Mehr Transparenz bei Hartz IV?

Harald Thomé über den schwierigen Zugang zu amtlichen Informationen
 
Harald Thomé ist Vorsitzender des Erwerbslosen- und Sozialhilfevereins Tacheles aus Wuppertal und Referent für Arbeitslosenrecht.

ND: Was hat das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) mit den Jobcentern zu tun?
Thomé : Dieses Gesetz wurde am 1. Januar 2006 eingeführt. Es gewährt jeder Person einen voraussetzungslosen Rechtsanspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen von Bundesbehörden. Weil im Hartz-IV-Bereich bekanntlich eine Menge Verwaltungsanweisungen anfallen, sind natürlich auch die Jobcenter davon betroffen.

Können Sie Beispiele nennen?
Der gesamte Bereich der Kosten der Unterkunft von Hartz-IV-Empfängern ist über solche Verwaltungsvorschriften geregelt, aber auch das Bildungspaket sowie die Regelung bei Erstausstattungen für Wohnraum. Seit dem 1. Januar dieses Jahres fallen außerdem kommunale Behördenanweisungen unter das Bundes-IFG. Die Jobcenter müssen nun auch die kommunalen Dienstanweisungen jedem Interessierten zugänglich machen.

Wie sieht es damit in der Praxis aus ?
Ich habe im Juni bei 135 Jobcentern in Bayern und Baden-Württemberg Anträge gestellt und beantragt, dass diese Verwaltungsanweisungen und Richtlinien zu den Unterkunftskosten, zum Bildungs- und Teilhabepaket, aber auch zur Erstausstattung von Wohnraum und Bedarfen bei Schwangerschaft und Geburt herausgeben. Nach einem Monat, dem spätesten Termin nach dem solche Informationen von Amts wegen herauszugeben sind, wurden in Bayern die Unterlagen lediglich in elf, in Baden-Württemberg in 17 Fällen vollständig herausgegeben. Mehr als zwei Drittel der Jobcenter haben in den beiden Bundesländern jedoch überhaupt nicht geantwortet. Die übrigen schickten unvollständige Unterlagen. Der Leiter eines Jobcenters hat mir sogar mit einer Anzeige bei der örtlichen Anwaltskammer wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz gedroht.

Wie wollen Sie jetzt weiter vorgehen?
Ich habe die Angelegenheit zunächst öffentlich gemacht. Nach dem 1. August werde ich mich dann an den Bundesbeauftragten für Informationsfreiheit wenden. Sollten die Behörden auch nach drei Monaten die Unterlagen nicht veröffentlichen, werde ich entsprechende Untätigkeitsklagen einleiten.

Hatten Sie schon erfolgreich geklagt?
Der Erwerbslosenverein Tacheles hatte im Jahr 2006 in Sachen IFG gegen die Bundesagentur für Arbeit geklagt und sie dazu gezwungen, ihre internen Weisungen zum Arbeitslosengeld im Internet zu veröffentlichen. Auch die Informationen, die ich jetzt von den bayerischen und baden-württembergischen Jobcentern angefordert habe, sollen veröffentlicht werden. Es ist schlimm genug, dass dies aus der Erwerbslosenbewegung heraus gefordert werden muss, die Behörden wären doch nach dem Informationsfreiheitsgesetz von sich aus zur Veröffentlichung verpflichtet.

Welche Vorteile haben die Betroffenen davon?
Die Betroffenen können so prüfen, ob die jeweilige behördliche Entscheidung rechtsmäßig ist, und ob das Amt Ermessen ausgeübt hat. Zudem können sie bei der Formulierung von Anträgen auf die wesentlichen, für die Entscheidung erheblichen Umstände hinweisen. Sie können aber auch prüfen, ob das Amt organisiert durch Weisung gegen geltendes Recht verstößt. Letzteres ist ein Phänomen, welches bei Hartz IV nicht selten vorkommt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/203094.mehr-transparenz-bei-hartz-iv.html

Interview: Peter Nowak

»Verhöhnung der Opfer«

Das Berliner Abgeordnetenhaus hat beschlossen, auf dem Areal des ehemaligen Flughafens Tempelhof einen »Gedenk- und Informationsort« zu errichten. Dort soll an die Opfer des KZ Columbiadamm und die Zwangsarbeiter erinnert werden, die am Flughafen eingesetzt wurden. Beate Winzer, Vorsitzende des »Fördervereins für ein Gedenken an die ­Naziverbrechen in und um das Tempelhofer Feld«, spricht über die Entscheidung.

Small Talk von Peter Nowak

Wie bewerten Sie den Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses, einen Gedenkort für die Opfer des NS-Terrors am Tempelhofer Feld einzurichten?

Lange Jahre wurde über das erste Berliner Konzentrationslager auf dem Areal ebenso geschwiegen wie über die Zwangsarbeiter, die dort seit 1938 für die deutsche Rüstung schuften mussten. Daher ist der Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses ein wichtiger erster Schritt. Jetzt müssen praktische Konsequenzen folgen.

Worin sollten sie bestehen?

Die historisch sensiblen Flächen müssen Grünflächen ohne Sportnutzung werden, damit die Vernichtung historischer Spuren verhindert wird.

Was stört Sie an der Auszeichnung des Tempelhofer Flughafens als »historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst« durch die Bundesingenieurkammer?

Der Flughafen Tempelhof ist ein nationalsozialistisches Monument, in dem die Inszenierung von Technik, zivile Nutzung und Massenvernichtung miteinander verbunden sind. Ingenieure und Physiker haben wie kaum eine andere Berufsgruppe durch Erfindungen wie Bomberflugzeuge, Langstreckenraketen und andere Rüstungsgüter den Vernichtungskrieg des NS-Regimes maßgeblich unterstützt.

Das Areal wird zudem von offizieller Seite immer noch als »Tempelhofer Freiheit« bezeichnet.

Das KZ Columbiadamm auf dem Gelände war ein berüchtigtes Folterzentrum. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wurde das Tempelhofer Feld mit Barackenlagern für Zwangsarbeiter überzogen. Von der »Tempelhofer Freiheit« zu sprechen, ist eine Verhöhnung der Opfer.

Gibt es Informationen über den Einsatz von jüdischen Zwangsarbeitern auf dem Gelände?

Der Historiker Lutz Budraß konnte 69 Personen identifizieren. Sie haben zwischen 1938 und 1941 als »Zwangsarbeiter im geschlossenen Arbeitseinsatz« für die Lufthansa gearbeitet. In ganz Berlin wurden jüdische Berliner eingesetzt. Sie wurden ab 1941 nach Auschwitz deportiert und ermordet.

http://jungle-world.com/artikel/2011/28/43589.html

Interview Peter Nowak

Peter Nowak

»Die Proteste sind hier geringer als anderswo«

Gewerkschaftslinke diskutieren Krisenproteste

 
Unter dem Motto »Wo bleibt mein Aufschwung?« organisieren die Gewerkschaft ver.di und das Bündnis »Wir zahlen nicht für Eure Krise« an diesem Wochenende in Stuttgart einen Kongress. Für ND sprach PETER NOWAK mit dem Vorsitzenden von ver.di- Stuttgart, BERND RIEXINGER.

 ND: Alle reden vom Aufschwung, wozu braucht es noch einen Kongress?Riexinger: Der Anteil der prekären Arbeitsverhältnisse wächst. Unfreiwillige Teilzeit- und Leiharbeit nimmt weiter zu. Daher können wir sagen, dass der Aufschwung bei einem großen Teil der Beschäftigten nicht angekommen ist. Zudem ist überhaupt nicht sicher, ob der  Aufschwung nicht nur eine weitere Etappe in der Krise ist, wofür gibt es einige Anzeichen gibt. Wir wollen uns Klarheit verschaffen, wo wir stehen und wo unsere Handlungsmöglichkeiten  als Gewerkschaftler in Zukunft sein  werden.  Dazu haben wir Referenten  von sozialen Bewegungen wie Attac und aus dem linkskeynisianischen, gewerkschaftlichen Spektrum eingeladen. 
 
2.) Welche Rolle werden die Proteste in Griechenland und Spanien auf dem Kongress eine Rolle?                                                                     B.R.: In diesen Ländern bekunden die Menschen massenhaft, nicht für eine Krise zahlen zu wollen, für de sie nicht verantwortlich sind. Wenn wir  uns mit der Frage beschäftigten, warum in Deutschland die Proteste viel geringer als in anderen Ländern sind, müssen wir die unterschiedliche Rolle betrachten,  die die deutsche Wirtschaft im Vergleich zu den Ökonomien in Spanien und Griechenland spielt..    Die exportorientierten Teile der  deutschen  Industrie profitieren von der Krise in  diesen  Ländern. Das Niedriglohnmodell, das in Deutschland die Löhne drückt, sorgt dort für die enormen ökonomischen  Probleme.   

