auf eine Frage aus dem Auditorium habe ich gesagt, dass – deskriptiv gesehen – diese Bewegungen in der Linken zu verorten sind, doch wie bei jeder Bewegung muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er sie unterstützt oder nicht. Ich habe keine der genannten Bewegungen jemals unterstützt, und mein eigenes Engagement gegen Gewalt macht es unmöglich, das zu tun.“

Nun wäre auch zu fragen, warum Butler die Islamisten deskriptiv der Linken zuordnet und ob sie damit eine positive Bewertung oder vielleicht eine Kritik an der Linken impliziert. Eine politische Unterstützung zumindest will sie damit nicht verbunden wissen, allerdings begründet sie das nicht mit dem reaktionären Programm der Islamisten, sondern mit deren Gewaltbereitschaft. Den Vorwurf, einen Israel-Boykott zumindest teilweise zu unterstützen, räumt Butler ein, wehrt sich aber entschieden dagegen, hierin Antisemitismus zu sehen.

In einer in der Zeit veröffentlichten Replik auf ihre Kritiker schreibt sie:

„Es ist falsch, absurd und schmerzlich, wenn irgendjemand behauptet, dass diejenigen, die Kritik am israelischen Staat üben, antisemitisch oder, falls jüdisch, voller Selbsthass seien. … Ich bin eine Wissenschaftlerin, die durch das jüdische Denken zur Philosophie gekommen ist, und ich verstehe mich als jemand, der eine jüdische ethische Tradition verteidigt und diese im Sinne von beispielsweise Martin Buber und Hannah Arendt fortführt.“

Zwei unterschiedliche Lesarten des Judentums

Den entscheidenden Hinweis zu ihrem Verständnis des Judentums liefert sie mit diesen Satz: „Während meiner Einweisung ins Judentum habe ich auf Schritt und Tritt gelernt, dass es nicht hinnehmbar ist, im Angesicht von Ungerechtigkeiten zu schweigen.“ Dieses Credo prägt viele der Jüdinnen und Juden, die aktuell die israelische Politik im Umgang mit den Arabern im Land und den besetzten Gebieten kritisieren. Für sie heißt die Konsequenz aus den antisemitischen Verfolgungen, die in der Shoah kulminierten, alles zu tun, damit nie mehr Menschen diskriminiert werden.

Etwas anders lautet die Schlussfolgerung der Gründer und Politiker des Staates Israel. Für sie ist die Konsequenz aus antisemitischer Verfolgung und Vernichtung, alles zu tun, damit Jüdinnen und Juden nie wieder schwach sind. Sie argumentieren mit der Geschichte nach der Gründung Israels, den Überfall der arabischen Staaten auf das Land, die teilweise kritiklose Übernahme antisemitischer Verschwörungstheorien in arabischen Medien, schließlich das Aufkommen des Dschihadismus, was den israelischen Politikern keine andere Wahl lassen würde, als Stärke zu zeigen.

Die Debatte wird seit Jahren mit großer Heftigkeit geführt und beide Seiten haben wichtige Argumente. Nur ist Butler keine Politikern, sondern eine Intellektuelle, die mit einem Preis ausgezeichnet werden soll, der den Namen eines Mannes trägt, der für eine entschiedene Kritik an der Herrschaft steht. Daher ist die Aufregung nicht zu verstehen. Man kann ihr den Adorno-Preis verleihen und trotzdem über ihre Positionen in der Sache hart streiten.

In diesem Sinne hat der Publizist und Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, der seine Einsprüche gegen alle Formen der regressiven Israel-Kritik, auch unter linksdeutschen Vorzeichen, mit einem Plädoyer für eine innerjüdische Kontroverse auch über den Zionismus kombiniert, bereits vor einigen Wochen zum neuen Streit um Butler und den Adorno-Preis alles Notwendige geschrieben. Nachdem er Butler in Bezug auf manche ihrer Positionen zum Nahostkonflikt bestenfalls Naivität bescheinigte, kommt er in Hinblick auf die Preisverleihung zu dem Fazit:

„So bleibt nur Nachsicht: Auch Theodor W. Adorno, nach dem der Preis, der Butler allemal gebührt, benannt ist, äußerte sich nicht immer auf der Höhe seines Niveaus, was an seinen Auslassungen zum Jazz sattsam demonstriert worden ist. Wer aber Judith Butler, ihr Denken zu Israel und zum Judentum dort kennen lernen will, wo es wirklich stark ist, sei auf ihren Aufsatz „Is Judaism Zionism?“ verwiesen, der 2011 in einem Band über „The Power of Religion in the Public Sphere“ publiziert wurde. Dort plädiert sie mit Blick auf die ungebrochene israelische Siedlungspolitik mit Martin Buber und Hannah Arendt realistisch für ein neues Nachdenken über einen föderalen oder binationalen Staat von jüdischen Israelis und Palästinensern.“
http://www.heise.de/tp/blogs/6/152687
Peter Nowak

Kann eine Obsttüten-Aktion antisemitisch sein?

Die christliche Friedensorganisation Pax Christi will darauf aufmerksam machen, „dass Obst und Gemüse mit der Ursprungsangabe ‚Israel‘ vielfach aus völkerrechtswidrigen Siedlungen stammt“

„Handeln im Geist von Frieden und Völkerverständigung“, heißt es auf der Website, auf der die christliche Friedensorganisation Pax Christi für die Obsttüten-Aktion „Besatzung schmeckt bitter“ wirbt. Auf der einen Seite der Homepage findet sich das Foto eines ökumenischen Zusammentreffens vor der Sicherheitsmauer zum Westjordanland, auf der anderen Seite sieht man bunt gemaltes Obst vor der düster grauen Mauer.

In diesem naiven Szenario wirkt der Text etwas deplaziert, der das eigentliche Anliegen der Obsttütenaktion ist: „Mit der bundesweiten Aktion ‚Besatzung schmeckt bitter‘ möchte die Nahostkommission von pax christi Verbraucher/innen darauf aufmerksam machen, dass Obst und Gemüse mit der Ursprungsangabe ‚Israel‘ vielfach aus völkerrechtswidrigen Siedlungen stammt.“

Auf der Linkliste der Kampagnenhomepage wird auch die Kampagne „Keine Waren aus israelischen Siedlungen in den Warenkorb“ beworben. Das Motto erinnert semantisch doch sehr stark an einen Warenboykott gegen Israel und so war eine heftige Debatte um die als Verbraucherschutz und Konsumentenkritik firmierende Papiertüten-Aktion absehbar und vielleicht sogar eingeplant.

Kein Israelboykott?

Die Debatte entzündete sich an der Person des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters von Jena. Albrecht Schröter gehört neben bekannten jüdischen Oppositionellen zu den Unterstützern des Aufrufs und geriet daher im In- und Ausland heftig in die Kritik. Die Jerusalem Post schrieb:

„Führende deutsche Nichtregierungsorganisationen klagten den Sozialdemokratischen Bürgermeister von Jena im Bundesland Thüringen, Albrecht Schröter, wegen der Unterstützung des Boykotts israelischer Produkte an, der so aggressiv ist, dass er die Nazi-Kampagne „Kauf nicht bei Juden“ wiederholt und zur Delegitimierung des jüdischen Staates beiträgt.“

Damit wurde die Obsttüten-Aktion mit Aufrufen kurz geschlossen, die einen Boykott von Waren aus Israel fordern. Dagegen stellte Schröter klar: „Einen generellen Boykott von Waren aus Israel halte ich nicht für richtig.“ Diese Differenzierung drang allerdings nicht so richtig durch.

