Rechtsruck in Schweden

Von der Schulbank ins Gefängnis

Wenn Journalisten eine terroristische Zelle werden

„Così non va“

Für Russland oder die Ukraine?

Todeszone Mittelmeer: 2014 sind 3.400 Menschen ertrunken

Statt mit Solidarität werden die überlebenden Flüchtlinge hierzulande mit ausländerfeindlichen Aufmärschen konfrontiert

Allein in diesem Jahr starben im Mittelmeer 3.400 Menschen beim Versuch, den europäischen Kontinent auf oft seeuntauglichen Booten zu erreichen. Diese  alarmierenden Zahlen veröffentlichte [1] das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR.

Diese Statistik des Schreckens ist nun keinesfalls überraschend. Doch die Tatsache, dass in einer Region, in der jährlich Millionen Menschen einen erholsamen Urlaub verbringen,Tausende sterben, dringt in das Massenbewusstsein der meisten europäischen Menschen nicht ein.

Auf der Insel Lampedusa [2]konnte man nicht nur bei Kunstinstallationen [3], sondern auch in der Realität das Nebeneinander der beiden Gruppen von Reisenden beobachten. Während die Urlauber am Strand nur eine Sorge hatten, nämlich keinen Sonnenbrand zu bekommen, wurden die toten Körper von Menschen aus Afrika angeschwemmt, die Tage oder Stunden zuvor im Meer ertrunken sind.

Es ist diese Selbstimmunisierung vieler Menschen in Europa, die dafür verantwortlich ist, dass auch die jüngsten Zahlen des UNHCR nicht dazu führen werden, dass es eine Massenbewegung zur Änderung der europäischen Flüchtlingspolitik entsteht. Vielmehr müssen überall in Europa die Menschen, die es geschafft haben, den europäischen Kontinent lebend zu erreichen, mit Abschiebungen und anderen Repressalien rechnen.

Ermutigung für die Flüchtlingsgegner

Statt mit Solidarität werden sie mit Aufmärschen von Menschen konfrontiert, die, oft selbst sozial deklassiert oder von sozialemAbstieg bedroht, in den Schwächsten und Rechtlosesten in der Gesellschaft den Feind erkennen. Deshalb gibt es in den letzten Wochen die Pegida-Demonstrationen oder die Aufmärsche gegen Flüchtlingsunterkünfte.

Sie werden einerseits von führenden Politikern aller Parteien kritisiert, weil sie dem Standort Deutschland abträglich sein könnten. Gleichzeitig werden die Teilnehmer als besorgte Bürger adressiert, deren Sorgen ernst genommen werden müssten. Das zeigte sich erst kürzlich in einem Bild-Beitrag [4]:

„Deutschland wurde zu einer Einwanderungsgesellschaft. Aber es gab keine Diskussion über die dann nötige, ganz konkrete Einwanderungs- und Integrationspolitik. Das war Einwanderungspolitik im Blindflug. Wer etwas dagegen sagte, wurde schnell angeprangert. PEGIDA ist eine Reaktion darauf. Sie haben den Nerv getroffen. Die Klage von Teilnehmern, dass ihnen die Politik nicht mehr zuhört, ist berechtigt. Wo ein nennenswerter Teil des Volkes steht, dort muss die Politik aber hinhören.“

Schon die ersten Sätze des Zitats sind eine Lüge. Über kaum ein Thema wird seit Jahrzehnten so heftig diskutiert, wie über die Einwanderungspolitik, und immer wurden weitere Verschärfungen mit Volkes Meinung begründet. Damit wurden rassistische Ressentiments zur Grundlage von Politik gemacht.

Vor knapp zwei Jahrzehnten wurde die faktische Abschaffung des Asylrechts mit genau den gleichen Floskeln von der Bevölkerung, der man zuhören müsse, begründet. Damit konnte sich auch der Mob bestätigt sehen, der von Rostock-Lichtenhagen über Mölln und Mannheim-Schönau vor Flüchtlingsunterkünften randalierte und auch den Tod der Menschen in Kauf nahm.

Flüchtlinge retten, statt abschieben

Dabei hat der UNHCR noch einmal deutlich gemacht,was nötig wäre, um das Sterben im Mittelmeer und anderen Flüchtlingsrouten zu minimieren: Lebensrettung muss zentral sein [5].

DerUN-Flüchtlingshochkommissar António Guterres moniert [6], dass manche Regierungen zunehmend dem Abwehren von Fremden eine höhere Priorität geben als demRecht auf Asyl. „Es ist ein Fehler und genau die falsche Reaktion in einer Zeit, in der eine Rekordzahl an Menschen vor Kriegen flieht“, so Guterres. „Sicherheit und die Steuerung der Zuwanderung sind für jedes Land von Bedeutung, aber Regelungen müssen derart gestaltet sein, dass sie den Verlust von Menschenleben nicht als Kollateralschaden in Kauf nehmen.“

Als am 9. November die Künstlergruppe Zentrum für politische Schönheit [7]die deutschnationale Feierstimmung zum Mauerfall störte, indem sie auf die Toten an der europäischen Mauer [8] hinwies, erwies sie sich als eine der wenigen Initiativen, die ernst nehmen, was der UNHRC der europäische Öffentlichkeit darlegen will.

