Vom Botschaftsjuristen zum syrischen Spion

TTIP in die Tonne?

vom 23 Oktober 2024

Der Widerstand gegen die Transatlantische Freihandelszone weitet sich aus, allerdings spielt dabei auch die Konkurrenz zwischen EU und USA eine Rolle

In der letzten Zeit war es um die globalisierungskritische Organisation Attac [1] ruhig geworden. Das hatte viele Gründe, aber dazu gehörte auch das Problem, das zentrale Forderungen zur Bankenregulierung mittlerweile in den Forderungskatalog verschiedener Parteien aufgenommen worden sind. Doch in letzter Zeit werden Attac-Ortsgruppen wieder aktiv. Der Grund heißt TTIP.

Das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU mobilisiert verständlicherweise die Globalisierungskritiker, sowie vor 15 Jahren das Multilaterale Investitionsabkommen [2] mit zur Entstehung von Attac beigetragen hat.

Mit Kampagnen wie „TTIP in die Tonne“ [3] oder „TTIP unfairhandelbar“ [4] setzt Attac auf die Strategie, vermeintliche Auswüchse des Kapitalismus zu kritisieren und faire Tauschverhältnisse anzumahnen.

Aktionstag gegen TTIP

Wie vor 15 Jahren gegen das MAI probt die globalisierungskritische Bewegung jetzt auch beim TTIP einen länderübergreifenden Zusammenschluss [5] . Bei einem Treffen in Brüssel, auf dem über 100 Nichtregierungsorganisationen vertreten waren, wurde der 10.Oktober als internationaler Aktionstag gegen das TTIP festgelegt [6].

Schon seit einigen Wochen gibt es ein von zahlreichen TTIP-Gegnern erarbeitetes Positionspapier [7]. Der Widerstand gegen das TTIP wächst auch deshalb, weil es gelungen ist, eine Verbindung [8] zu dem vor allem in Deutschland äußerst unbeliebten Fracking herzustellen. Kritiker befürchten, dass US-Konzerne nach dem Abschluss des TTIP gegen europäische Gesetze, die Fracking behindern, juristisch vorgehen [9] könnten.

So berechtigt diese Befürchtungen sind, so auffallend ist, dass die Rolle maßgeblicher EU-Konzerne und Politiker ausgeblendet wird. Die erhoffen sich durch das TTIP Zugang zum US-Fracking-Markt und wollen damit die umweltfreundlicheren europäischen Bestimmungen aushebeln. Es ist allerdings durchaus kein Zufall, dass die TTIP-Gegner oft den Eindruck erwecken, das Freihandelsabkommen wäre ein Trick der USA, um Europa zu unterwerfen.

Da wird eine Dualität gezeichnet, die dem EU-Europa den auf den Gebieten von Wirtschaft, Politik und Kultur zivilisierten Standard zuschreibt, der jetzt durch den Angriff der USA in Gefahr gerät. Dass dann das TTIP-Abkommen noch von verschiedenen Politikern als Faustpfand in der NSA-Affäre genutzt wurde, macht erneut deutlich, dass es in der ganzen Auseinandersetzung auch um ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Machtblöcken EU und USA handelt. Vielen TTIP-Kritikern ist oft gar nicht bewusst, dass sie hier in innerkapitalistischen Auseinandersetzungen Partei ergreifen.

Wenn bei der Globalisierungskritik der Kapitalismus nicht erwähnt wird

Das Problem ist nicht, dass die zweifellos vorhanden Beeinträchtigen für Lohnabhängige, Verbraucher etc. durch die Freihandelsabkommen von den Kritikern thematisiert werden, sondern dass oft von der kapitalistischen Weltwirtschaft und deren Interessen abstrahiert wird.

Dann scheint es so, als sei ausgerechnet die Globalisierung das größte Problem, die bereits Karl Marx eher als eine der wenigen emanzipatorischen Konsequenzen des Kapitalismus bezeichnete, worauf der Publizist Reiner Trampert [10] in seinem kürzlich im Schmetterling Verlag [11] veröffentlichten, gegenüber Herrschaft und der real existierenden Opposition jeglicher Couleur erfrischend respektlosen, Buch mit dem Titel „Europa zwischen Weltmacht und Zerfall“ [12] hingewiesen hat. Der erstaunlich humorfreie und eher an eine konservative Kulturkritik erinnernde Titel sollte nicht von der Lektüre abhalten. Er wird dem Inhalt zum Glück größtenteils nicht gerecht.

Durch TTIP könnten auch die Standards in den USA auf Druck der EU verschlechtert werden

Aber auch innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung gibt es mittleeweile Stimmen, die bei ihrer Kritik am TTIP nicht einfach das Bild „böse USA versus gutes Europa“ malen. So erschien in der Juniausgabe des Zentralorgans der globalisierungskritischen Bewegung Le Monde Diplomatique ein Dossier [13], in dem nicht nur differenziert auf die Geschichte des Freihandels [14] eingegangen wird, auch die Einwände aus der EU [15] und den USA [16] werden aufgelistet.

Dann stellt sich schnell heraus, dass sich durch die Freihandelszone eben nicht nur Standards in Europa verschlechtern könnten. So befürchten US-amerikanische TTIP-Kritiker, dass die in den USA erst vor wenigen Jahren eingeführte Finanzmarktregulierung wieder ausgehebelt wird, wenn europäische Standards gelten sollten.

Auch auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes ist das Bild von der „bösen USA“, die ihre Chlorhähnchen importieren möchte, höchst einseitig. So wollen die im europäischen Lobbyverband EU-Business [17] zusammengeschlossenen Unternehmen erreichen, dass das Importverbot für europäisches Rindfleisch und die Qualitätskontrollen für Milch in den USA entschärft, d.h. dem europäischen Standard, angepasst werden.

Was in den Augen der Unternehmerlobby ein Handelshemmnis ist, war die Konsequenz der Diskussionen über kontaminierte Nahrungsmittel. Wenig bekannt ist, dass in den USA in fast der Hälfte der Bundesstaaten Produkte mit gentechnisch veränderten Bestandteilen gekennzeichnet werden müssen. Dagegen laufen US-Konzerne Sturm.

Eine TTIP-kritische Bewegung, die diese unterschiedlichen Interessen zum Ausgangspunkt ihrer politischen Arbeit macht, wäre davor gefeit, sich zum Spielball von Standortinteressen zwischen EU und USA zu machen. Allerdings wäre es natürlich die Frage, ob sie dann so mobilisierungsfähig wäre, wie sie es zurzeit scheint. Dann würde sich also erweisen, ob es den Kritikern der Freihandelszone um eine kapitalismuskritische Perspektive geht oder ob das Schwungrad vor allem USA-Kritik ist.

http://www.heise.de/tp/news/TTIP-in-die-Tonne-2263311.html

Peter Nowak

Links:

[1] http://www.attac.de/

[2] http://www.thur.de/philo/mai.htm

[3] http://www.attac.de/kampagnen/freihandelsfalle-ttip/freihandelsfalle-ttip/

[4] http://www.ttip-unfairhandelbar.de/

[5] http://www.heise.de/tp/artikel/42/42232/1.html

[6] http://www.alternative-nachrichten.de/news/europaischer-aktionstag-gegen-ttip-ceta

[7] http://www.ttip-unfairhandelbar.de/fileadmin/download/material/joint_statement_of_european_civil_society_groups_final_dt.pdf

[8] http://www.foeeurope.org/sites/default/files/publications/foee_ttip-isds-fracking-060314.pdf

[9] http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-03/ttip-fracking

[10] http://www.rainertrampert.de/

[11] http://www.schmetterling-verlag.de

[12] http://www.schmetterling-verlag.de/page-5_isbn-3-89657-067-6.htm

[13] http://www.monde-diplomatique.de/pm/2014/06/13.archivhome

[14] http://www.monde-diplomatique.de/pm/2014/06/13/a0068.text

[15] http://www.monde-diplomatique.de/pm/2014/06/13.mondeText.artikel,a0061.idx,21

[16] http://www.monde-diplomatique.de/pm/2014/06/13.mondeText.artikel,a0063.idx,20

[17] http://www.eubusiness.com/

Ethischer Konsum reicht nicht

Bei den Protesten gegen Primark und »Billigmode« allgemein wird viel auf ethische Aspekte verwiesen. Die Rolle der gewerkschaftlichen Arbeit in den Herstellerländern wird dabei ausgeblendet.