Ein Grund liegt wohl an der Aktion selber. .“Der Aufruf ist wegen seiner Fehlinterpretierbarkeit und seiner Undifferenziertheit sehr umstritten und fand in Thüringen keine weiteren Unterzeichner“, heißt es selbst in einem Text, der Schröter verteidigt und manche seiner Kritiker recht unreflektiert als Strippenzieher bezeichnet .

Allerdings haben natürlich auch die Schröter-Kritiker politische Interessen. So zählt der stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-israelischen Gesellschaft Erfurt, Kevin Zdiara, ebenso dazu wie die nach rechts offene ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, die polemisch fragt, ob der OB Jena judenwarenrein halten wolle.

Gemeinsamkeiten im Kampf gegen rechts?

Wie öfter in der letzten Zeit, vor allem seit den islamistischen Anschlägen vom 11.9. in den USA, hat sich auch gegen Schöters Unterschrift eine Allianz gebildet, die von Rechtskonservativen bis zu israelsolidarischen Ex-Linken reicht, die die Antisemiten heute vor allem in den unterschiedlichen Spielarten der Linken und bei den Nichtregierungsorganisationen sehen. Schröter taugt für manche Rechtskonservativen schon deshalb zum Feindbild, weil er als einer der wenigen Politiker in Regierungsverantwortung für die Blockaden des Neonaziaufmarsches in Dresden eingetreten ist und dabei auch keine Berührungsängste zur außerparlamentarischen Linken hatte.

Etwas beruhigt hat sich mittlerweile der Streit durch eine „Gemeinsame Erklärung“, die Schröter mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Erfurt und der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen unterzeichnet hat. Die Unterzeichner betonen bei allen Differenzen zu der Obsttüten-Aktion, dass es keine persönlichen Diffamierungen geben dürfe und dass die Gemeinsamkeiten im Kampf gegen Rechts weiterhin überwiegen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152323
Peter Nowak

Wie rechts darf ein Pirat sein?

Die Debatte weitet sich aus

Die Debatte um den Umgang mit dem Piratenmitglied Bodo Thiesen, der zumindest in der Geschichtspolitik rechte Thesen vertritt und wegen eines Formfehlers nicht ausgeschlossen werden konnte, hat sich in den letzten Tagen ausgeweitet.

Jetzt geht es nicht mehr nur um Thiesen sondern um die Frage, ob sich die Partei eindeutig gegen rechts positionieren soll oder nicht. Mittlerweile haben Piratenmitglieder eine Erklärung verabschiedet, in der eine klare Trennungslinie zu Rassismus, Sexismus und anderen Unterdrückungsverhältnissen gefordert wird. Die Verfasser des Aufrufs beziehen sich auf einen Offenen Brief der Jungen Piraten, der schon vor der aktuellen Entwicklung im Fall Bodo Thiesen verfasst worden ist und deutlich macht, dass es sich bei ihm nicht um einen Einzelfall handelt. .

„Immer wieder fallen Mitglieder der Partei durch rassistische, sexistische, aber auch anderweitig diskriminierende Aussagen oder Verhaltensweisen auf“, heißt es in dem Brief. Mittlerweile hat die politische Geschäftsführerin der Piraten Marina Weisband zu einer schärferen Abgrenzung gegen rechte Mitglieder in ihrer Partei aufgerufen.

Der Berliner Parteivorsitzende Hartmut Semken wiederum hatte mit dieser Abgrenzung ein generelles Problem und sieht sich seitdem in- und außerhalb der Partei mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Lob kommt dagegen von der rechtskonservativen Jungen Freiheit, die von einem Abgrenzungswahn spricht. Der erst vor wenigen Wochen zum Berliner Parteivorsitzende gewählte Semken will vorerst im Amt bleiben.

Auch gegenüber dem Bielefelder Mandatsträger Robin Fermann, der von der Linken zur Piratenpartei übergetreten ist, gibt es Ausschlussforderungen. Fermann wird vorgeworfen, sich in seinen Texten antisemitischer Klischees bedient zu haben.

Wie die Grünen in den 80er Jahren?

Die aktuelle Debatte erinnert an ähnliche Auseinandersetzungen bei den Grünen Anfang der 1980er Jahre. Damals waren auch Exponenten rechter und ökofaschistischer Positionen in der Partei vertreten. Teilweise wurden in den ersten Jahren grüne Wahlerlisten von offen rechten Personen gegründet. Wie heute die Piraten gingen auch die jungen Grünen mit der Parole „Wir sind nicht rechts und nichts links sondern vorn“ in die Wahlkämpfe.

Spätestens Mitte der 1980er Jahre waren führende Exponenten der rechten Strömungen bei den Grünen entweder aus der Partei ausgetreten oder politisch isoliert. Das war vor allem dem Druck linker Gruppen in- und außerhalb der Partei geschuldet. Hier endet allerdings der Vergleich zur aktuellen Situation bei den Piraten. Denn weder gibt es dort einen relevanten linken Flügel, wie bei den frühen Grünen, noch eine starke außerparlamentarische Linke, die Druck ausüben könnte. Das zeigt sich schon daran, dass über Konzepte eines auf dem Internet basierenden Sozialismus des 21. Jahrhunderts seit Jahren sehr kontroves diskutiert wird. Nur bei der Internetpartei Piraten scheint die Auseinandersetzung nicht stattzufinden.

Wenn sich die Piraten jetzt mit dem Thema beschäftigten, ist dies vor allem der Angst geschuldet, gesellschaftlich marginalisiert zu werden, wenn sie rechte Positionen nicht sanktionieren. Sollten sich allerdings die aktuellen Umfragen bewahrheiten und die Piraten bei den anstehenden Landtagswahlen große Stimmengewinne erzielen, könnten sich auch die Positionen durchsetzen, die unter der Parole „Wir sind anders als die anderen“ vor allem verstehen, sich keinem antifaschistischen Dogma zu beugen und auch gegenüber Israel zu „sagen, was gesagt werden muss“.

Schließlich wollen auch manche Männerrechtler bei den Piraten dem angeblichen feministischen Zeitgeist trotzen. Sollte sich diese Strömung durchsetzen, würden die Piraten allerdings zu einer rechten Partei neuen Typs, wie ihn sich Junge Freiheit und Co. schon lange wünschen. Im Mai will die Piratenpartei auf einen Kongress in Berlin den Umgang mit Rassismus, Antisemitismus und extrem rechter Ideologie debattieren.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151844
Peter Nowak

Gauck und die Erinnerungspolitik

Weil Gauck die Prager Erklärung unterschrieben hat, wird Kritik an seinem Geschichtsverständnis laut
Normalerweise wird eine Bundespräsidentenwahl in Israel und den USA nicht besonders zur Kenntnis genommen. Doch ausgerechnet um die Personalie Gauck hat sich dort eine in Deutschland kaum zur Kenntnis genommene Kritik entzündet. Der israelische Historiker Efraim Zuroff hat lange Zeit in den USA gelebt und war der erste Leiter des Simon-Wiesenthal-Centers. Er hat in einem jetzt von der taz nachgedruckten Artikel heftige Kritik an dem neuen Bundespräsidenten geübt und dort die Befürchtung vor einem Rollback in der deutschen Erinnerungspolitik geäußert.

