Am 21. Dezember 2023 fand im Roten Salon der Berliner Volksbühne in der Reihe Vergessene Arbeitskämpfe ein Punkabend zum Pierburg-Streik vor 50 Jahren statt.

PIERBURG-STREIK – NOCH IMMER AKTUELL

Noch immer ist der sogenannte wilde Streik, also der Arbeitskampf, der nicht von einer tariffähigen Gewerkschaft getragen wird, in Deutschland verboten. Das mussten in den letzten Monaten und Jahren die Beschäftigten von Lieferkurierfirmen erfahren, die seit 2021 gegen ihre schlechten Arbeitsbedingungen gestreikt haben. Auch sie waren mit dem Erbe von Karl Heinz Nipperdey konfrontiert. Der ehemalige Kommentator des NS-Gesetzes zur Nationalen Arbeit hat 1952 während eines Arbeitskampfes ein Gutachten erstellt, das bis heute das Streikrecht in Deutschland maßgeblich beeinflusst. Dazu gehört das Verbot des politischen und des verbandsfreien Streiks, also eines Arbeitskampfes ohne gewerkschaftliche Beteiligung. Jetzt sind also auch die Rider*innen, wie sich die Beschäftigen der Lieferdienste nennen, mit den Erbe eines NS-Arbeitsrechtlers konfrontiert. In ihrem Kampf schauen sie auch auf die Kämpfe bei Pierburg, Heinze und vielen anderen Betrieben.

Sommer 1973, Firma Pierburg, Neuss am Rhein“. So beginnt der Film „Pierburg – ihr Kampf ist unser Kampf“. Er dokumentiert einen Arbeitskampf, der vor 50 Jahren Geschichte geschrieben hat. Über 2000 Frauen haben damals …

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Streiken geht auch anders

Der Streik migrantischer Arbeiterinnen bei einem Automobilzulieferer im Jahr 1973 erhält zum Jubiläum wieder Aufmerksamkeit.

Wer an Streiks in Deutschland denkt, dem kommen bunte Plastikleibchen, Trillerpfeifen, hohle DGB-Rhetorik und Tarifabschlüsse in den Sinn, die man nur mit viel Mühe als Erfolg verkaufen kann. Dass auch in Deutschland Arbeitskämpfe möglich sind, die anders verlaufen, zeigt der Pierburg-Streik. 1973 streikten die Arbeiterinnen beim Automobilzulieferer Pierburg im nordrhein-westfälischen Neuss für die Abschaffung aller Leichtlohngruppen, die dafür sorgten, dass Frauen weniger als Männer verdienten, und für eine Erhöhung des Stundenlohns um eine Mark.

Wie groß das Interesse an dem Streik damals war, zeigt sich an den zahlreichen Büchern und Filmen, die sich dem Ausstand widmen. Anfang der achtziger Jahre, als ein Großteil der Linken seinen Abschied vom Proletariat nahm, geriet auch der Pierburg-Streik in Vergessenheit. Doch nun macht ein Buch mit dem Titel »Wilder Streik, das ist Revolution«, das im Berliner Verlag »Die Buchmacherei« erschienen ist, wieder auf den Arbeitskampf aufmerksam. Der Herausgeber Dieter Braeg, damals einer der oppositionellen Betriebsräte in dem Unternehmen, hat das anstehende Jubiläum zum Anlass genommen, einige Dokumente erneut zu veröffentlichten.

Dazu gehört auch der 40minütige Film »Pierburg – ihr Kampf ist unser Kampf«, der immer noch sehenswert ist, vor allem aus einem Grund: Es ist sinnvoll, daran zu erinnern, dass es in Deutschland auch Kämpfe von Lohnabhängigen gab, die sich nicht in den von den DGB-Vorständen vorgegebenen Bahnen bewegen. Bei Pierburg war das der Fall: »Wilder Streik, das ist Revolution« – so begründete der Neusser Polizeipräsident Günther Knecht damals den Einsatz von knüppelnden Polizisten gegen die Streikenden.

Braegs Einschätzung, der Pierburg-Streik sei ein Beispiel für »eine andere deutsche Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung«, kann man allerdings Skepsis entgegenbringen. Mit einer viel größeren Berechtigung kann der Streik als Beispiel für einen selbstorganisierten Kampf migrantischer Frauen angeführt waren. Sie traten nicht nur gegen den Unternehmer Alfred Pierburg an, der eine einflussreiche Stellung in der Kriegswirtschaft des Nationalsozialismus inne gehabt hatte und in der Bundesrepublik Träger zahlreicher Orden inklusive des Bundesverdienstkreuzes war. Die Dokumente verdeut­lichen auch, wie die streikenden Frauen mit dem Rassismus der im NS sozialisierten Vorarbeiter konfrontiert wurden. »Ihr seid doch das aufsässigste Pack, was mir je untergekommen ist, ihr Scheißweiber«, schrie einer der Pierburg-Vorarbeiter eine griechische Beschäftigte an und drohte ihr mit Schlägen, weil sie sich beim Betriebsrat über die Arbeitsbedingungen beschwert hatte. Die Dokumente zeigen aber auch die Ignoranz mancher Betriebsräte, denen die Pflege der Trikots der firmeneigenen Fußballmannschaft wichtiger war als die Interessenvertretung der Kolleginnen. Auch die Taktik der IG-Metall-Führung wird deutlich. Sie tat alles, um den Streik wieder in die institutionellen Bahnen zu lenken, und die Justiz überzog die oppositionellen Betriebsräte mit langwierigen Gerichtsprozessen.

Dieter Braeg ordnet den Pierburg-Streik in das politische Geschehen jener Jahre ein. Mit den Septemberstreiks von 1969 begann ein Aufbegehren von Lohnabhängigen, die sich nicht mehr von DGB-konformen Instanzen vertreten lassen wollten. Daran waren migrantische Beschäftigte federführend beteiligt. Höhepunkt waren der Streik und die Besetzung der Kölner Ford-Werke im August 1973. Als die Polizei die Fabrik mit Gewalt räumte, zahlreiche Streikende festnahm und mehrere migrantische Arbeiter als angebliche Rädelsführer abschieben ließ, titelte die Bild-Zeitung: »Deutsche Arbeiter kämpfen Ford frei«. Zuvor hatten Bürgerwehren die Streikenden mehrmals angegriffen. So wurde unter tatkräftiger Mithilfe von Betriebsräten der proletarische Eigensinn gebrochen.

http://jungle-world.com/artikel/2013/15/47493.html

Peter Nowak