»Life is a Festival«, lautet der Werbespruch auf den Schaufenstern der neueröffneten Filiale der irischen Modemarke Primark am Berliner Alexanderplatz. In etwas kleinerer Schrift findet sich im Schaufenster der Hinweis: »Primark verpflichtet sich zur Beobachtung und fortlaufenden Verbesserung der Rechte der Menschen, die unsere Produkte herstellen.«

Die Erklärung ist eine Reaktion auf die heftige Kritik, von der die Eröffnung der zweiten Berliner Primark-Filiale begleitet war. Im Juli 2012, als in Berlin-Steglitz die erste Filiale eröffnete, hatte es nur lobende Worte gegeben. »Das Erfolgskonzept von Primark basiert auf sehr modischer Qualitätsware zu erschwinglichen Preisen«, hieß es damals in einer Pressemitteilung. Auch für die Eröffnung der Filiale am Alexanderplatz waren die Jubelmeldungen schon gedruckt. Doch wenige Tage vor dem Termin wurde die Feierlaune verdorben. In mehreren Kleidungsstücken von Primark tauchten eingenähte Etiketten auf, die mit »SOS« und »Ich werde zur Arbeit bis zur Erschöpfung gezwungen« beschriftet waren. Bis heute ist nicht geklärt, ob es von Arbeitern in die Kleidung geschmuggelte Nachrichten waren. Das Primark-Management bestreitet das vehement.

Es könnte sich auch um eine gelungene Informationsguerilla-Strategie handeln, die das »Erfolgskonzept von Primark« als Teil jener globalen Ausbeutungsverhältnisse in der Textilindustrie anprangert, die in britischen Medien schon 2008 Schlagzeilen machten. Damals legte ein Rechercheteam der BBC offen, dass Primark einen Teil seiner Billigklamotten in indischen Sweatshops von teils 11jährigen Kindern produzieren lässt. Die mit zahlreichen Fotos und Interviews belegten Enthüllungen führten in Großbritannien zu Protestkundgebungen vor Primark-Filialen. Diese Proteste wurden in Deutschland kaum bekannt, und wie die geräuschlose Eröffnung der ersten Berliner Primark-Filiale zeigte, gab es damals auch keine Versuche, daran anzuknüpfen.

Das hat sich seit dem 24. April 2013 geändert. An diesem Tag wurden beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh 1 127 Arbeiterinnen und Arbeiter getötet und fast 2 500 zum Teil schwer verletzt. Schnell stellte sich heraus, dass in der Fabrik sämtliche Arbeitsschutzbestimmungen verletzt worden waren. Zudem war Rana Plaza die Werkbank für viele der hierzulande bekannten Modefirmen. Dazu gehören KiK, Adler Modemärkte, Mango, Benetton, C & A und Primark. Der irische Discounter habe nach Angaben der Frankfurter Rundschau eine Million Dollar an den Entschädigungsfonds für die Opfer überwiesen und weitere neun Millionen Dollar sollen direkt an Familien der Opfer sowie an 580 Arbeiter gegangen sein, die für einen Primark-Zulieferer in dem kollabierten Gebäudekomplex gearbeitet haben. Andere der in Rana Plaza produzierenden Modefirmen schoben jede Verantwortung für den Einsturz auf ihre Zulieferer und wollten sich so auch um eine Entschädigung drücken. Noch ein Jahr nach dem Unglück teilte die »Kampagne für Saubere Kleidung« mit: »Der von der internationalen Arbeitsorganisation ILO kontrollierte Entschädigungsfonds ist noch nicht einmal zur Hälfte gefüllt – noch immer fehlen knapp 25 Mio. US-Dollar.« Dass sich Primark im Fall Rana Plaza vergleichsweise kooperativ verhielt, dürfte eine Folge des Skandals um die Kinderarbeit in Indien gewesen sein, die das Firmenimage ankratzte. Deshalb verweist Primark auch bei den jüngsten Diskussionen gerne auf die firmeneigene Ethik-Abteilung mit eigener Website, auf der demons­triert werden soll, welch großes Interesse die Firma an den Arbeitsbedingungen der Arbeiter und an Nachhaltigkeit habe. Damit reagiert Primark auf eine vor allem ethisch geführte Kampagne vieler NGOs.

So erklärte Bernd Hintzmann, der beim Inkota-Netzwerk für die »Kampagne für Saubere Kleidung« zuständig ist, die Proteste anlässlich der Eröffnung der neuen Filiale hätten zum Ziel, »dass Primark den öffentlichen Unmut kritischer Verbraucher zur Kenntnis nimmt und Veränderungen vornimmt, bevor wieder etwas passiert wie bei der Katastrophe in Bangladesh«.

Dabei wird die Rolle gewerkschaftlicher Organisierung in den Fabriken des globalen Südens ausgeblendet. »Es mag sein, dass die NGOs hier bekannter sind, weil sie in der Regel die Öffentlichkeitsarbeit in Europa übernehmen. Aber die gewerkschaftliche Arbeit vor Ort ist auch sehr wichtig. Schließlich muss in den Betrieben kontrolliert werden, ob die Vereinbarungen über faire Arbeitsbedingungen auch umgesetzt werden. Das können NGOs aus Europa nicht leisten. Dazu sind starke Gewerkschaftsgruppen nötig«, betont Gi­sela Neunhöffer von der Kampagnenwebsite für die internationale Gewerkschaftsbewegung Labourstart gegenüber der Jungle World. Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht nur für den globalen Süden.

Kritik an den Arbeitsbedingungen bei Primark gibt es auch hierzulande. So werden alle deutschen Läden mit Kameras überwacht – und es gibt Vorwürfe, dass in der größten Filiale in Hannover Mitarbeiter über längere Zeit bespitzelt worden seien. In dem vierstöckigen Kaufhaus gebe es 128 Überwachungskameras, sagt Juliane Fuchs von der Gewerkschaft Verdi. Knapp die Hälfte der Kameras überwache nicht nur die Kunden, sondern die gut 550 Mitarbeiter. Sie seien vor Personalräumen, Toiletten und Aufgängen angebracht. »Es entsteht der Eindruck, die Mit­arbeiter stehen unter Generalverdacht«, moniert Fuchs. Damit verstößt Primark womöglich gegen Gesetze. Schließlich ist eine zeitlich begrenzte Überwachung der Belegschaft nur erlaubt, wenn ein begründeter Verdacht besteht – etwa wenn besonders viel gestohlen wurde. Eine permanente Überwachung von nicht öffentlichen Räumen ohne Grund ist dagegen verboten. Die Kameras in Hannover werden nach Gewerkschaftsangaben nicht nur von einer externen Sicherheitsfirma überwacht, sondern auch vom Primark-Filialleiter persönlich. In dessen Büro, so berichten Betriebsrat und Fuchs, habe lange ein Kamera-Steuerungsinstrument gestanden, mit dem sich Bilder aus Kameras sehr nah heranzoomen lassen.

