"Systemsturz – Der Sieg der Natur über den Kapitalismus" wurde zum Bestseller. Kohei Saito schlägt den Degrowth-Kommunismus vor. Was daran gewagt ist – und was fehlt.

Klima und Klassenkampf: War Karl Marx der erste Ökologe?

Es besteht eine merkwürdige Diskrepanz zwischen der im ersten Teil mit Verve begründeten Option des Degrowth-Kommunismus und den reformerischen Vorschlägen im Anschluss. Ein Schwachpunkt ist auch, dass die Lohnabhängigen in diesem Buch nur eine untergeordnete Rolle spielen. Sicherlich finden sich in den von Saito vorgestellten fünf Säulen zum Degrowth-Kommunismus sinnvolle Forderungen, etwa nach Verkürzung der Arbeitszeit, demokratischer Kontrolle des Produktionsprozesses im Betrieb und einer Gebrauchswertwirtschaft, die sich an den Grundbedürfnissen der Menschen orientiert.

Als 2017 der Historienfilm „Der junge Marx“ in die Kinos kam, waren manche über den Beginn erstaunt. Die erste Szene zeigt nämlich keine Arbeiter im Streik oder auf den Barrikaden, sondern Landarbeiter, die Fallholz im Wald sammeln, was damals als Diebstahl galt. Die Feudalherren, die sich den Wald angeeignet haben, ließen ihre Privatarmee auf die Menschen los, die im Wald Holz sammelten. Viele wurden schwer verletzt oder ermordet. Diese Szene bezog sich auf die Texte von Karl Marx in der Neuen Rheinischen Zeitung über das Holzdiebstahlgesetz, das den Terror gegen die Landlosen, die das Holz zum Feuer machen sammelten, legitimierte. Diese Szene ist auf zweifache Weise interessant. Erstens wird der Blick …

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Eine Rezension zum neuen Historienfilm von Cyril Schäublin.

DIE UNRUH IN DIE GESELLSCHAFT TRAGEN

Da ist Unruh gerade das positive Gegenteil zum Film „Der junge Marx“ von 2017. Dort geht es ausführlich um das Leben von Marx und Engels. Die Arbeiterinnen, die in den Textilfabriken von Manchester schuften mussten, die Engels mal erben sollte, kamen nur als Statist *innen vor. In Unruh hingegen spielt Kropotkin diese Nebenrolle, wird mal von den Polizisten von der Uhrenfabrik verscheucht.

Die Fabrikhallen sind hell und die Arbeiterinnen sind keineswegs demütig und geduckt, sondern selbstbewusst und immer wieder auch aufmüpfig. Wir befinden uns im Jahr 1877 im Schweizer Jura. Dort boomt gerade die Uhrenindustrie, die damals zu einem weltweiten Exportprodukt wurde. Hergestellt werden die Uhren hauptsächlich von Frauen. Der kürzlich angelaufene Film des Schweizer Regisseurs Cyril Schäublin mit dem bezeichnenden Titel „Unruh“ führt die Zuschauer*innen gekonnt ein in diese Gesellschaft vor über 140 Jahren im Schweizer Jura. Schäublin begründet den Film mit seinem biographischen Hintergrund: „Meine Großmutter arbeitete in einer ..

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Wenn Linkssein ein Gefühl ist

Nicht nur Rechte, sondern auch ihre Gegner setzen auf Gefühle statt auf Argumente

„Warum die Linke eine neue Sprache braucht“, ist ein Beitrag des grünen Politikers Sven Giegold[1] in der Taz[2] überschrieben. Gleich in der Überschrift macht er deutlich, dass diese neue Sprache mit den bisherigen Rechtschreibregeln wenig zu tun hat. Schließlich will Giegold nicht orthographisch richtig von, sondern aus Holland lernen. Gemeint ist damit natürlich das Wahlergebnis von letzter Woche, das einen Rechtsruck darstelle.

Nur profitiert davon nicht die von vielen Medien enorm gehypte rechtspopulistische Freiheitspartei um Geert Wilders, sondern die Rechtsliberalen erzielten einen Erfolg. Damit schien für manche Kämpfer gegen rechts die Welt wieder in Ordnung, zumal auch noch eine ökoliberale Partei, Groenlinks[3], ebenfalls Stimmen dazu gewann.

Faires Miteinander statt Klassenkampf

Giegold erklärt diesen Wahlerfolg damit, dass der Spitzenkandidat der Linksliberalen mit Gefühlen statt mit Argumenten arbeitet:

Der grüne Frontmann Klaver hat im Wahlkampf etwas getan, womit man scheinbar in den letzten Jahren in Deutschland keinen Blumentopf außerhalb eines engen Milieus gewinnen konnte. Er hat klar und deutlich gesagt: Ich bin links. Dabei hat Klaver das „Links sein“ nicht neu definiert, aber anders und besser vermittelt. Im Mittelpunkt seiner Kampagne stand ein zentraler Wert: Mitgefühl.
Sven Giegold

Für Giegold ist die Mitteilung, dass der Spitzenkandidat von Groenlinks Mitgefühl ausstrahle, so wichtig, dass er sie gleich mehrmals wiederholt.

