Sklaven gehen offline

Die Verhandlungen über einen Tarifvertrag sind gescheitert. Nun droht dem Online-Versandhändler Amazon in Deutschland zum ersten Mal ein Streik.

Streik bei Amazon? Noch vor wenigen Wochen schien eine solche Schlagzeile kaum denkbar. Mitte Februar wurde durch eine ARD-Reportage bekannt, dass bei Amazon beschäftigte Leiharbeiter aus Spanien in engen Behausungen leben müssen und zudem von einer Sicherheitsfirma bewacht wurden, deren Angestellten Kontakte ins rechte Milieu nachgesagt wurden. Von einem Arbeitskampf war nicht die Rede. Dafür brach kurzfristig ein »Shitstorm« los, der einem Konzern, der sein Geschäftsmodell auf das Internet stützt, nicht gleichgültig sein konnte. Doch ausgerechnet die Verdi-Betriebsgruppe Logistikzentrum von Amazon in Bad Hersfeld distanzierte sich von diesem nicht vom Gewerkschaftsvorstand kontrollierten Aktivismus.

»Zuallererst möchten wir zum Ausdruck bringen, dass wir den ›Shitstorm‹ in diversen Foren, allen voran auf der Facebook-Seite von Amazon, verurteilen und ablehnen. Wir distanzieren uns ebenfalls von etwaigen Boykottaufrufen und sehen es mit Sorge, dass Kunden ihre Konten bei uns löschen«, heißt es in der Erklärung. »Ein Boykott hätte keine Verbesserung der Lage der bei Amazon Beschäftigten, egal ob Leiharbeiter oder Direktangestellte, zur Folge, sondern würde den psychischen Druck auf diese erhöhen und Angst um den Arbeitsplatz schüren«, lautet die Begründung der Betriebsgruppe. Denjenigen, die sich mit den Beschäftigten solidarisieren wollten, wurde stattdessen empfohlen, eine von Verdi initiierte Online-Petition für bessere Arbeitsbedingungen bei Amazon zu unterzeichnen. Hieß es früher sarkastisch, die schärfste Waffe der DGB-Gewerkschaften sei die Presseerklärung, scheint im Internetzeitalter die Online-Petition diese Rolle übernommen zu haben. Derzeit hat es jedoch den Anschein, als könnte die Gewerkschaft einen Erfolg verbuchen.

Schließlich haben sich Anfang April im Amazon-Versandzentrum in Leipzig bei einer Urabstimmung 97 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für einen Streik ausgesprochen. Ob und wann es zum Arbeitskampf kommen wird, ist noch offen. »Wir sind gerade dabei, das Superergebnis zu verdauen«, sagte Jörg Lauenroth-Mago, der zuständige Bereichsleiter von Verdi, in einer ersten Stellungnahme gegenüber der Nachrichtenagentur DPA. Etwas kämpferischer äußerte sich Heiner Reimann, der für das Amazon-Logistikzentrum in Bad Hersfeld zuständige Gewerkschafts­sekretär von Verdi.

Er sieht in einem klassischen Arbeitskampf noch immer die beste Möglichkeit, Verbesserungen für die Beschäftigten zu erreichen. »Wer Amazon treffen möchte, muss dafür sorgen, dass Amazon sein Kundenversprechen nicht einhalten kann: Heute wird bestellt, morgen geliefert. Um das zu erreichen, ist der klassische Streik wahrscheinlich das Mittel der Wahl«, sagte Reimann. Das Interesse der Medien, das einsetzte, nachdem in der ARD die Reportage »Ausgeliefert« über die Lebens- und Arbeitsbedingungen von spanischen Leiharbeitern gesendet worden war, habe aus seiner Sicht hingegen nichts bewirkt. »Der Mediensturm nach der ARD-Reportage über die miese Behandlung von Leiharbeitern im Weihnachtsgeschäft hat wenig negative Auswirkungen für das Unternehmen gehabt.« Zudem betont Reimann, dass in der Reportage und der nachfolgenden Diskussion nur ein Teil der Probleme zur Sprache gekommen sei, mit denen die Beschäftigten bei Amazon konfrontiert sind.