3.) Müssten nicht gerade in Zeiten des  Wirtschaftsaufschwungs bessere Bedingungen für gewerkschaftliche Erfolge bestehen?                                                                                                                             

        B.R.:  Theoretisch schon. Aber wir wollen uns auf den Kongress auch mit den gewerkschaftlichen Umbrüchen der letzten Jahre auseinandersetzen, die eine  offensive Interessensvertretung erschweren. Während de Beschäftigung in den traditionell gewerkschaftlich gut organisierten Bereichen abnimmt, ist es vor allem im Dienstleistungsgewerbe, wo neue oft schlecht bezahlte Arbeitsplätze geschaffen werden, schwer  Gewerkschaften zu gründen und Arbeitskämpfe zu führen.  Daran schließt sich die Frage an, ob der DGB nur noch  Teile der Lohnabhängigen,  beispielsweise in den exportabhängigen Sektoren der Industrie vertritt, oder ob er den Anspruch hat, alle Lohnabhängigen zu vertreten, weiter aufrecht erhalten kann. Dann müssten auch neue Formen der Gewerkschaftsarbeit entwickelt werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/201734.die-proteste-sind-hier-geringer-als-anderswo.html?sstr=Bernd|Riexinger

Peter Nowak

Schnüffeln an biologischer Spur der Bürger

Organisationen warnen in bundesweiter Kampagne vor der Datensammelwut des Staates
 Das Gen-ethische Netzwerk (GeN) überreicht am heutigen Montag, dem Tag des Grundgesetzes, an Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger einen offenen Brief. Darin fordert das GeN zusammen mit anderen Organisationen die Revision der gesetzlichen Regelungen zur Speicherung von DNA-Profilen durch das Bundeskriminalamt und den Ausstieg aus der internationalen Vernetzung polizeilicher DNA-Datenbanken. Dies ist zugleich Auftakt einer bundesweiten Kampagne »DNA-Sammelwut stoppen«.

ND: Welche Gefahren sieht das Gen-ethische Netzwerk in der DNA-Datenspeicherung?
Schultz: Die bestehen vor allem in der enormen Expansion, die die DNA-Speicherung erfahren hat. 1998 wurde die zentrale DNA-Datenbank beim Bundeskriminalamt eingerichtet. Mittlerweile sind über 700 000 Personendatensätze und 180 000 Spurenprofile gespeichert. Wir sehen hier die Tendenz der Etablierung eines präventiven Überwachungsstaates, in dem jeder, gegen den einmal ermittelt wurde, mittels biologischer Spuren überwacht werden soll. Zudem können mittlerweile mittels DNA-Analyse auch Verwandte überprüfter Personen gesucht werden.

 Dient diese Methode nicht der Verbrechensaufklärung?
Unter vier Prozent der Delikte, die über DNA-Datenbanktreffer beim BKA ermittelt wurden, waren Kapitalverbrechen. Diese Fälle werden aber medial gerne zur Verteidigung der DNA-Analyse in den Mittelpunkt gestellt. Unseres Erachtens wiegen selbst einige spektakuläre Erfolge die Gefahren der Totalüberwachung durch DNA-Datenbanken nicht auf. In den 90er Jahren haben feministische Antigewalt-Gruppen sogar die Einrichtung der DNA-Datenbank beim BKA als Mittel zur Aufklärung von Sexualdelikten abgelehnt und als trojanisches Pferd für den Überwachungsstaat bezeichnet.

 Basiert die DNA-Analyse nicht auf Freiwilligkeit?
Über 90 Prozent der DNA-Profile in der BKA Datenbank werden von den Betroffenen ohne richterliche Anordnung abgegeben. Das macht den Druck deutlich, unter dem diese Personen etwa in Verhörsituationen stehen, und relativiert die vorgebliche Freiwilligkeit. Auch bei formal freiwilligen Massengentests ist der soziale Druck so hoch, dass nur wenige die Teilnahme verweigern.

 Was sind Ihre zentralen Forderungen?
Zusammen mit dem Chaos Computer Club, der Humanistischen Union und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen fordern wir eine unabhängige, regelmäßige Kontrolle der Datenbanken. Nach einer Stichprobe des Datenschutzbeauftragten von Baden-Württemberg gab dieser 2007 bekannt, dass 42 Prozent der überprüften Datensätze gelöscht werden mussten, weil sie unrechtmäßig gespeichert worden waren. Zudem fordern wir eine Revision des umstrittenen Gesetzes von 2005, das zu einer drastischen Expansion der DNA-Datenbank beim BKA geführt hat. Ein Verbot, mittels DNA-Tests Verwandtschaftsbeziehungen und persönliche Eigenschaften zu ermitteln, gehört ebenso dazu. Zudem setzen wir uns für einen Ausstieg aus dem globalen Datenaustausch ein.

 Ist Datenschutz bei der DNA-Analyse überhaupt möglich?
Ein selbstorganisierter Datenschutz der DNA ist im Gegensatz zu den Kommunikationstechnologien nahezu unmöglich. Man kann seine DNA nicht zu Hause lassen wie das Handy – und das DNA-Profil auch nicht verschlüsseln. Man muss wissen, dass die Polizei keine DNA ohne richterliche Anordnung abnehmen darf. Außerdem kann man mittels Klagen unrechtmäßig gesammelte DNA löschen lassen. Allerdings gilt: Am besten ist es, wenn DNA nicht erst abgegeben wurde.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/198228.schnueffeln-an-biologischer-spur-der-buerger.html

Fragen: Peter Nowak

Kein Datenschutz bei Sozialhilfe?

Kampagne macht gegen Gesetzvorhaben im Schweizer Kanton Bern mobil / Rolf Zbinden engagiert sich gegen die Gesetzespläne. Er ist Mitglied der Partei der Arbeit (PdA) im Berner Stadtrat

ND: Sie sind in der Berner Kampagne für ein Referendum gegen die Revision des Sozialhilfegesetzes aktiv. Worum genau geht es dabei?
Zbinden: Im Kanton Bern wurde Ende Januar ein Sozialhilfegesetz verabschiedet, das eine Klausel enthält, nach der Sozialhilfeempfänger eine Generalvollmacht für die Offenlegung all ihrer Daten unterschreiben müssen, wenn sie Leistungen erhalten wollen. Das betrifft nicht nur ihre Bankdaten – auch Ärzte und Vermieter können nach dieser Bestimmung befragt werden.

Wir sehen darin ganz eindeutig eine Diskriminierung von Sozialhilfeempfängern. Die Stigmatisierung beginnt schon, wenn durch die Befragung bekannt wird, dass jemand Sozialhilfe beantragt hat. Von den 160 Abgeordneten im Berner Kantonsparlament haben nur vier Grüne die Vorlage abgelehnt.

 Wie begründen die Befürworter des Gesetzes ihre Zustimmung?
Es gibt in der Schweiz seit Jahren eine Polemik gegen Sozialhilfeempfänger. Da werden publizistisch einige wenige Fälle aufgegriffen, wo Sozialhilfeempfänger einen BMW gefahren sind. Mittlerweile gibt es in Bern eine Regelung, dass jedem Sozialhilfeempfänger ein Testarbeitsplatz in der City-Reinigung angeboten wird. Wer ihn ablehnt, bekommt keine Sozialhilfe. Zudem wurden zum 1. April dieses Jahres, als das neue Arbeitslosenversicherungsgesetz in Kraft getreten ist, zahlreiche Menschen aus der Arbeitslosenkasse in die Sozialhilfe gedrängt. Das ist der sozialpolitische Hintergrund für den Angriff auf den Datenschutz für diese Menschen.

 Wie unterstützen die anderen Parteien und die Gewerkschaften das Referendum?
Die Sozialdemokraten und die Grünen unterstützen das Referendum verbal, beteiligen sich aber kaum am Unterschriftensammeln. Bei den Sozialdemokraten liegt es auch daran, dass deren Abgeordnete das Gesetz mehrheitlich mitgetragen haben. Die Gewerkschaften mobilisieren zeitgleich für eine Initiative zur Einführung eines Mindestlohns. Daher sind es neben der PdA nur weitere kleinere Gruppen, die das Referendum für den Datenschutz unterstützen.

Eine wesentliche Rolle bei der Mobilisierung nimmt das Komitee der Arbeitslosen und Armutsbetroffenen ein.

 Gibt es Kontakte zu Gruppen, die sich bisher vor allem für Datenschutz im Internet einsetzen?
Auch in dieser Frage ist die Debatte in der Schweiz nicht weit entwickelt. Nachdem dort vor 20 Jahren der Fichenskandal* – ein Schnüffelstaatssystem aus der Zeit des Kalten Krieges – aufgedeckt wurde, gibt es zurzeit raffinierte Versuche, solche Methoden wieder einzuführen, ohne dass daran viel Kritik geübt wird. Diejenigen aber, die sich für den Erhalt des Schweizer Bankgeheimnisses einsetzen, etwa die Liberalen, sind an vorderster Front für den Abbau des Datenschutzes für Sozialhilfeempfänger.

 Mit welchem Ausgang des Referendums rechnen Sie?
Wir sind noch optimistisch, dass wir bis zum Monatsende die nötigen 10 000 Unterschriften zusammen bekommen. Allerdings ist die Hürde sehr hoch, wenn man bedenkt, dass wir vom Großteil der Medien totgeschwiegen werden. Sollten wir es schaffen, kommt es zur eigentlichen Volksabstimmung.

