Der Sensenmann kommt aus der Luft

Die Kampagne gegen Kampfdrohnen mobilisiert in den nächsten Tagen. Drohneneinsätze werden auch in Deutschland koordiniert

In den 70er Jahren hatte der kleine Ort Kalkar in NRW für die bundesweite Anti-AKW-Bewegung eine große Bedeutung [1]. Die massiven staatlichen Repressionsmaßnahmen im Sommer 1977 gingen als Kalkar-Schock in die Geschichte ein. Der dort geplante Schnelle Brüter wurde an diesem Standort trotzdem verhindert.

Kalkar ist am 3.10. wieder ein Protestziel. Am kommenden Freitag protestiert [2] die bundesweite Kampagne gegen Kampfdrohnen gegen ein in der Öffentlichkeit weitgehend unbekanntes Nato-Luftkommando, das in einer Kaserne am Stadtrand von Kalkar untergebracht ist. Die Antikriegsbewegung [3] protestiert dort, weil in den Räumen des Kommandos weltweite Drohneneinsätze koordiniert werden. Auch die Airbase Ramstein und die Kommandostelle Africom in Stuttgart koordinieren Drohneneinsätze. Für die Gegner der Kampfdrohnen wird damit die Schwelle für eine Kriegsbereitschaft gesenkt.

Auf einer Pressekonferenz am Mittwochvormittag in Berlin stellte die in der Kampagne gegen Kampfdrohnen [4] die geplanten Proteste vor. Schwerpunkt ist der globale Aktionstag gegen Drohnen [5] am 4. Oktober. Wie in vielen anderen Städten überall auf der Welt wollen die Drohnengegner auch in Deutschland in vielen Städten Drachen steigen lassen. Damit wird eine Aktionsform der afghanischen Zivilgesellschaft importiert, die sich gegen den Drohneneinsatz mit Drachen wehrten.

Kriege ohne Opfer auf Seiten der Nato

Peter Strutynski vom Kasseler Friedensratschlag [6] sieht die größte Gefahr im Drohneneinsatz darin, dass so das Führen von Kriegen für einige wenige Staaten gefahrloser möglich wird. Die Bevölkerung dieser Staaten würde Kriege weitgehend ablehnen, wenn damit die Gefahr für die eigenen Soldaten verbunden ist. Durch den Einsatz der Drohnen aber soll diese Gefahr vermindert werden. Strutynski wies darauf hin, dass der Libyeneinsatz von maßgeblichen NATO-Verantwortlichen als erfolgreichster Einsatz in der Geschichte des Militärbündnisses bezeichnet wurde, weil kein Nato-Soldaten getötet oder verwundet wurden. Über die Zahl der Toten auf lybischer Seite wird geschwiegen, wie auch über die Drohneneinsätze in
Pakistan, Afghanistan und Jemen.

Lühr Henken von der Berliner Friedenskoordination [7] betonte auf der Pressekonferenz, dass die Drohneneinsätze weitgehend im Geheimen stattfinden. Deswegen sei auch nicht möglich, die genaue Zahl der Opfer im Allgemeinen und der Zivilisten im Besonderen zu bestimmen. Henken monierte, dass mit dem Drohneneinsatz Richter und Henker in eine Instanz fallen. Es sei weder
ersichtlich, nach welchen Kriterien Menschen zu Objekten erklärt werden, die durch Drohnen ausgeschaltet werden sollen, noch wie viele Zivilisten, die sich zufällig in der Nähe der ausgewählten Person sterben.

Todesstrafe ohne Verteidigung

Natürlich fallen auch sämtliche rechtsstaatliche Kriterien für die Zielpersonen weg. Weder gibt es eine Verteidigungsmöglichkeit noch andere Formen, um dem Todesurteil zu widersprechen. Das ist besonders verwunderlich, wo doch gerade die EU-Staaten und dabei vor allem auch die Regierung in Deutschland sehr für die Ächtung der Todesstrafe weltweit eintreten. Eine Abschaffung der Todesstrafe gehört zu den Aufnahmebedingungen der EU. Nun fragen sich die Drohnen-Gegner, wie sich diese Bekenntnisse damit vertragen, dass auch in Deutschland Einsätze einer Waffe koordiniert werden, die Todesurteile ohne Urteil und Verteidigungsmöglichkeiten vollstreckt.

Elsa Rassbach von der internationalen Organisation Code Pink [8], die den globalen Kampf gegen die Drohnen koordiniert, erklärte auf der Pressekonferenz, dass eine Ablehnung der Drohnen gerade in Deutschlandvon großer Bedeutung ist. In der nächsten Zeit werde sich entscheiden, ob es einen weltweiten Wettbewerb beim Bau von Drohnen gibt oder erste Schritte zu einer weltweiten Ächtung dieser Waffen eingeleitet werden.

