Der Prekarität ausgeliefert

Mit »Deliverunion« will die FAU Essenskuriere gewerkschaftlich organisieren Die Basisgewerkschaft FAU organisiert mit ihrer Initiative »Deliverunion« die Kuriere von Essenslieferdiensten wie Foodora und Deliveroo. Die DGB-Gewerkschaft Verdi hat wenig Interesse an diesen prekär Beschäftigten.

»Die besten Restaurants liefern jetzt.« Oder: »Deine Lieblingsrestaurants, blitzschnell zu Dir geliefert.« Mit solchen Claims werben Firmen wie Foodora und Deliveroo für ihre Essenslieferdienste. Über Internetplattformen vermitteln sie Essen von Restaurants an Kunden, das von freischaffenden Fahrradkurieren ausgeliefert wird. »Foodora und Deliveroo können ohne die Fahrerinnen und Fahrer nicht existieren und trotzdem behandeln sie uns wie den Anfang der Nahrungskette«, sagte Zuzia*, die ein Jahr lang bei Deliveroo gearbeitet hat. Vergangene Woche trafen sich mehr als 150 dieser vorwiegend jungen Leute im Berliner Kino »Zukunft am Ostkreuz«. Eingeladen hatte die Basisgewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU). Sie eröffnete damit ihre Initiative »Deliverunion«. Schnell einigte man sich darauf, auf Englisch zu kommunizieren, denn die Beschäftigten kommen aus den unterschiedlichsten europäischen Ländern.

Viele der bei diesen Lieferdiensten Beschäftigten hatten sich erst an die DGB-Gewerkschaft Verdi gewandt. Anders als die FAU interessiert sich Verdi aber nicht für die jungen, flexiblen Lieferdienstmitarbeiter, sondern für Beschäftigte, die nach Jahrzehnten aus gesundheitlichen Gründen die Arbeit nicht mehr leisten können.

Mit den Restaurantlieferdiensten hat sich die FAU eine Branche ausgesucht, die neue Negativstandards bei Arbeitsbedingungen und Arbeitsrechten setzt. »Wir haben es hier mit einer ›Uberisierung‹ des Arbeitsmarktes zu tun«, so der Pressesekretär der Berliner FAU, Clemens Melzer, der auch in der Arbeitsgruppe »Delivery« der FAU mitarbeitet. Er bezieht sich damit auf Unternehmen wie Uber, deren Geschäftsmodell in der bloßen Vermittlung von Aufträgen bei meist prekären Arbeitsbedingungen besteht.

Viele der bei diesen Lieferdiensten Beschäftigten hatten sich erst an die DGB-Gewerkschaft Verdi gewandt. Anders als die FAU interessiert sich Verdi aber nicht für die jungen, flexiblen Lieferdienstmitarbeiter, sondern für Beschäftigte, die nach Jahrzehnten aus gesundheitlichen Gründen die Arbeit nicht mehr leisten können. »Hier werden Folgekosten für eine krankmachende Arbeit auf die Gesellschaft abgewälzt«, sagt Detlef Conrad, der bei Verdi außer für die Lieferdienste auch für Senioren zuständig ist.

Eine bundesweite Koordinierungsstelle nur für die Betreuung von Lieferdienstbeschäftigten sei bei Verdi zurzeit nicht geplant, so Conrad. Der Verdi-Gewerkschaftssekretär hatte sich bei einer Veranstaltung zu den Arbeitsbedingungen bei den Lieferdiensten im Herbst 2016 den Unmut von Beschäftigten zugezogen, als er sein Unverständnis darüber bekundete, warum so viele Menschen Essen nach Hause bestellen und so diese Jobs erst erschaffen.

Bei der FAU, die bereits häufiger Arbeitskämpfe in prekären Bereichen geführt hat, stoßen die Kuriere dagegen auf offene Ohren für die Erfahrungen, die sie mit der in der Branche so hochgelobten Flexibilität machen. Fahrer beklagen die kurzfristige Änderung der Schichtpläne. Oft müssten sie nach Schichtende noch Aufträge annehmen oder Aufträge über ihr Zustellgebiet hinaus bedienen, benannte Melzer einige der Probleme, unter denen die Fahrer leiden. Oft wüssten die Beschäftigten nicht, wie viele Schichten sie im nächsten Monat haben werden. »Ich hoffe, dass mein Vermieter auch so flexibel ist, wenn ich meine Miete nicht zahlen kann«, sagte ein in der FAU organisierter Fahrer.

Er gehört zu den Beschäftigten, die in den vergangenen Wochen einen Forderungskatalog erstellt haben, den die FAU mit den Lieferdiensten verhandeln will. Dazu gehören die Übernahme von Reparaturkosten für die Räder, eine bezahlte Stunde pro Woche für die Schichtplanung und mindestens ein Euro mehr pro Lieferung. »Leider ist uns der Forderungskatalog per Post noch nicht zugegangen«, sagte ein für Personalfragen zuständiger Foodora-Mitarbeiter der Jungle World. Man werde aber schnell antworten, wenn die Forderungen eingetroffen seien. Auch bei Deliveroo bat man auf Anfrage zunächst um Geduld.