Primark wollte sich zu diesen Vorwürfen im Detail nicht äußern. Die Kameras dienten generell »dem Schutz der Kunden und Mitarbeiter«, sagte ein Sprecher. Doch es gibt Anzeichen, dass der Konzern in Hannover einlenkte: »Wir sind momentan in Verhandlungen mit den Betriebsräten, um gegebenenfalls die Anzahl der Kameras zu reduzieren und jeweils zu einer Einigung vor Ort zu kommen.« Betriebsrat und Verdi in Hannover wollen sich damit nicht zufriedengeben. Sie verlangen von der Primark-Geschäftsführung, dass alle nicht öffentlichen Kameras abgebaut werden.

Dass die Kritik an den Arbeitsbedingungen bei Primark-Hannover bei den Protesten in Berlin kaum eine Rolle spielte, macht einmal mehr die Schwächen einer rein ethischen Debatte um die Arbeitsbedingungen deutlich, bei der gewerkschaftliches Handeln hier und in den Ländern des globalen Südens weitgehend ausgeblendet wird. Dabei ist klar, dass für die Beschäftigten das Leben zumindest während der Arbeitszeit bei Primark kein Festival ist, wie der Werbespruch dies weismachen möchte.

http://jungle-world.com/artikel/2014/28/50184.html

Peter Nowak

Deutscher Furor gegen die USA

Eskaliert auch in Deutschland der Nahostkonflikt wieder?

Grüne und Linke im ukrainischen Propagandakrieg

Längst dient der Ukraine-Konflikt als Folie für innenpolitische Streitfragen

Der Ukrainekonflikt ist in den letzten Tagen in den hiesigen Medien etwas in den Hintergrund getreten. Dabei gehen die militärischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine weiter. Das Ende der Waffenruhe durch die ukrainische Regierung sorgte innerhalb unterschiedlicher politischer Lager in Deutschland für Unmut. Doch ausgerechnet die aus der Friedensbewegung kommenden Grünen stehen fest weiter auf der Seite des ukrainischen Präsidenten.

„Wenn eine Waffenruhe beendet wird, bedeutet das immer wieder, dass Menschen ihr Leben lassen müssen“, drückte Marieluise Beck[1], Sprecherin für Osteuropapolitik der Grünen, im Interview mit dem Deutschlandfunk[2] zunächst auf die Tränendrüse. Doch in der Ostukraine habe „eine Mischung aus Freischärlern, Abenteurern, Banditen und Kriminellen 7 Millionen Menschen als Geiseln genommen“, übernahm Beck bis in die Wortwahl die Sprachregelungen der ukrainischen Nationalisten. Dass viele Ostukrainer nach dem Umschwung in Kiew nicht mehr in der Ukraine leben wollten, wird dabei großzügig übergangen.

Maidan und Anti-Maidan

Dabei kommt Beck einmal wohl unabsichtlich der Wahrheit ziemlich nahe. „Wir haben tatsächlich eine beunruhigend bunte Mischung in diesem Gebiet von Bürgerinnen und Bürgern aus der Region selber, die aber oft zu den Verlierern gehört haben und jetzt auf einmal zu ungeahnten Positionen als Präsidenten, Bürgermeister, Verteidigungsminister und Ähnliches aufsteigen konnten“, erklärt sie in dem Interview.

Sie zählt diese unterschiedlichen Gruppen auf, um damit zu verdeutlichen, dass der Aufstand in der Ostukraine illegitim und zu bekämpfen ist. Dabei könnte dadurch auch ein ganz anderer Schluss gezogen werden. Es handelt sich bei der Bewegung in der Ukraine auch um eine soziale Bewegung der Deklassierten und gerade deshalb wird sie von Beck und Co. vehement bekämpft. Die mittelständisch orientierte Maidan-Bewegung in der Westukraine hingegen findet ihre Unterstützung, weil sie sich in die diversen Bürgerbewegung in Osteuropa eingemeinden lässt, die von den Grünen schon seit ihrer Gründungsphase umworben wurden und denen man seit mehr als drei Jahrzehnten das viel geschmähte System von Jalta zum Einsturz brachte und noch immer bringt.

Schon vor 30 Jahren gehörten diverse rechte Gruppen zu diesen Bürgerbündnissen, daher ist es auch nicht so besonders verwunderlich, wenn Beck, Harms und Co. bei der Maidan-Bewegung in der Westukraine keine Nazis sehen können.

Der russische Soziologe Boris Kagarlitsky[3], ein scharfer Kritiker der gegenwärtigen russischen Politik aber auch des westlichen Putin-Bashings, hat zum Ukraine-Konflikt eine Analyse[4] vorgelegt, die sowohl die Maidan-Bewegung in der Westukraine als auch den Anti-Maidan im Osten des Landes als authentische Bewegungen wahrnimmt, die von Kräften von außen sicher beeinflusst, aber nicht maßgeblich gesteuert werden.

Zum außenpolitischen Einfluss von Maidan und Anti-Maidan schreibt Kagarlitsky:

Eine Ähnlichkeit zwischen Maidan und Anti-Maidan besteht tatsächlich. Ausländisches Geld floss natürlich hier wie dort, im ersten Falle amerikanisches und westeuropäisches, im zweiten Falle russisches (wobei russisches Geld in jedem Fall involviert war). Es gab Einfluss von außen. Eine andere Sache ist, dass der Westen nicht nur ungleich mehr Geld einsetzte, sondern bei weitem effektiver und klüger. Ebenso wenig, wie der Sieg des Maidan im Februar Resultat der Machenschaften westlicher Politiktechnologen war, ist der erfolgreiche Aufstand von hunderttausenden, wenn nicht Millionen Menschen im Osten der Ukraine mit der Einmischung Russlands zu erklären.

Erst auf dieser Grundlage analysiert der Soziologe die Differenzen in den beiden Bewegungen:

Der Unterschied besteht nicht in Ideologien, obwohl ein Vergleich der dominierenden Losungen mehr als lohnenswert ist – faschistisches Geschrei auf dem Maidan, die „Internationale“ und soziale Forderungen in Donezk. Diese ideologischen Unterschiede widerspiegeln letztendlich den fundamentalen Unterschied der sozialen Natur, der Klassenbasis der beiden Bewegungen.

Die rechten Ränder des Maidan und Anti-Maidan

An diesen Punkt wird allerdings auch Kagarlitskys ansonsten sehr gründliche Analyse etwas unscharf. Denn er hätte auch auf den rechten Rand des Anti-Maidan hinweisen können. Erst kürzlich musste eine Veranstaltung von zwei russischen Journalisten über den faschistischen Einfluss in der Maidan-Bewegung in Berlin kurzfristig abgesagt[5] werden, nachdem sich herausstelle, dass die beiden Autoren in der russischen Rechten aktiv waren.

Auf den Unterstützungsseiten der Pro-Maidan-Bewegung wurde diese Meldung natürlich sofort zum Aufmacher. Wenn es um die rechten Gruppen in Maidan-Bewegung geht, findet man dort hingegen wenig. So hat sich dort das Prinzip durchgesetzt, schlägst Du meinen Nazi, schlag ich Deinen Nazi.