Dann würden die Karten ganz neu gemischt, denn Sozialdemokraten und Gewerkschaften müssten sich eindeutig positionieren und könnten dem vollständigen Verlust des Datenschutzes für Sozialhilfeempfangende nicht gut zustimmen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/197357.kein-datenschutz-bei-sozialhilfe.html

Fragen: Peter Nowak

* Fiche ist die französische Bezeichnung für Karteikarte

Mehr Chancengleichheit?

Sabrina Klaus-Schelletter zur Forderung nach einem freien Masterzugang / Klaus-Schelletter ist Referentin in der Abteilung Jugend und Jugendpolitik beim DGB

 ND: Die DGB-Jugend hat sich dieser Tage gemeinsam mit verschiedenen Studentenverbänden gegen die Beschränkung des Zugangs zum Masterstudium für Bachelorabsolventen ausgesprochen. Was verbindet eine Arbeitnehmerorganisation mit Studentenverbänden?
Klaus-Schelletter: Wir setzen uns für u. a. für die Verbesserung der Ausbildungssituation und die Arbeitsbedingungen junger Menschen ein – sowohl auf der betrieblichen wie auf der universitären Ebene. Zudem treten wir als junge Gewerkschafter für die Chancengleichheit im gesamten Bildungssystem ein, damit eine qualifizierte und nachhaltige Bildung unabhängig von Herkunft und Einkommen ermöglicht wird.

 Augenblicklich regelt in vielen Fächern der Notenschnitt beim Bachelorabschluss die Aufnahme zu einem Masterstudium. Sie kritisieren aber nicht nur diesen Numerus clausus (NC).
Richtig. Momentan ist es so, dass Kinder aus Selbstständigen- und Beamtenfamilien, von denen mindestens ein Elternteil einen Hochschulabschluss hat, eine fünfmal höhere Chance als Kinder aus klassischen Arbeiterfamilien haben, ein Studium zu beginnen. Der Anteil von Arbeiterkindern an den Hochschulen liegt nach Ergebnissen von Sozialerhebungen des Deutschen Studentenwerkes seit Jahren stabil bei etwa 20 Prozent. Von Chancengleichheit kann also keine Rede sein. Wir fordern eine gebührenfreie Bildung auf allen Ausbildungsstufen.

 Was sind die Ursachen für die mangelnde Chancengleichheit im Hochschulsystem?
Im Jahr 2008 nannten in einer Erhebung 76 Prozent der Studienberechtigten als Grund für einen Verzicht auf eine Einschreibung an eine Hochschule finanzielle Gründe. Verständlich – immerhin ist die primäre Finanzierungsquelle für Studierende noch immer das Elternhaus, an zweiter Stelle steht der eigene Verdienst. Kinder aus Arbeiterfamilien müssen sich ihr Einkommen während des Studiums häufiger selber mitverdienen als Kinder von Akademikern. Auch die Gründe für Studienabbrüche sind sehr oft finanzieller Natur.

 In der Kritik steht immer wieder die Bologna-Reform. Die war eigentlich dazu gedacht, den Studienzugang zu erleichtern und die Berufschancen von jungen Akademikern zu verbessern. Ist die Reform gescheitert?
Die Probleme stammen überwiegend aus der Zeit vor den Bologna-Reformen, haben sich aber durch Nichtberücksichtigung während des Umbaus des Hochschulsystems verschärft. Die Verkürzung der Studienzeiten hatte eine Verdichtung der Studieninhalte zur Folge. Dadurch werden Kinder aus Arbeiterfamilien strukturell weiter benachteiligt. Studierende, die gezwungen sind, ihren Lebensunterhalt selber zu bestreiten oder während des Studiums dazuverdienen müssen, haben größere Probleme, die verschärften Anforderungen in ihren jeweiligen Studiengängen erfüllen zu können. Verdichtete Studiengänge mit hoher Arbeitsbelastung und studentische Erwerbsarbeit passen nicht gut zusammen.

 Wie soll ein freier Zugang zum Masterstudium ohne Numerus Clausus Abhilfe schaffen?
Das Bildungssystem in Deutschland funktioniert wie ein Trichter. An jeder Stufe werden Kinder aus nichtakademischen Familien ausgefiltert. Auch der Master ist eine solche Schwelle. Deshalb braucht es dringend den Abbau von Hürden und dafür ist an dieser Stelle der freie Zugang zum Master notwendig. Ein freier Zugang würde eine Schwelle abbauen und wäre ein Beitrag zur Erhöhung der Chancengleichheit im Bildungsbereich.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/195528.mehr-chancengleichheit.html?

Erst Mubarak, dann Ben Ali, jetzt Seyed Ali

Auch im Iran gehen die Menschen wieder auf die Straße, doch das Regime reagiert mit massiver Repression – ein Gespräch mit der Exiliranerin Mila Mossafer
Während die Niederschlagung des Aufstands in Libyen im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit steht, ist es sehr ruhig um den Iran geworden, wo die starke Oppositionsbewegung im letzten Jahr Schlagzeilen machte. Auch im Iran hat sich die Protestbewegung wieder auf die Straßen zurück gemeldet. Die Regierung will mit Massenfestnahmen verhindern, dass sich die die Proteste ausbreiten und versucht auch zu verhindern, dass sie international bekannt werden. In den letzten Tagen sind nach Angaben von Oppositionellen mehr als 200 Menschen festgenommen worden, um weitere Proteste zu unterbinden. Wohl mit Erfolg.
   

Schon seit Monaten sind besonders Intellektuelle und Kulturschaffende im Visier des Regimes. Eine Kommission mit dem bezeichnenden Namen „Denkfabrik für eine sanfte Sicherheit“ hat sie zum Hauptfeind erklärt, wie der exiliranische Publizist Bahman Nirumand schreibt. In einer von dieser Denkfabrik vorgelegten Broschüre geraten auch Künstler ins Visier, die sich nicht explizit als Oppositionelle verstehen.

Über die aktuelle Situation im Iran sprach Peter Nowak mit Mila Mossafer. Die langjährige politische Gefangene im Iran lebt in Berlin und ist im Komitee zur Unterstützung der politischen Gefangenen im Iran-Berlin aktiv. Es wurde 1997 während eines Hungerstreiks von politischen Gefangenen im Iran mit dem Ziel gegründet, die politischen Gefangenen zu unterstützen und für den Sturz des islamischen Regimes einzutreten.

 Am 1. März gab es im Iran wieder Protestaktionen. Was war der Grund?

Mila Mossafer: Der Anlass der Demonstrationen war die Nachricht von der Verhaftung der beiden Politiker Mussawi und Karrubi und deren Verschleppung an einen unbekannten Ort. Bei den Protesten, die in Teheran, Maschhad, Schiras und Isfahan stattfanden, gingen nicht nur die Anhänger von Mussawi und Karrubi auf die Straße. Die Demonstranten forderten nicht nur die Freilassung dieser in den westlichen Medien gezielt zu Oppositionsführern erklärten Politikern, sondern die Freilassung aller politischen Gefangenen und den Sturz des islamischen Systems.

 Geht die Opposition über die von Mussawi und Karrubi eingeschlagenen Kurs hinaus?

Mila Mossafer: Anders als in vielen westlichen Medien dargestellt, gehörte ein Großteil der iranischen Protestbewegung nie zu den Anhängern von Mussawi und Karrubi. Beide sind jahrelange Funktionäre des islamischen Regimes und haben sich an der Unterdrückung Oppositioneller beteiligt. Sie haben immer betont, dass sie hinter der islamischen Verfassung und der islamischen Republik stehen.

Ein Großteil der Protestierenden forderte aber schon bei den Demonstrationen im letzten Jahr den Sturz der islamischen Republik. Bei den jüngsten Protesten wurde noch deutlicher, dass die Bewegung sich nicht auf eine Verteidigung von Mussawi und Karrubi reduzieren lässt. Die Demonstranten schweigen nicht mehr, und ihre Parolen stellen das System insgesamt infrage.

„Bisher fehlt noch eine politische Organisation“

 Fürchtet das Regime, dass die Revolte aus den Nachbarländern auf den Iran übergreift?

Mila Mossafer: Auf jeden Fall. Zu Beginn der Aufstände versuchte das Regime die Bewegungen noch als Fortsetzung der islamischen Revolution zu vereinnahmen. Doch bald kamen im Fernsehen und im Internet keine Meldungen über die Aufstände mehr. Die Opposition hat die Proteste genutzt, um wieder auf die Straße zu gehen. Die massive Repression, die bis zur Hinrichtung von Oppositionellen reichte, hatte dazu geführt, dass im letzten Jahr Straßenproteste nicht mehr möglich waren. Eine Parole bei den letzten Protesten lautete: „Mubarak, Ben Ali, jetzt Seyed Ali“. Damit ist geistige Führer des Iran Khamenei gemeint.

 Wie steht um die Organisierung des Protests?

Mila Mossafer: Bisher fehlt noch eine politische Organisation, die den Protesten, die sich nicht auf de Linie von Mussawi und Karrubi befinden, eine gemeinsame Plattform gibt. Es gibt allerdings Menschenrechtsorganisationen, wie die Mütter vom Tulpenpark. Der Name kommt von dem Park in Teheran, wo sich die Angehörigen von ermordeten politischen Gefangenen der 80er Jahre mit Angehörigen von Opfern der aktuellen Repression einmal in der Woche treffen. Am Anfang hatte sich die Gruppe u.a. vor dem Eingang des berüchtigten Teheraner Ewin-Gefängnis getroffen.