Der Anlass für die heftige Kritik Zuroffs ist Gaucks Unterschrift unter der Prager Erklärung mit dem Untertitel „Europas Gewissen und der Totalitarismus“, die zu einer Entschließung des EU-Parlaments am 2. April 2009 führte. Darin wird die Notwendigkeit formuliert, die „Verbrechen der totalitären Systeme“ des National- und Realsozialismus aufzuarbeiten und zu verurteilen.

Für Zuroff wirft die Unterstützung der Erklärung „mehr als alles andere einen Schatten auf die Kandidatur von Joachim Gauck“ und lässt bei ihm „ernsthafte Zweifel an dessen Eignung für dieses repräsentative Amt aufkommen“.

Dabei unterstützt der Historiker Zuroff ausdrücklich die Intention, auch die Verbrechen im nominalsozialistischen Herrschaftsbereich aufzudecken. Seine Hauptkritik richtet sich gegen die Gleichsetzung mit dem Nationalsozialismus. Die entscheidenden Unterschiede beider Ideologien, so Zuroff, würden ignoriert:

„Die behauptete Austauschbarkeit beider Phänomene übersieht den präzedenzlosen Charakter des Holocaust und erhöht die kommunistischen Verbrechen in ihrer tatsächlichen historischen Bedeutung.“

Zuroff sieht in der in Deutschland weitgehend ausgebliebenen Kritik an der Prager Erklärung ein Indiz für eine „merkliche Holocaust-Ermüdung“ in Deutschland. Obwohl das „Wissen um die Judenvernichtung und die Sensibilität dafür unverkennbar zugenommen“ hätte, würden „die Stimmen derer, die die deutschen Opfer im und nach dem Krieg betonen, (…) kühner und lauter“, diagnostiziert der Historiker. Einige Kommentare scheinen die Befürchtung zu bestätigen.

Auch wenn diese Kritik in Deutschland kaum wahrgenommen wurde, macht sie doch deutlich, dass in manchen Ländern gewisse Zungenschläge zu historischen Themen deutscher Politiker sehr genau analysiert werden und nicht überall die deutsche Geschichte mit dem Mauerfall beginnt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151636
Peter Nowak

Gemeinsam gegen Islamismus

DEMO Verschiedene Gruppen organisieren Proteste gegen islamistische Al-Quds-Demonstration

Es ist wieder so weit: Wie jedes Jahr mobilisieren islamistische Gruppen „im Zeichen der islamischen Befreiungsbewegungen in der arabischen Welt“ zur Demonstration am Al-Quds-Tag am Samstag. „Gemeinsam gegen Zionismus und Antisemitismus“, heißt es auf der Homepage. Dass sich die Organisatoren inzwischen zumindest verbal von offenem Judenhass abgrenzen, entspringt für Jörg Fischer Aharon vom Bildungsverein haKadima eher taktischen Erwägungen. So würden TeilnehmerInnen des Al-Quds-Tags KritikerInnen den Hitlergruß zeigen und offen zur Vernichtung Israels aufrufen.

Fischer Aharon ist Anmelder einer Kundgebung am Joachimstaler Platz, mit der ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Gruppen am Samstag gegen den islamistischen Aufmarsch protestieren will. Zu den UnterstützerInnen gehören auch die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Jüdische Gemeinde Berlin, die Deutsch-Israelische Gesellschaft Berlin und Potsdam und der Bund der Verfolgten des Naziregimes Berlins. Das Bündnis fordert ein Ende der wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands mit Iran, die Reduzierung der diplomatischen Kontakte auf ein Minimum und die Unterstützung der demokratischen Opposition im Iran.

Mit einem eigenen Aufruf mobilisieren antifaschistische Gruppen zum Wittenbergplatz. Es handele sich aber um keine Konkurrenzveranstaltung, betont Fischer Aharon. Zu den Grundlagen beider Gruppen gehöre nebem dem Kampf gegen den Islamismus auch die Solidarität mit Israel. In der Vergangenheit hatten iranische Oppositionsgruppen öfter Kritik an dieser Verknüpfung geübt. Für Fischer Aharon stellt sich der Zusammenhang jedoch dadurch her, dass sich der Al-Quds-Tag explizit gegen Israel richtet. Dennoch hätten die einzelnen Gruppen zur israelischen Politik sehr unterschiedliche Ansichten. „Sie eint das Bekenntnis zum Existenzrecht und dem Recht auf Selbstverteidigung des israelischen Staates“, betont Fischer Aharon.

Viele der am Bündnis gegen den Al-Quds-Tag beteiligten Gruppen wollen sich auch an Protesten gegen Veranstaltungen von Parteien wie „Die Freiheit“ oder der „Pro-Bewegung“, den bekanntesten Exponenten einer rechten Islamkritik, beteiligen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F08%2F26%2Fa0140&cHash=1120718c55

Peter Nowak

Kein Al-Quds-Tag! Gegen Antisemitismus und Islamismus, Samstag, 12 Uhr, Wittenbergplatz; sowie Kundgebung 14.30 Uhr, Ecke Joachimstaler Str./Kurfürstendamm

Die Debatte ist nicht neu

Peter Ullrich über die Antisemitismus-Diskussion in der LINKEN
Der Soziologe Peter Ullrich arbeitet an der Abteilung für medizinische Psychologie und medizinische Soziologie der Leipziger Universität und ist Verfasser des im Dietz-Verlag erschienenen Buches »Die Linke, Israel und Palästina«.

ND: Sie haben über den Antisemitismus in der Linken geforscht. Kommt die aktuelle Debatte in der Linkspartei für Sie überraschend?
Ullrich: Nein, diese Debatte ist ja nicht neu. Sie wiederholt sich in bestimmten Zyklen: bei gedenkpolitischen Anlässen oder Ereignissen im Nahen Osten. Neu ist allerdings die Verknüpfung der Debatte mit der Frage der politischen Legitimität der Linkspartei und ihrer Regierungsfähigkeit, wie sie in der aus wissenschaftlicher Sicht höchst kritikwürdigen Studie des Gießener Politikwissenschaftlers Samuel Salzborn und des Leipziger Historikers Sebastian Voigt angestrengt wird.

Was ist ihre Hauptkritik an dieser Studie?
Einzelne Negativbeispiele werden unzulässig generalisiert, was nur durch Auslassung wichtiger Kontextinformationen gelingt. Zudem sind zentrale historische Prämissen falsch. So wird der Eindruck erweckt, mit der LINKEN würde erstmals in der Nachkriegszeit eine Partei mit antisemitischen Positionen regierungsfähig werden. Damit werden die zahlreichen Politiker mit NSDAP-Vergangenheit sowie antisemitische Ausfälle von Politikern aller Parteien in der Nachkriegszeit relativiert und der Antisemitismus einseitig in der LINKEN verortet.