http://www.heise.de/tp/news/Todeszone-Mittelmeer-2014-sind-3-400-Menschen-ertrunken-2486881.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.unhcr.de/presse/nachrichten/artikel/f548caed0d5f371feadc267799d15278/-baaf86cb9e.html

[2]

http://www.heise.de/tp/news/Leben-und-Sterben-auf-Lampedusa-1995493.html

[3]

http://www.isaacjulien.com/home

[4]

http://www.bild.de/regional/dresden/migrationspolitik/dresden-und-die-pegida-demos-38906636.bild.html

[5]

http://www.unhcr.de/presse/nachrichten/artikel/d8ffb4bdd4589ad11c44d8bf6bccaab1/lebensrettung-muss-bei-meeresueberfahrten-zentral-sein.html

[6]

http://www.unhcr.org/pages/49c3646c8.html

[7]

http://www.politicalbeauty.de/

[8]

http://43296

Darf man Verständnis für die chinesischen Machthaber zeigen?

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Wo Volkes Stimme Recht spricht

Wenn die Nachbarn protestieren

In Köln demonstrierten vor zwei Jahren belgische Arbeiter vor der Europazentrale von Ford. Nun fand der erste Prozess gegen einen der Arbeiter statt.

Demonstranten werden nach einer Kundgebung von der Polizei eingekesselt und erkennungsdienstlich behandelt. Einige Monate später treffen die ersten Strafbefehle ein. Ein solches Szenario kennen Linke hierzulande zur Genüge. Doch der Kessel, mit dem die Kölner Polizei am 7. November 2012 auf eine unangemeldete Protestaktion reagierte, war eine Ausnahme. Betroffen waren 250 Arbeiter aus dem belgischen Genk, die vor der Kölner Europazentrale des Autoherstellers Ford gegen die geplante Schließung ihres Werks protestierten.

»Wir wollten unsere Kölner Kollegen warnen. Jeden Tag kann es passieren, dass die da oben weitere Stellenstreichungen und ganze Werksschließungen verabschieden«, hieß es in einer Erklärung der belgischen Ford-Arbeiter. Gewerkschaftslinke aus verschiedenen Branchen solidarisierten sich mit den belgischen Arbeitern. »Sie riefen zur grenzenlosen Solidarität gegen Fabrikschließungen auf, statt wie die Mehrheit des DGB und auch vieler Betriebsräte Lobbyarbeit für ihren eigenen Standort zu machen«, erklärten linke Gewerkschafter des Bochumer Opel-Werks. Dort sorgte lange eine kämpferische Belegschaft dafür, dass auf Entlassungen und drohende Stilllegungen von Werksbereichen mit Protestaktionen reagiert wurde. Doch während des vergangenen Jahrzehnts hat sich die Belegschaft im Bochumer Opel-Werk verändert. Viele im Arbeitskampf erfahrene Beschäftige wurden verrentet oder verließen mit einer Abfindung den Betrieb. Der Rückgang der Protestbereitschaft wurde auch bei den Betriebsratswahlen deutlich, die lange Zeit einflussreiche linksoppositionelle Liste »Gegenwehr ohne Grenzen« (GoG), die sich gegen Standortnationalismus wendet, ist erstmals nicht mehr vertreten. Für die geschrumpfte Gewerkschaftslinke waren die Proteste der Genker Beschäftigten eine Möglichkeit an die Tradition anzuknüpfen. Nachdem im vorigen Herbst 15 belgische Ford-Arbeiter, die an den Protesten in Köln beteiligt waren, Strafbefehle erhalten hatten, gründeten sie den »Solikreis 7. November«, der eine Einstellung sämtlicher Verfahren forderte. Nur gegen fünf Beschuldigte wurden die Strafbefehle zurückgezogen. Am 20. Oktober begann vor dem Kölner Amtsgericht der erste Prozess. Mehr als 60 Gewerkschafter aus Deutschland und Belgien bekundeten vor dem Gericht ihre Solidarität. Am Mittwoch voriger Woche wurde der Belgier Gaby Colebunders wegen Missachtung des Vermummungsverbots zu einem Verwarnungsgeld in Höhe von 600 Euro verurteilt, das auf ein Jahr zur Bewährung ausgesetzt wurde. Alle anderen Anklagepunkte, wie beispielsweise schwerer Landfriedensbruch, hatte das Gericht fallengelassen.

Der »Solikreis 7. November« sprach von einem Freispruch zweiter Klasse und einem Erfolg der Solidaritätsarbeit. Diese sei jedoch noch längst nicht beendet. Die neun noch ausstehenden Verfahren sind vom Gericht für Sommer 2015 angesetzt worden. Der Bevollmächtigte der IG-Metall Köln, Witich Roßmann, sprach von einer Überreaktion und forderte eine Einstellung der Verfahren. »Polizei und Staatsanwaltschaft werden lernen müssen, konstruktiv und verständnisvoll mit den unterschiedlichen europäischen Protestkulturen umzugehen«, so Roßmann. Der Verweis auf angeblich unterschiedliche nationale Arbeitskampfkulturen wurde von linken Gewerkschaftern kritisiert. Sie erinnerten daran, dass ein hauptsächlich von Migranten getragener Streik 1973 bei Ford in Köln unter dem Beifall des IG-Metall-Vorstands mit einem brutalen Polizeieinsatz und Ausweisungen von Arbeitern geendet hatte. Die Hetze der Medien gegen den GDL-Streik in der vorigen Woche machte deutlich, dass der Gebrauch des Streikrechts in Deutschlands keineswegs Konsens ist. Befürwortern fiel zur Verteidigung der GDL lediglich ein, Konkurrenz tue nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch den Gewerkschaften gut. Die belgischen Ford-Arbeiter und ihre Unterstützer halten es eher mit einem Wert, der in der deutschen Gewerkschaftsbewegung selten anzutreffen ist: der transnationalen Solidarität.