Der Gewerkschaftssekretär nennt die große Zahl von befristeten Arbeitsverträgen und berichtet vom enormen Leistungsdruck, der im Konzern herrsche. »Nicht einmal ein Drittel der über 4 600 Kollegen in Bad Hersfeld hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Das eigene Leben ist somit kaum planbar«, beschreibt Reimann Arbeitsverhältnisse, die mittlerweile längst nicht nur bei Amazon Einzug gehalten haben. Der Leistungsdruck betreffe alle, Amazon überprüfe zudem wie kein anderer Arbeitgeber jeden einzelnen Arbeitsschritt auf Effektivität. Jede Bewegung werde gemessen, analysiert und auf ihre Effizienz geprüft. Dafür nennt Reimann ein prägnantes Beispiel: »Vor kurzem gab es in einer Abteilung die Anweisung, dass die Beschäftigten maximal nur fünf Minuten mit einem Toilettengang verbringen dürfen. So etwas kenne ich nur von Amazon.« Allerdings gilt auch hier die Pa­role »Amazon ist überall«. Denn ein auf Niedriglöhne gestütztes Arbeitsregime, das Angriffe auf Betriebsräte mit der totalen Kontrolle der Mitarbeiter kombiniert, hat schon längst das Interesse von Unternehmen in anderen europäischen Ländern gefunden.

Für einen Gewerkschaftseintritt spiele bei Amazon-Mitarbeitern der Widerstand gegen die Überwachung und die Leistungskontrolle eine große Rolle, betont Reimann. »Wir haben die Leute gefragt, wo der Schuh drückt. Unabhängig von dem, was Gewerkschaften üblicherweise fordern, nämlich höhere Löhne, wollten wir wissen, was die Leute wirklich stört.« Tatsächlich ist es ein Fortschritt, wenn Verdi neben der Frage nach der Höhe der Löhne auch die Arbeitsbedingungen in den Mittelpunkt von Tarifverhandlungen stellt. Schließlich ist es erst wenige Jahrzehnte her, dass unter dem Stichwort »Humanisierung des Arbeitslebens« eine gesellschaftliche Debatte über die Arbeitssituation geführt wurde, in der gewerkschaftliche Argumente ein wichtiger Bestandteil waren. Angesichts der Zurückdrängung von gewerkschaftlicher Macht scheinen solche Forderungen heutzutage beinahe illusorisch. Das wird auch im Dokumentarfilm »Play hard, work hard« und dem Spielfilm »Die Ausbildung« sehr deutlich, die sich beide mit modernen Arbeitsverhältnissen befassen. Der größte Erfolg des modernen Arbeitsregimes besteht diesen Filmen zufolge darin, dass Vorstellungen von Solidarität, Renitenz am Arbeitsplatz oder gar gewerkschaft­licher Gegenmacht nicht einmal mehr sanktioniert werden müssen, weil sie in der Vorstellungswelt der Beschäftigten nicht mehr vorhanden sind. Da ist es schon als Erfolg zu werten, dass am 9. April mehrere Hundert Verdi-Mitglieder im Bad Hersfelder Logistikzentrum von Amazon einen Warnstreik abgehalten haben. Zuvor waren Gespräche über einen Tarifvertrag zwischen den Vertretern von Gewerkschaft und Amazon gescheitert.

Ende April soll auch in Bad Hersfeld die Urabstimmung abgeschlossen sein. Sollten die Amazon-Beschäftigten bei dieser Urabstimmung ebenso wie in Leipzig für einen Arbeitskampf stimmen, könnte die Gewerkschaft ganz traditionsbewusst am 1. Mai die Öffentlichkeit mit konkreten Informationen zum bundesweit ersten Streik von Amazon-Beschäftigten überraschen. Ob sich Verdi beim Streik gegen einen Online-Versandhandel an Aktionsformen des Einzelhandelsstreiks von 2008 orientiert, als unter dem Motto »Dichtmachen« Gewerkschafter mit solidarischen Kunden eine Supermarktfiliale blockierten? Dass eine solche Form des Protests auch virtuell möglich ist und erfolgreich sein kann, hat bereits die Internetdemonstration antirassistischer Gruppen gegen die Lufthansa im Jahr 2001 gezeigt. Ob die Internetaktivisten ähnliche Aktionen auch in einem Arbeitskampf zur Anwendung bringen, ist, nachdem sich die Verdi-Gruppe bei Amazon in Bad Hersfeld vom Shitstorm distanziert hat, offen. Aber eine Erlaubnis vom Gewerkschaftsvorstand brauchen sie dafür nicht.
http://jungle-world.com/artikel/2013/16/47538.html
Peter Nowak

Auf die Tastatur gehauen

Nach über einem halben Jahr Arbeitskampf stehen die streikenden Redakteure beim Schwarzwälder Boten kurz vor dem Erfolg.