Selbst in Teilbereichen durchaus aufklärerische Veranstaltungen und Ausstellungen wirken schnell propagandistisch, wenn sie sich nur gegen eine Seite in dem Konflikt richten. Diese Kritik muss man auch der zurzeit in der Galerie Berliner Sprechsaal[6] gezeigten Ausstellung „Im Westen nichts Neues“ machen. Die dort gezeigten Exponate belegen im Detail eine antirussische Berichterstattung in Deutschland. Wenn dann aber von transatlantischen Netzwerken geraunt und der kleinste Hinweis auf die prorussischen Aktivitäten diverser rechter Kräfte in Deutschland fehlt, stößt man schnell an die Grenzen der Aufklärung.

Wie schmal die Grenze zwischen Aufklärung und Ressentiment sein kann, zeigt sich am Beispiel des Films Wag the Dog[7], der im Rahmenprogramm der Ausstellung gezeigt wurde. Wenn man ihn als bitterböse Satire begreift, hat er bei allen Schwächen durchaus aufklärerische Momente. Wenn man ihn als Beispiel für die Verkommenheit der US-Politik heranzieht, kann er Ressentiments fördern.

Scheitern rosarotgrüne Regierungsspiele am Ukrainekonflikt?

Derweil fürchten Linke bei SPD, Grünen und Linkspartei, die seit Jahren an einer gemeinsamen Regierungsperspektive basteln, dass ausgerechnet der Ukrainekonflikt ihre Pläne zunichte machen könnte. Schließlich haben sich in den letzten Wochen die Fraktionen von Linkspartei und Grünen im Streit um die Bewertung von Maidan und Antimaidan mehrmals heftig angegriffen.

Mit der Formulierung von Thesen[8] und Veranstaltungen sollen Entspannungssignale gesendet werden. Doch dort treffen nur die Kontrahenten zusammen, die sich eigentlich im Ziel einig sind, an der Ukraine sollen ihre Koalitions- und Karrierepläne nicht scheitern.

Die Linksparteiabgeordnete Sevim Dagdelen[9], die sich als scharfe Kritikerin der rechten Gruppen in der Maidan-Bewegung mit den Grünen heftig anlegte, gehört nicht dazu. Von den Freunden rotgrüner Bündnisse in der Linkspartei wurde Dagdelen gerügt[10], von den Kritikern solcher Farbspiele bekam sie dagegen Unterstützung[11]. So dient die Ukraine auch als Folie für viele innenpolitische Auseinandersetzungen.

Anhang

Links

[1]

http://marieluisebeck.de/

[2]

http://www.deutschlandfunk.de/ukraine-konflikt-banditen-und-gewissenlose-abenteurer.694.de.html?dram:article_id=290647

[3]

http://www.tni.org/users/boris-kagarlitsky

[4]

http://transform-network.net/de/blog/blog-2014/news/detail/Blog/eastern-ukraine.html

[5]

http://euromaidanberlin.wordpress.com/2014/06/27/von-borotba-vermittelte-nazi-veranstaltung-abgesagt-wann-distanziert-sich-die-linke/

[6]

http://www.sprechsaal.de

[7]

http://www.zweitausendeins.de/filmlexikon/?wert=508287&sucheNach=titel

[8]

http://www.tagesspiegel.de/politik/thesen-aus-spd-linken-und-gruenen-zur-ukraine-grenzverschiebungen-wie-bei-der-krim-sind-inakzeptabel/10055074.html

[9]

http://www.sevimdagdelen.de/

[10]

http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/sevim-dagdelen-linken-spitze-distanziert-sich-von-eigener-abgeordneten/9998214.html

[11]

http://www.antikapitalistische-linke.de/?p=492

http://www.heise.de/tp/artikel/42/42181/1.html

Peter Nowak

Fehlende Wohnungen werden oft nicht als kollektives Problem wahrgenommen

Ben Seel ist Hochschulpolitikreferent des Asta der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Über Bildungsproteste und die Probleme an seiner Hochschule sprach mit ihm Peter Nowak.

nd: Von einer großen bundesweiten Protestbewegung wie noch vor einem Jahrzehnt oder einigen Jahren sind die Bildungsstreiks im Moment etwas entfernt.
Seel: Die Beteiligung gestaltet sich in den unterschiedlichen Bundesländern unterschiedlich. Das liegt am Anlass der Proteste. Es geht um die Finanzierung des Bildungswesens. Dort, wo die Kürzungen versteckt vorgenommen werden, sind die Proteste geringer als in den Bundesländern, in denen die Kürzungen ganz offen vollzogen werden. In Sachsen, wo von der Kürzungspolitik viele Fakultäten betroffen sind, gab es bereits im Herbst eine große studentische Mobilisierung dagegen. Von Halle gingen die neuen Bildungsproste aus, dort gingen auch schon im April über 6000 Menschen auf die Straße.

Wie machen sich die Kürzungen an Ihrer Universität bemerkbar?
Große Probleme gibt es beim Fachbereich Erziehungswissenschaften, wo selbst die Dekanin Vollversammlungen und Aktionstage angesichts der drohenden Pleite organisiert. Ein weiteres Problem ist die Unterfinanzierung des Studentenwerkes, was zu Preiserhöhungen von bis zu 50 Prozent in der Mensa geführt hat. Dadurch gibt es bei den Essenspreisen kaum noch Unterschiede zu einem Restaurant.

Müssten dagegen nicht viel mehr Studierende auf der Straße sein? Schließlich sind davon viele betroffen.
Der Kampf gegen die Studiengebühren wurde als kollektives Problem angesehen und hat viele Studierende mobilisiert. Wenn jemand keine Wohnung findet oder das Mensaessen nicht bezahlen kann, wird das hingegen oft als individuelles Problem gesehen, was eine politische Mobilisierung erschwert.

Sind weitere studentische Proteste geplant?
Wahrscheinlich Anfang September soll es in Jena ein studentisches Camp geben. Dort sollen die Proteste dieses Semesters ausgewertet und über weitere Aktionen im nächsten Semester beraten werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/937152.individualisierter-geldmangel.html

Interview: Peter Nowak

IKEA schmeißt Arbeiter raus

Proteste in Norditalien

Piacenza. Im Arbeitskampf der italienischen Logistikarbeiter in Norditalien gab es in den letzten Tagen eine massive Verschärfung. In Piacenza wurden 26 Beschäftigte vom IKEA-Konzern entlassen, zuvor waren Streikposten zusammengeschlagen und verletzt worden. Seit 2011 kämpfen in Italien die meist marantischen Arbeiter der italienischen Logistikbranche für reguläre Arbeitsbedingungen. In mehreren großen Logistikunternehmen ist es den Streikenden gelungen, die Einhaltung der nationalen Standards zu erzwingen und sich gegen Vorarbeiter, Leiharbeitsfirmen sowie massiv auftretende Polizei durchzusetzen. Während die großen Gewerkschaften den Arbeitskampf weitgehend ignorierten, werden die Beschäftigten von Teilen der außerparlamentarischen Linken Italiens und der Basisgewerkschaft S.I. Cobas unterstützt. Nach den Entlassungen soll nun die internationale Unterstützung beginnen. In Berlin-Tempelhof ist für Mittwoch, den 25. Juni um 18 Uhr eine Solidaritätsaktion vor der IKEA-Filiale am Sachsendamm 47 geplant.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/936471.ikea-schmeisst-arbeiter-raus.html

Peter Nowak

„Solidarität herzustellen, ist eine schwierige Arbeit“

Ende Mai fand in Berlin die Konferenz von Labourstart, einer Nachrichten- und Kampagnen-Website für die internationale Gewerkschaftsbewegung, statt. Diskutiert wurde über das Thema »globale Solidarität«. Wie es um diese und die Möglichkeit, Arbeitskämpfe weltweit zu führen, steht, darüber sprach die Jungle World mit Gisela Neunhöffer vom Labourstart-Netzwerk Berlin, die die Konferenz mit vorbereitet hat.