Warum konnte die Diskussion dann jetzt in der Partei eine solche Bedeutung bekommen?
Die Linkspartei hat sich die Debatte nicht ausgesucht. Die Berichterstattung der letzten Wochen war geprägt durch teilweise perfide Unterstellungen. Zudem ist die Diskussion eng mit den innerparteilichen Strömungskonflikten verknüpft. So müssen die regierungswilligen Reformer viel stärker unter Beweis stellen, dass sie auch in dieser Frage staatstragend sind als die Vertreter des linken Flügels.

Aber Sie bestreiten ja nicht, dass es dort Antisemitismus gibt?
Antisemitische Positionen unter Linken sind meist die Folge einer Überidentifikation mit den Palästinensern im Nahost-Konflikt. Bei manchen Linken ist sie mit einer völligen Ignoranz gegenüber den Interessen der israelischen Seite in dem Konflikt verbunden.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Forderung nach einem binationalen Staat im Nahen Ost ist von einer menschenrechts-universalistischen Perspektive nicht zu beanstanden. Problematisch wird es aber, wenn die reale Problematik antisemitischer Gruppierungen wie der Hamas ebenso ausgeblendet wird wie der Wunsch vieler Juden nach den Erfahrungen der Shoah, in einem eigenen Staat zu leben.

Wurde die Debatte über den linken Antisemitismus nicht eher in Kreisen der außerparlamentarischen Linken als der Partei die LINKE geführt?
Ja, denn der inhaltliche Kern der Partei ist nicht der Nahost-Konflikt. Es geht ja eher um Fragen sozialer Gerechtigkeit oder die Anerkennung von DDR-Biografien. Die große Mehrheit der Mitglieder unterstützt intuitiv die Palästinenser, aber das Thema steht bei ihnen nicht im Vordergrund. Eine bedingungslose Identifikation mit einer Seite im Nahost-Konflikt wurde eher von kleineren, aber sehr ideologisierten Gruppen praktiziert.

Ist es nicht positiv zu werten, dass jetzt über Antisemitismus in der LINKEN diskutiert wird?
Diese Hoffnung hatte ich auch. Eine solche Debatte müsste die Sensibilität dafür stärken, wo propalästinensische Positionen an antisemitischen Einstellungen anschlussfähig sind. Da wirkt der Beschluss der Bundestagsfraktion allerdings kontraproduktiv, weil er die alten Frontstellungen zementiert. Das zeigen sämtliche Reaktionen. Hier wird versucht, mit administrativen Mitteln eine notwendige Debatte zu ersetzen.

Sehen Sie noch einen Ausweg?
Notwendig wäre eine Positionierung gegen jede Form von Antisemitismus und genauso deutlich gegen die israelische Besatzung. Ausgewogenere Akteure wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung könnten bei der Formulierung einer solchen nichtidentitären Politik eine wichtige Rolle spielen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/200175.die-debatte-ist-nicht-neu.html

 

 Interview: Peter Nowak

Überleben durch Arbeit

Noch immer müssen ehemalige Arbeiter aus den Ghettos der NS-Zeit um ihre Rente kämpfen.

  Mitte April hat der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, gesetzliche Voraussetzungen zu schaffen, um die soziale Lage der in Deutschland ansässigen Holocaust-Überlebenden aus der ehemaligen Sowjetunion zu verbessern, von denen viele
bis heute nicht als NS-Verfolgte anerkannt sind und von Sozialhilfe leben müssen. In diesem Zusammenhang ist auch der schäbige Umgang deutscher Einrichtungen mit denjenigen Überlebenden thematisiert worden, die in den Ghettos im von der Wehrmacht besetzten Europa für Hungerlöhne geschuftet haben und die noch immer um ihre Rente kämpfen.

»Gesucht werden: 2–3 gelernte Spengler (ev.umgeschult), ein Schmied, 2–4 Metalldreher, 2– 3 elektro und autogen. Schweißer, ferner Fachleute, die im Stande sind, aus Stroh Fußabstreifer und Flechtschuhe herzustellen. Curricula vitae werden sofort an die Wirtschaftabteilung Produktion gesandt werden.« Dieser Tagesbefehl des Ältestenrats des Ghettos Theresienstadt aus dem Jahr 1942 ist eines der wenigen erhalten gebliebenen Dokumente über Formen der freiwilligen Beschäftigung, die neben der Zwangsarbeit in den Ghettos des von der Wehrmacht besetzten Europas existierte. In der historischen Forschung wurden diese Arbeitsverhältnisse erst in den letzten Jahren in den Blick genommen. Wobei der Begriff der Freiwilligkeit unter den Bedingungen eines durch Hunger und Krankheit geprägten Ghettoalltags ein Euphemismus ist.
»Sie müssen sich das als eine riesige Fabrik von fast 120.000 um ihr Leben arbeitenden Menschen vorstellen, die eine letzte Hoffnung hatten, wie das der Ghettovorsitzende Rumskovskij auch immer wieder fast beschwörend sagte: Überleben durch Arbeit, beschrieb Jan-Robert von Renesse, Richter am Essener Landessozialgericht, die Situation der Ghettoarbeiter von Lodz. Die Arbeit befreite sie nicht vom Hunger und der alltäglichen Willkür der SS. Doch wer Arbeit hatte, bekam in aller Regel etwas Geld oder größere Essensrationen. Eine Überlebensgarantie war die Schufterei keineswegs.
Für die meisten Arbeiter führte der Weg vom Ghetto direkt in die Vernichtungslager. Die wenigen Überlebenden müssen noch immer um eine Rente kämpfen. Die deutschen Rentenversicherer entwickelten viel Kreativität bei ihrem Bemühen, die Bearbeitung der Anträge der hochbetagten Menschen zu verschleppen.
Dabei hatte der Bundestag 2002 einstimmig ein »Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus der Beschäftigung in einem Ghetto (ZRGB)« mit dem erklärten Anspruch beschlossen, schnell und unbürokratisch diesbezügliche Defizite des geltenden Entschädigungsgesetzes auszugleichen. Die Praxis aber war eine Zumutung für die Antragssteller. Denn sie mußten nun vor deutschen Bürokraten den Nachweis antreten, daß sie freiwillig im Ghetto gearbeitet hatten und der zusätzliche Teller Suppe oder eine Scheibe Brot Bestandteil der Entlohnung gewesen waren. Nur dann hatten sie Anspruch auf Rentenleistungen. Für die Versicherungsträger aber hatte es im Ghetto nur Zwangsarbeiter gegeben, für die die Rentenkassen nicht zuständig waren. Sie lehnten die Rentenanträge ab. In keinem anderen Entschädigungsbereich gab es eine so hohe Ablehnungsquote wie bei den Ghettorenten.