Es könnte ein bedeutender Tag für die Redakteure des Schwarzwälder Boten werden, die sich seit Mitte Mai im Arbeitskampf befinden. Vor einigen Tagen setzten sie ihren Streik für Verhandlungen aus. Denn am Dienstag kommt es zur dritten und nach Einschätzung von Gewerkschaftern entscheidenden Tarifverhandlung zwischen Verdi und dem Deutschen Journalisten-Verband einerseits und der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) andererseits. Zu dieser Holding gehören neben dem Schwarzwälder Boten noch die Stuttgarter Zeitung, die Stuttgarter Nachrichten und die Süddeutsche Zeitung, die großen Printmedien aus Südwestdeutschland also. Geschäftsführer sowohl der Holding als auch des Schwarzwälder Boten ist Richard Rebmann, der erklärte Lieblingsfeind der Streikenden.

»Herzlich willkommen im Niedriglohn-Sektor von Dr. Rebmann«, lautet ein Slogan, den man im Streikblog häufiger lesen kann. Rebmann war es, der im März 2011 den Schwarzwälder Boten mit damals noch 430 Beschäftigten in zwei Gesellschaften aufgliederte: eine für die Redaktionen, die andere für die Anzeigenabteilung und die Geschäftsführung. Bereits 2008 war der »Grafikbote« gegründet worden, mit dem die Druckvorstufe ausgegliedert wurde. Deren Betrieb soll jetzt ganz eingestellt werden. Dafür sollen die Beschäftigten von einer konzerneigenen Leiharbeitsfirma mit niedrigeren Löhnen und schlechteren Arbeitszeiten übernommen werden.

Auch im Redaktionsbereich wurde gespart, wie Verdi an einigen Beispielen aufzeigte. So sollen die von der Redaktionsgesellschaft des Schwarzwälder Boten neu eingestellten Volontäre mit abgeschlossenem Studium im ersten Jahr nur noch 1 228,50 Euro statt wie bisher 1 755 Euro verdienen – ein Minus von 30 Prozent. Und davon sind nur 877,50 Euro als reguläres Gehalt deklariert, der Rest wird von der Geschäftsführung als jederzeit widerrufbare »freiwillige Zulage« verstanden. Außerdem wurden die Arbeitszeit auf 40 Stunden erhöht, die Zahl der Urlaubstage von 30 auf 27 im Jahr gesenkt sowie das Urlaubs- und Weihnachtsgeld komplett gestrichen. Daher sprach Verdi von Gehaltsverlusten bis zu 50 Prozent bei jungen Journalisten.

Aufgrund der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen traten am 20. Mai knapp 40 Prozent der Redakteure in den Streik. Die Kampfbereitschaft war für alle Beteiligten überraschend. »Es gab keine Streikkultur in der 175jährigen Geschichte des Schwarzwälder Boten. Das ist auch für die Geschäftsführung eine völlig neue Erfahrung«, sagt ein Betriebsratsmitglied, das namentlich nicht genannt werden will, der Jungle World. Ihm zufolge sei den Redakteuren durch die Umstrukturierungen bei der Druckvorstufe, die drei Jahre zuvor noch widerstandslos über die Bühne gingen, klar geworden, was die Ausgliederung für sie bedeute.