Labourstart, das klingt wie eines der vielen Start-up-Projekte. Was hat es mit internationaler Solidarität zu tun?

Labourstart wurde 1998 gegründet mit Sitz in London. Bisher hat es Konferenzen zur globalen Solidarität in London, Washington, Hamilton, Ontario, Istanbul und Sydney durchgeführt. Ende Mai trafen sich über 300 Delegierte aus etwa 75 Ländern aus aller Welt erstmals in Berlin.

Was war der Grund für diese Ortswahl?

Kurz nach dem Kongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes, der ebenfalls in Berlin stattfand, bot die Labourstart-Konferenz Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, von Basisaktiven bis zu Vorsitzenden und Vertretern der internationalen Gewerkschaftsorganisationen, die Möglichkeit, aktuelle Fragen der Gewerkschaftsbewegung in einem informellen Rahmen zu diskutieren. Zudem sollte das Projekt bei den deutschen Gewerkschaften bekannter gemacht werden.

Was waren die Höhepunkte der Berliner Konferenz?

Auf dem Eröffnungspanel lieferte Kıvanç Eli Açık vom linken türkischen Gewerkschaftsbund DISK aktuelle Informationen zum Grubenunglück in Soma und zeigte die Folgen der Missachtung der Arbeitsgesetzgebung auf. Am zweiten Tag gehörte Nazma Akter zu den Podiumsteilnehmerinnen. Die Frauenaktivistin und Gewerkschafterin sprach über ihren Kampf für die Näherinnen in Bangladesh.

Gab es auch außerhalb der Konferenz praktische Aktionen internationaler Solidarität?

Am 24. Mai beteiligten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz an einer Kundgebung vor einer Edeka-Filiale in Berlin-Kreuzberg. Die Aktion wurde von Verdi, der Christlichen Ini­tiative Romero, der Supermarktinitiative und der Initiative »Eigentum verpflichtet« gemeinsam vorbereitet. Damit soll der Edeka-Konzern zur Wahrnehmung seiner Verantwortung in der internationalen Lieferkette seiner Produkte aufgefordert werden – von der Produktion, in diesem Fall von Orangensaft, bis zu den Arbeitsbedingungen in den Edeka-Läden hierzulande.

Spielten auf der Konferenz auch die Rechte von Erwerbslosen eine Rolle?

Es gab mehrere Workshops zum Kampf für die Rechte von Erwerbslosen. Mag Wompel vom Informationsportal Labournet Germany betonte noch einmal eindringlich, dass die Verteidigung der Rechte derjenigen, die aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt sind, zum eigensten Interesse der Gewerkschaftsarbeit gehören muss. Schließlich gehören die Entrechtung von Erwerbslosen und der Abbau von Rechten für die Beschäftigten zusammen.

Welche gewerkschaftlichen Solidaritätskampagen wurden von Labourstart bisher initiiert?

Sehr bekannt ist der internationale Kampf für Entschädigung für die Opfer des Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh. Labourstart hat dazu beigetragen, dass der Druck auf die verantwortlichen Textilkonzerne erhöht wurde, damit sie endlich Geld in den vereinbarten Entschädigungsfond einzahlen. Auch die verbindliche Umsetzung der Gebäudesicherheits- und Feuerschutzbestimmungen spielt in der Kampagne eine wichtige Rolle. Die Unterstützung des Kampfes der Textilarbeiterinnen und -arbeiter in Kambodscha ist ebenfalls ein wichtiges Anliegen von ­Labourstart. Der Arbeitskampf dauert bereits mehrere Monate. Die Beschäftigten sind einer massiven Repression von Seiten des Staates ausgesetzt. Streikende wurden auf Demonstrationen erschossen oder schwer verletzt. Zahlreiche Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wurden verhaftet oder mussten untertauchen.

Sind als Träger solcher Solidaritätsaktionen nicht eher Nichtregierungsorganisationen (NGO) als Gewerkschaften gefragt?

Bei dieser Solidaritätsarbeit arbeiten Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen eng ­zusammen. Es mag sein, dass die NGOs hier bekannter sind, weil sie in der Regel die Öffentlichkeitsarbeit in Europa übernehmen. Aber die gewerkschaftliche Arbeit vor Ort ist auch sehr wichtig. Schließlich muss in den Betrieben kontrolliert werden, ob die Vereinbarungen über faire Arbeitsbedingungen auch umgesetzt werden. Das können NGOs aus Europa nicht leisten. Dazu sind starke Gewerkschaftsgruppen nötig.

Unterstützt Labourstart auch Kämpfe von Beschäftigten in Deutschland?

Natürlich. Auch dafür gab es auf der Konferenz vielfältige Beispiele. Ich will nur an die internationale Solidaritätsaktion für die Streikenden des Raststättenkonzerns Autogrill erinnern. Gemeinsam mit der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) kämpfen die Beschäftigten für den Abschluss eines Tarifvertrags. Anfang April sind Beschäftigte in Thüringen und Bayern in einen unbefristeten Streik getreten. Labourstart hat eine internationale Solidaritätskampagne initiiert, die sehr erfolgreich war. Innerhalb weniger Tage haben Tausende Menschen aus aller Welt Autogrill aufgefordert, die Forderungen der Beschäftigten nach einem Tarifvertrag und fairen Löhnen zu erfüllen.

Kann ein Internetaktivismus, der sich auf einen Mausklick oder eine digitale Unterschrift beschränkt, wirklich Grundlage für eine weltweite Solidaritätsbewegung sein?

Es ist gerade eine Stärke von Projekten wie Labourstart, dass sie den Menschen die Möglichkeit des Engagements auf unterschiedlichen Ebenen geben. Wer wenig Zeit hat, kann einen Solidaritätsaufruf unterzeichnen. Andere können Texte in die verschiedenen Sprachen übersetzen. Zudem wird nach der Konferenz überlegt, ob in verschiedenen Ländern Labourstart-Unterstützergruppen gegründet werden. Die Diskussion darüber ist noch nicht abgeschlossen.

Ist die schlechte finanzielle Ausstattung des Projekts nicht ein großes Problem?

Gegenwärtig läuft der größte Teil der Arbeit ehrenamtlich. Es gibt nur ganz wenige bezahlte Stellen. Doch ohne die inhaltliche Zusammenarbeit und finanzielle Unterstützung verschiedener Gewerkschaften und Stiftungen sowie Einzelspenden wäre die Konferenz in Berlin nicht möglich gewesen.

Ist es aber nicht ein großes Problem, wenn Gewerkschaftsvorsitzende auf dem Kongress ein Bekenntnis zur internationalen Solidarität ablegen und in der Praxis eine Tarifpolitik für die Stärkung des Standorts Deutschlands machen, der andere Beschäftigte niederkonkurriert?

Es ist ein Ziel von Projekten wie Labourstart, das Prinzip der internationalen Solidarität in der Gewerkschaftsbewegung zu verankern und mit Leben zu füllen. Es geht darum, deutlich zu machen, dass nur so heute noch Erfolge zu erzielen sind. Dabei gibt es natürlich immer wieder Rückschläge, weil die Politik des »Teile und herrsche« eben manchmal doch ganz gut funktioniert. Doch in der Geschichte der Gewerkschaftsbewegung ist die Frage, wie Solidarität über vermeintlich unterschiedliche Interessen hinweg geübt werden kann, nicht neu. Darum ging es bei der Durchsetzung der Flächentarifverträge ebenso wie beim Kampf für die Rechte von Frauen in der Arbeitswelt. Diese Solidarität herzustellen, ist eine langwierige und schwierige Arbeit – manchmal eben auch innerhalb der eigenen Organisationen.

