Manche finden das gestiegene Interesse ein bisschen heuchlerisch – zur Sonderausgabe der deutsch-türkischen Taz
Wer schon immer die Türken vor Berlin stehen sieht, kann sich heute bestätigt fühlen. Die linksliberale Taz erscheint heute in deutsch-türkischer Version: Die taz.die günlük gazete[1] ist ein Beitrag der Taz-Redaktion in enger Kooperation mit linksliberalen und linken türkischen Medien zum Internationalen Tag der Pressefreiheit. Beim Durchblättern bekommt der Leser einen guten Überblick über den Stand der Pressefreiheit aktuell in der Türkei.
So sind bis 2015 unter der AKP-Regierung 2.211 Journalistinnen und Journalisten entlassen worden. 31 Journalisten waren 2015 in der Türkei inhaftiert. Mindestens 150 Beschlüsse zu Nachrichtensperren gab es zwischen 2010 und 2014 in dem Land. 110.464 Webseiten wurden in den letzten Jahren in der Türkei geblockt. Auf 16 Seiten versuchen linke und linksliberale Journalisten in Deutsch und Türkisch darzulegen, wie der Alltag eines kritischen Medienarbeiters heute in der Türkei aussieht.
So beschreibt die Journalistin Pinar Ögünc von der liberalen türkischen Tageszeitung Cumhuyriyet, was sich zwischen dem Beginn und dem Schluss dieses Artikels, also wohl in einer relativ kurzen Zeit ereignet hat:
In den wenigen Stunden zwischen Anfang und Textes war viel geschehen: „Bilal Güldem, Reporter der Nachrichtenagentur Diha, wurde verhaftet. Die Diha-Reporter arbeiten in den kurdischen Provinzen unter andauernden Gefechten. ….. Gleichzeitig wurde die türkisch-niederländische Journalistin und Kolumnistin Ebru Umar in Kusadasi festgenommen. Der Vorwurf: Sie soll den Staatspräsidenten Erdogan in Tweets und in einem Artikel in der Zeitung Metro beleidigt haben“. Gleichzeitig wurde in griechischer Fotograf am Flughafen von Istanbul an der Einreise in die Türkei gehindert worden.
So ist taz.die günlük gazete ein gutes Beispiel für eine transnationale zivilgesellschaftliche Aktion, um auf verfolgte Journalistinnen und Journalisten aufmerksam zu machen.
Die Rolle der Pool-Medien
Bereits am Vortag gab es im überfüllten Taz-Café die Vorstellung des deutsch-türkischen Zeitungsprojekts für einen Tag. Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yüksel machte dort anschaulich klar, was gemeint ist, wenn in der Türkei von regierungsnahen Medien die Rede ist. Er sprach von den Pool-Medien, die nicht nur ideologisch der AKP-Regierung und der Erdogan-Präsidentschaft nahestehen.
Sie haben von der Regierung eingesetzte Verwalter und werden von Freunden, Geschäftspartnern und Verwandten des Präsidenten regelrecht aufgekauft. Die Medien, die noch nicht davon betroffen sind, wagen gar nicht erst, kritische und oppositionelle Artikel zu veröffentlichen. Zu groß ist die Angst, sonst ebenfalls zu den Pool-Medien gehören.
Bei der Taz-Veranstaltung stand natürlich der deutsch-türkische Deal zur Abwehr von Migranten zur Diskussion und in der Kritik. Dass dabei auch parteipolitische Konflikte ausgetragen wurden, war schon durch die Anwesenheit der bekannten Grünen-Politikern Claudia Roth[2] garantiert. Sie wurde eingeladen, weil sie seit mehreren Jahrzehnten Kontakt zur Opposition in der Türkei hält.
Ihr erster Besuch aber galt, ganz stilecht „grün“, der Rettung einer bedrohten Schildkrötenart. Danach hätten türkische Oppositionelle sie gefragt, ob nicht die Rettung von verfolgten Linken, Gewerkschaftern und Intellektuellen eine höhere Priorität haben müsste. Dass Roth noch vor wenigen Jahren die Wahl der AKP unter Erdogan begrüßt hat, sieht die Politikerin heute als Fehler.