Dass sich der Arbeitskampf so lange hinzog – insgesamt gab es 96 Streiktage –, ist vor allem der Geschäftsführung geschuldet, die sich Verhandlungen lange verweigerte. Rebmann argumentierte, nicht seine Holding, sondern die ausgegliederte Geschäftsführung im Schwarzwälder Oberndorf sei zuständig. Diese Haltung musste er Anfang Dezember aufgeben, nicht nur wegen der Ausdauer der Streikenden, sondern auch wegen der Unterstützung, die der Arbeitskampf in der Zeitungsbranche erfuhr. »Wir fürchten, dass dieses Verhalten in anderen Verlagshäusern Schule machen könnte, wenn die Führung des Schwarzwälder Boten sich mit ihrer Vorgehensweise durchsetzt«, begründeten Redakteure und Volontäre des Mannheimer Morgen und des Südhessen Morgen ihre Solidarität mit den Streikenden. Ähnliche Erklärungen wurden in den vergangenen Wochen zahlreich an den »Streikboten« geschickt. So nennt sich die von den Redakteuren gestaltete Streikzeitung im Internet, die über Aktionen rund um den Arbeitskampf informiert. Von einer möglichen Signalwirkung redet auch das Betriebsratsmitglied: »Die Kollegen befürchten, dass die Aufspaltung des Schwarwälder Boten nur der Auftakt in der Branche ist.« Immerhin sei die SWMH der zweitgrößte Konzern in der Branche und setze Maßstäbe.

Mit verschlechterten Arbeitsbedingungen sehen sich derzeit viele in der Zeitungsbranche Tätige konfrontiert. Am meisten haben die freien Journalisten darunter zu leiden, denen eine Honorarkürzung oftmals nicht einmal angekündigt wird. So schildert ein Musikredakteur der Jungle World seine Erfahrungen mit der Lausitzer Rundschau: »Nach 15 Jahren regelmäßiger und dauerhafter freier Mitarbeit wurde bei mir das Zeilenhonorar um zwei Drittel gekürzt, ohne mich darüber zu informieren. Das konnte ich nur meinen Kontoauszügen entnehmen.« Er sollte für ein Zeilenhonorar von zehn statt wie bisher 31 Cent Artikel liefern. Seine Beschwerden hatten keinen Erfolg. »Die einzige Reaktion des Chefredakteurs bestand darin, in wenigen Zeilen darauf hinzuweisen, dass meine freie Mitarbeit nun beendet sei, und mir ›viel Glück‹ auf meinem weiteren Arbeitsweg zu wünschen.« Jener Chefredakteur hatte im Sommer 2010 seinen Dienst angetreten, um die Zeitung durch Einsparungen, unter anderem bei den Gehältern, zu sanieren. Obwohl dem Musikredakteur zufolge auch unter den festangestellten Redakteuren die Unzufriedenheit darüber groß war, sei es zu keinem Widerstand gegen die Einschnitte gekommen. Zu groß sei bei vielen die Angst gewesen, entlassen zu werden, wenn man sich zu sehr exponiere.

Eine solche Stimmung ist in der Zeitungsbranche weit verbreitet und erschwert die Solidarität. So sicherten auch beim Schwarzwälder Boten 15 freie Journalisten das Erscheinen einzelner Lokalausgaben während des Ausstands. Die Gewerkschaften sprechen von Streikbruch. Sollte es nächste Woche zu einem für die Beschäftigten akzeptablen Ergebnis kommen, dürften nicht nur bei den Kollegen des Schwarzwälder Boten die Sektkorken knallen. Sie hätten damit gezeigt, dass Arbeitskämpfe in der Zeitungsbranche möglich sind und sogar erfolgreich sein können.
http://jungle-world.com/artikel/2011/50/44520.html
Peter Nowak

Streit in Zeiten des Outsourcing

Seit zwölf Wochen streiken die Mitarbeiter eines Tochterunternehmens der Berliner Charité. Mit Erfolg, denn zumindest zeichnet sich nun ein Kompromiss ab.
Spendenaufrufe sind in der Vorweihnachtszeit nichts Ungewöhnliches. Doch der Appell des Solidaritätskomitees für die CFM-Beschäftigten fällt auf. »Wir möchten Euch dringend um Spenden für die Streikkasse der Kolleginnen und Kollegen beim Charité Facility Management (CFM) in Berlin bitten«, heißt es dort.