In den vergangenen Monaten wurde auch in Deutschland heftig darüber gestritten, ob Flüchtlinge ohne gültigen Aufenthaltsstatus Gewerkschaftsmitglieder werden können. Spielte das Thema auf dem Kongress auch eine Rolle?

Es gab mehrere Workshops, die sich mit der Frage beschäftigen, wie Gewerkschaften sich für Migrantinnen und Migranten mit unterschied­lichem Aufenthaltsstatus öffnen können. Dabei wurden verschiedene Modelle vorgestellt. In ei­nigen Ländern organisieren sich Migrantinnen und Migranten in eigenen Organisationen, in anderen sind sie Teil der bestehenden Gewerkschaftsstrukturen.

Es wird immer beklagt, dass das Kapital vernetzt, die Arbeiterbewegung aber noch im nationalstaatlichen Denken verfangen ist. Kann Labourstart das ändern?

Wir werden mit der kleinen Initiative natürlich nicht die neue internationale Arbeiterbewegung erfinden. Doch Labourstart kann wichtige Bausteine liefern, die Menschen solidarisches Handeln überhaupt wieder ermöglichen.

http://jungle-world.com/artikel/2014/24/50044.html

Peter Nowak

»Solidarisches Handeln überhaupt ermöglichen«

In Berlin trafen sich rund 300 GewerkschafterInnen aus aller Welt zur Konferenz des Onlineportals LabourStart

Nach dem DGB-Bundeskongress und dem Kongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes IGB endete mit der LabourStart-Konferenz ein Gewerkschaftsmarathon in Berlin.
Gisela Neunhöffer Gisela Neunhöffer hat die diesjährige LabourStart-Konferenz maßgeblich mit organisiert. Unter dem Motto »Globale Krise – globale Solidarität« trafen sich bereits am letzten Maiwochenende GewerkschafterInnen aus aller Welt, um über neue Strategien zu diskutieren und vergangene Kampagnen auszuwerten. Mit der Gewerkschafterin sprach für »neues deutschland« Peter Nowak.

nd: Ist LabourStart der Neustart einer Arbeiterbewegung?
Wir werden mit der kleinen Initiative natürlich nicht die neue internationale Arbeiterbewegung erfinden. Doch LabourStart kann wichtige Bausteine liefern, die Menschen solidarisches Handeln überhaupt wieder ermöglichen.

Wie wollen Sie das erreichen?
LabourStart ist eine 1998 gegründete Nachrichten- und Kampagnenwebseite für die internationale Gewerkschaftsbewegung. Nach Konferenzen zur globalen Solidarität in London, Washington, Hamilton, Ontario , Istanbul und Sydney trafen sich Ende Mai über 300 Delegierte aus rund 75 Ländern erstmals in Berlin.

Warum gerade dort?
Kurz nach dem Kongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes, der ebenfalls in Berlin stattfand, bot die LabourStart-Konferenz eine Möglichkeit für Gewerkschafter von Basisaktiven bis zum Vorsitzenden und Vertreter der internationalen Gewerkschaftsorganisationen, aktuelle Fragen der Gewerkschaftsbewegung in einem informellen Rahmen zu diskutieren.

Können Sie einige Beispiele für die Arbeit von LabourStart nennen?
Sehr bekannt ist der internationale Kampf um Entschädigung für die Opfer des Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch. LabourStart hat mit dazu beigetragen, dass der Druck auf die verantwortlichen Textilkonzerne erhöht wurde, endlich das notwendige Geld in den vereinbarten Fonds einzahlen. Auch die verbindliche Umsetzung der Gebäudesicherheits- und Feuerschutzbestimmungen spielt in der Kampagne eine wichtige Rolle.

Die Unterstützung des Kampfes der Textilarbeiter in Kambodscha ist ebenfalls ein wichtiges Anliegen von LabourStart. Der Arbeitskampf dort dauert bereits mehrere Monate. Die Beschäftigten sind einer massiven Repression von Seiten des Staats ausgesetzt. Zahlreiche Gewerkschafter wurden verhaftet oder mussten untertauchen.

Unterstützt LabourStart auch Streiks in Deutschland?
Ja. Ich will nur an die internationale Solidaritätsaktion für die Streikenden des Raststättenkonzerns Autogrill erinnern, die gemeinsam mit der Gewerkschaft Nahrung-Genus-Gaststätten (NGG) für den Abschluss eines Tarifvertrages kämpfen. Anfang April sind Beschäftigte in Thüringen und Bayern in einen unbefristeten Streik getreten. LabourStart hat eine erfolgreiche internationale Solidaritätskampagne gestartet Innerhalb weniger Tage haben Tausende Menschen aus aller Welt den Autogrill aufgefordert, die Forderungen der Beschäftigten nach einen Tarifvertrag und fairen Löhnen nachzugeben.

Kann ein Mausklick Grundlage für eine weltweite Solidaritätsbewegung sein?
LabourStart ermöglicht den Menschen die Möglichkeit des Engagements auf unterschiedlichen Level. Wer wenig Zeit hat, kann einen Solidaritätsaufruf unterzeichnen. Andere können Texte in die verschiedenen Sprachen übersetzen. Zudem wird nach der Konferenz überlegt, ob in verschiedenen Ländern LabourStart-Unterstützergruppen gegründet werden.

Fragen: Peter Nowak

Wie aus islamistischen „Freiheitskämpfern“ Terroristen werden

Lange U-Haft wegen vager Vorwürfe

Akademikerball mit Folgen: Jenaer Antifa sitzt in Wien

Am 6. Juni beginnt vor dem Wiener Landgericht der Prozess gegen Josef S. Das Mitglied der sozialistischen Jugendorganisation »Die Falken« aus Jena ist nach Paragraf 274 des österreichischen Strafgesetzbuches angeklagt, der Vorwurf lautet »Rädelsführerschaft«. Eine Gruppe Jenaer Antifas ist nach Wien gefahren, um ihn zu unterstützen. S. wurde am Rande einer Demonstration am 24. Januar festgenommen, sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, sich in einer Menschenmenge befunden zu haben, von der Gewalt ausgegangen ist. Am Rande der Proteste gegen den Akademikerball waren in der Wiener Innenstadt einige Fensterscheiben zu Bruch gegangen. Für eine Beteiligung von S. gibt es keine Beweise.

Auch in Jena haben antifaschistische Gruppen und die Ortsgruppe der Roten Hilfe für den 6. Juni eine Solidaritätskundgebung für S. vorbereitet. An vielen Häuserwänden kann man die Parole »Solidarität mit Josef S. – betroffen ist einer, gemeint sind wir alle« lesen. Für Michael M. ist diese Parole mehr als ein Spruch. »Ich bin am 24. Januar gemeinsam mit Josef nach Wien gefahren, um mich an den Protesten gegen den Ball zu beteiligen«, sagte der junge Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Insgesamt 8000 Menschen hatten an diesen Tag in der österreichischen Hauptstadt gegen die bis 2012 von schlagenden Burschenschaften ausgerichtete Veranstaltung demonstriert.