http://jungle-world.com/artikel/2014/46/50903.html

Peter Nowak

»Nur ein Einzelfall«

Der Berliner Sozialrechtler Lutz Achenbach über das Urteil des EuGH

Deutschland darf einer Rumänin Hartz-IV-Leistungen verweigern. Hat sich damit die deutsche Rechtslage durchgesetzt?
Zunächst einmal wurde ein Einzelfall entschieden, der mit der Frage, mit der wir uns seit Langem befassen, gar nichts zu tun hat.

Warum?
In dem Fall, über den der EuGH entschieden hat, ging es um eine Rumänin, die mit ihrem Kind bei ihrer Schwester in Leipzig lebt und noch nie gearbeitet oder sich beworben hat. Hier hat das Gericht entschieden, dass keine Hartz-Leistungen gezahlt werden müssen. Wir kennen aber viele Fälle von EU-Bürgern, die dem Arbeitsmarkt in Deutschland zur Verfügung stehen, sich bewerben und teilweise auch schon hier gearbeitet haben und denen Hartz-IV-Leistungen verweigert werden. Darüber hat das Gericht nicht entschieden und sie sind von dem Urteil daher auch nicht betroffen.

Warum wird dann dem Urteil in der Öffentlichkeit eine solche Bedeutung zugesprochen?
Die Leipziger Richter, die den Fall vorliegen hatten, haben natürlich ein begründetes Interesse daran, dass hierüber von einem europäischen Gericht entschieden wird. Das liegt auch daran, weil im hier einschlägigen SGB II nichts darüber enthalten ist, wie mit EU-Bürgern verfahren wird, die nicht mal arbeitssuchend sind.

Sind Sie über das Urteil enttäuscht?
Es hätte natürlich gute Argumente dafür gegeben, auch der Frau aus Rumänien Leistungen nach Hartz IV zuzusprechen, beispielsweise das Diskriminierungsverbot innerhalb der EU. Viele hätten sich auch gewünscht, dass das Gericht grundsätzlicher über die Frage entscheidet, welche Verbindung ein EU-Bürger zum deutschen Arbeitsmarkt in Deutschland haben muss, wenn er Leistungen nach Hartz IV bekommt. Das hat der EuGH nicht gemacht.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/952071.nur-ein-einzelfall.html

Fragen: Peter Nowak

Die EU-Mauer fiel nicht

Verschwundene Gedenkkreuze für Mauertote lösen heftige Debatte in der Berliner Lokalpolitik aus

Die Künstler des »Zentrums für politische Schönheit« wollten die EU-Außengrenze einreißen. Symbolisch. Doch nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen sie.

Während in Deutschland am vergangenen Wochenende alle Medien vor allem über die Öffnung der Berliner Mauer vor 25 Jahren redeten, machten sich etwa 100 Menschen zur EU-Außengrenze auf. Sie starteten am Freitag vom Berliner Gorkitheater mit zwei Bussen zum »Ersten Europäischen Mauerfall« nach Bulgarien: Ihr Ziel waren die Grenzanlagen zwischen Bulgarien in der Türkei.

Kurz vor dem Start klang Philipp Ruch von dem Künstlerkollektiv »Zentrum für politische Schönheit«, das die Aktion vorbereitete, kämpferisch. Mit Blick auf die Ereignisse zum Berliner Mauerjubiläum sagte er: »Gedenken wir nicht der Vergangenheit, gedenken wir der Gegenwart – und reißen die EU-Außenmauern ein. Nicht mit warmen Worten, sondern mit Bolzenschneidern!« Davon fühlten sich nicht nur Künstler, sondern auch antirassistische Aktivisten angesprochen, die an der durch Spenden finanzierten Bustour teilnahmen.

Manche der Teilnehmer waren am Ende jedoch enttäuscht. Denn die Gruppe kam nur in Sichtweite der Grenze. Der Zugang war von einem großen Polizeiaufgebot versperrt. »Mir war klar, dass eine vorher öffentlich angekündigte Demontage des Grenzzauns nicht gelingen kann«, monierte ein Teilnehmer aus dem antirassistischen Spektrum im Radio. Doch habe er gehofft, dass die Organisatoren noch eine Überraschung vorbereitet gehabt hätten. So wie er waren auch andere Fahrgäste nach der langen Anfahrt darüber enttäuscht, dass sofort die Rückreise angetreten wurde.

Der Initiator Ruch wollte jedoch keineswegs von einer Niederlage sprechen, auch wenn die europäische Mauer nicht angetastet wurde. Schließlich sei durch die Aktion nicht nur in Deutschland sondern auch in den Ländern, die der Bus durchquerte, die Tatsache diskutiert worden, dass Flüchtlinge gewaltsam an der Einreise nach Europa gehindert werden. Besonders in Bulgarien war die Aktion ein zentrales Thema in den Medien. Der erst vor Kurzem in sein Amt gewählte bulgarische Innenminister hatte im Fernsehen sein Verbleiben im Amt daran geknüpft, dass die Grenze zur Türkei unangetastet bleiben werde.