 Beteiligen sich auch Lohnabhängige an den Protesten?

Mila Mossafer: Es gibt regelmäßig Proteste und Streiks von Arbeitern um ihre unmittelbaren Interessen, wie den Kampf um nicht ausgezahlte Löhne und gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Diese Proteste haben kaum Verbindung zu der Demokratiebewegung. Das liegt auch an einer fehlenden politischen Organisation, aber auch an der Verfolgung aktiver Gewerkschafter und Arbeiteraktivisten.

 Warum scheint das Regime in Teheran fester als in Ägypten oder in Tunesien die Macht zu behaupten?

Mila Mossafer: Die Bedingungen sind unterschiedlich. Im Iran sind die Armee und die Milizen Teil des Machtapparates und im Besitz von Banken und Industrieanlagen. Durch einen Sturz des Regimes hätten sie also viel zu verlieren. Dadurch werden sie anders als in Ägypten oder Tunesien kaum die Seiten wechseln. Zudem kann sich das Regime noch auf Teile der Landbevölkerung stützen, die durch den Bau einer Brücke oder eines sozialen Einrichtung zur Loyalität mit dem Regime veranlasst wird. Allerdings wächst auch im Iran der Teil der Bevölkerung, die in den Städten leben.

 Wie kann die Oppositionsbewegung von Deutschland aus unterstützt werden?

Mila Mossafer: Wichtig ist zu erkennen, dass die Debatten über militärische Angriffe auf den Iran nicht der Opposition, sondern dem Regime nützen, weil sie dann die nationalistische Karte spielen kann. Neben der Solidarität mit den politischen Gefangenen sollte die linke Bewegung vor allem dafür sorgen, dass der Export von Technologien aus Deutschland gestoppt wird, mit denen die Oppositionsbewegung bekämpft werden. So wurden die Handys von Oppositionellen mit Programmen abgehört, die von Siemens-Nokia produziert werden. Zudem sind auf Fotos Militärfahrzeuge von Daimler-Chrysler zu sehen, die gegen die Demonstranten eingesetzt werden.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34301/1.html

Peter Nowak

»Schlag ins Gesicht«

Aktivistin Brigitte Vallenthin über eine Hartz-IV-Reform, die keine ist / Brigitte Vallenthin ist Gründerin der »Hartz4-Plattform«. Kürzlich ist ihr Buch »Ich bin dann mal Hartz IV« erschienen

ND: Wie wird das Ergebnis der Hartz-IV-Verhandlungen bei den Betroffenen aufgenommen?
Vallenthin: Es wird als Schlag ins Gesicht wahrgenommen. Die Erhöhung um fünf Euro gleicht nicht einmal die Teuerungsrate aus. Die Missachtung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ist offenkundig. Das Gericht hatte eine transparente Berechnung angemahnt. Nun soll es in diesem Jahr ein Häppchen beim Existenzminimum geben und im nächsten Jahr noch einmal ein Häppchen verteilt werden. Das ist absurd, denn wenn die fünf Euro nicht dem Existenzminimum entsprechen, muss die Erhöhung sofort erfolgen.

Wie beurteilen Sie die Rolle der SPD bei den Verhandlungen?
Wir haben die Rückkehr der Agenda-2010-SPD erlebt. Es ist sicher kein Zufall, dass das Ergebnis der Verhandlungen erst nach der Hamburg-Wahl bekannt gegeben wurde, wo mit Olaf Scholz ein erklärter Hartz-IV-Befürworter gewonnen hat. Die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss werden von einem großen Teil der Betroffenen als Täuschungsmanöver wahrgenommen. Es ging nicht um ihre Interessen, sondern um parteipolitisches Kalkül.

Sie kritisieren in Ihrem Buch, dass Hartz IV zu sehr auf den finanziellen Aspekt reduziert wird. War die Debatte dann nicht ohnehin ganz falsch angelegt?
Der Regelsatz ist wichtig. Durch die Fokussierung auf die finanzielle Seite wird allerdings oft nicht genug erwähnt, welche weiteren Verschlechterungen auf die Betroffenen zukommen.

Können Sie einige Beispiele nennen?
Bisher musste das Amt den Betroffenen vor Sanktionen eine rechtsmittelfähige schriftliche Ankündigung machen. In Zukunft soll es ausreichen, wenn der Sachbearbeiter behauptet, der Erwerbslose habe von den Sanktionen Kenntnis.

Eine weitere Verschlechterung ist die Pauschalierung der Kosten für die Unterkunft durch die Kommunen. Sie können künftig einen bestimmten Betrag für die Miet- und Heizkosten festlegen. Den Rest muss der Erwerbslose von seinem Regelsatz zahlen. Es ist zu befürchten, dass die klammen Kommunen die Summe nach Kassenlage bestimmen werden. Verbände warnen schon jetzt vor steigender Obdachlosigkeit von Erwerbslosen.

War es nicht ohnehin illusorisch, von einem Richterspruch Verbesserungen für Erwerbslose zu erwarten?
Es ist immer trügerisch, zu viele Hoffnungen in den Staat und in die Gerichte zu setzen. Doch der Gang nach Karlsruhe hat den Erwerbslosen mehr Öffentlichkeit gebracht. Es gab eine kurze Zeit nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wo nicht nur Propaganda durch den Blätterwald rauschte. Es wurde auch über die tatsächliche Situation der Betroffenen geredet. Deswegen werden wir von der Hartz4-Plattform nach Inkrafttreten des Gesetzes erneut den Rechtsweg beschreiten, ohne uns Illusionen über die Gerichte zu machen.

Zeigt die Orientierung vieler Erwerbsloser an den Gerichten nicht auch eine Schwäche der Erwerbslosenbewegung?
Dass die Betroffenen schwer zu mobilisieren sind, liegt unter anderem daran, dass ihnen das Geld fehlt, um zu Demonstrationen zu fahren. Außerdem hat das Hartz-IV-Regime nicht nur eine finanzielle Seite. Das muss man immer wieder betonen. Die damit verbundenen Schikanen und Demütigungen setzen viele Betroffene psychisch so unter Druck, dass sie nicht mehr die Kraft zu Protesten haben.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/191781.schlag-ins-gesicht.html

Fragen: Peter Nowak

Gegen Krieg und Kürzungen?

Inge Höger zu Protesten gegen die Verlängerung des Afghanistanmandats / Höger, LINKE-Abgeordnete im Bundestag und abrüstungspolitische Sprecherin, ist aktiv im Bündnis gegen Mandatsverlängerung

ND: Am Freitag wurde im Bundestag in erster Lesung die Verlängerung des Afghanistanmandats behandelt. Bis zur endgültigen Abstimmung soll gegen diese Kriegsverlängerung demonstriert werden.
Höger: Ende Januar wird über die Verlängerung des Bundestagsmandats in Afghanistan abgestimmt. Dort wird eine Mehrheit dafür stimmen, obwohl sich in allen Umfragen eine Mehrheit der Bevölkerung gegen den Afghanistaneinsatz ausspricht. Am heutigen Sonnabend wird das Bündnis gegen die Mandatsverlängerung mit einem bundesweiten dezentralen Aktionstag seinen Protest auf die Straße tragen. Im Berliner Stadtteil Neukölln wird es eine Demonstration unter dem Motto »Bundeswehr und NATO raus aus Afghanistan – Gemeinsam gegen Krieg, Besatzung und Rassismus« geben. Dort bin ich eine der Rednerinnen. Auch in Hamburg, Stuttgart, Köln, Essen, Bonn und Duisburg wird es Aktionen gegen die Mandatsverlängerung geben.

Ersetzt das Bündnis gegen Mandatsverlängerung die Arbeit der Friedensbewegung, die in letzter Zeit wenig Zulauf hatte?
Die Bündnisse sind von Ort zu Ort unterschiedlich. Aber es gibt gute Kontakte zu Gruppen der Friedensbewegung. Daneben beteiligen sich seit der Mobilisierung gegen die NATO-Konferenz 2009 in Straßburg auch Antifagruppen und autonome Antimilitarismusgruppen an den Protesten. Auch der Kontakt zu migrantischen Gruppen hat sich in der letzten Zeit verbessert. Die LINKE ruft dazu auf, sich an den Aktionen zu beteiligen.

Spielt der Zusammenhang zwischen Krieg und Sozialkürzungen in dem Bündnis eine Rolle?
Für mich auf jeden Fall und im Bündnis wird auch darüber diskutiert. Das Geld, das für Rüstung und Kriegseinsätze ausgegeben wird, fehlt bei der Bildung oder bei dem Geld für Erwerbslose. Leider ist es bisher nicht gelungen, die DGB-Gewerkschaften in den Protest gegen den Afghanistaneinsatz einzubeziehen.

