Der Sozialismus mit menschlichen Antlitz wohnte jedenfalls nicht in Wandlitz“, lautet eine Strophe des Songs „Privilegien“ des Berliner Chansonniers Geigerzähler. Der Abgesang auf die SED-Nomenklatura, die in der Bungalowsiedlung Wandlitz am Rande von Berlin ihre Freizeit verbrachte, ist nicht die einzige DDR-Reminiszenz auf dem Album „Der Zeitzahl ist zerbrochen“. Auf dem Album kann man auch die künstlerische Entwicklung von Geigerzähler beobachten. Der Krachpunk seiner Jugend trifft auf ruhige, fast balladenartige Lieder, die von einer Geige begleitet werden. Einige Chansons erinnern an den frühen Franz Josef Degenhardt. Es sind 15 Songs über verlorene …
„Junge mit Gummistiefeln“ weiterlesenSchlagwort: Berlinska Droha
Zeiten enden und gehen weiter
Die Zionskirche im Berliner Bezirk Mitte hatte für die linke DDR-Opposition große Bedeutung. Dort fand im Oktober 1987 ein Punkkonzert statt, das von Neonazis überfallen wurde. Auch nach dem Mauerfall machte die Zionskirche als oppositioneller Ort Schlagzeilen. So ging dort am 1. Mai 1996 der Piratensender Pi-Radio auf Sendung und lieferte Infos über die linken Demonstrationen in der Stadt. Daran erinnerten die Veranstalter*innen, die am Samstagabend unter dem Motto …
„Zeiten enden und gehen weiter“ weiterlesenSorbischer Folk trifft Berliner Punk
Entscheidungen, Entscheidungen sind schwer – will ich in die Berge oder lieber ans Meer“, lautet die Textzeile eines der 12 Songs auf der aktuellen CDs „Um die Ecke“ des Duos Berlinska Droha. Dort singen die beiden Musiker Uta und Paul von den kleinen Dingen des Lebens, die oft gravierende Folgen haben.
So ist der Song „Herr Krug“ eine bitterböse, aber immer witzige Schimpfkanonade gegen einen Vermieter mit Hausmeisterallüren, wie sie Karl Kraus vor mehr als 100 Jahren in der Fackel aufs Korn genommen hat. „Du sagst, ich hätte nichts zu lassen, die wurdest mich rund um die Uhr überwachen“, heißt es in dem Song, der allerdings für den Mieter einen glücklichen Ausgang nimmt. Heißt es doch in der letzten Strophe: „Herr Krug, du kriegst mich hier nicht raus. Ich sitz grinsend auf dem Sofa und ich lach dich aus“.
Bei dem Song „Der Henker“ bleibt dem Zuhörer das Lachen allerdings im Halse stecken. Handelt er doch von einen Mann, der seinen Beruf mit Freude am Töten ausübt, aber von seinen Kindern als liebevoller Vater bewundert wird. „Aber zu hause nannten sie ihn Bärchen, aber zu Hause erzählt er seinen Kindern Märchen“, lautet der Refrain dieser bitterbösen Persiflage auf den Typus des ganz normalen Deutschen, der im 3. Reich Mörder und liebender Familienvater in einer Person sein konnte.
Unter dem Künstlernamen Geigerzähler war Paul seit Jahren über Berlin hinaus als ein Straßenmusiker bekannt. Seine Auftritte erfreuten sich auf Straßenfesten, am Rande von Demonstrationen, aber auch in gut besuchten Konzerten in Jugendzentren und Kultureinrichtungen zunehmender Beliebtheit. Bei einem Auftritt auf einem Festival an der polnischen Grenze im Jahr 2007 begann die Kooperation mit der sorbisch singenden Künstlerin Uta. Nach einem weiteren Spontanauftritt in Berlin entstand Berlinska Droha, was übersetzt „Berliner Straße“ heißt. Das ist ein guter Name für ein Duo, das in der Tradition der rotzfrechen Straßenmusiker steht, die spontan auf öffentlichen Plätzen ihre Lieder zur Erfreuung des Publikums und zum Ärger der Polizisten und Hausmeister dieser Welt zum besten geben. Nachdem von dem Duo 2009 eine erste Vinyl-Single erschienen ist, erfreut es mit der Veröffentlichung der CD seine wachsende Fangemeinde mit einen Querschnitt seines künstlerischen Schaffens.
Das Crossover von sorbischem Folk und Berliner Punk mit Polka-Einlagen findet seine Zuhörer in sehr unterschiedlichen Kreisen. Das Duo spielt in alternativen Kulturzentrum ebenso wie in sorbischen Museen. Auch Auslandsauftritte in Polen und Marokko standen schon auf dem Konzertplan.
Berlinska Droha gehört nicht zu jener Sorte von Künstlern, die sie im Song „Kabarett“ karikieren, weil sie sich vor einem Mittelstandspublikum über Erwerbslose mit Kassenbrillen und Jogginghosen lustig machen und dafür als große Kabarettisten feiern lassen. Berlinska Droha richtet dagegen Witz und die bitterböse Ironie auf die Bürokraten dieser Welt.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/203344.plattenbau.html
Peter Nowak
Berlinska Droha, Um die Ecke, Vetoria Records