Die Teilnehmer der Aktion bekamen auch die grenzüberschreitende Polizeiarbeit zu spüren. Bereits bei der Abfahrt in Berlin war das Gepäck aller Fahrgäste kontrolliert worden. Bei mehreren Grenzübertritten wiederholte sich das Prozedere. Und mittlerweile ermittelt der Staatsschutz gegen die Künstler, weil sie im Vorfeld der Aktion auch Weiße Kreuze entwendet hatten, die an die Mauertoten in Berlin erinnern. Das »Zentrum für politische Schönheit« erklärte, man habe die Kreuze vorübergehend zu den Geflüchteten gebracht, die heute die EU-Grenzen überwinden wollen.

Die Kreuze wurden nach Angaben der Polizei am Sonntagabend zwar wieder zurückgebracht. Doch löste ihr zeitweiliges Verschwinden eine heftige Diskussion in der Berliner Lokalpolitik aus. So griff Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) das Maxim-Gorki-Theater wegen einer angeblichen Mittäterschaft an. In einem Gastbeitrag im »Tagespiegel« schrieb Henkel am Wochenende, diese »verabscheuungswürdige« Tat erhielte eine neue Dimension, da das Theater zugebe, »die Aktion unterstützt zu haben, auch wenn das Ausmaß noch nicht ganz klar ist.« Besonders bitter sei, dass diese Komplizenschaft offenbar mit Steuergeldern gefördert worden sei, so Henkel. »Die Rolle des Maxim-Gorki-Theaters muss dringend aufgeklärt werden.«

Gegenwind für seine Kommentare erhielt Henkel von den Berliner Grünen. Diese betonten am Montag im Innenausschuss, der Senator habe keinerlei Anhaltspunkte für seine Anschuldigungen vorgelegt. Die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram sagte, stattdessen drohe Henkel der Intendantin Shermin Langhoff, »einer Migrantin wohlgemerkt«. Dabei müsse der Senat für die Freiheit der Kunst eintreten.

Das öffentlich finanzierte Gorki-Theater hatte lediglich zugegeben, Duplikate der Kreuze für die Aktion der Protestierer gebaut zu haben. Intendantin Langhoff bestätigte das der »Berliner Morgenpost«. Langhoff hatte auch gesprochen, als die Protestierer Richtung Südosteuropa abgefahren waren. Laut »Morgenpost« erhielt die Protestgruppe 10 000 Euro aus dem Kulturetat Berlins.

Die Grünen fragten mehrfach, ob es Ermittlungen auch gegen das Theater gebe. Staatssekretär Bernd Krömer (CDU), der Henkel im Ausschuss vertrat, sprach trotz Nachfragen nur von Ermittlungen in alle Richtungen und »Gesprächen mit einem Rechtsanwalt« ohne das näher zu erläutern. Probleme mit dem Gesetz bekommen jetzt zumindest die drei Männer und eine Frau, die die Gedenkkreuze zurückbrachten. Gegen sie ermittle nun der Staatsschutz, teilte die Polizei am Montag mit. Mit Agenturen

Peter Nowak

»Türkei duldet IS-Strukturen«

Der Islamische Staat (IS) ist immer noch nicht geschlagen. Doch wie konnte er überhaupt so mächtig werden? Die Jungle World sprach mit Ismail Küpeli über die Bedeutung Syriens und der Türkei für den Aufstieg des IS. Küpeli ist Politikwissenschaftler, Aktivist und Autor. Er beschäftigt sich mit der autoritären Entwicklung in der Türkei unter der AKP-Regierung und der Politik des türkischen Staates gegenüber der kurdischen Bevölkerung.

Die Türkei scheint sich nach langem Widerstand bereit erklärt zu haben, kurdische Kämpfer über ihre Grenze in die vom IS bedrohte Stadt Kobanê zu lassen. Ist das eine Wende in der Politik der türkischen Regierung gegenüber dem IS?

Nein, das ist keine Wende. Vielmehr gab es seit etwa sechs Monaten eine langsame Bewegung, seit der Sommeroffensive des IS im Nordirak und der Geiselnahme türkischer Diplomaten in Mossul durch den IS. Der IS hat sich durch die Eroberung der Erdölquellen im Nordirak sehr große ­finanzielle Einnahmen sichern können, womit eine größere Eigenständigkeit gegenüber den bisherigen Unterstützern des IS, etwa den arabischen Golfstaaten und der Türkei, einhergeht. Dies erklärt auch die Geiselnahme und bedeutet, dass die Türkei den IS nicht mehr als bloßes Werkzeug gegen das Regime Bashar al-Assads und die Kurden in Nordsyrien nutzen kann.

Es gab in der Vergangenheit immer wieder ­Berichte über Kooperationen zwischen türkischen Behörden und dem IS. Wie seriös sind solche Nachrichten?