Lässt nicht die Beliebtheit, die ausgerechnet der Bundesverteidigungsminister laut Umfragen genießt, daran zweifeln, dass die Mehrheit der Bevölkerung den Afghanistankrieg ablehnt?
Der Minister wird von einem Großteil der Medien gepusht und kommt auf große Zustimmungswerte. Ich glaube, dass ein Großteil der Bevölkerung keinen Zusammenhang zu seiner aktiven Rolle im Afghanistaneinsatz herstellt. Und dass er das Massaker der Bundeswehr in Kundus zunächst vertuscht hat, wird ebenfalls häufig ausgeblendet. Es ist auch Aufgabe der antimilitaristischen Bewegung, darauf hinzuweisen.

Sind über dieses Wochenende hinaus weitere Aktionen gegen den Afghanistaneinsatz geplant?
Es gab im letzten Jahr Aktionen wie den Fuldaer Appell, wo auf lokaler Ebene unter Einbeziehung des DGB Unterschriften für ein Ende des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr gesammelt wurden. Zurzeit werden Unterschriften unter einem Appell von Friedensorganisationen zu einem Ende des Afghanistankriegs gesammelt. Am 28. und 29. Januar lädt die LINKE im Bundestag unter dem Motto »Das andere Afghanistan« zu einer Konferenz ins Berliner Paul-Löbe-Haus ein, an der die afghanische Frauenrechtlerin Malalai Joya teilnehmen wird. Am 19. und 20. Februar organisiert die Friedensbewegung gemeinsam mit dem entwicklungspolitischen Zusammenhang Venro einen Afghanistankongress in Hannover, wo über Perspektiven für konkrete Schritte zu Frieden und Entwicklung in Afghanistan diskutiert werden soll.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/189119.gegen-krieg-und-kuerzungen.html

Fragen: Peter Nowak

Termine unter: 3a.blogsport.de/mandatsverlaengerung/

Suche nach Protestidee für alle

Linke.SDS wächst weiter / Bundeskongress in Regensburg
Sascha Collet (S.C.) hat das Magisterstudium in Soziologie und Philosophie abgeschlossen und wurde am Wochenende zum Bundesgeschäftsführer des Studierendenverbandes Die Linke.SDS gewählt. Über die Ergebnisse des Bundeskongresses in Regensburg sprach Peter Nowak mit ihm.
ND: Was war der Schwerpunkt des Kongresses in Regensburg?

Collet: Wir haben die Perspektiven von Die Linke.SDS für 2011 festgelegt. Viele Anträge auf dem Kongress haben sich mit inhaltlichen Themen beschäftigt.
 Ökologie wurde dabei ebenso angesprochen wie der antimuslemische Rassismus. Einen Schwerpunkt bildete  die   selbstkritische Beschäftigung mit der Entwicklung  des Verbands.    
ND: Wurde auch kritisiert, dass der Verband an den Hochschulen stagniert und zu viele außeruniversitäre Aktionen unternimmt?                                                                            

 S.C.:   Wir machen nicht nur Hochschulpolitik sondern Politik an der Hochschule und  mobilisieren daher auch in diesem Jahr gegen den Neonaziaufmarsch in Dresden. Allerdings  haben wir auf den Kongress ein hochschulpolitisches Qualifizierungssemester beschlossen.    Damit  wollen wir uns mit konkreten Problemen an den Hochschulen , wie beispielsweise die doppelten Jahrgänge im nächsten Semester in manchen Bundesländern, auseinandersetzen.  

ND: Wurde auch  über die Ursachen und mögliche Gegenstrategien zur momentanen Flaute der Proteste an den Hochschulen diskutiert?                                                                          

S.C.:   Für das Abflauen der Proteste gibt es  eine ganze Reihe von Ursachen.   Die Ermüdungserscheinungen mancher Aktivisten, die oft ein ganzes Semester für die Proteste geopfert haben, gehören dazu. Aber auch die Belastung der Bachelorstudierenden, die derart mit dem Studium beschäftigt sind, dass sie keine Zeit mehr für politische Aktivitäten haben.      Wir wollen das Semester nutzen, um die Debatte weiterzuführen und auch um Vorschläge zu entwickeln, wie wir die Proteste an den Hochschulen  fortsetzen können. 

ND:Das klingt ziemlich vage.                                                                                             

 S.C.:   Wir hatten schon im letzten Jahr den Vorschlag  eines Besetzungsstreiks in die Debatte geworfen, sind aber auch für andere Aktionsvorschläge offen. Es muss darum gehen, möglichst viele Studierende in die Proteste einzubinden. 

ND: Hat das Interesse am Verband mit dem Abflauen der Studierendenproteste nachgelassen?               

 S.C.:  Nein, diesen Zusammenhang gibt es nicht.  Sicherlich sind am Ende der Studierendenproteste, als sich abzeichnete, dass die Bewegung abflaut, viele Aktivisten in den    Verband eingetreten, weil sie sich weiterhin politisch engagieren wollten.       Aber auch jetzt wächst Die Linke.SDS weiter und  neue Gruppen entstehen.   

ND: Spielte es auf dem Kongress die Entwicklung der Linken eine Rolle?                               

S.C.: Wir hatten so viele andere Themen auf der Tagesordnung. Deshalb hat die Entwicklung in der Linken dieses Mal keine große Rolle gespielt.

ND: Im Streit um die Kommunismusäußerungen von Gesine Lötzsch mit der Parteivorsitzenden geäußert. Ist dieses Bekenntnis im Verband umstritten.                                                                                                                 

 S.C.:  Unser Ziel ist eine herrschaftsfreie und klassenlose Gesellschaft, die unter den Begriff Kommunismus zusammengefasst werden kann. Dabei  leugnen wir keineswegs die Verbrechen in den realsozialistischen Ländern. Die Konsequenz für uns lautet, dass Kommunismus ohne individuelle Freiheit undenkbar ist, was schon Karl Marx betonte.  Mit der Solidaritätserklärung  unterstützten wir Gesine Lötzsch  gegen eine Kampagne.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/188664.suche-nach-protestidee-fuer-alle.html

Peter Nowak

Dunkelziffer dürfte viel höher sein

Wolf-Dietrich Molzow unterstützt die Klage gegen Bayer-Schering
  
ND: Was fordern Sie von Bayer-Schering?
Molzow: Die Firma soll die Verantwortung übernehmen und für die Schäden aufkommen, die durch die Anwendung von Duogynon entstanden sind. Als erstes muss die Firma die Akten öffentlich machen, die vorhanden sein müssen.

Gibt es Schätzungen über die Zahl der Betroffenen?
Es haben sich in der letzten Zeit bei André Sommer etwa 200 Menschen gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte aber viel höher sein. Viele Betroffene scheuen die Öffentlichkeit. Zudem dürfte in vielen Fällen der Zusammenhang zwischen körperlichen Schädigungen und der Einnahme von Duogynon noch gar nicht bekannt sein.

Wann haben Sie selber Ihre Missbildungen – ca. 30 cm lange knielose Beine mit nur einem gebogenen Knochen, mangelhaft ausgebildete Hüftgelenke und verkürzte Oberarme – mit dem Medikament in Verbindung gebracht?
Nachdem der Gynäkologe meiner Mutter seine Praxis aus Altersgründen geschlossen hatte, sprach dessen Sprechstundenhilfe meine Mutter auf der Straße an und sagte, das seien die Folgen der Duogynon-Injektion. Meine Mutter hat allerdings nichts unternommen.

Sind Sie in der Angelegenheit aktiv geworden?
Ein Rechtsanwalt, der auf Fälle von Schädigungen durch Medikamente spezialisiert ist, gab mir die Auskunft, ich müsse mir einen Gutachter suchen, der den Zusammenhang zwischen meiner Schädigung und der Einnahme von Duogynon durch meine Mutter bestätigt. Dies dürfte aber sehr schwierig sein. Mittlerweile ist das öffentliche Interesse an den Folgen von Ärzte- und Medikamentenfehlern jedoch gewachsen.

Der Contergan-Skandal ist immer noch der bekannteste Fall.
Er ist auch ein trauriges Beispiel. Das Verfahren wurde gegen die Zahlung einer Geldsumme eingestellt, die bei 1000 Betroffenen über 50 Jahre verteilt für monatlich knapp 200 DM ausgereicht hätte. Man hatte nicht gedacht, dass es so viele Opfer dieses Medikaments gibt und dass sie so lange leben.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/185344.dunkelziffer-duerfte-viel-hoeher-sein.html

Interview: Peter Nowak

Jung, muslimisch, gewalttätig?

Sanem Kleff über die angebliche »Deutschenfeindlichkeit« an Schulen / Die Pädagogin leitet das Projekt »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage«

ND: Waren Sie überrascht über die aktuelle Debatte zur Deutschenfeindlichkeit an manchen Schulen? Kleff: Die Debatte hat mich überrascht, weil es sich hier um ein altbekanntes Phänomen handelt. Überall, wo es Mehrheiten und Minderheiten gibt, können solche Diskriminierungserfahrungen beobachtet werden. Dabei ist die Zusammensetzung dieser Gruppen beliebig. Wenn beispielsweise in einer Schule sehr viele Dänen und die Deutschen in der Minderheit sind, kann es  ebenso zu Mobbings kommen.

