»Von den Sozialbehörden zu den Ausländerbehörden«

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass Deutschland arbeitslosen Zuwanderern aus anderen EU-Ländern Hartz IV verweigern darf. Die Jungle World hat mit Lutz Achenbach gesprochen. Er ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Sozialrecht in Berlin und vertritt EU-Bürger, denen Hartz-IV-Leistungen verweigert werden.

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Deutschland einer Rumänin Hartz-IV-Leistungen verweigern kann. Sind Sie enttäuscht?

Es hätte natürlich auch gute Argumente dafür gegeben, der Frau aus Rumänien Leistungen nach Hartz IV zuzusprechen, beispielsweise das Diskriminierungsverbot innerhalb der EU. Viele hätten sich auch gewünscht, dass das Gericht grundsätzlicher über die Frage entscheidet, welche Verbindung ein EU-Bürger zum deutschen Arbeitsmarkt in Deutschland haben muss, wenn er Leistungen nach Hartz IV bekommt. Das hat der EuGH nicht gemacht.

Wird durch das Urteil die Situation für EU-Bürger erschwert, Leistungen nach Hartz IV zu beantragen?

Zunächst einmal wurde ein Einzelfall entschieden, der mit der Frage, mit der wir uns seit langem befassen, nicht direkt etwas zu tun hat.

Warum?

In dem konkreten Fall, über den der EuGH am Dienstag entschieden hat, ging es um eine Rumänin, die mit ihren Kind bei ihrer Schwester in Leipzig lebt und dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht. Hier hat das Gericht entschieden, dass keine Hartz-Leistungen gezahlt werden müssen. Wir kennen aber viele Fälle von EU-Bürgern, die dem Arbeitsmarkt in Deutschland zur Verfügung stehen und teilweise auch schon hier gearbeitet haben, denen Hartz-IV-Leistungen verweigert werden. Darüber hat das Gericht nicht entschieden und das Urteil ist damit nicht unmittelbar auf sie anwendbar.

Welche Verschärfungen plant die Politik, um EU-Bürger von den Leistungen auszuschließen?

Gerade wurde eine Änderung des Freizügigkeitsgesetzes auf den Weg gebracht, die das Recht zur Arbeitssuche auf sechs Monate begrenzt. Wer länger bleiben will, muss gegenüber der Ausländerbehörde nachweisen, begründete Aussicht zu haben, eingestellt zu werden. Damit wird das Problem weg von den Sozialbehörden hin zu den Ausländerbehörden geschoben, wo sich die Bundesregierung eine restriktivere Auslegung erhofft.

http://jungle-world.com/artikel/2014/47/50960.html

Interview: Peter Nowak

»Nur ein Einzelfall«

Der Berliner Sozialrechtler Lutz Achenbach über das Urteil des EuGH

Deutschland darf einer Rumänin Hartz-IV-Leistungen verweigern. Hat sich damit die deutsche Rechtslage durchgesetzt?
Zunächst einmal wurde ein Einzelfall entschieden, der mit der Frage, mit der wir uns seit Langem befassen, gar nichts zu tun hat.

Warum?
In dem Fall, über den der EuGH entschieden hat, ging es um eine Rumänin, die mit ihrem Kind bei ihrer Schwester in Leipzig lebt und noch nie gearbeitet oder sich beworben hat. Hier hat das Gericht entschieden, dass keine Hartz-Leistungen gezahlt werden müssen. Wir kennen aber viele Fälle von EU-Bürgern, die dem Arbeitsmarkt in Deutschland zur Verfügung stehen, sich bewerben und teilweise auch schon hier gearbeitet haben und denen Hartz-IV-Leistungen verweigert werden. Darüber hat das Gericht nicht entschieden und sie sind von dem Urteil daher auch nicht betroffen.