Insbesondere in der türkischsprachigen Presse gibt es sehr viele Meldungen über eine solche Kooperation, mit unterschiedlicher Seriösität. Die Unterstützung von bewaffneten Rebellen in Nordsyrien, islamistische Gruppen eingeschlossen, wird nicht einmal seitens der türkischen Regierung bestritten. Es gibt Beweise, dass der türkische Geheimdienst Waffenlieferungen an Kämpfer in Nordsyrien organisiert. Weniger gesichert sind die Meldungen über eine direkte Kooperation zwischen der Türkei und dem IS. Aber zumindest die Duldung von IS-Strukturen in der Türkei ist belegt. Unter anderem gibt es Rekrutierungsbüros in Istanbul und Ausbildungslager im Grenzgebiet und die Türkei wird als Rückzugsgebiet genutzt, etwa durch medizinische Versorgung der IS-Kämpfer in türkischen Krankenhäusern.

Lange vor dem Machtantritt der AKP-Regierung wurden in der Türkei Islamisten im Kampf gegen Linke, Gewerkschafter und Oppositionelle eingesetzt. Können Sie dazu einige Beispiele nennen?

Die türkisch-kurdische Hizbollah, die nicht mit der allgemein bekannten libanesischen Hizbollah verwechselt werden sollte, wurde in den neunziger Jahren im Rahmen des schmutzigen Krieges gegen die PKK und alle oppositionellen Kräfte eingesetzt. Die Hizbollah ist nur eine der Organisationen und Netzwerke, die als Todesschwadronen und Terrororganisationen eingesetzt wurden. Beispiele für die Aktionen solcher Gruppen reichen von Entführung, Folter und Hinrichtung von einzelnen Personen, etwa Journalisten, Menschenrechtlern und vermeintlichen PKK-Sympathisanten, bis hin zu Massakern an der kurdischen Landbevölkerung.

Könnte man eine Linie von der türkischen ­Hizbollah, einer sunnitisch-islamistischen Organisation, zum IS ziehen?

Eine solche Linie wird von PKK-nahen Akteuren gezogen; ich finde dies wenig überzeugend. Die Hizbollah wurde in den vergangenen Jahren als bewaffneter Akteur weitgehend ausgeschaltet und hat sich als politische Partei neu formiert. Dies geht auch darauf zurück, dass bis vor kurzem zwischen der türkischen Regierung und der PKK ein sogenannter Friedensprozess stattfand, in dem Organisationen wie die Hizbollah keinen Platz hatten. Der IS ist eine neue Entwicklung und hat mit der Hizbollah der Neunziger wenig Verbindungen.

Sie bezeichnen den IS als eine Frucht des syrischen Bürgerkriegs nach der Niederlage der demokratischen zivilen Opposition. Welchen Anteil hatte das syrische Regime am Aufstieg des IS?

Nach der Niederschlagung der friedlichen Oppositionsbewegung durch das Assad-Regime haben bewaffnete Rebellengruppen innerhalb der Anti-Assad-Opposition die Oberhand gewonnen. Die brutale Repression des Regimes hat dazu geführt, dass bald nur noch wenige daran glaubten, auf friedlichem Wege das Regime stürzen zu können. Die weitere Entwicklung der verschiedenen bewaffneten Rebellengruppen geht darauf zurück, wer welche externe Unterstützung mobilisieren konnte – also Kämpfer, Waffen, Geld. Hier kam die Koalition der arabischen Golfstaaten und der Türkei ins Spiel, die insbesondere islamistische Gruppen unterstützt haben, die nach und nach säkulare Kräfte verdrängt haben. Aus diesem is­lamistischen Milieu stieg der IS auf – neben anderen Kräften wie der al-Nusra-Front.

Es gibt einige Stimmen, auch in der Linken in Deutschland, die angesichts der Bedrohung durch den IS eine Kooperation mit dem Assad-Regime fordern. Kann man davon reden, dass es jetzt das kleinere Übel ist?

Nein, kann man nicht. Das Assad-Regime ist nach wie vor für deutlich mehr Opfer verantwortlich und – wie zuvor angedeutet – für den Aufstieg des IS mitverantwortlich. Das Regime bombardiert Städte, lässt Oppositionelle foltern, verschwinden und ermorden. Die Brutalität des IS sollte die Gewalt des Assad-Regimes nicht vergessen lassen.

Andere Gruppen drängen auf die Unterstützung der Freien Syrischen Armee (FSA). Gibt es dort nicht auch viele undemokratische und ­islamistische Gruppen?

Die Freie Syrische Armee als ein zusammenhängender militärischer Verband existiert schon länger nicht mehr. Die einzelnen FSA-Einheiten haben sich in völlig unterschiedliche Richtungen entwickelt. Manche haben sich de facto aufgelöst, andere haben sich den Islamisten angeschlossen, wiederum andere kämpfen auf Seiten der säkularen Opposition. Kleinere Einheiten kämpfen sogar gemeinsam mit den kurdischen YPG-Einheiten gegen den IS. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass derzeit in Kobanê frühere und derzeitige FSA-Kämpfer auf beiden Seiten stehen.

Viele Linke sehen in den Kurdinnen und Kurden, die gegen den IS kämpfen, endlich wieder eine linke Alternative im Syrienkonflikt, die unterstützenswert ist. Hat dieser Optimismus eine reale Grundlage?