Es erinnert an die Frühzeit der Arbeiterbewegung, als vor mehr als hundert Jahren Gewerkschaften für streikende Kumpels aus den Zechen des Ruhrgebiets oder für Hafenarbeiter in Hamburg sammelten. Auch sonst erinnert manches am Arbeitskampf der Charité-Beschäftigten an längst vergangene Zeiten. Schließlich ist eine ihrer wichtigsten Forderungen der Abschluss eines Tarifvertrags. Bis Anfang voriger Woche beharrte die CFM darauf, dass es mit ihr einen Tarifvertrag nicht geben wird. »Da bewies man schon vor 140 Jahren mehr Sinn für sozialen Frieden, als die Buchdrucker 1871 den ersten Tarifvertrag erstritten«, kommentiert die Gewerkschaftszeitung Verdi-Publik diese Haltung.

In Zeiten des Outsourcing hat sich das geändert. Nicht nur in der Charité, auch in vielen anderen Bereichen der Arbeitswelt verfolgen Unternehmer mittlerweile die Strategie, tarifvertragsfreie Zonen zu schaffen. Beschäftigte in völlig unterschiedlichen Einrichtungen wie dem Berliner Ensemble, der Pflegefirma Alpenland und der Charité sind davon betroffen.

2006 wurde die Servicegesellschaft gegründet, in die das nichtmedizinische Personal des Klinikums verschoben wurde. Dazu gehören vor allem die Reinigungskräfte und das Wachpersonal. Sie wurden niedriger entlohnt. Seitdem verzeichneten Kollegen, die in der gleichen Schicht die gleiche Arbeit verrichten, Lohndifferenzen von mehreren Hundert Euro, berichtet Sascha Stanicic vom Solidaritätskomitee für die CFM-Beschäftigten. Das Komitee hatte in den vergangenen Wochen viel zu tun. Neben zwei Demonstrationen, die vor allem unter Gewerkschaftern Unterstützung fanden, gab es mehrere Aktionen und Flashmobs vor dem »Kulturkaufhaus Dussmann« im Berliner Bezirk Mitte. Das Unternehmen betreibt gemeinsam mit der Charité und den Unternehmen Hellmann und Vamed die Charité Facility Management GmbH. Vor einigen Tagen haben sich auch bekannte Künstler mit den Forderungen der Streikenden solidarisiert. Sie begründen ihre Einmischung damit, dass eine Teilhabe am kulturellen Leben ohne angemessene Löhne nicht möglich sei. Auch bei ihnen steht, wie bei den Streikenden, sowohl der alte rot-rote Berliner Senat als auch sein von der neuen Großen Koalition gebildeter Nachfolger in der Kritik. »Als Mehrheitseigentümer der CFM ist er für die Billiglöhne mitverantwortlich«, heißt es im Aufruf der Künstler. Tatsächlich wurde die CFM auf Druck des rot-roten-Senats gegründet, der die Charité zu Einsparungen aufgefordert hatte. Auf besondere Kritik der Gewerkschafter stößt der Umgang des Unternehmens mit dem Streik. So beklagt die Verdi-Streikverantwortliche Silvi Krisch, dass die Streikenden durch die Mitarbeiter des externen Wachschutzunternehmens Flash Security auf Schritt und Tritt überwacht würden. »Die haben den Auftrag, uns an den Hacken zu kleben«, moniert Krisch.

Während die Solidarität mit den Streikenden außerhalb der Charité wächst, macht den Streikenden ein Konflikt zwischen den in der Klinik vertretenen DGB-Gewerkschaften zu schaffen. Die IG Bau beteiligt sich nicht am Arbeitskampf und hat sogar in der Anfangsphase dagegen mobilisiert. Sie will die Putzkräfte in einen bundesweiten Reinigungstarif eingliedern. Zahlreiche Beschäftigte haben deshalb die IG Bau verlassen und sich Verdi oder dem Deutschen Beamtenbund (DBB) angeschlossen.

Der Druck scheint Wirkung zu zeigen. Am Montag einigte sich die CFM mit Verdi und DBB darauf, ab kommenden Mai einen Mindestlohn von 8,50 die Stunde und eine Einmalzahlung von 300 Euro im Januar 2012 zu zahlen. Am heutigen Donnerstag sollen die Streikenden über diesen Kompromiss abstimmen.

http://jungle-world.com/artikel/2011/49/44474.html

Peter Nowak

Gleiche Pflege, ungleicher Lohn

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit in Ost und West- dafür streiken die Beschäftigten der Alpenland Pflege GmbH seit Mitte August.