In den letzten Jahren ist der heute von der rechtspopulistischen FPÖ organisierte Akademikerball zum Stelldichein der europäischen Rechten geworden. Aus Deutschland nahmen Mitglieder der NPD und anderer extrem rechter Gruppierungen daran teil. Doch auch der Widerstand ist in den letzten Jahren europaweit gewachsen. Schon im Vorfeld schürten rechte Politiker und Medien in Wien Angst vor »gewalttätigen Anarchisten aus Deutschland«. Die Jenaer Unterstützergruppen befürchten, dass an Josef S. ein Exempel statuiert werden soll.

Proteste gegen die U-Haft gibt es auch in Österreich. »Wir halten es für unverantwortlich, einen jungen Menschen, der zudem nicht vorbestraft ist, aufgrund eines bislang vagen Verdachtes so lange der Untersuchungshaft auszusetzen«, schreibt die den österreichischen Sozialdemokraten nahestehende Sozialistische Jugend. Auch das Österreichische Komitee für Grundrechte bezeichnete S. in einen Offenen Brief an den österreichischen Bundesjustizminister Wolfgang Brandstetter (parteilos) als »Bauernopfer« und fordert seine Freilassung. In der Kritik steht auch der Paragraf 274, nach dem jemand wegen Landfriedensbruch angeklagt werden kann, wenn er sich in einer Gruppe aufhält, von der auch Gewalt ausgeht, ohne dass ihm eine individuelle Tatbeteiligung nachgewiesen wird.

Freunde von Josef S. hoffen nun, dass der Jenaer bei Prozessbeginn freigelassen wird. Für die Solidaritätsgruppen wäre dann die Arbeit noch nicht beendet. Die Justiz ermittelt gegen weitere Teilnehmer der Proteste gegen den Wiener Akademikerball aus Deutschland.

Peter Nowak

EU vor einem neuen Demokratietest?

»Jeder Arbeitskampf wird verleumdet«

In Griechenland findet am 25. Mai nicht nur die Wahl für das EU-Parlament, sondern auch die zweite Runde der Kommunalwahlen statt. Viele Griechinnen und Griechen setzen Hoffnungen auf die Wahlen, doch ein Ende der Krise ist nicht in Sicht. Die Jungle World sprach mit Afrodite Tziantzi über die Durchsetzung der Austeritätspo­litik und den Widerstand dagegen in Griechenland. Tziantzi ist Mitglied des Redak­tionskollektivs der Zeitung der Redakteure, das sich Ende 2012 nach dem durch die Krise bedingten Konkurs der linksliberalen Zeitung Elef­therotypia gegründet hat.

In den vergangenen Wochen wurde in vielen deutschen Medien suggeriert, es gehe mit der griechischen Wirtschaft wieder aufwärts, weil das Land wieder internationale Kredite aufnehmen konnte. Teilen Sie diesen Optimismus?

Nein, ich bin überhaupt nicht optimistisch und ein großer Teil der Menschen in Griechenland ist es auch nicht. Es gibt auch keinen Grund dazu. Denn die von Ihnen genannten Meldungen haben mit der Lebensrealität der meisten Menschen in Griechenland nichts zu tun.

Welche Rolle kann die Zeitung der Redakteure in dieser Situation spielen?

Sie berichtet aus einem Land der Memoranden, der Krise und des alltäglichen Widerstands. Eine wichtige Aufgabe für uns als Redakteurinnen und Redakteure besteht darin, der offiziellen Erzählung über die Krise etwas entgegenzusetzen. Das fängt schon bei den Begriffen an. Da wird immer von »Rettungspaketen« geredet. Wir sollen viele Male gerettet worden sein und werden weiterhin gerettet. Doch die Rettungspakete waren eine Unterstützung für internationale Banken mit dem Zentrum in Deutschland. Zur gleichen Zeit verüben durchschnittlich zwei Menschen täglich in Griechenland Selbstmord, weil sie keinen Ausweg mehr aus der Lage sehen, in die sie von der Politik der Troika und der griechischen Regierung gebracht wurden. Wesentlich höher ist die Zahl der Suizidversuche. Es ist daher lächerlich, von ersten Erfolgen der Wirtschaftspolitik in Griechenland zu sprechen.

arum beteiligen sich so viele Journalistinnen und Journalisten an der Verbreitung der Erfolgsmeldungen?

Unter den Bedingungen der Krise funktioniert die Propaganda in den von Staat und Wirtschaft kontrollierten Medien besonders gut. Schließlich werden die Journalisten schlecht bezahlt und sind immer mit der Angst konfrontiert, entlassen zu werden. Viele werden daher alles schreiben, was von ihnen verlangt wird. Daher begegnen wir in fast allen griechischen Massenmedien der Botschaft, es gebe keine andere Lösung als die Durchsetzung der Austeritätspolitik. Jeder Arbeitskampf wird verleumdet und als Angriff auf die griechische Wirtschaft dargestellt.

Wie sieht es bei der Zeitung der Redakteure aus?

Sie wurde von erwerbslosen Journalisten gegründet und steht auf Seiten der Prekären, Unterbezahlten und Erwerbslosen. Sie steht auch auf Seiten der Menschen, die sich an Streiks und sozialen Kämpfen beteiligen, die es heute in Griechenland ständig gibt, auch wenn der Großteil der Massenmedien nicht darüber berichtet.

Welche Kämpfe waren das bislang?

Wir haben über die Streiks der Lehrer und der Beschäftigten im öffentlichen Sektor berichtet. Wir sind auf Seiten der Putzfrauen des griechischen Finanzministeriums, die jeden Tag demonstrieren und dabei häufig mit Polizeigewalt konfrontiert werden. Wir berichten über die Handelsangestellten im Buchsektor, die sich gegen die Abschaffung des Sonntagsarbeitsverbots wehren. Wir sind auch solidarisch mit den Menschen, die sich gegen Umweltzerstörung wehren. International bekannt wurde der Kampf der Bauern auf der Halbinsel von Chalkidiki, die sich gegen den Goldabbau wehren und dafür wie Terroristen behandelt und ins Gefängnis geworfen wurden.

In deutschen Medien wurde berichtet, dass die Demonstrationen rund um den 1. Mai in Griechenland in diesem Jahr schwach besucht waren. Hat der Widerstand auf der Straße tatsächlich nachgelassen?

Der Rückgang der Massenproteste auf der Straße hat verschiedene Gründe. Ein Teil der Gewerkschaftsführungen setzt auf ein gutes Ergebnis für Syriza bei den Europawahlen. Sie argumentieren gegenüber ihrer Basis, dass diese sich in den vergangenen Jahren an so vielen Protesten beteiligt habe und es jetzt an Zeit sei, ihren Protest bei der Wahl auszudrücken. Diese Argumentation überzeugt auch einen Teil der Gewerkschaftsbasis, weil sie in den vergangenen Jahren viele Niederlagen bei Arbeitskämpfen erlebt hat. So wurde der monatelange Kampf der Stahlarbeiter 2012 beendet, ohne dass die Arbeiter einen Erfolg verzeichnen konnten.

Hat nicht auch der Aufstieg der Partei Chrysi Avgi »Goldene Morgenröte« den Aktivismus gebremst? Schließlich wird die Nazipartei auch von Menschen gewählt, die sich an den Protesten beteiligt haben.