In keinem anderen Bereich gibt es so wenige Entschädigungen wie bei den Ghettoarbeitern
Für Michael Teupen ist eine Ablehnungsquote von über 90 Prozent ein ausgemachter Skandal. »Das Ghettorenten-Gesetz erweist sich in seiner Umsetzung durch die Rententräger eher als Verhinderungsgesetz«, moniert der Leiter der Beratungsabteilung des Bundesverbands Information und Beratung für NS-Verfolgte. »Das Besondere an diesem Gesetz war daß sehr intensiv dafür geworben wurde, auch von seiten der Bundesregierung und der Rententräger, Anträge zu stellen, daß aber fast alle Anträge abgelehnt wurden. Das hat es früher in der Rechtsgeschichte so nie gegeben«, meinte der Jurist Jan-Robert von Renesse. Er nahm die offizielle Intention des Gesetzes ernst, fuhr mit einem Richterkollegen nach Israel und in die USA, besuchte die Antragssteller und ließ über 100 Gutachten zur Situation in den Ghettos erstellen. Damit unterschied er sich von dem Großteil seiner Kollegen, die ca. 70.000 Rentenanträge nach Aktenlage ablehnten: »Sie haben die Möglichkeit, Historiker zu fragen, gar nicht wahrgenommen, sondern sich nur auf ganz wenige Quellen wie Wikipedia gestützt, die natürlich alles andere als seriös oder ausreichend sind, um eine ordentliche Entscheidung fällen zu können«, kritisiert von Renesse die Praxis der deutschen Rentenkassen, Tausende Ghettorentner auf Grund von veralteten Dokumenten und Fragebögen zu Zwangsarbeitern zu erklären, die keine Ansprüche auf Zahlungen aus der Rentenkasse haben. Die auf von Renesse zurückgehenden Gutachten konnten hingegen nachweisen, daß jene von ihrem geringen Lohn Abgaben an die Rentenkasse leisten mußten und geleistet hatten. Da war die deutsche Bürokratie gründlich. Die Arbeit des Richters blieb nicht ganz erfolglos. »Nach meiner Einschätzung haben diese Gutachten nicht nur für die Fälle von Herrn von Renesse, sondern auch für die Beurteilung der tatsächlichen Lage in den Ghettos eine große Bedeutung gehabt. Ich habe begründeten Anlaß zu vermuten, daß sie deswegen auch eine wesentliche Bedeutung für die Kehrtwende der Rechtssprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hatten«, sagt der Bochumer Rechtsprofessor Wolfgang Meyer. Er bezieht sich damit auf ein Urteil des BSG vom Juli 2009, das die Durchsetzung der Rentenansprüche der Ghettoarbeiter erleichtert.
Geklagt hat der Holocaust-Überlebende Joseph Haber, dem die Rentenversicherung Rheinland-Pfalz diese Ansprüche jahrelang verweigert hatte. Ihm muß die Rente rückwirkend bis 1997 nachgezahlt werden. In ihrer Urteilsbegründung formulierten die BSG-Richter einige Leitlinien im Umgang mit den Rentenanträgen.
So wurde klargestellt, daß »Entgelt« für die Arbeit im Ghetto jegliche Entlohnung, ob in Geld oder Naturalien, sein könne. Auch ob
es direkt an den Betroffenen oder einen Dritten floß, sei unerheblich für den Rentenanspruch. Für sein Engagement bekam von Renesse viel Anerkennung. Der Präsident des Internationalen Ausschwitz-Komitees, Noah Flug, sagte über ihn: »Für die Überlebenden hat von Renesse viel Positives gemacht. Wir möchten, daß alle das anerkennen.« Davon kann zumindest
bei seinen Vorgesetzten keine Rede sein. Schon 2008 verfügte der damalige Vorsitzende der 8. Kammer des Landessozialgerichts in
NRW, Ulrich Freudenberg von Renesses Beweisanordnungen aufzuheben, als dieser einige Tage erkrankt war. Danach ordnete Freudenberg an, daß von Renesse ihn über jede Beweisanordnung vorher informieren müsse. Ein Richterkollege schrieb in einem Leserbrief an den »Spiegel«, die Verhältnisse in den Ghettos seien auch ohne von Renesses Gutachten bekannt gewesen, was bei Historikern und Überlebenden für Erstaunen sorgte. Schließlich wurde von Renesse an einen anderen Senat versetzt, wo er nicht mehr für die Ghettorentner zuständig ist. Seine Bewerbung um den Senatsvorsitz wurde abgelehnt.
In den sechziger Jahren hat der Jurist Fritz Bauer, der gegen den Widerstand der großen Mehrheit seiner Zunft den Auschwitz-Prozeß durchgesetzt hat, einmal gesagt, daß er Feindesland betritt, wenn er sein Büro verläßt. Mehr als 40 Jahre später feiert sich Deutschland gern als Weltmeister in Sachen Aufklärung der eigenen Vergangenheit. Doch wenn es um die Abwehr der Ansprüche von Menschen geht, die die deutsche Vernichtungspolitik überlebt haben und sich erdreisten, Anträge an die deutsche
Rentenkasse zu stellen, reagieren die Verantwortlichen wie zu Bauers Zeiten.

 Peter Nowak schrieb in KONKRET 8/10 über die Forderung nach einer Gedenkstätte auf dem Gelände
des Flughafens Tegel

aus: Konkret 6/2011

http://www.konkret-verlage.de/kvv/kh.php?jahr=2011&mon=06

Ist Israel der Feind?

In der iranischen Opposition ist ein Streit über die Haltung zum Nahostkonflikt ausgebrochen
Wie hältst Du es mit Israel und mit Palästina? Diese Frage sorgt nicht nur in Deutschland immer wieder für viel Aufregung. Auch in der iranischen Opposition ist wegen der Nahostfrage ein großer Streit ausgebrochen. Auslöser war eine Erklärung führender Aktivisten der Grünen Bewegung, der zentralen Opposition gegen das iranische Regime, zum Sturm auf die sogenannte Gaza-Flotte, die die israelische Blockade gegen den Gazastreifen brechen wollte.

Nach dem Sturm der israelischen Armee auf die Flotte, bei dem 9 Menschen starben, schrieben die 75 Oppositionellen, das Vorgehen der israelischen Armee gleiche den Maßnahmen des iranischen Regimes gegen Oppositionelle. Pathetisch heißt es dann in dem Schreiben, dass die Grüne Bewegung „Schulter an Schulter mit dem Widerstand der Palästinenser“ und überhaupt mit allen „freiheitsliebenden Bewegungen dieser Welt“ dieser Welt stehe. Viele der Unterzeichner gehörten der linken Opposition gegen das Schahregime an und wurden von dem Mullahregime abermals in die Gefängnisse geworfen oder ins Exil getrieben. Sie haben noch nicht vergessen, dass das Schahregime, das es bei der Verletzung der Menschenrechte den Mullahs ein Vorbild war, gute Beziehungen zu Israel unterhalten hat.

Eine jüngere Generation in der iranischen Opposition, die mit der permanenten antiisraelischen Propaganda des islamischen Regimes aufgewachsen war, widerspricht der pro-palästinensischen Erklärung der Grünen Bewegung. In einer von 27 Aktivisten unterzeichneten Erklärung wird darauf verwiesen, dass die Grüne Bewegung im Iran im Gegensatz zur palästinensischen Bewegung gewaltfrei agiert habe. Die Parole der iranischen Opposition habe „Nicht Gaza, nicht Libanon – mein Leben für Iran!“ gelautet. Deswegen sei die pro-palästinensische Erklärung nicht repräsentativ für die gesamte iranische Opposition.