2.)   Hat man zulange Migranten nur als Opfer von Diskriminierung wahrgenommen?

         S.K.: Nein, denn man darf bei das gesellschaftliche Umfeld nicht vergessen. Es gibt  wenige Schulen, in denen Jugendliche mit migrantischen Hintergrund in der Mehrheit sind. In den meisten Schulen sind sie in der Minderheit und oft selber Diskriminierungen ausgesetzt ist.      

3.)   Was stört Sie an der aktuellen Debatte?                                                                                

 S.K.: Was mir nicht gefällt ist, dass sich ausgerechnet jetzt, wo das ganze Land scheinbar auf dem Sarrazin-Trip ist, Lehrer in dieser Weise zu Wort melden. Sie schreiben über altbekanntes mit dem Gestus, das wird man doch sagen dürfen. Sie verwenden den Begriff der Deutschenfeindlichkeit, der lange Zeit von der neuen Rechten gebraucht wird. Und sie verknüpfen das von ihnen kritisierte Verhalten mit dem angeblichen moslemischen Hintergrund der Schüler. Damit finden sie sich im Einklang mit einer veröffentlichten Meinung, wie sie von Sarrazin bis zu Alice Schwarzer und Hendrik M. Broder  vertreten wird.

4.)   Warum sollte die Religion aus der Debatte keine Rolle spielen?                                

S.K.: Weil es keine empirischen Belege für eine  besondere Gewalttätigkeit der Jugendlichen mit moslemischem Hintergrund gibt.      Es wird oft fälschlich der Eindruck erweckt, als wenn sich Jugendliche mit migrantischen Hintergrund in den Klauen von antiwestlichen, islamistische Gruppen befinden würden. Ich frage mich, welche Konsequenzen wir eigentlich daraus ableiten sollen, wenn eine Religion für ein bestimmtes FehlVerhalten verantwortlich gemacht wird.   

5.)   Wird die Schule wirklich immer mehr zur Kampfzone, wie manche Boulevardmedien suggerieren?            

S.K.: Es trifft nicht  zu, dass die Gewalt in den Schulen immer mehr um sich greift. Die Gewalt ist in den Schulen im letzten Jahrzehnt  zurück gegangen, wie durch Polizeiberichte belegt werden kann.       Zugenommen haben dagegen Mobbings und andere Diskriminierungen. So sind an manchen Schulen  „Jude“ oder  „du Opfer“ zu häufige Schimpfworten geworden. Eine Debatte über die angebliche Deutschenfeindlichkeit trifft das Problem dagegen nicht.

6.)     Wie können Pädagogen an den Schulen gegen solche Diskriminierungen von Minderheiten vorgehen?                                              

                                               S.K.:    Indem wir alle Formen von Diskriminierung ernst nehmen und die Elemente in den Schulen stärken, die sich dagegen zur Wehr setzen, Das Projekt Schule gegen Rassismus hat es deshalb immer abgelehnt, einzelne Diskriminierungsphänomene wie Antisemitismus, Homophobie,  Rassismus isoliert wahrzunehmen. Es gibt sehr viele pädagogische Instrumente um hier einzugreifen. Ich nenne hier nur stichwortartig den Einsatz von Streitschlichtern und Konfliktlotsen, aber auch den Aufbau  von Räumen und Zeiten, in denen die Auseinandersetzung mit den Schülern und ihren Problemen möglich ist.

Peter Nowak                                                      

„Krach statt Kohldampf“

Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg über Hartz IV, ausreichende Ernährung und den Protest der Betroffenen
Der Freitag: Die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV machten vor einigen Jahren über Wochen Schlagzeilen. Seither gibt es kaum noch Proteste – wird sich das in diesem herbst ändern?

Guido Grüner: Hartz IV ist Unterversorgung und Ausgrenzung mit System ist. Das war so seit Einführung 2005. Und das ist es heute umso mehr, weil der Kaufkraftverlust die reale Leistungshöhe eingedampft hat. Besonders krass traf es Kinder, Familien mit Kindern. Die Leistungen für Kinder wurden gegenüber der alten Sozialhilfe mit Hartz IV direkt gekürzt. Hiergegen regte sich schon lange Widerstand – durchaus mit ersten Erfolgen. 2008 wurde eine Schulbeihilfe von 100 Euro im Jahr eingeführt, in diesem Jahr die Erhöhung des Kinderzuschlags um rund 35 Euro.

Ein Erfolg von Protesten?

Ohne die Aktionen der organisierten Erwerbslosen und ihrer Unterstützer hätte es dies nicht gegeben. Andere klagten vor dem Bundesverfassungsgericht – das den Gesetzgeber verpflichtete, die Leistungen realitätsgerecht und nachvollziehbar neu festzusetzen. Die politische Diskussion darüber wollen wir jetzt nutzen, um unsere Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Wir haben uns entschieden, einen ganz bestimmten Bedarfsbereich des täglichen Lebens herauszugreifen, um an diesem deutlich zu machen, dass Hartz IV nicht geht, dass die Leistungen deutlich angehoben werden müssen.

Was sind Ihre Forderungen?

Ganz konkret fordern wir 80 Euro mehr für Ernährung. Denn mit den bisher knapp 120 Euro, die im Regelsatz eines Erwachsenen für Essen enthalten sind, kann sich niemand ausreichend, geschweige denn gesund ernähren. Für 200 Euro im Monat lässt sich wenigstens der Kalorienbedarf eines Erwachsenen sichern, der sich auch mal bewegt und sein Essen nicht nur von Billigstanbietern bezieht.

Das klingt dennoch eher bescheiden.

Die Kritik hören wir immer wieder: Warum fordert ihr „nur 80 Euro”? Wer aber unsere Forderung wirklich verstanden hat und sich über das politische Umfeld im Klaren ist, wird das anders sehen.

Warum?

Die dominierende Politik zielt auf weiter sinkende Einkommen, die Bundesrepublik soll verfestigt werden als Exportstandort mit einer immer mehr unter der Hungerknute und Verarmungsängsten stehenden Arbeitnehmern. Und so lange die Leistungen für Erwerbslose – so wie es heute geschehen soll – von dem immer weiter sinkenden Verbrauch der untersten Einkommensgruppen abgeleitet wird, bleibt es bei dieser Abwärtsspirale. Denn sinkende Leistungen für Erwerbslose setzen wiederum die Arbeitnehmer unter Druck – ein Elend ohne Ende. Diese Entwicklung wollen wir durchbrechen. Unsere konkret durchsetzbare Forderung stellt mehr in Frage, sie beschränkt sich nicht nur auf den Sozialhilfebereich, sondern legt den Finger in die Wunde untragbarer Zustände. Es geht uns eben auch um die schikanösen und armseligen Arbeitsverhältnisse bei Discountern und Lebensmittelproduzenten – nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit.

Was haben Sie konkret geplant?

Wenn Anfang Oktober der Gesetzgebungsprozess zur Neuregelung von Hartz IV anläuft, gehen wir in Oldenburg auf die Straße. Wir wollen laut genug für alle unsere Forderungen verbreiten, wollen die Abgeordneten und die Bundesregierung in eine Lage bringen, in der sie ihre Entscheidungen zu rechtfertigen haben. „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“ wird die zentrale Demonstration, bei der die Auseinandersetzung um das Existenzminimum von Millionen Menschen, nicht nur in der Bundesrepublik, ganz direkt zum Thema gemacht und mit einer konkreten Forderung versehen wird.

Wie ist bisher die Resonanz?

Gut. Im Internet haben viele unseren Aufruf sehr positiv aufgenommen und weiter verbreitet. Und in Oldenburg haben wir eine sehr breite Unterstützung – von unseren Milchbauern über zahlreiche Gewerkschaften, Sozialverbände und auch autonome Gruppen bis hin zu einigen Gliederungen von Parteien.

Für den Herbst sind inzwischen eine ganze Reihe von Protesten gegen das schwarz-gelbe Sparpaket, die Sozialpolitik und die Gesundheitsreform angekündigt. Die Gewerkschaften bereiten Aktionswochen vor, es soll zentrale Demonstrationen geben – und dezentrale Proteste. Gibt es da eine politische Gesamtdramaturgie oder eher Konkurrenz zwischen den verschiedenen Bündnissen?

Je eher sich Menschen im Alltag wehren, dabei Erfahrungen sammeln und Erfolge erzielen, desto eher trauen sich auch andere, für ihre Interessen offensiv aufzutreten. Und je eher wir bei zentralen, von den Medien stark wahrgenommenen Aktionen selbstbewusst und unverkennbar unsere Vorstellungen von einer gerechten Welt vorbringen können, umso besser können sich Menschen auch regional und vor Ort der zahlreichen Ungerechtigkeiten und Demütigungen des Alltages erwehren. Zentrale und dezentrale Erfolge könnten sich gegenseitig verstärken. Wir sollten das nicht destruktiv gegeneinander stellen. Auch sollten wir lernen, uns über unsere Strategien und Handlungsziele auszutauschen und zu verständigen. Dazu geben gute Aktionen die nötige Kraft und Ausdauer.