Bereits im vergangenen Jahr machten Beschäftigte von Lieferdiensten in Italien, Großbritannien und Österreich mit kurzen Streiks und Protestaktionen auf ihre schlechten Arbeitsbedingungen aufmerksam und konnten Verbesserungen erreichen. Ein Erfolg der FAU bei der Organisierung könnte ein Signal über die Lieferdienste hinaus sein. Schließlich sind sie Teil der wachsenden sogenannten Gig-Ökonomie, in der sich Beschäftigte über Internetplattformen von einem prekären Auftrag – englisch: gig – zum nächsten hangeln.

Bisher galten diese Beschäftigten als schwer organisierbar. Ein Ruf, der zumindest bei den Lieferdiensten nicht mehr uneingeschränkt zutrifft.
* Vollständiger Name der Redaktion bekannt.
aus:

Jungle.World 2017/18 Inland

https://jungle.world/artikel/2017/18/der-prekaritaet-ausgeliefert

Von Peter Nowak

Flexibel ausgeliefert

Basisgewerkschaften rufen internationale Kampagne zur Vernetzung von Arbeitskämpfen bei Lieferdiensten ins Leben

In den letzten Monaten sorgten Arbeitskämpfe in verschiedenen europäischen Ländern für Schlagzeilen, mit denen Beschäftigte von Lieferdiensten wie Deliveroo und Foodora Erfolge bei der Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen erreichen konnten. Jetzt haben Basisgewerkschaften aus verschiedenen Ländern mit deliverunion eine internationale Solidaritätskampagne zur Vernetzung dieser Kämpfe initiiert. Aus Deutschland beteiligen sich die Basisgewerkschaften Freie Arbeiter Union (FAU) und IWW (Industrial Workers of the World).

Ausgangpunkt des internationalen Solidaritätsprojektes war eine Konferenz in Bilbao, wo Basisgewerkschaften aus aller Welt über eine Neuorientierung debattierten. »Der Wunsch nach mehr konkreten gemeinsamen Projekten, intensiverem Austausch und praktischer Klassensolidarität auch über die Grenzen des syndikalistischen Spektrums hinweg prägten diese Diskussion«, hieß es in einem Kongressbericht. Deliverunion ist eines der beschlossenen Projekte. Dabei soll nicht nur auf Italien und Großbritannien geschaut werden, wo bereits Arbeitskämpfe von Beschäftigten bei Lieferdiensten stattfanden. »Auch in Deutschland haben sich die FahrerInnen bereits selbstorganisiert und sich dabei ohne große Vorkenntnisse bisher sehr klug verhalten«, betont Clemens Melzer, Sprecher der Berliner FAU, gegenüber »nd«. Die Beschäftigten hätten sowohl zu ver.di als auch zur FAU Kontakt aufgenommen.

Melzer sieht gute Chancen, dass sich die Kooperation zwischen den renitenten Lieferdienstfahrern und seiner Gewerkschaft vertieft. Er sieht in den Kämpfen der Lieferdienste Sprengkraft. Ein Pluspunkt sei ihre Internationalität. So nutzen viele der Beschäftigten, die von Deliveroo angebotenen Möglichkeiten, sich in andere Länder versetzen zu lassen. Melzer sieht hierin eine gute Gelegenheit, auch die Erfahrungen über Arbeitskämpfe zu verbreiten. Basisgewerkschaften wie die FAU, die bereits seit langem eine »Foreigner Sektion« besitzt, in der Beschäftigte aus den unterschiedlichsten Ländern organisiert sind, könnten hier eine wichtige Rolle bei der Vernetzung spielen.

Der ver.di-Gewerkschaftssekretär Detlef Conrad ist skeptischer, was die dauerhafte Organisationsbereitschaft der jungen flexiblen Lieferdienstmitarbeiter betrifft. »Für viele ist es zudem nur ein Zweitjob neben dem Studium«, gibt er zu bedenken. Die Dienstleistungsgewerkschaft konzentriere sich auf den Teil der Beschäftigten, die dauerhaft an einen Ort beschäftigt sind, betont er. Bei Deliveroo sei man mit der Organisierung ebenso auf einen guten Weg, wie bei dem Unternehmen Bringmeister. Auch bei den Postzustellern der Pin-AG habe seine Gewerkschaft bereits einen erfolgreichen Arbeitskampf geführt.

