Kollegen im Kampf

Kein Objekt für Hilfsmaßnahmen: Flüchtlinge und Gewerkschaften wollen enger kooperieren

Ob die Gewerkschaften den Berliner Flüchtlingsprotest geschlossen unterstützen werden, wollen beide Fraktionen miteinander beraten.

Eine für DGB-Gewerkschaften ungewöhnliche Zusammensetzung hatte ein Treffen, das am Donnerstagabend in der Berliner Landeszentrale der Dienstagsleistungsgewerkschaft ver.di stattfand. Die Hälfte der rund 20 Anwesenden waren Geflüchtete, viele von ihnen hatten sich in den letzten Monaten an den Flüchtlingsprotesten am Oranienplatz beteiligt oder waren beim Solidaritätsmarsch nach Brüssel und verschiedenen anderen Aktionen für die Rechte der Flüchtlinge engagiert. »Doch wo waren die Gewerkschaften«, fragt Turgay Ulu. Der politische Flüchtling aus der Türkei stößt mit seiner Frage bei ver.di-Aktiv, den Initiatoren des Treffens, auf offene Ohren. Dabei handelt es sich um eine basisgewerkschaftliche Gruppe bei den Berliner Verkehrsbetrieben.

»Die Geflüchteten-Bewegung gehört zu der aktivsten und in der letzten Zeit präsentesten sozialen Bewegung in diesem Land. Es ist an der Zeit, dass sich die Gewerkschaften mit ihr solidarisieren«, sagte ein Mitglied von ver.di-Aktiv. Wichtig sei dabei, die Flüchtlinge als Teil der Arbeiterbewegung und nicht als hilfsbedürftige Opfer zu betrachten. Dieser Punkt ist auch Bashier aus Nigeria sehr wichtig. »Wir sind nicht hungrig, sondern wütend und kämpfen um unsere Rechte«, betont er. Ihm gehe es darum, Bündnispartner zu finden, die die Geflüchteten nicht als Objekt von Hilfsmaßnahmen, sondern als Kollegen im gemeinsamen Kampf betrachten.

Wie groß das Potenzial dazu bei den DGB-Gewerkschaften ist, soll erkundet werden. Dazu soll in der nächsten Zeit eine Veranstaltung in einem gewerkschaftlichen Raum vorbereitet werden, bei der Geflüchtete und Gewerkschafter ins Gespräch kommen sollen. Geworben werden soll dafür vor allem an der Gewerkschaftsbasis. Dazu sollen auch gewerkschaftliche Initiativen eingeladen werden, die bereits länger mit Flüchtlingen kooperieren. So sind im letzten Jahr in Hamburg zahlreiche afrikanische Flüchtlinge, die sich in der Gruppe Lampedusa in Hamburg zusammen geschlossen haben, bei ver.di eingetreten. Nachdem ein Gutachten des ver.di-Vorstands diese Neuaufnahmen als mit der eigenen Satzung unvereinbar erklärt hatte, war der Protest groß.

Anna Basten vom AK undokumentiertes Arbeiten, die in Räumen des DGB Arbeitnehmer ohne Papiere berät, berichtete auf dem Treffen, dass innerhalb weniger Tage mehrere hundert Gewerkschafter einen Aufruf unterzeichnet haben, der sich für einen Verbleib der Geflüchteten bei ver.di aussprach. Tatsächlich wurde deren Mitgliedschaft nicht storniert.

Ob auch in Berlin ein Eintritt bei ver.di sinnvoll ist, soll auf der geplanten Veranstaltung diskutiert werden. Doch mehrere Flüchtlinge hatten noch einige praktische Vorschläge, wie die Gewerkschaften sie unterstützen können. So brauchen sie kostenlose Tickets für den Berliner Nahverkehr, um sich in der Stadt bewegen zu können. Zudem könnten T-Shirts und Kappen mit dem ver.di-Emblem und der Aufschrift »Refugess willkommen« auch in Gewerkschaftskreisen die Diskussionen anregen.

»Kommt mit Euren Gewerkschaftsfahnen zu unseren Kundgebungen«, mahnte ein Flüchtling. Schließlich brauche man als Basisgewerkschafter dazu nicht zu warten, bis es einen Gewerkschaftsbeschluss gibt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/944932.kollegen-im-kampf.html

Peter Nowak

Deutsche Tabubrüche am 1. September

Der Antikriegstag im Zeichen der Militarisierung: deutsche Waffenlieferungen in ein Krisengebiet und Gaucks Kampfansage an die Putin-Regierung

Wenn es in größeren Teilen der Gesellschaft noch historisches Bewusstsein gäbe, hätte es eine große Debatte darüber geben müssen, dass ausgerechnet am 1. September im Bundestag über deutsche Waffenlieferungen in einen kriegerischen Konflikt geredet wurde. Schließlich ist der Jahrestag des deutschen Angriffs auf Polen, also der Beginn des 2. Weltkriegs, in gewerkschaftlichen Kreisen als Antikriegstag bekannt.