Ich bin sehr vorsichtig mit dieser Einschätzung, schließlich argumentieren die Troika-Parteien ständig damit, dass die Massenproteste zum Aufstieg der Neonazis geführt hätten. Dabei hat die »Goldene Morgenröte« noch 2011 die Proteste der Bewegung der Empörten verurteilt. Es ist allerdings richtig, dass die unklaren Parolen dieser Bewegung ein Nährboden für die Rechten waren. Die Proteste gingen über allgemeine Parolen gegen das Memorandum der Troika nicht hinaus, klassenkämpferische Inhalte fehlten. Die »Goldene Morgenröte« versuchte, an den populistischen Parolen und dem diffusen Nationalismus anzuknüpfen, der sich in der Bewegung der Empörten auch durch die vielen griechischen Fahnen ausdrückte. Sie versucht, Stimmen aus dem Arbeitermilieu zu bekommen, und bedient sich dazu auch Anti-Memorandum-Parolen. Doch ihre zentrale Kampagne richtet sich gegen die Migranten in Griechenland.

Vor einigen Wochen musste ein hoher Regierungsbeamter und enger Vertrauter des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Antonis Samaras wegen enger Kontakte mit der »Goldenen Morgenröte« zurücktreten. Was bedeutet das für den vermeintlichen Kampf der Regierung gegen rechts?

Eigentlich hätte es einen großen Aufschrei geben und die Regierung hätte zurücktreten müssen. Aber die griechischen Medien, die den Regierungsparteien nahestehen, haben sofort erklärt, es sei ein individuelles Fehlverhalten des Regierungsbeamten gewesen, von dem sonst niemand in der Regierung gewusst habe. Von diesem Vorfall kann die »Goldene Morgenröte« profitieren.

Spielt die Nazipartei politisch weiterhin eine wichtige Rolle?

Ja, denn sie profitiert von der Zersplitterung der linken Kräfte. Es gab keine geschlossene Gegenwehr gegen die Faschisten. Sicher gibt es in einigen Städten Antifagruppen, die viel Zeit und Kraft in den Kampf gegen die Rechten investiert haben. Doch diese Gruppen sind immer noch klein, werden von der Justiz kriminalisiert und von den regierungsnahen Medien angegriffen. Auch die antirassistische Bewegung in Griechenland ist zersplittert. Verschiedene linke Gruppen und Parteien haben eigene antirassistische Organisationen, aber zu einem gemeinsamen Vorgehen ist es nicht gekommen. Der Staat hat dadurch die Ge­legenheit, sich als Hüter der Gerechtigkeit zu inszenieren, der vermeintlich gegen die »Goldene Morgenröte« vorgeht. Die rassistische Flüchtlingspolitik in Griechenland, die mittlerweile europaweit bekannt ist, wird dabei völlig ignoriert.

In der jüngsten Zeit wurden erste Proteste gegen Zwangsräumungen in Griechenland bekannt. Könnte sich hier ein neuer Alltagswiderstand entwickeln?

In Griechenland besitzen viele Menschen Eigentumswohnungen oder Häuser, statt dass sie zur Miete wohnen. Sie haben daher monatlich hohe Ausgaben für Kredite und Hypotheken. In der allgemeinen Krise des Landes können viele Menschen diese Kosten nicht mehr aufbringen. Bisher gab es ein Räumungsmoratorium in Griechenland. Vor einigen Wochen hat es aber erste Zwangsräumungen gegeben. Durch Proteste konnten jedoch einige verhindert werden. In Athen gibt es wöchentliche Kundgebungen vor Gebäuden, in denen Zwangsräumungen durchgeführt werden sollen. Ob sich daraus eine größere Bewegung entwickelt, wird auch davon abhängen, ob die Zahl der Räumungen steigt. Das ist bislang offen. Die Regierung möchte verhindern, dass sich hier ein neues Kampffeld entwickelt.

http://jungle-world.com/artikel/2014/21/49918.html

Interview: Peter Nowak

Basis blockiert Bosse

In Italien kämpfen die Logistikarbeiter

«Vor zwei Jahren hatte unsere Gewerkschaft in Rom drei Mitglieder. Heute sind es dreitausend», erklärt Karim Facchino. Er ist Lagerarbeiter und Mitglied der italienischen Basisgewerkschaft S.I. Cobas. Eine Delegation italienischer Gewerkschafter aus der Logistikbranche und Unterstützern aus der außerparlamentarischen Linken reiste vorige Woche durch Deutschland. Die Gruppe berichtete bei Veranstaltungen in Esslingen, Köln und Berlin über Arbeitskämpfe in der italienischen Logistikbranche, die sich schon über vier Jahre hinziehen und hierzulande bisher kaum bekannt sind.

Diese Auseinandersetzungen sind auch der Grund für den rasanten Mitgliederzuwachs der S.I. Cobas, in der sich die Logistikbeschäftigten organisiert haben. «Die Gewerkschaft hat keine bezahlten Funktionäre, nur einen Koordinator, doch sein Platz ist nicht am Schreibtisch eines Büros sondern auf der Straße und vor der Fabrik», sagt Facchino.

Träger der Auseinandersetzungen beispielsweise waren schlecht bezahlte Lagerarbeiter großer Warenhäuser, die aus vielen europäischen, arabischen und nordafrikanischen Staaten angeworben worden waren. Sie sind oft nicht direkt bei den Warenhäusern sondern bei Subunternehmen angestellt. «Die Bosse haben gedacht, wir können uns nicht wehren, doch da haben sie sich getäuscht», so Facchino, der in Marokko geboren wurde.

Die Beschäftigten fordern die Verkürzung der Arbeitszeiten und höhere Löhne. Ein zentrales Mittel im Arbeitskampf waren Blockaden, wenn Waren angeliefert worden sind. Die Polizei ging oft mit brutaler Gewalt gegen die Beschäftigten vor. Die Bilder von Arbeitern, die von der Polizei blutig geschlagen wurden, sorgten in ganz Italien für Empörung. Dadurch wurde die Unterstützung für die Forderungen der Beschäftigten größer. Die Unterstützergruppen nutzten auch Filme und Videos, um den Kampf der Beschäftigten bekannt zu machen. «Damit bekamen viele Menschen, die bisher wenig von dem Arbeitskampf wussten, eine Ahnung von der Entschlossenheit der Beschäftigten, für ihre Forderungen zu kämpfen und von der Staatsgewalt, der sie ausgesetzt waren, berichte ein Mitglied der Initiative Clash City Workers. Darin haben sich außerparlamentarische Linke organisiert, die die Arbeitskämpfe unterstützen und die Verbindung zwischen den Beschäftigen, linken Gruppen und sozialen Zentren in Italien aufrecht erhalten.

Die Unterstützungsarbeit ist vielfältig. Öffentlichkeitsarbeit mit Zeitungen, Videos und Filmen gehört ebenso dazu wie die Beteiligung an einer Blockade oder einen Streikposten. Aber auch die Verbindung verschiedener Bewegungen ist den Unterstützern wichtig. So wurde bei einem Streik der Müllarbeiter Kontakt zu ökologischen Gruppen hergestellt, die ein neues Recyclingkonzept entwickelt hatten. Ein Ziel der Rundreise durch Deutschland war für die Delegation auch die bessere Koordination der Arbeitskämpfe. Sie beteiligte sich auch an der Protestaktion vor einer IKEA-Filiale in Berlin.

Denn in den letzten Tagen war der Arbeitskampf des zentralen südeuropäischen IKEA-Logistikzentrums in Piacenza wieder aufgeflammt. Nachdem die Geschäftsführung 70 gewerkschaftliche Aktivisten mit Disziplinarmaßnahmen belegte und 30 Gewerkschafter entließ, blockierten die Beschäftigen mehrere Tage die Zufahrtswege zu dem Werk. Am 9. Mai wurde ein Arbeiter schwer verletzt, als ein Auto in die Blockade raste.

Infos und Filme: de.labournet.tv

https://www.neues-deutschland.de/artikel/933873.basis-blockiert-bosse.html

Peter Nowak