Saeed Ghaseminejad, Sprecher der Liberalen Studenten Irans und Direktor des Centre Iranien d’etudes du Liberalisme charakterisierte in einem Interview die Unterzeichner des Gegenbriefes so: „Fast alle sind jung, die meisten sind Studenten. Sie sind die Kinder der islamischen Revolution und aufgewachsen unter der Islamischen Republik. In dieser Generation findet man so viele Gruppen und Individuen, die an Frieden im Nahen Osten glauben, die nicht antisemitisch denken, die glauben, dass sowohl Israelis als auch Palästinenser ein Recht auf ein eigenes Land haben und in Frieden zusammen leben können – also Leute, die nicht glauben, dass Israel unser Feind ist.“

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148035

Peter Nowak

Wir weisen zurück!

Für einen nichtinstrumentellen Umgang mit Jüdinnen und Juden !!!

Dass die Aufführung von Warum Israel in Hamburg verhindert wurde, ist für mich ein Ausdruck von Zensur. Die Deutschen, ob linksradikal oder nicht, haben sich wie Herren aufgespielt. Diese Rolle dürfen sie nie wieder spielen.“
Der französische Filmregisseur Claude Lanzmann in einem Interview zur Verhinderung der Präsentation seines Films „Warum Israel“ durch israelkritische Hamburger Linke . Weitere Texte zu diesem Thema siehe die Ausgabe 12-09
Wer oder was ist eigentlich links in Hamburg?
Streiflichter über/aus einen/m abgründigen Konflikt
 

„Ich wusste aber immer, dass die internationale Linke solidarisch hinter uns steht. Ich wusste immer, dass ich von linken internationalen Bewegungen nicht nur Zustimmung und moralische Unterstützung erwarten kann, sondern ganz reale Unterstützung …Wenn ihr Euch die Mühe gegeben habt, bis hierhin zu lesen, wird Euch der Schock, den ich bei meinem letzten Deutschland-Besuch erlebte, nicht überraschen. Da wurde mir nämlich klar, dass es in der deutschen Linken eine lautstarke Gruppe gibt, die die Solidarität mit meinem Kampf als antisemitisch bezeichnet und mich selber als einen mit Selbsthass infizierten Juden.“

Aus einem Brief des israelische Friedensaktivisten Yossi Wolfson an die deutsche Linke

Die politischen Ansichten von Yossi Wolfson und Claude Lanzmann dürften, gerade was die Haltung zu Israel und dem Nahostkonflikt betrifft, sehr weit auseinanderliegen. Doch beide eint eins: Sie sind Juden, die von links sich verstehenden nichtjüdischen Deutschen auf unterschiedliche Weise angefeindet, beschimpft, behindert wurden.
Die von uns eindeutig verurteilte Verhinderung des Films „Warum Israel“ Ende Oktober in Hamburg ist der wohl bekannteste, aber nicht der einzige Fall, wo Linke in Deutschland gegen jüdische Menschen und ihre Arbeit vorgegangen sind. Es ist mittlerweile zur Regel geworden, dass Juden, die sich positiv zu Israel verhalten, von israelkritischen Linken in Deutschland zumindest mit Misstrauen begegnet wird. So sollte, um nur ein aktuelles Beispiel zu erwähnen, der Wiener Publizist Karl Pfeiffer erstmal eine Erklärung über seine Rolle im israelischen Unabhängigkeitskampf abgeben, um in einem autonomen Zentrum in Bielefeld als Redner auftreten zu dürfen.
Auch von israelsolidarischen Kreisen wiederum wird in unterschiedlichem Maße Druck auf Jüdinnen und Juden ausgeübt, die sich kritisch zur israelischen Politik äußern. Erinnert sei nur an die Kampagne gegen Felicia Langer im Sommer 2009, nachdem sie das Bundesverdienstkreuz bekommen hat. Daran haben sich neben rechten Gruppen auch israelsolidarische Linke beteiligt.

Es ist eine Schande, dass ausgerechnet in Deutschland jüdische Menschen daran gehindert werden, ihre politischen Ansichten zum Nahostkonflikt zu vertreten und dass Filme von jüdischen Künstlern verhindert werden. Dabei ist es egal, wie die jüdischen Menschen zu Israel stehen und wie sie den Nahostkonflikt beurteilen.
 Henryk M. Broder hat genauso das Recht, seine Lesart des Nahostkonfliktes zu verbreiten, ohne einer Kampagne ausgesetzt zu sein, wie Michel Friedman und Felicia Langer. Es ist völlig normal, dass unter Juden – wie zu vielen anderen Themen – auch zur israelischen Politik unterschiedliche Ansichten bestehen. Damit stehen sie in einer guten Tradition. Es hat unter Juden immer pro, – nicht-, und antizionistische Positionen gegeben.
Ein auch polemisch ausgetragener Streit darum, ist das Normalste auf der Welt. Antisemitische Töne bekommt die Auseinandersetzung dann, wenn den Personen ihr Judentum vorgehalten oder abgesprochen wird. Dazu gehört die Vorstellung, ein Jude müsse die israelische Politik verteidigen, ebenso wie das umgekehrte Ansinnen, er müsse sie kritisieren oder sich überhaupt dazu äußern.

In Teilen der propalästinensischen deutschen Linken war und ist es üblich, sich Kritik an der israelischen Politik durch jüdische Stimmen beglaubigen zu lassen. Das ist genauso abzulehnen, wie der Versuch von Israel-Verteidigern zurückgewiesen werden muss, verbal gegen Juden vorzugehen, die eine kritische Sicht auf Israel haben.
Vor 20 Jahren, als in kleinen Gruppen der Linken die Auseinandersetzung mit dem linken Antisemitismus begann, hätte sich wohl niemand träumen lassen, dass einige der dort ausgetauschten Argumente einmal von deutschen Linken dazu benutzt werden könnten, um Juden klarzumachen, wie sie sich zu Israel zu positionieren haben.
Die Nachkommen der deutschen Volksgemeinschaft, vor nunmehr 65 Jahren erst durch die Alliierten am weiteren Judenmorden gehindert, sollten die letzten sein, die in dieser Debatte Zensuren verteilen. Auch jede Instrumentalisierung der unterschiedlichen jüdischen Ansichten zu Israel für den innerlinken Meinungskampf in Deutschland ist abzulehnen.

