Zwang zu Speichelproben lässt Demowut wachsen

Gegen die Entnahme von DNA-Proben durch Ermittlungsbehörden regt sich Widerstand – vor allem von potenziellen Kandidaten von Ermittlungen.

»Unsere DNA könnt ihr uns nehmen, unseren Willen brecht ihr nicht«, lautete das Motto auf dem zentralen Transparent, das Ende letzter Woche auf einer kleinen Kundgebung in Berlin getragen wurde. Zuvor waren zwei linke Aktivisten zwangsweise zur DNA-Entnahme von der Polizei vorgeführt worden. Wie bei einer weiteren Entnahme in Stuttgart werden die Betroffenen beschuldigt, an der Herstellung der klandestinen Zeitschrift »radikal« beteiligt gewesen zu sein und die Revolutionären Aktionszellen (RAZ) unterstützt zu haben. Bundesweit ermittelt die Bundesanwaltschaft in diesem Zusammenhang gegen neun Personen. Sie wurden von den Ermittlungsbehörden schriftlich aufgefordert, ihre DNA freiwillig abzugeben, was sie ablehnten. In der nächsten Zeit wird daher mit weiteren zwangsweisen Vorführungen zur Speichelabgabe gerechnet.

Das Netzwerk »Freiheit für alle politischen Gefangenen« will diese Maßnahmen nutzen, um einen größeren Widerstand gegen die DNA-Entnahme aufzubauen. Schließlich müssen sich auch Umweltgruppen und antimilitaristische Zusammenhänge mit dieser Ermittlungsmethode beschäftigten. So sollte sich ein Antimilitarist aus Stendal am 21. Januar im Polizeirevier von Salzwedel zur Speichelentnahme einfinden. Auch er lehnt das ab und rechnet nun mit einer Zwangsvorführung. Gegen ihn wird wegen »Sabotage gegen Wehrmittel« beim antimilitaristischen Camp gegen das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) in der Altmark im September 2012 ermittelt. Auf einem bundesweit verbreiteten Plakat, das zwei zerbrochene Wattestäbchen zeigt, wird unter dem Motto »DNA-Sammelwahn – das könnt ihr knicken« zu vielfältigem Widerstand aufgerufen.

Während es seit Jahren eine große Protestbewegung gegen die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland gibt, blieb die Datenentnahme per Wattestäbchen bisher ein Thema vor allem für einen kleinen Kreis von Experten. Dabei hatte das das »gen-ethische Netzwerk«, das seit Jahrzehnten kritisch die neuen Ausforschungsmethoden beobachtet, bereits 2011 eine Kampagne unter dem Motto »DNA-Sammelwut stoppen« initiiert. In diesem Rahmen wurden Aufrufe und öffentliche Briefe verfasst, Seminare angeboten und mit einem riesigen Wattestäbchen auf Demonstrationen und Kundgebungen um Aufmerksamkeit geworben. Doch seit 2012 wird die Kampagnenhomepage nicht mehr betreut. »Wir hätten gerne weiter gemacht, aber die Bewegungsstiftung, die unsere Arbeit finanzierte, hat uns signalisiert, dass andere Themen wichtiger sind«, erklärte Alexander Schwerin vom »gen-ethischen Netzwerk«. In den nächsten Monaten wird die Organisation eine Broschüre zur Geschichte der DNA-Datenbanken und den Widerstand dagegen herausgeben.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/921547.nicht-von-watte.html
Peter Nowak

Daten, in Watte gepackt

ERBGUT Das Gen-ethische Netzwerk will mit einer Kampagne über die „DNA-Sammelwut“ des Bundeskriminalamts informieren. Mit von der Partie: ein Wattestäbchen auf zwei Beinen
Ein wandelndes Wattestäbchen sorgte am Montagvormittag in der Mohrenstraße in Mitte für Staunen unter den PassantInnen. Die Verkleidung war Teil einer Performance, mit der das Gen-ethische Netzwerk und andere zivilgesellschaftliche Organisationen vor dem Bundesjustizministerium ihre Kampagne „DNA-Sammelwut stoppen“ starteten. In einem offenen Brief, den ein Beamter des Ministeriums entgegennahm, forderten die AktivistInnen eine bessere Kontrolle und Beschränkung der DNA-Datenbanken beim Bundeskriminalamt (BKA), eine Revision des Gesetzes von 2005, das zu deren drastischer Expansion führte, sowie ein Verbot, Verwandtschaftsbeziehungen und persönliche Eigenschaften durch DNA-Tests zu ermitteln.

Susanne Schultz vom Gen-ethischen Netzwerk verdeutlicht das Ausmaß der Sammelei mit einigen Zahlen: „Seit der Einrichtung der zentralen DNA-Datenbank beim BKA im Jahr 1998 wurden mehr als 700.000 Personendatensätze und 180.000 Spurenprofile gespeichert.“ Aus der Sicht der Datenschützerin soll hier ein „präventiver Überwachungsstaat“ etabliert werden, „in dem jeder, gegen den ermittelt wurde, mittels biologischer Spuren überwacht werden soll“. Nur 4 Prozent der Delikte, die über DNA-Datenbanktreffer ermittelt wurden, seien Kapitalverbrechen gewesen, so Schultz. Sie würden aber medial herausgehoben, um die Akzeptanz der Speicherpraxis in der Bevölkerung zu erhöhen.

