»Demonstrationsrecht verteidigen«


Gewerkschaften gegen Grundrechtseinschränkungen / Kritik an Kriminalisierung von Vereinen

Das Bündnis »Demonstrationsrecht verteidigen« will im Sommer 2018 in mehreren Städten mit Demonstrationen gegen den Abbau der Grundrechte protestieren. Die Initiative entstand unmittelbar nach dem G20-Treffen im vergangenen Jahr in Hamburg. Dort mussten Tausende die Erfahrung machen, dass Grundrechte massiv beschnitten wurden. Das fing mit der polizeilichen Verhinderung eines Camps von Gipfelgegnern an, trotz gegenteiliger Gerichtsentscheidungen. Demonstrations- und Kundgebungsverbote gehörten ebenso dazu, wie Buskontrollen während der An- und Abreise der Demonstranten. Betroffen davon war auch eine Gruppe von Gewerkschaftern wie Nils Jansen. Er ist Mitglied im ver.di-Bezirksjugendvorstand NRW-Süd und Sprecher der Initiative »Grundrechte verteidigen«. Bereits am 7. Oktober 2017 organisierte das Bündnis einen bundesweiten Grundrechtekongress in Düsseldorf, an dem über 100 Menschen aus außerparlamentarischen Initiativen aber auch der LINKEN teilnahmen. Die dort verabschiedete Erklärung endete mit dem Bekenntnis: »Die uns durch unsere Verfassung gewährten Rechte lassen wir uns nicht nehmen.« Dort verständigte man sich auch auf Protestaktionen im Jahr 2018.

Auf einem bundesweiten Vorbereitungstreffen, das am 4. März von 11 – 17 Uhr im Haus Gallus in Frankfurt am Main stattfinden wird, sollen die Planungen für die Protestaktionen vorbereitet werden. Dabei setzt man auf dezentrale Aktionen in vier Städten in Deutschland. Initiativensprecher Nils Jansen macht im Gespräch mit »nd« deutlich, dass es bei den Aktionen nicht nur um den Kampf gegen die Einschränkungen des Demonstrationsrechts geht. In einem Aufrufentwurf, den die Grundrechteinitiative kürzlich veröffentlichte, wird die Kriminalisierung linker türkischer und kurdischer Vereine kritisiert. In den vergangenen Monaten sind mehrere ihrer Demonstrationen polizeilich aufgelöst worden, weil inkriminierte Symbole und Fahnen gezeigt wurden.

Auch die Einschränkung von Gewerkschaftsrechten durch das Tarifeinheitsgesetz wird von der Grundrechtsinitiative kritisiert. Das Gesetz schränkt die Rechte von kleineren Gewerkschaften in einem Betrieb massiv ein und wurde von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di abgelehnt.

Doch die geplanten Proteste haben auch eine geschichtliche Dimension. »Wir wollten die Erfahrungen, die wir beim G20-Gipfel mit den Grundrechtseinschränkungen gemacht haben, mit einem historischen Datum verbinden«, betont Nils Jansen. Am Mai 1968 protestierten Tausende Menschen unter dem Motto »Notstand der Demokratie« gegen die von der damaligen großen Koalition vorangetriebenen Notstandsgesetze mit einem Sternmarsch in der damaligen BRD-Hauptstadt Bonn. Er war der Höhepunkt einer jahrelangen außerparlamentarischen Bewegung, an der sich junge und alte Linke, darunter viele Gewerkschafter beteiligen. Die Initiative »Grundrechte verteidigen« will 50 Jahre danach an diese Kämpfe anknüpfen und wieder sind Gewerkschaften federführend daran beteiligt.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1079966.demonstrationsrecht-verteidigen.html

Peter Nowak

Militanztexte vom Regierungsnetzwerk

Gefahrenprognosen sind ein mächtiges Mittel für Behörden, Meinungsfreiheit einzuschränken

Werden Demonstrationen verboten oder mit Auflagen eingeschränkt, hat die Polizei meist eine Gefahrenprognose erstellt, die vor Sicherheitsmängeln warnt. Die Prognosen sind schwer überprüfbar, aus Sicht der Behörden ist das kein Nachteil. Bürgerrechte bleiben dabei auf der Strecke. Was fehlt, sind verbindliche Sanktionen, wenn mal wieder Jahre später die Rechtswidrigkeit festgestellt wurde.

Ende Januar musste das Verwaltungsgericht (VG) Schwerin noch einmal über das Agieren der Polizei beim G8-Gipfel von Heiligendamm entscheiden. Das Verbot eines Sternmarsches, mit dem G8-Gegner am 7. Juni 2007 gegen das Treffen protestieren wollten, wurde für rechtswidrig erklärt. »Wir sehen uns in unserer Auffassung bestätigt, dass mit dem Verbot unzulässig in das Grundrecht der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit eingegriffen wurde«, heißt es in einer Erklärung von Attac.

Kritischer urteilte Ulrike Donat vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), die die Kläger vertrat: »Wieder einmal bekommen wir im Nachhinein recht – aber die Versammlung konnte nicht stattfinden.« Donat wies auch auf einen Schwachpunkt der Entscheidung hin. Denn das Gericht lehnte es ab, sich mit dem Wahrheitsgehalt der Polizeipropaganda zum Gefahrenpotenzial des Sternmarsches genauer zu beschäftigen.

Damit sprach sie einen Punkt an, der schon während und nach dem G8-Gipfel für Diskussionen sorgte. Damals hatten Menschenrechtsorganisationen und Demonstranten schwere Vorwürfe gegen die polizeiliche Sonderbehörde Kavala erhoben. Diese hatte gezielt Falschmeldungen gestreut, beispielsweise über Vermummungen und Steinewerfer oder angebliche Säureattacken durch Clowns. Diese Meldungen waren die Grundlage für die polizeiliche Gefahrenprognose, die zum Verbot des nun für rechtswidrig erkannten Sternmarsches führten.

Nicht nur im Zusammenhang mit Heiligendamm sind die polizeilichen Einschätzungen in der Kritik. So hatte die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg bereits im Jahr 2004 eine Pressemeldung gegen ein Demonstrationsverbot während des Castortransports mit dem Titel »Gegen Polizeipropaganda und falsche Gefahrenprognosen« überschrieben. Als willkürlich gilt auch die Gefahrenprognose der niedersächsischen Polizei für die vom DGB angemeldeten Proteste gegen einen Neonaziaufmarsch in Bad Nenndorf, die vom NDR bekannt gemacht worden war. Die Polizei hatte Straßenkampf, Molotowcocktails und Steinwürfe vorhergesagt und auf ein allgemeines Demonstrationsverbot gedrängt. Dabei wollten die Nazigegner ein friedliches Straßenfest gegen Rechts organisieren.

Bei der Erstellung der Gefahrenprognosen stützen sich die Beamten zunehmend auf meist anonym im Internet kursierende Erklärungen. Die Herkunft der Texte bleibt meist unklar. Manchmal stößt man aber auch auf überraschende Quellen: So wurde Ende Januar bekannt, dass Aufrufe im Internet zur Militanz bei einer Demonstration gegen ein Kraftwerk von einem Server aus dem Netzwerk der britischen Regierung gepostet wurden. Das war durch die Überprüfung von IP-Adressen aufgeflogen. Mit diesen Texten hatten Behörden verschärfte Auflagen bei der Demonstration und die Beschlagnahme von Servern bei Aktivisten begründet.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/190503.militanztexte-vom-regierungsnetzwerk.html

Peter Nowak