Alpenland – der Name erinnert an die Berge. Doch die Pflegefirma mit diesem Namen liegt am Fuße des Biesdorfer Schlosses in Berlin-Marzahn. Der Grund, warum die bayerische Firma dort ein Unternehmen aufgebaut hat, ist äußerst profan. Im Osten Berlins sind die Löhne immer noch niedriger als im Westteil der Stadt. Der Unterschied beläuft sich monatlich auf bis zu 170 Euro, rechnet Meike Jäger vor. Die ver.di-Sekretärin hat mittlerweile Hausverbot im Marzahner Pflegeheim. Denn dort ist die Belegschaft seit dem 18. August im Streik. Die Angleichung der Löhne auf das Westniveau gehört zu den zentralen Forderungen. Daneben wollen die Beschäftigten verhindern, dass ihre Arbeitszeit weiter flexibilisiert wird. »Bisher können wir über unsere Arbeitseinsätze entscheiden. Das soll auch so bleiben«, meint eine Beschäftigte, die in eine dicke Decke eingehüllt gegenüber dem Eingang des Pflegeheims in Biesdorf auf einer Holzbank sitzt. Sie gehört zum harten Kern von rund 40 Beschäftigten, die dort täglich die Streikwache stellen.

Die Stimmung ist gelöst. Doch, wenn sie auf den Grund ihres Ausstands zu sprechen kommen, ist ihnen nicht nach Scherzen zumute. »Wir sind seit 63 Tagen im Streik. Wo bleibt die Öffentlichkeit«, fragt eine Frau. Auch Jäger beklagt die Schwierigkeiten, die Forderungen der Beschäftigten bekannt zu machen. Schließlich handelt es scheinbar nur um einen Ausstand in einem Pflegeheim am Rande Berlins.

Doch tatsächlich hat der Ausstand eine viel grundsätzlichere Bedeutung, meint Norbert Paas. Der ver.di-Sekretär aus Frankfurt/Oder unterstützt die Streikenden in Marzahn. Das Grundproblem besteht für ihn darin, dass die Pflege mittlerweile immer stärker Profitinteressen unterworfen wird. Das bekommen die Beschäftigten ebenso zu spüren wie die Menschen, die in den Pflegeheimen leben. Auch in Frankfurt/Oder gibt es Probleme in Pflegeeinrichtungen der Arbeiterwohlfahrt AWO ebenso wie in städtischen Einrichtungen. Auch die von den Unternehmern gewollte Aufspaltung der Belegschaft sieht Paas kritisch »Wenn Neueingestellte 500 Euro mehr verdienen als Beschäftigte, die länger arbeiten, ist Solidarität schwer herzustellen.« Dabei betont Paas, dass er den Neueingestellten die bessere Bezahlung gönnt. Er fragt aber, warum nicht alle Beschäftigten davon profitieren.

Auch bei Alpenland ist die Solidarität unter den Beschäftigten immer ein Thema. Den 40 regelmäßigen Streikaktiven steht eine fast gleich große Zahl von Beschäftigten gegenüber, die individuelle Verträge mit den Unternehmen geschlossen haben und sich am Ausstand nicht beteiligen. Dabei haben sie sich aber zusichern lassen, dass sie davon partizipieren werden, wenn es den Streikenden gelingt, sich mit ihren Forderungen durchzusetzen. Daneben gibt es eine schweigende Mehrheit in der Belegschaft, die weder einen individuellen Vertrag unterschrieben hat, sich aber auch nicht am Streik beteiligt. »Da wird die Solidarität der aktiven Kollegen schon stark strapaziert«, betont Jäger.