 

Hintergrund
Guido Grüner ist Mitarbeiter der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg und Mitorganisator der bundesweiten Erwerbslosendemonstration „Krachschlagen statt Kohldampf schieben“, die am 10. Oktober in Oldenburg stattfindet

http://www.freitag.de/wochenthema/1038-201ekrach-statt-kohldampf201c?searchterm=Guido+Gr%C3%BCner+ALSO

Interview: Peter Nowak

80 Euro mehr für Ernährung


Diskussion um neue Regelsätze für Hartz IV motiviert Erwerbslosengruppen
Die Debatte um die Höhe Hartz IV-Regelsätze hat begonnen. Das Bundesarbeitsministerium will in den nächsten Tagen Zahlen vorlegen. Doch schon jetzt ist klar, dass nach dem Willen der Regierung die Reform nicht teuer werden soll. Die Regelsätze sollen an die Lohn- und Preisentwicklung gekoppelt werden. Der paritätische Wohlfahrtsverband und die Oppositionsparteien kritisieren die Regierungspolitik. Am Ende könnte wieder die Justiz entscheiden.
   

Das Bundesverfassungsgericht hatte schon im Februar 2010 entschieden, dass die Hartz IV-Sätze neufestgelegt werden müssen, ohne sich auf konkrete Zahlen festzulegen. Die Diskussion um die Neufestsetzung der Hartz IV-Sätze hat auch die Erwerbslosenbewegung wieder zu neuen Aktivitäten motiviert.

In den letzten Jahren konzentrierten sich die Aktivisten vor allem auf lokale aber durchaus nicht erfolglose Proteste, die auch jetzt wieder in verschiedenen Städten vorbereitet werden. So soll am 1.Oktober vor dem Neuköllner Jobcenter in Berlin ein temporäres soziales Zentrum errichtet werden.

Demo in Oldenburg

Schon unmittelbar nach der Karlsruher Entscheidung trafen sich Initiativen aus unterschiedlichen Spektren der Erwerbslosenbewegung. Dort verständigte man sich auf die Organisierung einer bundesweiten Demonstration in Oldenburg am 10. Oktober. Sie wird unter dem Motto „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“ stehen. Die Organisatoren rufen dazu auf, Kochtöpfe und Kochlöffel mit zu bringen, um das Motto auch in die Tat umzusetzen.

Dass Oldenburg als Demonstrationsort ausgewählt wurde, liegt an der jahrelangen Aktivität der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO), die in der Lage ist, die nötige Logistik für eine solche Aktion zu stellen. Telepolis sprach mit Guido Grüner von der ALSO über das Konzept der Demonstration und die weiteren Planungen.

„Wir wollen die Armutsspirale durchbrechen“

 Nach den Anti-Hartz-Protesten gab es kaum noch bundesweite Proteste von Erwerbslosen. Beginnt sich das mit der Demo zu ändern?

Guido Grüner: Hartz IV ist Unterversorgung und Ausgrenzung mit System. Das war so seit Einführung zum 1.1.2005. Und das gilt heute umso mehr, als der Kaufkraftverlust die reale Leistungshöhe eingedampft hat. Besonders krass traf es Kinder und Familien mit Kindern. Die Leistungen für Kinder wurden gegenüber der alten Sozialhilfe mit Hartz IV direkt gekürzt. Hiergegen regte sich schon lange Widerstand. Dieser brachte Erwerbslosen 2008 und 2009 erste Erfolge: Die Schulbeihilfe von 100 EUR jährlich zum 1.8. und ein monatlicher Zuschlag für Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren um rund 35 EUR seit dem 1.7.09. Ohne die Aktionen der organisierten Erwerbslosen und ihrer Unterstützer hätte es dies nicht gegeben.

Andere Erwerbslose klagten gegen Hartz IV und gingen bis zum Bundesverfassungsgericht. Dort wurde dem Gesetzgeber die Verletzung der Menschenwürde durch Hartz IV und dessen unzureichende Leistungen vorgehalten. Die Leistungen müssen daher zum 1.1.2011 neu festgesetzt werden: realitätsgerecht und nachvollziehbar, wie die Richter formulierten.

Damit wurde den Regierungsparteien ein Gesetzgebungsverfahren aufgezwungen, das Erwerbslosennetzwerke nutzen wollen. Wir gehen Anfang Oktober auf die Straße, weil dann der Gesetzgebungsprozess anlaufen wird. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes für die Regelsatzfestsetzung sollen bis Ende September 2010 ausgewertet vorliegen. Anfang Oktober beginnen die parlamentarischen Prozeduren. Wir wollen laut genug für alle unsere Forderungen verbreiten, wollen die Parlamentarier in eine Lage bringen, wo sie ihre Entscheidungen zu rechtfertigen haben.

 Was sind Ihre Forderungen?

Guido Grüner: Wir haben uns entschieden, einen ganz bestimmten Bedarfsbereich des täglichen Lebens herauszugreifen, um daran deutlich zu machen, dass die Leistungen deutlich angehoben werden müssen. Ganz konkret fordern wir 80 Euro mehr für Ernährung. Denn mit dem knapp 120 Euro, die im Regelsatz eines Erwachsenen fürs Essen enthalten sind, kann sich niemand ausreichend, geschweige denn gesund ernähren. Wir fordern 80 Euro mehr, also rund 200 Euro für Ernährung im Monat, damit zumindest der Kalorienbedarf eines Erwachsenen gesichert werden kann, der sich auch mal bewegt und sein Essen nicht nur von Billiganbietern bezieht.

 Was sagen Sie zu der Kritik einiger Erwerbslosengruppen, dass diese Forderungen zu bescheiden sind?

Guido Grüner: Viele kritisieren uns, da wir „nur 80 Euro“ fordern. Aber ich glaube, dass sie unsere Forderung noch nicht verstanden haben, sich vielleicht gar über das politische Umfeld unserer Forderung im Unklaren sind.

Denn die dominierende Politik zielt auf weiter sinkende Einkommen. Die BRD soll verfestigt werden als Exportstandort mit immer mehr unter der Hungerknute oder Verarmungsängsten stehenden Arbeitnehmer. Und so lange die Leistungen für Erwerbslose, so wie es heute geschehen soll, von dem immer weiter sinkenden Verbrauch der untersten Einkommensgruppen abgeleitet werden sollen, bleibt es bei dieser Abwärtsspirale. Denn sinkende Leistungen für Erwerbslose setzen wiederum die Arbeitnehmer unter Druck – ein Elend ohne Ende.

Diese Entwicklung wollen wir durchbrechen, wie schon mit der Forderung nach mehr Leistungen für Kinder in den letzten Jahren. Deshalb fordern wir ein höheres Einkommen, die wir jedem anhand der heutigen Unterversorgung im Bereich der Ernährung konkret erklären können. Wenn wir diese Forderung durchsetzen, stellen wir mehr in Frage. Wir gehen damit über eine bloße ‚mehr Sozialhilfe-Forderung‘ hinaus. Wir legen den Finger in die Wunde der gesellschaftlich untragbaren Zustände der schikanösen und armseligen Arbeitsverhältnisse bei Discountern oder bei den Lebensmittelproduzenten, seien sie hier oder in anderen Teilen der ganzen Welt.

Nicht nur Belange der Erwerbslosen

 Es geht also nicht nur um Belange der Erwerbslosen?

Guido Grüner: Nein, wir ordnen unsere Forderung ein in einen Kampf für ein menschenwürdiges Leben, für existenzsichernde Leistungen, für Mindestlöhne oberhalb der Armutsgrenze. Die Forderung nach 80 Euro mehr für Ernährung steht zudem nicht gegen Forderungen nach einer insgesamt noch deutlich höheren Regelleistung oder einer repressionsfreien Grundsicherung.

Denn wir sagen mit der Forderung für den Ernährungsanteil des Regelsatzes noch gar nichts darüber, welche Zuschläge bei den anderen Bedarfsbereichen für ein menschenwürdiges Leben nötig wären. Wir setzen lediglich einen thematischen Schwerpunkt, wollen hier für unsere Forderung gesellschaftliche Mehrheiten gewinnen und uns Bündnismöglichkeiten eröffnen.

 Wie hat sich die Zusammenarbeit innerhalb den doch sehr heterogenen Erwerbslosenbewegung entwickelt?

Guido Grüner: Die Forderung und die Ausrichtung unserer Kampagne sind Ergebnis regelmäßiger Treffen von fünf Erwerbslosennetzwerken und zwei Erwerbsloseninitiativen mit überregionaler Bedeutung in der ersten Jahreshälfte 2010. Dort wurde zum einen an die Zusammenarbeit bei der Kampagne „Gemeinsam gegen Kinderarmut“ oder zur Ämterbegleitung „Keiner muss allein zum Amt“ angeknüpft, die spektrenübergreifend Erfolge brachten. Dazu hat die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Erwerbslosengruppen erheblich beigetragen.

Zum anderen wurde eine Brücke geschlagen zur sog. „Triade“, der Forderung nach 500 Euro Regelleistung, 10 Euro Mindeststundenlohn und 30 Stunden höchste Wochenarbeitszeit. Denn die Forderung 80 Euro mehr für Ernährung greift ein zentrales Moment der Triadenargumentation auf.