Anders als die FAU setzt Conrad nicht auf die jungen, flexiblen Lieferdienstmitarbeiter sondern auf Beschäftigte, die aus gesundheitlichen Gründen die Arbeit nicht mehr leisten können. Meist, weil ihnen nach Jahren auf dem flexiblen Rennrad, der kaputte Rücken einen Strich durch die Rechnung macht. Hier werden Folgekosten für eine krankmachende Arbeit auf die Gesellschaft abgewälzt, meint Conrad, der bei ver.di neben den Lieferdiensten auch für Senioren zuständig ist. Eine eigene bundesweite Verwaltungsstelle nur für die Lieferdienste hält Conrad für denkbar, wenn sich zeige, dass eine relevante Anzahl von Beschäftigten sich bei ver.di organisieren wolle.

Link zur Kampagne:

http://deliverunion.com/

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1037633.flexibel-ausgeliefert.html

Peter Nowak

Lieferdienste auf sozialen Abwegen

Der Verein »Helle Panke« beleuchtet auf einer Veranstaltung die Hintergründe der Lieferdienstbranche

Im Straßenbild sind die Werbetafeln von Deliveroo und Foodora nicht mehr zu übersehen. Die beiden bekanntesten Start-up-Unternehmen der boomenden Lieferdienstbranche stehen in einem harten Konkurrenzkampf. Doch wie sind die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten und gibt es gewerkschaftliche Organisierungsversuche? Diese Fragen standen im Mittelpunkt einer Veranstaltung des Vereins »Helle Panke« dieser Tage in Berlin.  

Das Interesse der Besucher war groß, darunter viele ehemalige und noch aktive Fahrer. Auf dem Podium war allerdings kein Beschäftigter vertreten. Schließlich sind diese vertraglich verpflichtet, über ihre Arbeit zu schweigen. Daher waren die Lieferanten anonymisiert, die in einem Video monierten, dass sie über eine App ständig von ihrem Arbeitgeber kontrolliert werden können. Ein Fahrer, der nach einem Unfall im Krankenhaus stationär behandelt werden musste, beklagte, dass ihm von Foodora geraten wurde, den Unfall gegenüber seiner Krankenversicherung zu verschweigen.

Der Journalist Hendrik Lehmann, der für »Tagesspiegel Digital Present« die Lieferdienste genauer unter die Lupe genommen hat, steuerte weitere Beispiele für fehlende Rechte der Beschäftigten bei. So sollen Fahrer in Berlin bis zu 150 Euro für eine Weste mit dem Emblem ihrer Firma aus eigener Tasche bezahlen, die sie bei der Arbeit tragen müssen. Fahrer, die die Weste nicht kauften, werden in der App gesperrt – was den Verlust ihres Arbeitsplatzes bedeutete. Viele Betroffene sängen jedoch trotzdem das Hohelied auf Autonomie und Selbstständigkeit, so Lehmann.

Unabhängig seien die Fahrer lediglich von sozialen Regelungen, stellte die Journalistin Nina Schulz klar, die einen Blick über die Landesgrenzen warf. In Großbritannien hatten Lieferdienstfahrer im Sommer 2016 mehrere Tage gestreikt und so die Rücknahme geplanter Kürzungen bei den Prämien durchgesetzt. Auch in Italien kämpfen Beschäftigte von Lieferdiensten für bessere Bezahlung und mehr Pausen. Schulz betonte, dass das Geschäftsmodell der Lieferdienste vor allem für die Unternehmen von Vorteil sei. Diese müssten sich nicht einmal mehr um die Arbeitsmittel kümmern: Der Beschäftigte muss Fahrrad, Bekleidung und Smartphone selbst mitbringen. Lediglich die Algorithmen, die den Einsatz der Fahrer bestimmten, seien im alleinigen Besitz des Unternehmens und würden wie ein Betriebsgeheimnis behandelt. Schulz wandte sich gegen die verbreitete Annahme, dass die Lieferdienste bald durch Drohnen ersetzt würden. »Die Arbeit verschwindet nicht. Sie wird nur immer schlechter bezahlt«, betonte sie.

Aus dem Publikum kam die Frage, ob nicht im Zeitalter der »Arbeit 4.0« auch einmal über die »Gewerkschaft 4.0« gesprochen werden sollte. Statt einer schwerfälligen Bürokratie müsse es eine Plattform geben, auf der sich Beschäftigte, die nur wenige Monate im Lieferservice arbeiten, engagieren können. Ver.di-Sekretär Detlef Conrad verwies auf die Arbeitskämpfe im Einzelhandel oder bei der Post, bei denen die Gewerkschaft mit Flashmobs und Apps gearbeitet habe.

Vorerst organisieren sich die Lieferdienstfahrer noch in Internetforen und beklagen dort die schlechten Arbeitsbedingungen. Es wird aber auch darüber diskutiert, wann der richtige Zeitpunkt ist, um an die Öffentlichkeit zu gehen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1034265.lieferdienste-auf-sozialen-abwegen.html

Peter Nowak