In Großbritannien, Italien, Frankreich und die Niederlande stehen bereits Drohnen bereit. In Deutschland soll die Entscheidung in den nächsten Monaten fallen. Zur Zeit stehen zwei Drohnenmodelle zur Auswahl, wie Lühr Henken ausführte. Die Luftwaffenführung in Deutschland favorisiere die US-Drohne mit dem bezeichnenden Namen Reaper (Sensenmann), führende Verteidigungspolitiker hingegen bevorzugen das israelische Drohnenmodell mit dem Namen Heron TP. „Diebundesweite Kampagne lehnt die Etablierung einer Drohnentechnologie zur Kriegführung, Überwachung und Unterdrückunggrundsätzlich ab“, betont Henken. Damit sprach er eine Dimension an, die bei dem Aktionstag nur eine untergeordnete Rolle spielen soll.

Überwachen und Töten

Die Drohnen sind ein globales Überwachungsinstrument und sorgen dafür, dass die Privatsphäre von Menschen zum Fremdwort wird. Gerade wenn dieser Aspekt mehr betont würde, könnten vielleicht auch Menschen in den Natostaaten aktiviert werden, die sich vornehmlich gegen Überwachung engagieren. Gerade diese Totalausspähung aber sorgt dafür, dass in Krisen- und Kriegszeiten die Drohnen als Vollstrecker geheimer Todesurteile umso besser arbeiten können.

Henken und Rassbach berichteten, wie die Menschen, die in Regionen leben, in denen immer
wieder bewaffnete Drohneneinsätze stattfinden, allein von dem Surren der Geräte terrorisiert und traumatisiert werden. In Pakistan gehen viele Menschen gar nicht mehr aus dem Haus, in der irrigen Hoffnung, dadurch von den Drohne nicht gesehen zu werden. Viele Jugendliche haben die Schulen und Universitäten verlassen, weil sie sich auch dort im Visier der Drohnen wähnen.

Vielen Menschen in Mitteleuropa sind solche Ängste völlig fremd. Nun müsste die Erkenntnis verbreitet werden, dass auch hierzulande mit Überwachungsdrohnen die Voraussetzungen getroffen werden, den Weg für Killerdrohnen in Krisenzeiten zu ebnen. Eine ähnliche Diskussion gab es Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts im Widerstand gegen die Volkszählung. Damals erinnerten Historiker daran, dass mit den Daten, die bei den Volkszählungen in der Weimarer Republik gesammelt wurden, im NS die Erfassung, Aussonderung und Ermordung der Juden und anderer missliebiger Bevölkerungsgruppen viel leichter zu bewerkstelligen war.

http://www.heise.de/tp/news/Der-Sensenmann-kommt-aus-der-Luft-2410468.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://rees-magazin.de/wp-content/uploads/2013/04/Chronologie-Atom-Kalkar.pdf

[2]

https://www.kraz.ac/index.php/component/jevents/icalrepeat.detail/2014/10/03/388/-/demo-gegen-nato-drohnen-in-kalkar?Itemid=1

[3]

http://www.aixpaix.de/autoren/sander/kalkar.html

[4]

https://drohnen-kampagne.de/

[5]

http://(http://dronecampaignnetwork.wordpress.com/

[6]

http://www.ag-friedensforschung.de/

[7]

http://www.frikoberlin.de/

[8]

http://www.codepink4peace.org/

Verdrängung hat viele Gesichter

Aufwertung der Stadtteile bedeutet die Verdrängung von MieteInnen mit geringen Einkommen. Diese Erkenntnis ist mittlerweile auch in liberalen Medien angekommen. Doch wie gehen die Betroffenen damit um?

Was passiert in einem Stadtteil, der jahrelang wenig beachtet wurde, wenn auf einmal in kurzer Zeit fast ein Dutzend Baustellen entstehen? Ist Aufwertung und Verdrängung ein Naturgesetz oder gib es Verantwortliche, die diesen Prozess vorantreiben? Dass sind einige der Fragen, denen sich der Film „Verdrängung hat viele Gesichter“ stellt, den das Filmkollektiv „Schwarzer Hahn“ produziert hat.  Dort haben StadtteilaktivInnen gemeinsam mit   KünstlerInnen  mehrere Jahre an dem Film  gearbeitet. Sie wollten den  Aufwertungsprozess am Beispiel des Stadtteils Treptow verdeutlichen.   Noch Ende der 90er Jahre schien es, als wäre der Stadtteil das totale Gegenteil zum Prenzlauer Berg. Während dort schon  Ende der 90er Jahre ein Großteil der Alt-MieterInnen  wegziehen mussten, weil sie die  teuren Mieten nicht mehr bezahlen konnten, waren  in Treptow  die Mietsteigerungen moderat und der Wegzug gering.  Doch das änderte sich, als Baugruppen den Stadtteil für sich entdeckten. Es sind meist Angehörige der neuen gut verdienenden Mittelschichten, für die   Treptow aus mehreren Gründen interessant wurde. Der Weg zu den vielen Clubs ist kurz. Zudem siedelten sich im Rahmen des Media-Spree-Projekts zahlreiche Unternehmen an.  Für die Angestellten wurde eine Wohnung in Treptow mit kurzen Anfahrtszeiten zur Arbeit attraktiv. Wie der  plötzliche Ran der  Baugruppen  auf die BewohnerInnen eines Stadtteils wirkte, der bisher von großen Veränderungen verschont geblieben war, macht der Film sehr  gut deutlich.

