Flüchtlinge als Kofferträger

Für 1,05 Euro beschäftigte Schwäbisch Gmünd Asylsuchende

Der Bahnhof in Schwäbisch Gmünd wird umgebaut, und die Wege für Reisende sind beschwerlich. Um sie zu entlasten hat die Stadt Asylsuchende zum Niedriglohn als Gepäckträger eingesetzt. Nach bundesweiter Kritik wurde das Projekt jedoch am Mittwoch wieder eingestellt.

Für den Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd Richard Arnold (CDU) sollte es ein Projekt mit bundesweiter Ausstrahlung sein. Stattdessen hagelte es dermaßen Kritik, dass es am Mittwoch wieder eingestellt wurde. Am 4. Juli stellte Arnold gemeinsam mit Stadtrat Klaus Pavel eine Gruppe von Flüchtlingen vor, die am Bahnhof der baden-württembergischen Stadt Koffer und anderes Gepäck von Touristen transportieren sollten. Weil der Bahnhof gerade umgebaut und restauriert wird, müssen Reisende oft lange Wege zu ihren Bussen und Taxen zurücklegen. Vom Bahnsteig muss man außerdem über eine steile Treppe steigen, was insbesondere mit Gepäck mühsam ist. Die Kofferträger bekommen von der Stadt einen Stundenlohn von 1,05 Euro – was diese damit begründet, dass ein höherer Lohn laut Asylbewerberleistungsgesetz nicht erlaubt sei. Zudem erhalten sie ein Ticket zum Bahnhof und ein rotes T-Shirt, auf dem groß das Wort »Service« gedruckt ist. Als Schutz gegen die Sonne werden auch Hüte zur Verfügung gestellt.

»Wir brauchen solche Projekte. Es ist toll, dass Flüchtlinge eingebunden sind. So kann sich gegenseitig geholfen werden und es können Sympathien entstehen,« erklärte Arnold dem Lokalblatt »Gmünder Tagespost«. Das Projekt könne als Vorbild dienen für andere Städte, waren sich Oberbürgermeister und Stadtrat sicher. »Wir haben in Gmünd viele Flüchtlinge, und es werden stetig mehr. Da setzen sich die Bürger natürlich mit dem Thema auseinander. Es ist toll, wenn das durch eine witzige und tolle Aktion geschieht, die beiden Seiten was bringt«, übte sich Arnold im Selbstlob. Das Projekt geht über das Koffertragen hinaus: andere Flüchtlinge helfen im Blindenheim oder bei der Lebenshilfe aus.

Die Kritik vor Ort war lediglich verhalten. Die Schwäbisch Gmünder Linke monierte vor allem die geringe Entlohnung der Kofferträger. »Man wird das Gefühl nicht los, dass die Stadtverwaltung die prekäre Situation dieser Menschen ausnutzt«, so die Sprecherin der Linken Cynthia Schneider. »Es kann nicht sein, dass die Situation der Menschen dafür genutzt wird, Engpässe bei der Stadtverwaltung mit Ein-Euro-Jobs aufzustocken und dann noch von Integration zu sprechen«, moniert der Schwäbisch Gmünder Bundestagskandidat der Linken Jörg Drechsel. In einer Resolution an den Oberbürgermeister wurde ein Mindestlohn für die Kofferträger gefordert. »Das, was zurecht für hier dauerhaft lebende Menschen gefordert wird, muss ja wohl für alle Menschen gelten, sonst entsteht der Eindruck, dass dies Menschen zweiter Klasse sind. Das kann ja wohl niemand wollen«, so das Vorstandsmitglied der Linken in Schwäbisch Gmünd Kai Jünger.

Eine grundsätzlichere Kritik an dem Kofferträger-Projekt kommt vom Berliner Bündnis »Rechtspopulismus stoppen«. Vom »Sklavenmarkt in Schwäbisch Gmünd« spricht Sprecher Dirk Stegemann. Die Flüchtlinge würden als billige Kofferträger für die »weißen« Herren genutzt. Die »Billigarbeiter« seien weiter ohne Rechtsanspruch und Arbeitserlaubnis. Von einer »Freiwilligkeit« auszugehen, sei mit Blick auf ihre prekäre rechtliche, finanzielle und unmenschliche Lebenssituation zynisch und menschenverachtend.

Die Idee von Ein-Euro-Kofferträgern ist nicht ganz neu: Schon 2008 sorgte der Einsatz von Erwerbslosen für bundesweites Aufsehen und Kritik, die für nur einen Euro Stundenlohn am Bahnhof im nordrhein-westfälischen Soest Gepäck schleppen sollten. Auch dieses Projekt wurde bald abgebrochen.

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Peter Nowak