Umso wichtiger sei da deiUnterstützung von außen. So war die Freude groß, als sich die ver.di-Senioren anmeldeten. Gerade jetzt, wo die Temperaturen fallen und bald eine Feuertonne für Wärme bei der Streikwache sorgen wird, fragen sich viele, wie lange sie noch durchhalten werden. Doch noch sagt die Mehrheit der Aktiven, wir lassen uns nicht unterkriegen, wenn der Unternehmer sich nicht bewegt. Nach mehr als einem Monat wurden gestern die Verhandlungen mit Alpenland fortgesetzt. Sie dauerten bei Redaktionsschluss dieser Seite an.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/209390.gleiche-pflege-ungleicher-lohn.html

Peter Nowak

Demo für Streikende

CHARITÉ Der Streik dauert seit sechs Wochen an. Eine Einigung ist bislang nicht in Sicht

Mehrere hundert Menschen haben mit einer Demonstration am Samstag zur Solidarität mit den streikenden MitarbeiterInnen der Charité und der Alpenland-Pflegedienste aufgerufen. Beteiligt waren unter anderen die Gewerkschaft Ver.di und ein Solidaritätskomitee, an dem neben Gewerkschaften auch soziale Initiativen beteiligt sind.

Seit dem 18. August sind MitarbeiterInnen der Alpenland Pflegedienste und der Charité im Ausstand. „Die Streiks sind ein Mittel, die sich ausbreitende Prekarisierung, und die Untergrabung von ArbeitnehmerInnenrechten zu bekämpfen“, begründet Sascha Stanicic vom Solidaritätskomitee, warum der Ausstand nicht allein Sache der Beschäftigten sein soll.

Die berichteten von Aufforderungen zum Streikbruch und Einschüchterungsversuche. „Das hat die KollegInnen nur noch entschlossener gemacht. Wir setzten den Streik fort, bis es gleiche Löhne in Ost- und Westberlin gibt“, sagt Maike Jäger vom Ver.di-Fachbereich 3. Einheitliche Löhne sind eine zentrale Forderung der Beschäftigten des Pflegeunternehmens. Kommenden Donnerstag soll dort weiterverhandelt werden. Zur Unterstützung ruft Jäger für diesen Tag zu Besuchen der Streikenden in der Weißendörfer Straße 64 in Biesdorf auf. Die Charité Facility Management GmbH ist bisher nicht zu Tarifverhandlungen bereit.

Die GewerkschafterInnen wollen in nächster Zeit in weiteren Aktionen ihre Solidarität mit den Streikenden zeigen. Schon im Einzelhandelsstreik 2008 beteiligten sich soziale Initiativen zur Unterstützung der KollegInnen. Die Demonstration am Samstag bestimmten allerdings die GewerkschafterInnen schon optisch. Die Aktivisten aus sozialen Initiativen beteiligten sich wiederum zwei Stunden später an der Demo zu globalen Krisenaktionstag.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2011%2F10%2F17%2Fa0114&cHash=fa438f86ba

Peter Nowak

Bestrafung für eine Stunde Streik

Noch zu Beginn des neuen Schuljahrs sollten Birgit Mills und Claus-Timm Carstens befördert werden: Mills zur Leiterin der Flensburger Hohlwegschule und Carstens zum Leiter der Elmshorner Gemeinschaftsschule Langelohe. Doch der Bildungsminister von Schleswig-Holstein Ekkehard Klug (FDP) machte die Pläne zunichte. Die beiden Lehrer wurden von Klug jetzt dafür bestraft, dass sie sich am 3. Juni 2010 für eine Stunde an einem landesweiten Streik beteiligt hatten. Zu der Arbeitsniederlegung hatte die Gewerkschaft GEW aufgerufen, um gegen längere Arbeitszeiten und Kürzungen im Bildungsbereich zu protestieren. Weil Beamte nach den Grundsätzen des Berufsbeamtentums nicht streiken dürfen, hatte das Bildungsministerium von Schleswig-Holstein den Lehrern in einem Schreiben vom 26. Mai mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur außerordentlichen Kündigung gedroht, wenn sie sich an der Aktion beteiligen. Trotzdem beteiligten sich auch ca. 2000 verbeamtete Lehrer an den Protesten. Unmittelbar nach der Aktion wurden ihre Gehälter gekürzt. Anderen Pädagogen droht ein ähnlicher Karriereknick wie Carstens und Mills.