Die nichtjüdischen Deutschen – israelkritisch, solidarisch oder was immer – sollten in dieser Debatte einfach nur mal das Maul halten.
Antonin Dick, als Sohn deutsch-jüdischer Emigranten in England geboren
Peter Nowak, Journalist, Berlin
Bernhard Schmid, Journalist, Paris

http://www.trend.infopartisan.net/trd0110/t380110.html

Neuer Nahostkonflikt in Hamburg

Um den Film „Warum Israel“ von Claude Lanzmann gibt es seit Monaten eine mittlerweile auch im Ausland beobachtete Auseinandersetzung
Hamburg ist eine der Metropolen, in denen politische Demonstrationen eigentlich zum Alltag gehören. Doch die für den 13. Dezember anberaumte Protestaktion unter dem Motto „Es darf keine antisemitische Filmzensur in Hamburg geben“ fällt aus dem Rahmen. Das zeigt schon der Aufrufer- und Unterstützerkreis, zu dem neben Politikern auch viele Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle aus dem In- und Ausland gehören. An erster Stelle steht der französische Filmemacher Claude Lanzmann auf der Unterstützerliste. Sein Film „Warum Israel“ (1973, unlängst als DVD erschienen) ist der Auslöser für die Demonstration. Sie ist der Höhepunkt einer Auseinandersetzung, die als Hamburger Kiezposse begonnen hat und mittlerweile nicht nur in vielen deutschen Medien, sondern auch in Israel und Frankreich diskutiert wird.
   
Israelischer Checkpoint in Hamburg?

Begonnen hatte alles am 25. Oktober im Hamburger Schanzenviertel. An diesem Tag wollte die israelsolidarische Hamburger Gruppe Kritikmaximierung „Warum Israel“ in einem Hamburger Szenekino zeigen. In dem Film werden jüdische Bürger Israels interviewt, die sich aus verschiedenen Ländern kommend eine neue Heimat aufgebaut haben. Gegen die Vorführung wandte sich das israelkritische Internationale Zentrum B5, das sich in der direkten Nachbarschaft des Kinos befindet. Zunächst versuchten sie erfolglos eine Absetzung des Filmes zu erreichen. Dann verhinderten sie mit einer Art Agitprop-Aktion die Aufführung. Vor dem Kino wurde eine Nachbildung eines israelischen Checkpoints aufgebaut und den Kinobesuchern wurde der Einlass verweigert. Es kam zu erregten Debatten und auch zu Handgreiflichen.

Bis zu diesem Punkt schien die Aktion sich einreihen, in den Jahre langen, längst nicht mehr nur verbal ausgetragenen Streit zwischen israelsolidarischen und israelkritischen Linken, der in verschiedenen Städten schwelt. Das hatte bisher meistens zur Folge, dass sich sogenannte linke Zusammenhänge, Wohngemeinschaften und Volksküchen zerstreiten und oft über Jahre kein Wort mehr miteinander reden. Viele linke Flyer und seit einiger Zeit auch Blogs beschäftigen sich sehr akribisch mit allen Details der Auseinandersetzung. Doch darüber hinaus nimmt in der Regel niemand davon Notiz.

Wandel der Linken

Doch die Aktion vom 25. Oktober wurde zum Politikum, weil auch Mitglieder der Jüdischen Gemeinde an der Filmvorführung gehindert wurden und weil Claude Lanzmann den Vorfall sofort öffentlich machte und sein Unverständnis über die geringe Sensibilität in den deutschen Medien mit der Filmverhinderung zum Ausdruck brachte.

„Weltweit ist es nicht ein einziges Mal passiert, und in Deutschland schon gar nicht“, betont der Regisseur, der als Kämpfer in der französischen Resistance und als Freund von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir zu den führenden französischen Intellektuellen gehört. Mit dem Film Shoah über die Massenvernichtung der europäischen Juden wurde er weltbekannt.

Dass ausgerechnet ein Film von Lanzmann von der Aktion betroffen wurde, erklärt sicher die große Publicity. Darüberhinaus macht die Auseinandersetzung auch deutlich, wie stark sich ein Großteil der Linken zumindest in der Nahostfrage in den letzten 25 Jahren gewandelt hat. Heute will sich kaum jemand mit der Position der B5 gemein machen. Nur in einem Text wird die Kritik an der Filmverhinderung als „antideutsche Schmierenkomödie“ bezeichnet. Die B5-Aktivisten rudern selber zurück und betonen in einer Erklärung, ihre Aktion hätte nicht die Verhinderung des Films, sondern die einer „antideutschen Veranstaltung“ zum Ziel gehabt. Eine der beteiligten Gruppen hat mittlerweile den Film in der B5 gezeigt, der in einem Flyer bei der Verhinderungsaktion noch als „zionistischer Propagandafilm“ klassifiziert wurde.

Ende der 80er Jahre wäre die Position der B5 durchaus noch mehrheitsfähig gewesen. Damals prangten an der Hamburger Hafenstraße in einem besetzten Gebäudekomplex, der einer großen Solidaritätsbewegung ihre Legalisierung verdankt, Parolen, die zum Boykott israelischer Waren aufriefen. Das war der Anlass einer ersten innerlinken Nahost-Debatte, die manchmal zur Geburtsstunde der israelsolidarischen Linken in Deutschland erklärt wird. Die Kritiker der Parolen waren damals allerdings noch eine absolute Minderheit in der Linken und nahmen keine Stellung zur israelischen Politik. Sie wandten sich vielmehr dagegen, dass angesichts der NS-Vergangenheit mit Israelboykottparolen in Deutschland Politik gemacht wird. Einige der heutigen B5-Kritiker waren damals noch Teil des antizionistischen Milieus, wie sie jetzt bekennen. Die Politveteranen von der Hamburger Hafenstraße reden heute auf ihren Versammlungen aber lieber über den Putzplan als über den Nahostkonflikt.
 
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31718/1.html

Peter Nowak

Warum Israel?

Klaus Theweleit und Hermann L. Gremliza diskutierten mit Claude Lanzmann
 
Schon um 18 Uhr hatte sich am Montagabend eine lange Schlange vor einem alten Hamburger Bunker gebildet. Viele mussten wegen Überfüllung den Rückzug antreten. Im Popclub »Uebel & Gefährlich« war jeder Platz besetzt und auch um die Theken drängten sich die Menschen. Zu sehen war der Film »Warum Israel«. Seit im Oktober vergangenen Jahres in einem Hamburger Kino eine Aufführung durch sich als propalästinensisch verstehende Linke verhindert wurde (ND berichtete), wurde der Film mehrere Male in Hamburg und auch in anderen deutschen Städten gezeigt. In dem 1973 entstandenen Film lässt der französische Filmemacher Claude Lanzmann unterschiedliche Bewohner Israels zu Wort kommen, die über die Probleme des Staates, aber auch über dessen und ihren Überlebenswillen in einer weitgehend feindlichen Umgebung sprechen.

Wer den Film gesehen hat, wird noch weniger verstehen können, warum Linke in Deutschland die Aufführung dieses Films verhindern wollten. Beim anschließenden Filmgespräch bot der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit eine Erklärung. Für ihn ist das ein Beispiel für rechtes Denken unter linken Vorzeichen. Der Publizist und Herausgeber der Monatszeitung »konkret«, Hermann L. Gremliza, wollte mit seiner Teilnahme an dem Gespräch vor allem ein Zeichen gegen jene setzen, die den Film zu verhindern suchten. Für ihn ist das Problem dabei nicht die kleinen, sich als links verstehende Gruppen, sondern der unterschwellige Antisemitismus bei einem Großteil der Bevölkerung. Der habe mittlerweile gelernt, bestimmte Begrifflichkeiten zu vermeiden, um Ärger aus dem Weg zu geben, so Gremliza.