Es findet sicherlich eine gewisse Romantisierung statt; nicht zu übersehen etwa an den Plakaten, auf denen ikonenhaft kurdische Kämpferinnen abgebildet werden. Aber trotz aller Skepsis ist Rojava in Nordsyrien innerhalb des syrischen Bürgerkrieges eine der ganz wenigen demokratischen Zonen. Die PYD versucht – sei es aus Not oder aus einer basisdemokratischen Orientierung heraus – alle Bevölkerungsgruppen in Nordsyrien in die politischen Strukturen einzubinden, einschließlich über Quoten für Frauen und einzelne Bevölkerungsgruppen. Massaker an Zivilisten, Hinrichtung von Oppositionellen und brutale Repression, die leider in anderen Regionen Syriens zum Alltag geworden sind, finden unter der PYD-Herrschaft nicht statt. Dies ist für syrische Verhältnisse schon sehr viel.

Die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Christine Buchholz, musste viel Häme und Kritik einstecken, weil sie sich bei Facebook mit einem Schild zeigte, auf dem sie sich für Solidarität mit den Kurden in Kobanê, aber gegen US-Bombardements aussprach. Ist es nicht tatsächlich Aufgabe einer Linken, Alternativen zur Militärpolitik zu fordern?

Das Problem mit dem Buchholz-Schild war nicht die grundsätzliche Kritik an westlichen Militär­interventionen. Diese Kritik formulieren viele. Sondern es ging um eine vermeintliche solidarische Bezugnahme auf die Verteidiger von Kobanê, wobei Buchholz völlig unterschlagen hat, dass genau diese Menschen die US-Luftangriffe herbeigewünscht und begrüßt haben. Und zwar als eine Rettungsmaßnahme, als die Gefahr, dass Kobanê vom IS erobert werden könnte, am größten war. Über Antiimperialismus lässt sich ja streiten, über Heuchelei weniger.

Wenn die Frage wäre, ob Organisationen wie der IS sich allein durch militärische Maßnahmen, sei es durch YPG-Kämpfer oder durch US-Luftangriffe, aus der Welt schaffen lassen, dann ist die Antwort: Natürlich nicht. Ohne eine demokratische Lösung für Syrien, in der alle Bevölkerungsgruppen friedlich koexistieren dürfen, kann vielleicht der IS besiegt werden – aber nur um vom nächsten reaktionären Gewaltakteur abgelöst zu werden.

http://jungle-world.com/artikel/2014/45/50876.html

Interview: Peter Nowak

Ein frühes Opfer des islamistischen Terrors

Wie demokratisch waren die Wahlen in der Ukraine?

Während man sich bei der Einschätzung über die Wahlen in der Ostukraine ziemlich einig in der Ablehnung ist, reagierten Politiker und Medien auf die Wahlen in der übrigen Ukraine viel zu unkritisch

Wer in der vergangenen Woche die Illusionen hegte, dass die vorläufige Einigung zwischen der Ukraine und Russland im Gasstreit zu einer allgemeinen Entspannung zwischen beiden Ländern beitragen könnte, sieht sich nun schnell enttäuscht. Nachdem die Machthaber in der Ostukraine ihre Ankündigung wahr gemacht haben und eigene Wahlen abhielten [1], sind zwischen Russland und der Ukraine wieder kriegerische Töne angesagt.

Der ukrainische Außenminister tönt nun, dass sich das Land die Ostukraine zurückholen [2] werde. Wie das bewerkstelligt werden soll, lässt er allerdings offen. Die Ankündigung aus Kiew, Strafverfahren gegen die Verantwortlichen der Wahlen im Osten des Landes einzuleiten [3], sind hingegen realistischer und erinnern an den tiefsten kalten Krieg zwischen BRD und DDR. Auch damals wurden in Westdeutschland Menschen verurteilt, die beschuldigt wurden, das System im Osten zu unterstützen und sei es nur durch ein Interview.

Klare Wahlentscheidung für eine Europäisierung?

In den meisten Medien wurden die Wahlen in der Ostukraine zumindest als umstritten, oft aber auch als illegal bewertet. Tatsächlich dürfte es nicht besonders schwer sein, auch Nachweise dafür zu finden, dass diese Wahlen selbst nach bürgerlich-demokratischen Standpunkten in vielerlei Hinsicht zu beanstanden sind. Die Frage ist allerdings, ob sie sich in dieser Hinsicht so groß von den Parlamentswahlen in der übrigen Ukraine unterscheiden.

Wenn man den Mainstream der hiesigen Medien und die Erklärungen einer ganz großen Koalition von Politikern zum Maßstab nimmt, verbietet sich schon die Frage. Denn unisono wurde erklärt, mit diesen Wahlen habe die Ukraine den Weg nach Europa gewählt und all jene Lügen gestraft, die immer Nationalisten oder gar Faschisten in Kiew am Werk sehen. Erst am Wochenende erklärte [4] der Grüne Ex-Außenminister Josef Fischer:

„In einer sehr klaren Wahlentscheidung hat die Ukraine einen Präsidenten gewählt, der allseits, auch von Moskau, anerkannt wird. Dann jüngst die Parlamentswahlen. Diese sind besonders bemerkenswert, weil in einer Zeit gewählt wurde, in der Teile des Landes besetzt sind, Krieg herrscht, andere Teile annektiert wurden. Die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung hat ganz klar gezeigt, dass sie eben die Ostverschiebung der Ukraine nicht will. Das ist jetzt eine große Chance. Man darf nur die Fehler, die nach der Orangen Revolution gemacht wurden, nicht wiederholen. Eine europäische Perspektive für die Ukraine wird es nur geben können, wenn es einen echten Bruch mit der postsowjetischen Realität in dem Lande gibt. Das heißt an erster Stelle: Bekämpfung der Korruption und eine innere Europäisierung.“

Damit liegt Fischer ganz auf der Linie der Ukraineberichterstattung der grünennahen Taz, die das Scheitern der extremen Rechten und den Sieg des europafreundlichen Flügels in den Mittelpunkt stellte [5]. Nach einer genaueren Analyse der Wahlen in der Ukraine stellte sich aber schnell heraus, dass die Rechtsaußenparteien sicher nicht besonders gut abgeschnitten haben, UItrarechte und Nationalisten allerdings auf den Listen proeuropäischer Parteien kandidierten und ins Parlament kamen.