Mitgefühl empfinden wir alle, allen wurde es schon einmal zuteil, und jeder wünscht es sich. Diesen Begriff zeichnet eine starke emotionale Nachvollziehbarkeit und eine äußerst positive Konnotation aus.
Sven Giegold

Der grüne Spitzenpolitiker lässt keinen Zweifel daran, dass das Mitgefühl Forderungen nach einer grundlegenden Änderung der Machtverhältnisse ersetzen soll.

Der Wahlerfolg zeigt, dass das linke Wertefundament und linke Programmatik breite Unterstützung erfährt. Man muss es nur richtig kommunizieren. Begriffe wie Umverteilung, Vermögenssteuer, Millionärssteuer, und so weiter beschreiben einen staatlich organisierten Vorgang des „Wegnehmens“. Mitgefühl bezeichnet eine persönliche Gefühlslage, aus der Menschen heraus ohne Zähneknirschen etwas abgeben. Kritik an der Steuervermeidung kann man über die „bösen Konzerne“ drehen oder wie Klaver über den Wert der Fairness, der unter allen Bürgern und Firmen gelten sollte, die mittels Steuern unser Gemeinwesen finanzieren.
Sven Giegold

Damit auch jeder versteht, gegen welche Politik sich Giegold abgrenzt, hat er dann doch auch mal allem positiv Denken zum Trotz formuliert, was er unter linker Politik nicht versteht.

Die holländischen Grünen sagen, dass eine andere Vergütungskultur in Führungsetagen zu unternehmerischen Entscheidungen führt, die sich an langfristigen, gesellschaftlichen statt persönlichen, kurzfristigen Interessen orientieren. All das ist nicht die Rhetorik des Klassenkampfes, sondern die Sprache des fairen Miteinanders.
Sven Giegold

Nun ist es wirklich erstaunlich, welch‘ große Mühe Giegold aufwendet, um etwas zu propagieren, was in Deutschland parteiübergreifend längst Common Sense ist. Dass Lohnabhängige und die Vorstandsetagen der Konzerne, an die sie ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, im fairen Miteinander kooperieren sollen, wird in Deutschland kaum jemand bestreiten.

Diejenigen, die davon reden, dass es zwischen Kapital und Arbeit Interessenunterschiede gibt, die nicht durch Mitgefühl und Fairness, sondern durch eben den auch von Giegold abgelehnten Klassenkampf ausgetragen werden, sind in Deutschland in der Minderheit. In Deutschland überwog schließlich immer eine Zusammenarbeit zwischen Kapital und Arbeit unter wechselnden Begriffen.

Unter den Nazis wurde die deutsche Volksgemeinschaft repressiv hergestellt. Sonst überwog der stumme Zwang der kapitalistischen Verhältnisse, um die Sozialpartnerschaft herzustellen und zu stabilisieren. Giegold ist nur einer der Verkünder der angeblich so segensreichen Wirkung dieser Sozialpartnerschaft, die er mit einigen auch nicht mehr ganz so neuen Begriffen aus dem Attac-Umfeld anreichert, wo er sich politisch bewegte, bevor er in die Parteipolitik gegangen ist.

Noch mal Weitling gegen Marx

Dass Giegold mit seiner neuesten Intervention für einen fairen Umgang zwischen Kapital und Arbeit in Deutschland nur die deutschen Verhältnisse perpetuiert, scheint ihm gar nicht aufzufallen. Dass er damit alte Schlachten erneut schlägt, zeigt sich, wenn man sich den kürzlich in vielen Kinos angelaufenen Film Der junge Marx[4] ansieht.

Es ist eine Stärke des Films, dass er Marx und Engels als eine Art Hipster des 19. Jahrhunderts darstellt und dabei auch auf die Kontroversen der frühen vormarxistischen Arbeiterbewegung eingeht. Ein wichtiger Konflikt wird beim Kongress der Bund der Gerechten[5] zwischen Marx, Engels und seinen Anhängern und denen von Wilhelm Weitling ausgetragen.

Letzterer war ein bekannter Frühsozialist, der sich große Verdienste bei der Organisierung von Handwerkern und Facharbeitern erworben hat. Doch im Grunde war er ein Gefühlssozialist, der große Worte über Menschenverbrüderung machte, aber keinerlei Konzept für eine andere Gesellschaft hatte. Das war auch ein Grund, warum die Strömung um Marx und Engels beim Bund der Gerechten den Sieg davon trug.

Wenn nun im 21. Jahrhundert nicht nur Giegold Linkssein zur Frage des Gefühls macht, setzt er nur eine alte Tradition fort. Doch er ist damit nicht allein. Der gesamte Hype um den SPD-Kanzlerkandidaten Schulz beruft sich auch auf Gefühle und nicht auf rationale Argumente.

Sollte dieses Gefühl bis zur Bundestagswahl tragen, könnten die Gefühlslinken Schulz und Giegold die Rolle übernehmen, die Gerhard Schröder und Josef Fischer nach 1998 einnahmen. Das Ergebnis ist bekannt und mit dem Krieg gegen Jugoslawien und der Agenda 2010 sicher nicht vollständig, aber zureichend beschrieben.

https://www.heise.de/tp/features/Wenn-Linkssein-ein-Gefuehl-ist-3662135.html

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.sven-giegold.de/
[2] http://www.taz.de/!5393185/
[3] https://groenlinks.nl/
[4] http://www.der-junge-karl-marx.de/
[5] http://universal_lexikon.deacademic.com/217963/Bund_der_Gerechten