Der Soziologe Thomas Wagner zeigt auf, wie mit  Mitbestimmungsmodellen umstrittene Projekte  besser durchgesetzt werden  können als mit autoritären Durchregieren
Ex-Wirtschaftsminister Werner Müller soll die Bund-Länder-Kommission  leiten, die ein Endlager für den Atommüll sorgen soll. Diese von der  unionsnahen Rheinischen Post lancierte Meldung wollte am Ende niemand  bestätigen. Die Entscheidung sei noch nicht gefallen, erklärten  Politiker aller Parteien.
Hat die Zeitung die Nachricht einfach erfunden? Wahrscheinlich nicht.  Es viel wahrscheinlicher, dass die Meldung ein Versuchsballon gewesen  ist. Hier sollte getestet werden, welche Reaktionen die Benennung eines  Vertrauensmannes der Atomindustrie auf diesen Posten bei dem Mainstream  der Umweltverbände auslöst. Sie sollen mit dieser Kommission mit in die  Endlagersuche eingebunden werden. Kritischere  Umweltverbände haben  dieses Ansinnen von sich gewiesen. Wenn nun aber eine umstrittene  Personalie wie Müller dazu führen würde, dass  auch noch moderate  Umweltgruppen, die sich längst auf Lobbyarbeit konzentrieren, dem  Gremium fernbleiben, wäre es für Wirtschaft und Politik ein Alarmsignal.  Hofft man doch gerade mit der Einbeziehung  von Umweltverbänden in das  Gremium zu verhindern, dass sich ein Widerstand gegen die  Atomtransporte, wie er in den letzten Jahren im Wendland zu beobachten  war, auf andere Regionen ausweitet. Daher ist die Präsenz von  Umweltverbänden in solchen Gremien von mehr als nur symbolischer  Bedeutung.
Hier handelt es sich um ein Beispiel dafür, wie mit  Mitbeteiligungsmodellen versucht wird, umstrittene Projekte schneller  und  mit weniger Widerstand  und daher auch kostengünstiger  durchzusetzen.
Heiner Geißler statt Holger Börner
Der Publizist und Soziologe Thomas Wagner hat jetzt m PapyRossa-Verlag ein Buch [1] veröffentlicht, dass die unterschiedlichen Mitmachkonzepte kritisch  unter die Lupe nimmt.  Er zitiert aus Texten wirtschaftsnaher Stiftungen  und Denkfabriken, die schon seit Jahren die Bürgerbeteiligung als ein  probates Instrument entdeckt haben, Widerstand gegen umstrittene  Großprojekte möglichst kleinzuhalten.
Auch Politiker aller Parteien von der Linken über die Grünen bis zu  FDP und Union  singen mittlerweile das Hohe Lied der Bürgerbeteiligung.  Trotzdem  hält sich in großen Teilen der Öffentlichkeit noch immer das  Gerücht, dass diese Bürgerbeteiligungsmodelle  Konzepte aus der  Alternativbewegung seien, die gegen die etablierten Parteien  durchgesetzt werden müssen. Spätestens mit der Wahlniederlage des  CDU-Hardliners Stefan Mappus in Baden-Württemberg hat diese Form des  Durchregierens für die Wirtschaft und die Entscheidungsträger erheblich  an Attraktivität eingebüßt.
Während Stefan Mappus selbst in seiner eigenen Partei mittlerweile  isoliert ist und zudem noch Ärger mit der Justiz hat, gilt sein  Parteifreund Heiner Geißler  parteiübergreifend als ärgerlicher Makler.  Dabei hat er, wie Wagner aufzeigt, mit seiner Mediation im Konflikt um  Stuttgart 21 wahrscheinlich mehr dazu beigetragen, dass der Bahnhof  jetzt wohl doch noch gebaut wird.  Die mit Parteiknüppeln und  Wasserwerfer durchgesetzte Basta-Politik von Mappus hatte hingegen   dafür gesorgt, dass sich die Bewegung gegen Stuttgart 21 in wenigen  Monaten sehr stark politisiert hat und über das unmittelbare Projekt  hinaus zu vernetzen begann. Durch die Mediation ist sie zu großen Teilen  wieder eingefangen  und politisch   neutralisiert worden.