„Vom Schützengraben ins Parlament“ hieß die Überschrift eines Artikels [6], der die Jubelberichterstattung über das Scheitern der Ultrarechten in der Ukraine korrigierte. Über die neue Partei Selbsthilfe [7], die ins ukrainische Parlament eingezogen ist und als liberale, proeuropäische Partei in vielen deutschen Medien hochgelobt wurde, heißt es nun:

„Ein Blick auf die Wahlliste und das Wahlprogramm für die jüngsten Parlamentswahlen zeigt, dass keine Partei so von Militär und Militarismus durchdrungen ist wie die Selbsthilfe. Direkt hinter der Spitzenkandidatin, der Aktivistin der Nichtregierungsorganisation „Neubelebung der Reformpakete“, Anna Golko, findet sich Semjon Sementschenko, Kommandeur des Bataillons Donbass.“

Ultrarechte Paramilitärs, die im Donbass an Plünderungen und anderen Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren, sind so auf dem Ticket liberaler, proeuropäischer Parteien in das Kiewer Parlament eingezogen und haben diesen Parteien bereits zuvor ihren politischen Stempel aufgedrückt. Es ist dann auch nicht besonders verwunderlich, dass die Rechtsaußenparteien bei diesen Wahlen schlecht abgeschnitten haben, wenn die nationalistischen Inhalte sich über die proeuropäischen Parteien der sogenannten Mitte verwirklichen lassen.

Sollten sie bei der Umsetzung scheitern, stehen schließlich rechtsaußen noch immer genügend Politiker in Reserve. Dazu gehört auch der ultrarechte Nationalist Dmitrij Jarosch, der von Interpol zur Fahndung ausgeschrieben [8] ist. Der führende Politiker des Rechten Sektors kam als Direktkandidat ins Parlament.

Wenig las man in den deutschsprachigen Medien darüber, dass vor allem den Kommandeuren, die auf den verschiedenen Listen kandierten, Einschüchterung der Wähler, ja sogar offener Wahlbetrug vorgeworfen wurde. Dass mehrere ukrainische NGOs bereits im Vorfeld der Parlamentswahlen von einem Rückfall in alte Zeiten in Bezug auf die Wählerbeeinflussung und Bestechung sprachen [9] und diese Vorwürfe nach dem Wahlen untermauerten, wurde hierzulande gerne übersehen.

Weder auf Seiten Russlands noch Kiews

Nach den Wahlen in der West- und Ostukraine wiederholt sich das Schauspiel, das wir seit Monaten kennen. Während die prorussichen Kräfte gerne auf die Nationalisten und Faschisten im Umfeld der Kiewer Regierung zeigen, werden die russischen Rechtsaußenkräfte verschwiegen, die bei den Separatisten im Osten mitwirken.

Umgekehrt wird von den Freunden des Umsturzes in Kiew gern jeder Hinweis auf ultrarechte Kräfte in der Regierung und beim Militär als Parteinahme für Putin verurteilt, wie es bereits vor einigen Monaten in einer Erklärung [10] von grünennahen Wissenschaftlern formuliert und auch von der Grünen Politikern Rebecca Harms wiederholt [11] wurde.

Positionen, die auch im Ukrainekonflikt die Politik sowohl Kiews als auch der Separatisten kritisieren, haben es schwer, gehört zu werden. „Der Platz antifaschistisch und antimilitaristisch denkender Menschen ist nicht an der Seite ukrainischer oder russischer Nationalisten. Unser Platz ist bei den linken und antifaschistisch denkenden Menschen in der Ukraine und Russland, so sehr diese auch momentan an den Rand gedrängt werden“, schrieb [12] der Sozialwissenschaftler Matthias Wörsching all denen ins Stammbuch, die klare Feinbilder statt kritische Analyse der Verhältnisse bevorzugen.

http://www.heise.de/tp/news/Wie-demokratisch-waren-die-Wahlen-in-der-Ukraine-2441721.html

Peter Nowak 

Links:

[1]

http://www.heise.de/tp/artikel/43/43227/1.html

[2]

http://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise-rebellenfuehrer-zum-sieger-der-ostukraine-wahl-erklaert_id_4243120.html

[3]

http://www.shortnews.de/id/1117929/ukraine-streit-eskaliert

[4]

http://www.taz.de/!148732/

[5]

https://www.taz.de/Parlamentswahl-in-der-Ukraine/!148460/

[6]

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=au&dig=2014%2F10%2F29%2Fa0054&cHash=1641f054f2d820ada117cc32934f9cde

[7]

http://www.kyivpost.com/content/politics/new-faces-in-parliament-possible-with-samopomich-party-369116