Gremliza hatte einen Einwand zu dem Film: Die Palästinenser fehlten in Lanzmanns Werk weitgehend, sowohl als Bewohner des Landes als auch als Israel bedrohende Organisationen. Lanzmann ließ diesen Einwand nicht gelten. Er haben keinen ausgewogenen, beiden Seiten gerecht werdenden Film machen können. Zur Erläuterung berichtete Lanzmann aus seiner Biografie. Der Gründung Israels habe er anfangs keine Aufmerksamkeit geschenkt. Später wollte er die Eindrücke, die er von einer Israelreise mitbrachte, schriftlich verarbeiten. Dazu sei es aber nicht gekommen. Mit dem Film »Warum Israel« lieferte er schließlich 1973 sein ganz persönliches Statement zu diesem Land mit all seinen Widersprüchen.

Arte zeigt heute, 20.15 Uhr, den 1. Teil von Claude Lanzmanns Doku »Shoah«, der zweite folgt am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/163409.warum-israel.html

 

Peter Nowak

Im Gespräch mit Claude Lanzmann – eine Hamburger Begegnung

Schon um 18 Uhr hatte sich am 18. Januar vor einem alten Hamburger Bunker eine lange Schlange gebildet. Die Menschen wollten allerdings nicht eine angesagte Band, sondern eine Filmvorführung mit einem anschließenden Gespräch besuchen. Viele mussten wegen Überfüllung den Rückzug antreten. Im Popclub „Übel und gefährlich“ war jeder Platz besetzt und auch um die Theken drängten sich die Menschen. Auf vier Leinwänden war der Film „Warum Israel“ zu sehen. Seit im Oktober in einem Hamburger Kino sich als propalästinensisch verstehende Linke die Aufführung dieses Films verhinderten, wurde der Film mehrere Male in Hamburg und auch in anderen deutschen Städten gezeigt. In dem 1973 entstandenen Film lässt der französische Filmemacher Claude Lanzmann unterschiedliche Bewohner Israels zu Wort kommen, die über die Probleme des Staates, aber auch den Überlebenswillen der Bevölkerung in einer weitgehend feindlichen Umgebung sprechen. Wer den Film gesehen hat, wird noch weniger verstehen können, warum ausgerechnet Linke in Deutschland die Aufführung dieses Films verhindern wollten.

Beim anschließenden Gespräch bot der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit eine Erklärung. Für ihn sei das ein Beispiel für rechtes Gedankengut unter linken Vorzeichen. Der Publizist und Herausgeber der Monatszeitung KONKRET, Hermann L. Gremliza, wollte mit seiner Teilnahme an dem Gespräch vor allem ein Zeichen gegen jene setzen, die den Film verhindern wollten. Für ihn sind das Problem dabei nicht kleine, sich als links verstehende Gruppen sondern ein Großteil der Bevölkerung. Die habe allerdings mittlerweile gelernt, bestimmte Begrifflichkeiten zu vermeiden, um Ärger aus dem Weg zu geben, so Gremliza, der in der Konkret jeden Monat Beispiele für getarnten Antisemitismus aufspürt und sprachlich seziert. Gremliza hatte einen Einwand zu dem Film. Die Palästinenser fehlen weitgehend, sowohl als Bewohner als auch die Israel bedrohenden Organisationen.

Doch der Regisseur Claude Lanzmann, der für den Publikumsandrang gesorgt hatte, betonte, dass er zu Israel keinen ausgewogenen, beiden Seiten gerecht werdenden Film machen könne. Ein entsprechendes Angebot des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Rabin musste er daher ablehnen. Zur Erläuterung berichtete Lanzmann aus seiner Biographie.

Als Schüler war er Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes und organisierte in seiner Heimatstadt den Widerstand gegen die Nazis und die französischen Unterstützer. Die Gründung Israels habe bei ihm noch kein besonderes Interesse erzeugt. Damals habe er an der Freien Universität Berlin gelehrt. Noch Anfang der 50er Jahre habe er sich mehrere Wochen in der jungen DDR ohne Papiere aufgehalten und Berichte für große französische Zeitungen geliefert. Als er einige Jahre später erstmals Israel besuchte, war es ihm aus persönlichen Gründen nicht möglich, Zeitungsartikel darüber zu schreiben. Auch eine geplante Buchveröffentlichung kam nicht zum Abschluss. Mit dem Film „Warum Israel“ lieferte er schließlich 1973 sein ganz persönliches Statement zu diesem Land und seinen Widersprüchen. Es war auch das Statement eines ehemals aktiven Kommunisten, der wegen der nominalsozialistischen Praxis von seinen politischen Überzeugungen abgerückt war und durch den Besuch in Israel den Zionismus entdeckte.

Rufmord an Lanzmann

Der Applaus des Publikums weit nach Mitternacht galt dem Film und dem Lebensweg dieses Mannes. Diese Anerkennung wird ihm in großen Teilen der Öffentlichkeit verweigert. Das zeigt sich an einer unerfreulichen Debatte über eine im Herbst im Rowohlt-Verlag erscheinende Biographie „Der patagonische Hase“. Ein Autor der ZEIT unterstellte Lanzmann indirekt, die Geschichte zu fälschen. Die FAZ hingegen sprach von einem Rufmord an Lanzmann. Die Tatsache, dass Teile des deutschen Feuilletons ausgerechnet den Regisseur des Filmes Shoah in die Nähe der Geschichtsfälschung bringen, zeigte die Notwendigkeit dieser Veranstaltung und gibt auch Gremliza recht, der das Problem in der deutschen Gesellschaft und nicht in erster Linie bei kleinen linken Gruppen sieht .

Die Reaktionen auf die Filmvorführung und die Debatte waren denkbar unterschiedlich. Im Hamburger Abendblatt wurde unter der Überschrift „Zu viel Ehrfurcht vor dem Stargast“  der Angriff gegen Lanzmann fortgesetzt: „Zwei Fragen nach der Aktualität des Films und seiner künstlerischen Handschrift nutzte der aus Paris eingeflogene Regisseur zu einem 45 Minuten langen Monolog, in dem er viel aus seinem Leben erzählte und nebenbei Werbung für seine im Herbst erscheinende Autobiografie machte.“

Diese Ausführungen, aus denen die Aversion gegen Lanzmann herauszulesen ist,  sind tatsächlich eine Unverschämtheit.

Diesen Vorwurf macht der Hamburger Publizist Günther Jakob in seinen „spontanen Notizen“ aber auch den Organisatoren der Veranstaltung. Er bezeichnete sie als „ein politisches Desaster“, und eine „unverschämte Zumutung“ für Lanzmann. Dieser schlug dann auch nach einer Stunde vor, den Abend abzubrechen.  Nun könnte dieser Wunsch auch der fortgeschrittenen Zeit geschuldet sein. Es war schon nach Mitternacht und der Saal begann sich zu leeren. Außerdem hat Lanzmann deutlich gemacht, dass er keine Lust hat, über den Gaza-Streifen und die Palästinenser zu diskutieren. Das hatte aber auch Hermann L. Gremliza nicht im Sinn, als er seine Frage stellte. Er betonte ausdrücklich, dass er auch die palästinensischen Organisationen, die Israel bedrohen, in dem Film vermisst.

Peter Nowak

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