Ähnliche Entwicklungen  hat es bereits Jahre zuvor bei der  Erweiterung der Startbahn-West im Rhein-Main-Gebiet in Hessen  gegeben.  Das sozialdemokratische Urgestein Holger Börner  hat in den frühen 80er  Jahren Kritikern des Ausbaus der Startbahn West am Frankfurter Flughafen   noch mit der Dachlatte gedroht.  Jahre später wurden dann Teile der  Bevölkerung mittels Mediation  an einer  erneuten Ausweitung der  Startbahn-West scheinbar beteiligt, real aber ruhig gestellt.   Von  Aktivisten dieser Bewegung kamen übrigens auch die ersten fundierten  Kritiken an der Mitbeteiligungsfalle, die in dem  Buch zitiert werden.
Mittelstand überrepräsentiert
Wagner stellt sich auch die Frage, welche Bevölkerungsgruppen in den  verschiedenen Mitbestimmungsmodellen besonders involviert sind. Hier  stellt sich schnell heraus, dass der gutverdienende Mittelstand  besonders gut vertreten ist, während  einkommensschwache Teile der  Bevölkerung kaum daran partizipieren.  So könnte die Zunahme solcher  Bürgerbeteiligungskonzepte sogar verstärkt dazu beitragen, dass  einkommensschwache Teile der Bevölkerung   noch mehr von Entscheidungen  ausgeschlossen sind.
Diese Entwicklung wird dann besonders fatal, wenn im Rahmen des  Konzepts des partizipativen Haushalts die Bürger selber darüber  entscheiden sollen, wo eingespart wird. Das Budget steht fest,  entschieden werden kann nur, wo der Rotstift angesetzt werden soll. Auch  hier  dürften Mittelstandsinteressen stärker wiegen als die von  Erwerbslosen und prekär  Beschäftigten.
Wagner geht auch auf die ideologischen Prämissen der Mitmachideologie  ein und zieht da eine Linie vom Zukunftsforscher Matthias Horx [2], über das Duo  Holm Friebe [3] und Sascha Lobo [4] und ihr Lob auf den Kleinunternehmer bis zur grünen Kulturpolitikerin Adrienne Göhler [5]. Kritisch geht Wagner auch auf den US-Kommunitaristen Saul Alinksy [6] ein, der als Theoretiker des Stadtteilorganizing auch in linken Kreisen  viel Zustimmung findet. Der Sozialwissenschaftler Robert Maruschke, der  in den USA Konzepte des Stadtteil-Organizing kennenlernte, macht  deutlich, dass Alinsky bei seinen Konzepten auf Kooperation mit den  Eliten setzte. Eine konfrontative Politik war verpönt. Diese Form des  Stadtteil-Organizing arbeuitet auch mit aktuellen Mediationskonzepten,  bei denen die Bereitschaft zum Pragmatismus und zur schnellen  Kooperation zu den Grundvoraussetzungen gehört. Initiativen oder  Einzelpersonen, die eher Politik der konsequenten Interessenvertretung  verfechten, gelten den dann schnell als radikal und kompromisslos und  werden ausgegrenzt.
Saul Alinksy stand auch Pate für Patienteninitiativen, die mit  Unterstützung von Pharmakonzernen als deren Lobbyisten auftreten und  dabei großzügig gesponsert werden.   Dabei werden die Ängste und  Befürchtungen von Menschen mit bestimmten Krankheiten ausgenutzt. Die  Selbstorganisierung besteht vor allem darin, ganz eigenverantwortlich  Lobbying für die Konzerne zu machen.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/print/154753
Peter Nowak 10.08.2013