Warum wird dann dem Urteil in der Öffentlichkeit eine solche Bedeutung zugesprochen?
Die Leipziger Richter, die den Fall vorliegen hatten, haben natürlich ein begründetes Interesse daran, dass hierüber von einem europäischen Gericht entschieden wird. Das liegt auch daran, weil im hier einschlägigen SGB II nichts darüber enthalten ist, wie mit EU-Bürgern verfahren wird, die nicht mal arbeitssuchend sind.

Sind Sie über das Urteil enttäuscht?
Es hätte natürlich gute Argumente dafür gegeben, auch der Frau aus Rumänien Leistungen nach Hartz IV zuzusprechen, beispielsweise das Diskriminierungsverbot innerhalb der EU. Viele hätten sich auch gewünscht, dass das Gericht grundsätzlicher über die Frage entscheidet, welche Verbindung ein EU-Bürger zum deutschen Arbeitsmarkt in Deutschland haben muss, wenn er Leistungen nach Hartz IV bekommt. Das hat der EuGH nicht gemacht.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/952071.nur-ein-einzelfall.html

Fragen: Peter Nowak

»Kein Anspruch, weil das Gesetz geändert wurde«

Allein in Berlin gibt es unzählige erwerbslose EU-Bürger, die keinerlei finanzielle Unterstützung bekommen, weil die Bundesregierung vor einem Jahr gegen das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) einen Vorbehalt eingelegt hat. Giulia Tosti, eine vom Hartz-IV-Entzug Betroffene, berichtet von ihren Erfahrungen.

Wann haben Sie mit dem deutschen Hartz-IV-System zu tun bekommen?

Ich bin im Sommer 2010 nach Berlin gekommen und habe als Assistentin in einer Galerie gearbeitet. Ein Jahr später musste die Galerie schließen und ich wurde erwerbslos. Nach einigen Monaten Jobsuche auf eigene Faust habe ich dann einen Antrag auf Arbeitslosengeld II gestellt, der auch genehmigt wurde. Im Februar 2011 ging die erste Zahlung auf meinem Konto ein. Als einen Monat später dann kein Geld kam, dachte ich, es würden wohl noch Dokumente fehlen. Doch die Sachbearbeiterin teilte mir mit, dass ich keinen Anspruch mehr auf Hartz IV habe, weil das Gesetz geändert worden sei.

Wurden Sie im Jobcenter über Ihre Rechte informiert?

Nein, die Sachbearbeiterin sagte mir, es täte ihr leid, aber mir blieben nur drei Möglichkeiten: Ich müsse schnell wieder einen Job bekommen, nach Italien zurückkehren oder mir einen reichen deutschen Freund anschaffen.

Das waren für Sie aber keine Optionen?

Nein, ich informierte mich bei einer Beratungsstelle über meine Rechte. Ich stellte einen Eilantrag und bekam dann auch schnell wieder Hartz-IV-Leistungen ausgezahlt. Leider war der Erfolg aber nur von kurzer Dauer. Mein Folgeantrag wurde nämlich mit der Begründung abgelehnt, dass ich wegen des EFA-Vorbehalts keinen Anspruch mehr hätte. Da ich zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als ein Jahr in Deutschland lebte, ist dieser Vorbehalt in meinem Fall aber gar nicht anwendbar. Obwohl ich alle Belege und Rechnungen an das Jobcenter schickte, erhielt ich nach drei Wochen erneut eine Ablehnung, und das mit derselben Begründung wie beim ersten Mal. Ich nahm mir dann einen Rechtsanwalt und klagte.

Wie ist der derzeitige Stand?

Obwohl ich mittlerweile wieder in einer Galerie arbeite und theoretisch Hartz IV als »Aufstockerin« beantragen könnte, halte ich die Klage aus Prinzip aufrecht. Bisher gab es noch keine endgültige Entscheidung. Zum Glück bin ich jetzt aber über meinen deutschen Freund, der ebenfalls Hartz IV bezieht, krankenversichert.
http://jungle-world.com/artikel/2013/10/47284.html
Interview: Peter Nowak