Es spielte dabei, das sei hier aus Sicht der ALSO ausdrücklich betont, keine Rolle, ob die Erwerbslosenzusammenhänge den eher gesellschaftlich etablierten Spektren wie den Gewerkschaften nahe stehen oder eher der neueren sozialen Bewegungen zuzurechnen sind

 Sind nach der Demo weitere Erwerbslosenaktionen geplant?

Guido Grüner: Wir wollen in Oldenburg unseren Anliegen Gehör verschaffen. Das wird umso wichtiger, als Politiker sich heute scheinbar jeder Rechtfertigung und Debatte entziehen wollen. Und die diesjährige Auseinandersetzung um die Höhe der Regelleistung fängt erst an.

Armut und Elend werden üblicherweise in der BRD unsichtbar gemacht. Wenn wir auffällig werden, wollen sie uns in die kriminalistische oder psychiatrische Schublade stecken. Da machen wir nicht weiter mit. Wir stehen laut auf, wollen daran arbeiten, dass dies Menschen immer und überall tun, wo unsere gemeinsamen Anliegen unter den Teppich gekehrt werden sollen. Überall wo Vertreter der vorherrschenden Politik in diesem Herbst auftreten, können wir ihnen mit unseren Forderungen laut entgegen treten.

 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33357/1.html

Peter Nowak

Sicherheit im städtischen Raum

Sicherheitsbranche zwischen Niedriglohn und Law-and-Order-Praktiken
Die Sicherheitsbranche gehört seit Jahren zu den boomenden Branchen im Niedriglohnsektor. Gewerkschaften versuchen seit Jahren das Personal in dieser Branche zu organisieren, um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Gleichzeitig ist der boomende Sicherheitsbereich für viele bürgerrechtliche Organisationen auch eine Quelle von Überwachung, Ausgrenzung und Law-and-Order-Praktiken. Mit diesen Ambivalenzen wird sich am Wochenende die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierte internationale Konferenz Städtische Sicherheitspolitiken im internationalen Vergleich – Urban Security Work Spaces beschäftigen. Telepolis sprach mit zwei Konferenzorganisatoren, den Politikwissenschaftlern Kendra Briken und Volker Eick, die beide seit Jahren zu den internationalen Sicherheitspolitiken forschen.
   
 Welche Ziele verfolgen Sie mit der Konferenz?

Volker Eick: Es sind drei Ziele: Erstens, wir brauchen eine gesellschaftspolitische Diskussion über die Zukunft, Qualifikation und Legitimation des privaten Sicherheitsgewerbes im öffentlichen Raum. Mit Blick auf die Vorkommnisse während der jüngsten Loveparade sprechen wir vom „Duisburg-Komplex“. Wir müssen zweitens zur Kenntnis nehmen, dass staatliche Polizei bei Großveranstaltungen, wie etwa bei politischen Demonstrationen, regelmäßig Demonstranten tötet. Wir brauchen auch über diese Tatsache, den „Genua-Komplex“, eine Diskussion. Drittens, Polizeibeamte und Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste sind als Beschäftigte auf einem sich globalisierenden Arbeitsmarkt tätig. Wir haben es mit einem Markt zu tun, auf dem Angebot und Nachfrage von interessierter Seite auch geschaffen werden. Wie dieser Arbeitsmarkt strukturiert ist, wie er reguliert wird oder eben nicht, wer hier mit wem zusammenarbeitet, welchen Einfluss die gegenwärtige Krise auf das Verhalten von beiden Berufsgruppen hat, wer wen wofür ins offene Messer laufen lässt, darüber wollen wir reden.

 Kendra Briken: Unsere Annahme bei allen drei Punkten ist, dass „Sicherheit“ zu einer Rechtfertigung für staatliche wie privatwirtschaftliche Interventionen bzw. Angebote geworden ist. Auf dem Spiel steht dann, da machen die libertären Ansätze, etwa solche der Piratenpartei oder diejenigen Ansätze aus dem Spektrum der Linkspartei einen richtigen Punkt, die individuelle Freiheit. Zugleich folgen sie damit aber einem Diskurs, der sie ins politische Aus stellt. Sicherheit und Unsicherheit werden konstruiert, sie sind Ausdruck von Macht, Interessen und sozialer Ungleichheit. Sicherheit ist ein soziales Verhältnis, auch das wird zu diskutieren sein.

 Welche Themen stehen im Vordergrund?

Volker Eick: Wir haben uns drei Aufgaben gestellt, die alle international vergleichend angegangen werden: Wir wollen besser verstehen, wie von Seiten der Polizei und von privaten Sicherheitsdiensten mit so genannten Randgruppen, etwa Obdachlosen, im öffentlichen Raum umgegangen wird. Wir wollen aber auch klären, welche Strategien Polizei einsetzt, um politischem Protest zu begegnen. Wenn in einer Krise wie der gegenwärtigen der Protest zunimmt, was bedeutet das aus polizeilicher Sicht? In Arizona beispielsweise hat man von Regierungsseite aus begonnen, so genannte illegale Ausländer zu jagen, um von der wirtschaftlichen Not abzulenken. In Frankreich beobachten wir ein ähnliches Phänomen; dort werden derzeit EU-Bürger abgeschoben. Drittens, wie verändert sich unter Krisenbedingungen das Anforderungsprofil an die Polizei, an private Sicherheitsdienste?

 Welche Auswirkungen hat die Wirtschaftskrise auf die städtische Sicherheitspolitik?

Volker Eick: Zunächst einmal wächst das private Wach- und Sicherheitsgewerbe im Zeichen der Krise.

Kendra Briken: Das schlägt sich aber nicht positiv auf den Lohnzetteln der Beschäftigten nieder, sondern bei den Profiten der Unternehmen. Man kann sagen, dass die gegenwärtige Krise einen Markt geschaffen hat, auf dem sich Geld verdienen lässt. Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, die die private Sicherheitsbranche rechtlich nicht reguliert haben. Verfolgt man die Debatten, will man das wohl auch nicht.

Volker Eick: Der Polizeiapparat reagiert langsamer, aber auch hier ist absehbar: Mit Depression kommt Repression, während gleichzeitig über neue Präventionsstrategien nachgedacht wird.

 Gibt es gewerkschaftliche Strategien, um dem Lohndumping in der Sicherheitsbranche zu begegnen?

Volker Eick: Die Gewerkschaft ver.di und die Lobbyorganisation des Wach- und Sicherheitsgewerbes, der Bundesverband des Wach- und Sicherheitsgewerbes, haben sich auf einen bundesweit geltenden Mindestlohntarifvertrag geeinigt. Der liegt zwar hinter der Forderung zurück, dass ab sofort mindestens 7,50 Euro pro Stunde gezahlt werden sollen, aber er zieht eine Linie gegen die unglaublich schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen im Gewerbe ein.

 Kann man einerseits für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen im Sicherheitsbereich kämpfen und andererseits die Gefahren der Law-and-Order-Praktiken thematisieren, die mit dem boomenden Sicherheitsbereich ebenfalls verbunden sind?

Volker Eick: Ja. Genau deshalb haben wir nicht nur wissenschaftliche Kolleginnen und Kollegen eingeladen, sondern auch Gewerkschafts- und Unternehmensvertreter. Es gibt beispielsweise in der Branche Firmen, die von Neonazis betrieben werden. Da liegt es in der Verantwortung von beiden Seiten, von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, klar Stellung zu beziehen. Wenn mit Unsicherheitsgefühlen Politik gemacht wird, gilt das auch: Nur weil sich damit Geld verdienen lässt – ob als höherer Profit oder besserer Lohn –, kann das nicht heißen, dass man sich an solcher Propaganda unkritisch beteiligt.

Kendra Briken: Wobei die Branche insgesamt in der Gefahr steht, sexistische, rassistische und soziale Ungleichheiten zu reproduzieren. Schließlich gilt es, den Wünschen der Kunden entsprechend Räume zu „sichern“, also von so genannten Störern zu säubern. Das Schweizer Unternehmen Securitas, das jüngst einen Auftrag ablehnte, weil die Beschäftigten als Türsteher nach rassistischen Kriterien selektieren sollten, bleibt die Ausnahme.

 Welche Auswirkungen haben die technischen Fortschritte in der Biometrie und Überwachungstechnik für die Sicherheitsbranche?

Volker Eick: Sehr große. Es ist ja so, dass der polizeiliche Alltag und der Alltag von Mitarbeitern privater Sicherheitsdienste immer mehr von neuen Technologien mitbestimmt werden. Sie sind die ersten, die damit zu tun haben. In Kanada beispielsweise ist die Überwachung von Mitarbeitern privater Sicherheitsdienste durch die Geschäftsführung via Satellit weit verbreitet.

Kendra Briken: Wir wissen, dass beispielsweise Bildschirmarbeit – die Überwachung von Videokameras bedeutet ja nichts anderes – extrem gesundheitsschädlich ist. Das ist sozusagen die Anwenderperspektive. Für diejenigen, die überwacht und kontrolliert werden, stellen sich dagegen ganz andere Fragen, etwa die nach Bürger- und Menschenrechten. Diese beiden Diskussionsstränge wollen wir zusammenbringen.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33209/1.html

Peter Nowak