Die Kampagne des Netzwerks erinnert dagegen an rechtsstaatliche Grundsätze: Bei Vernehmungen werde zu wenig beachtet, dass DNA nur auf richterliche Anordnung entnommen werden darf, betont Schultz. Sie plädiert für vorausschauenden Datenschutz, auch wenn man seine DNA nicht verschlüsseln oder zu Hause lassen kann. „Die beste DNA ist die, die nicht abgegeben wurde.“

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F05%2F24%2Fa0151&cHash=cdfc22d575

PETER NOWAK

Schnüffeln an biologischer Spur der Bürger

Organisationen warnen in bundesweiter Kampagne vor der Datensammelwut des Staates
 Das Gen-ethische Netzwerk (GeN) überreicht am heutigen Montag, dem Tag des Grundgesetzes, an Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger einen offenen Brief. Darin fordert das GeN zusammen mit anderen Organisationen die Revision der gesetzlichen Regelungen zur Speicherung von DNA-Profilen durch das Bundeskriminalamt und den Ausstieg aus der internationalen Vernetzung polizeilicher DNA-Datenbanken. Dies ist zugleich Auftakt einer bundesweiten Kampagne »DNA-Sammelwut stoppen«.

ND: Welche Gefahren sieht das Gen-ethische Netzwerk in der DNA-Datenspeicherung?
Schultz: Die bestehen vor allem in der enormen Expansion, die die DNA-Speicherung erfahren hat. 1998 wurde die zentrale DNA-Datenbank beim Bundeskriminalamt eingerichtet. Mittlerweile sind über 700 000 Personendatensätze und 180 000 Spurenprofile gespeichert. Wir sehen hier die Tendenz der Etablierung eines präventiven Überwachungsstaates, in dem jeder, gegen den einmal ermittelt wurde, mittels biologischer Spuren überwacht werden soll. Zudem können mittlerweile mittels DNA-Analyse auch Verwandte überprüfter Personen gesucht werden.

 Dient diese Methode nicht der Verbrechensaufklärung?
Unter vier Prozent der Delikte, die über DNA-Datenbanktreffer beim BKA ermittelt wurden, waren Kapitalverbrechen. Diese Fälle werden aber medial gerne zur Verteidigung der DNA-Analyse in den Mittelpunkt gestellt. Unseres Erachtens wiegen selbst einige spektakuläre Erfolge die Gefahren der Totalüberwachung durch DNA-Datenbanken nicht auf. In den 90er Jahren haben feministische Antigewalt-Gruppen sogar die Einrichtung der DNA-Datenbank beim BKA als Mittel zur Aufklärung von Sexualdelikten abgelehnt und als trojanisches Pferd für den Überwachungsstaat bezeichnet.

 Basiert die DNA-Analyse nicht auf Freiwilligkeit?
Über 90 Prozent der DNA-Profile in der BKA Datenbank werden von den Betroffenen ohne richterliche Anordnung abgegeben. Das macht den Druck deutlich, unter dem diese Personen etwa in Verhörsituationen stehen, und relativiert die vorgebliche Freiwilligkeit. Auch bei formal freiwilligen Massengentests ist der soziale Druck so hoch, dass nur wenige die Teilnahme verweigern.

 Was sind Ihre zentralen Forderungen?
Zusammen mit dem Chaos Computer Club, der Humanistischen Union und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen fordern wir eine unabhängige, regelmäßige Kontrolle der Datenbanken. Nach einer Stichprobe des Datenschutzbeauftragten von Baden-Württemberg gab dieser 2007 bekannt, dass 42 Prozent der überprüften Datensätze gelöscht werden mussten, weil sie unrechtmäßig gespeichert worden waren. Zudem fordern wir eine Revision des umstrittenen Gesetzes von 2005, das zu einer drastischen Expansion der DNA-Datenbank beim BKA geführt hat. Ein Verbot, mittels DNA-Tests Verwandtschaftsbeziehungen und persönliche Eigenschaften zu ermitteln, gehört ebenso dazu. Zudem setzen wir uns für einen Ausstieg aus dem globalen Datenaustausch ein.

 Ist Datenschutz bei der DNA-Analyse überhaupt möglich?
Ein selbstorganisierter Datenschutz der DNA ist im Gegensatz zu den Kommunikationstechnologien nahezu unmöglich. Man kann seine DNA nicht zu Hause lassen wie das Handy – und das DNA-Profil auch nicht verschlüsseln. Man muss wissen, dass die Polizei keine DNA ohne richterliche Anordnung abnehmen darf. Außerdem kann man mittels Klagen unrechtmäßig gesammelte DNA löschen lassen. Allerdings gilt: Am besten ist es, wenn DNA nicht erst abgegeben wurde.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/198228.schnueffeln-an-biologischer-spur-der-buerger.html

Fragen: Peter Nowak