Für den GEW-Vorsitzenden von Schleswig-Holstein, Matthias Heidn, kollidieren die Sanktionen mit der europäischen Rechtssprechung, die das Streikrecht erst jüngst gestärkt hat. Tatsächlich sollte die GEW die Repressalien zum Anlass nehmen, das vordemokratische deutsche Beamtenrecht infrage zu stellen. Schließlich wird am Beispiel von Schleswig-Holstein deutlich, dass es als Abschreckung gegen demokratische Aktivitäten eingesetzt wird und nicht nur engagierte Pädagogen disziplinieren soll. Auch den Schülern wird hier beigebracht, dass mit Nachteilen rechnen muss, wer seine eigenen Interessen vertritt. Das müssen sie oft selber erfahren, wenn sie sich während der Unterrichtszeit an Bildungsstreiks beteiligen. Erziehung zu mündigen Bürgern sieht anders aus.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/181865.bestrafung-fuer-eine-stunde-streik.html

Peter Nowak

Solidarität mit Tekel wächst

Kundgebung in Berlin für Arbeiter des türkischen Ex-Staatsbetriebs
In Berlin demonstrierten Deutsche, Türken und Kurden zusammen gegen die Massenentlassungen beim ehemaligen türkischen Staatsunternehmen Tekel. Auch Gewerkschaften hierzulande solidarisieren sich.
 
Sprechchöre in deutscher, türkischer und kurdischer Sprache schallten am Mittwochnachmittag durch Kreuzberg. Rund 100 Menschen hatten sich in Berlin mit dem Arbeitskampf der Beschäftigten bei Tekel solidarisiert. Seit der Privatisierung des ehemals staatlichen türkischen Tabakkonzerns protestieren fast 12 000 Arbeiter seit dem 15. Dezember gegen drohende Entlassungen und Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen.

Ein Sprecher des aus Gewerkschaftern sowie türkischen und kurdischen Vereinen bestehenden Solidaritätskomitees mit den Tekel-Beschäftigten berichtete über den aktuellen Stand des Arbeitskampfes. Der Streik habe in der Türkei schnell eine landespolitische Bedeutung bekommen. In ihm komme die zunehmende Unzufriedenheit mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik der konservativ-islamischen Regierung zum Ausdruck. Wegen der großen Unterstützung in der Bevölkerung mussten sich mittlerweile die Verantwortlichen der Polizei für die Repression entschuldigen, mit der anfangs gegen die Streikenden vorgegangen worden war. Derzeit versucht die Regierung Zeit zu gewinnen, so die Einschätzung eines anderen Redners. Ein Vermittlungsversuch unter Beteiligung führender Gewerkschaften sei vor wenigen Tagen gescheitert, weil die Regierung nur über Entschädigungen verhandeln wollte.

Eine Gruppe von Arbeitern hat daraufhin einen ausgesetzten Hungerstreik wieder aufgenommen. Rufe nach einem Generalstreik in der Türkei werden immer lauter. Gleichzeitig hat der türkische Ministerpräsident Erdogan mit der baldigen Räumung der Zeltstadt in Ankara gedroht, in der sich die Streikenden aufhalten. Sie ist auch Anlaufpunkt für die Delegationen aus aller Welt geworden.

Inzwischen haben in vielen Ländern Solidaritätsaktionen begonnen – in Deutschland relativ spät, meinte Selahattin Yildirim gegenüber ND. Er ist Koordinator der Solidaritätsaktionen in Deutschland. »Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) unterstützt als Partnerorganisation der Tekel-Beschäftigten die Solidaritätsarbeit von Anfang an«, betont Yildirim. Vom DGB allerdings wünscht er sich noch eine wirkungsvolle Unterstützung. Auch der Berliner IG-Metall-Betriebsrat Mustafe Efe sprach sich auf der Berliner Kundgebung für eine stärkere gewerkschaftliche Unterstützung für die türkischen Kollegen aus. Er zog dabei auch Parallelen zur Situation in Deutschland. Kämpferische Gewerkschafter fühlen sich durch den Arbeitskampf in der Türkei motiviert, meinte Efe, der in einem Berliner Autowerk für eine linksoppositionelle Liste zur Betriebsratswahl kandidiert. Am kommenden Mittwoch ist in Berlin eine weitere Kundgebung geplant. In anderen Städten sind ähnliche Aktionen in Vorbereitung. Auch das Europäische Parlament will sich mit den Arbeiterrechten in der Türkei befassen, so Yildirim. Schließlich seien bei der Privatisierung der Tabakfabrik wesentliche Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) umgangen worden.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/164421.solidaritaet-mit-tekel-waechst.html

Peter Nowak