Nicht nur Mieter kämpfen in dem Stadtteil um das Überleben

Der Film begleitet  Menschen, die ums Überleben kämpfen müssen. Da ist der Altrocker, der auf seinen Balkon sitzt und sich bange fragt, ob er sich nach der nächsten Mieterhöhung die Wohnung noch leisten kann. Da ist die Frau mit den geringen Einkommen, die die neue Entwicklung nicht einfach hinnimmt sondern sich wehrt. Der Film zeigt, wie in Treptow plötzlich in einer  Stadtteilinitiative Menschen aus unseren kulturellen und gesellschaftlichen Milieus zusammenarbeiten. Sie eint die Angst vor der Verdrängung   aus dem Stadtteil und der Wille,  sich dagegen zu wehren.
Der Film zeigt auch, dass nicht nur MieterInnen  davon betroffen sind. Da wird ein  Treptower Buchhändler gezeigt, der trotz eines gerade überstandenen Herzinfarkts fast rund um die Uhr im Laden steht und am Ende 5 Euro Gewinn erzielt hat   Die Menschen,  die bisher seinen Buchladen aufsuchten,  verschwinden aus dem Stadtteil. Die Konsumwünsche des neu zugezogenen Mittelstandes kann er nicht befriedigen. Der Film  geht so auf Aspekte der Aufwertung eines Stadtteils ein, die oft ausgeblendet werden. Neben den MieterInnen mit wenig Geld sind auch Läden und Kneipen bedroht, die ein Angebot für eine Kundschaft mit geringen Einkommen bereithielten.

Die „guten“ VerdrängerInnen

Doch auch die Menschen, die von der neuen Situation profitieren, kommen in dem Film zu Wort. Mitglieder der Baugruppen werden interviewt. Manchmal kommt es zum Dialog, oft zum Streitgespräch zwischen den GewinnerInnen und VerlierInnen  der Aufwertung.  Viele Baugruppen-Mitglieder      äußern ihr Unverständnis darüber, dass sie plötzlich in der Kritik stehen. Einige waren deshalb zum Interview mit den FilmemacherInnen bereit, wo sie sich als umweltbewusste StadtbürgerInnen präsentieren.  In dem Film werden die Baugruppen-BewohnerInnen nicht denunziert, doch es wird die Frage nach ihrer Verantwortung gestellt. Es werden die gesellschaftlichen Bedingungen infrage gestellt, die dafür sorgen, dass in einem Stadtteil  AltmieterInnen ums Überleben kämpfen und   gleichzeitig ein neuer Mittelstand  ihre Privilegien und Macht ausspielt Der Film zeigt, dass Verdrängung   viele Gesichter hat, aber kein Naturges tz ist.  So wird auch der Alltagswiderstand der MieterInnen  in Treptow gezeigt, der  vom Besuch bei den vielen neuen Kreativbüros über Stadtteilspaziergängen  bis zur Beteiligung an Baugruppen-Partys ohne Einladung reicht. Dabei ist der Film immer locker und humorvoll.

Peter Nowak

Verdrängung hat viele Gesichter«  hat  am 9.10. um 18.30 Uhr in Anwesenheit des Filmteams und Protagonist_innen im  Moviemento Kino Berlin, Kottbusser Damm 22, Premiere.
Weitere Termine mit anschließenden Diskussionen im gleichen Kino:

12.10. Publikumsgespräch mit „Zwangsräumung verhindern“
15.10. Publikumsgespräch mit der Stadtteilinitiative „Wem gehört Kreuzberg?“
20.10. Publikumsgespräch mit der Stadtteilinitative „Karla Pappel“ – 6 Jahre Stadtteilarbeit – eine Bilanz
Weitere Termine finden sich  auf der Homeapge  berlingentrification.wordpress.com

aus: MieterEcho online 01.10.2014

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/verdraengung-hat-viele-gesichter.html

Peter Nowak