[8]

http://de.ria.ru/society/20140725/269111600.html

[9]

http://www.tagesspiegel.de/politik/ukraine-bestechung-und-manipulation-vor-der-wahl/10795176.html

[10]

http://www.boell.de/de/2014/02/20/euromaidan-freiheitliche-massenbewegung-zivilen-ungehorsams

[11]

http://www.boell.de/de/2014/03/07/russland-die-ukraine-und-wir

[12]

http://faschismustheorie.de/wp-content/uploads/2013/01/Woersching_Den-Bruderstaat-gibt-es-nicht_Antifa-Sept.Okt_.-2014.pdf

Tanzen und trinken gegen Terror

SOLIDARITÄT Die von Nachtclubs gestartete Kampagne „Nachtleben für Rojava“ wirbt für die Unterstützung der Menschen in der Stadt Kobani und der Region Westkurdistan

Tausende Menschen gingen am vergangenen Samstag auch in Berlin auf die Straße, um die von den Islamisten des IS eingeschlossenen KurdInnen zu unterstützen (taz berichtete). Der überwiegende Teil waren in Berlin lebende KurdInnen – der kleinere Teil UnterstützerInnen aus der deutschen Linken.

Zu ihnen gehört auch Jan Hoffmann. Er verteilte auf der Demonstration Flyer und Aufkleber mit dem Motto „Nachtleben für Rojava“. Die Kampagne startete am Abend des 1. November – dem Tag des Internationalen Karenztages. Als „Rojava“ wird von Kurden der Anteil Syriens am kurdischen Siedlungsgebiet bezeichnet, das Gebiet ist kurdisch kontrolliert.

Die Kampagne wurde von Menschen organisiert, die als KonzertveranstalterInnen, BarkeeperInnen, TürsteherInnen oder DJs im Berliner Nachtleben tätig sind. „Fassungslos verfolgen wir, was in Irak und Syrien passiert, und fühlen die Verpflichtung, aktiv zu werden“, sagt Jan Hoffmann. Schließlich sei bei vielen Menschen, die tagsüber auf eine Demonstration gingen, nachts beim Feiern die Solidarität oft schnell vergessen.

Für Hoffmann und seine KollegInnen war und ist das ein unbefriedigender Zustand, den sie ändern wollten. „Dabei ist uns die Idee gekommen, eine Initiative zu starten, die Leute in einem Bereich anspricht, in dem wir uns auskennen, vernetzt und kulturell verwurzelt sind – im Berliner Nachtleben“, so Hoffmann. Damit sollen auch Menschen angesprochen werden, die nicht auf Solidemos gehen.

Zunächst wurden Bars und Clubs auf eine Unterstützung angesprochen, die den OrganisatorInnen persönlich bekannt sind. Einige arbeiten dort auch in den unterschiedlichen Bereichen. Zu den Einrichtungen, die den Aufruf sofort unterstützt haben, gehören die Clubs SchwuZ, about blank und Rosis.

Zwei zentrale Ziele hat die Kampagne: Sie will Öffentlichkeit über die Situation der Menschen in Rojava schaffen. Zudem möchte man Spenden sammeln, mit denen die Menschen in Rojana unterstützt werden sollen. In welcher Form die Spenden gesammelt werden, bleibt jeder Location selber überlassen. Einige erheben einen Aufpreis von einem Euro bei den Eintrittspreisen oder den Getränken, andere spenden einen Teil der Einnahmen. Mit Plakaten und Flyern werden die potenziellen BesucherInnen der Einrichtungen über die Ziele der Kampagne informiert.

Von den ersten Reaktionen ist Jan Hoffmann positiv überrascht. Für ihn liegt der Grund dafür vor allem daran, dass die Situation in Rojava medial sehr präsent ist und viele Leute das Bedürfnis verspüren sich einzubringen. „Dabei fehlen jedoch häufig die entsprechenden Kontakte oder konkrete Ideen, sodass unsere Initiative von vielen Leuten dankbar aufgenommen wird.“

In der nächsten Zeit soll die Zahl der beteiligten Clubs und Bars erweitert werden. Diskussionen darüber gibt es in so angesagten Clubs wie Berghain oder SO 36. Die Gespräche unter den MitarbeiterInnen laufen und sind teilweise noch nicht abgeschlossen. Doch Hoffmann ist optimistisch, dass sich in der nächsten Zeit weitere Einrichtungen dem Aufruf anschließen werden. Mittlerweile habe es auch Anfragen von KollegInnen aus Hamburg und Frankfurt gegeben, so Hoffmann.

Waffen für Rojava

Eine Erfolgsmeldung kam auch von einer anderen Kampagne „Waffen für Rojava“, die Anfang Oktober wesentlich von der Neuen Antikapitalistischen Organisation (NaO) initiiert worden ist. „Mittlerweile sind 50.000 Euro gesammelt worden“, erklärte NaO-Sprecher Michael Prütz gegenüber der taz. Mitte Oktober wurde dem Berliner Vorsitzenden der kurdischen Partei der demokratischen Union (PYD) Sherwan Abdulmajid auf einer Pressekonferenz ein Scheck über 20.000 Euro übergeben. Die Solidaritätsinitiative aus dem Berliner Nachtleben begrüßt Michael Prütz als willkommene Ergänzung. (pn)

http://www.taz.de/Solidaritaet-mit-Kobani/!148849/

Peter Nowak