Doch nur Teile der Linkspartei monierten gestern, dass an einem solchen historischen Datum wieder einmal über einen Tabubruch in der Militärpolitik beratschlagt wurde. Denn bisher waren deutsche Waffenlieferungen in Kriegsgebiete offiziell tabu, was nicht heißt, dass in der Praxis nicht längst Waffen in Krisengebiete geschickt wurden. Nur sollte jetzt der Aufstieg der islamistischen IS dafür genutzt werden, um nun auch ganz offiziell deutsche Waffenlieferungen auch in Krisengebieten erleichtern und erstmals auch nichtstaatliche Akteure einzubeziehen.

Selbst innerhalb der Regierungskoalition ist dieses Vorgehen umstritten. So hat der SPD-Vize Ralf Stegner Zweifel angemeldet, ob Frieden schaffen mit immer mehr Waffen die richtige Parole sein kann.

Noch einmal: Ich weiß um die deutsche Freiheit als Produkt des militärischen Sieges der Alliierten gegen das völkermordende Nazi-Deutschland und ich bin kein Radikalpazifist sondern dafür, dass die Völkergemeinschaft im Notfall eingreift und die „Freedom tot Protest“ realisiert. Aber nein, dieses um sich greifende leichtfertige Enttabuisieren der militärischen Logik, dieser Neointerventionismus, dieses deutsche „Think big“ (von der Leyen), diese Häme und der angeblich so realpolitische Zynismus gegenüber Beiträgen von Kaßmann und Augstein (Egon Bahr und Helmut Schmidt sind übrigens auch keine Radikalpazifisten- nur mal so bemerkt).

Zu entscheiden gab es für das Parlament nichts

Stegner ist allerdings kein Bundestagsabgeordneter und konnte deshalb am 1. September auch nicht über die Waffenlieferungen im Bundestag debattieren. Am Ende gab es denn auf Druck der SPD sogar eine Abstimmung, bei der eine große Mehrheit aus SPD und CDU/CSU die Regierungspolitik unterstützten. Die Bundesregierung hatte schon am Vortag entschieden, dass die kurdische Armee im Nordirak unter anderem 500 Panzerabwehrraketen, 16.000 Sturmgewehre und mehrere Millionen Schuss Munition für ihren Kampf gegen die IS bekommen.

Das Parlament hatte gar nicht mitzubestimmen, was die CDU/CSU von Anfang klarmachte. Es ist schon seltsam, dass einerseits so viel von einer parlamentarischen Demokratie geredet wird und dann eine gewiss nicht unwichtige Frage, wie die Waffenlieferungen in einen kriegerischen Konflikt derart abgehandelt wird.

In den USA und anderen Ländern haben Parlamentarier unabhängig von der politischen Couleur für das Recht gekämpft, über solche Fragen zu entscheiden. In Deutschland hört man davon wenig. Dort sind die Fronten ganz klar. Die Mehrheit der Abgeordneten von SPD und Union sehen sich als Verteidiger der Regierungspolitik und nicht für die Stärkung des Parlaments.

Auch die Debatte selbst bot keine großen Überraschungen. Die Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU verteidigten auch hier die Regierungspolitik und die Opposition betätigte sich als Kritiker. Dabei waren im Vorfeld der Debatte die Fronten längst nicht so klar. Bei den Grünen gab es in der Frage für oder gegen Waffenlieferungen sogar an der Spitze unterschiedliche Äußerungen. Selbst bei der Linkspartei war Gregor Gysi mit der Forderung nach Waffenlieferungen an die Kurden aufgetreten [1], war dafür innerparteilich stark kritisiert wurden und hat die Forderung dann wieder zurückgezogen.

Kampf gegen Putin gefordert

Doch nicht nur im Bundestag gab es am 1.September 2014 Tabubrüche. Auch Bundespräsident Gauck meldete sich in Polen mit einer Rede [2] zum Jahrestag des Beginns des 2. Weltkriegs zu Wort, die als Kampfansage an die Putin-Regierung verstanden wird.

„Die Geschichte lehrt uns, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern“, hieß es da. Noch betonen in Deutschland alle relevanten Gruppen, dass es im Ukrainekonflikt gegenüber Russland keine militärischen Optionen gibt. Aber wer in den späten 1990er Jahren beim Jugoslawienkonflikt die Kurzlebigkeit solcher Aussagen erleben konnte, weiß, dass es auch hier noch zu Tabubrüchen kommen kann.

http://www.heise.de/tp/news/Deutsche-Tabubrueche-am-1-September-2307047.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.taz.de/!143996/

[2]http://www.bundespraesi

Waffen für die Kurden