Sie habe damals gehofft, dass die Erdogan-Regierung gemeinsam mit der EU die Türkei demokratischer mache, so ihre Begründung. Damit war Roth nicht allein. Viele Medien und auch Politiker, die heute das Thema Menschenrechte in der Türkei entdecken, haben lange Zeit die AKP-Regierung verteidigt.
Tatsächlich hat sie sich im Kampf gegen die alte kemalistische Elite auch mit einer Menschenrechtsrhetorik geschmückt und in gewissen Bereichen Lockerungen der autoritären Herrschaft veranlasst. Was bei dieser Debatte allerdings nicht verschwiegen werden sollte: Die besonders wirtschaftsliberale AKP-Regierung war genau deshalb auch vielen politischen Kräften ein willkommener Partner beim Schleifen der Restbestände von staatlicher Sozialgesetzgebung aus der kemalistischen Zeit.
Zudem gab und gibt es eine Repression gegen politische Oppositionelle in der Türkei, die von der EU nicht nur nicht kritisiert, sondern aktiv unterstützt wird. Gemeint ist die Verfolgung von türkischen und kurdischen Linken. Mehrere dieser Gruppierungen sind wie die PKK oder DHKP/C in der Türkei und in Deutschland verboten. Vermeintliche oder tatsächliche Mitglieder dieser Gruppierungen sitzen in beiden Ländern im Gefängnis und die Justiz unterstützt sich gegenseitig.
Deutsches Exportprodukt Isolationshaft
Ein prägnantes Beispiel für die deutsch-türkische Kooperation ist der „Export der Isolationshaft“[3], die in den 1970er Jahren in Deutschland und anderen EU-Staaten eingeführt wurde – gegen heftigen Widerstand der Gefangenen, die darauf mit Hungerstreiks reagierte. Kürzlich hat die Schweizer Journalistin Sabine Hunziker[4] im Unrast-Verlag unter dem Titel Protestrecht des Körpers[5] ein Buch herausgeben, das einen Überblick über diese Kampfform gibt. Als Ende der 1990er Jahre die Isolationshaft auch in den türkischen Gefängnissen eingeführt werden sollte, begann der wohl längste Hungerstreik von Gefangenen dagegen, der 130 Menschen das Leben kostete (Der Kampf gegen den stillen Tod[6]).
Die Hungerstreiks begannen noch unter der Ägide der autoritären kemalistisch-nationalistischen Regierungen der Türkei, die innenpolitisch in einen erbitterten Machtkampf mit der aufstrebenden AKP standen. So zerstritten sie auch sonst waren, in der Praxis der Verfolgung oppositioneller Bewegungen waren sie sich einig. Als der Hungerstreik im Jahr 2006 beendet wurde, war die AKP schon an der Regierung. Für die Hungerstreikenden und ihre Unterstützer hatte sich, was die Verfolgung und Repression anbelangt, nichts verändert.
Von der EU gab es für sie keine Unterstützung, weil die schließlich die neuen Haftbedingungen als durchaus EU-konform ansah. Daher fragen sich manche türkische Oppositionelle aktuell auch, warum die Kritik an der aktuellen Repression in ihrem Land jetzt so besonders laut wird. Ist es wirklich die Sorge um die weitere Einschränkung der Menschenrechte oder spielen dabei auch wirtschaftliche und politische Gründe eine Rolle?
Der türkische Satiriker Gözde Kazaz beantwortet in der aktuellen taz die günlük gazete die Frage so:
Um ehrlich zu sein, finde ich das gestiegene Interesse ein bisschen heuchlerisch. … Erdogan ist ja nicht erst seit gestern an der Macht. Er steht seit vierzehn Jahren an der Spitze des Landes.
Davor aber war die Politik der Unterdrückung und Repression um keinen Deut besser, hätte er noch hinzufügen können.
Streit um das erste Genozid im 20. Jahrhundert
Für konservative Kräfte wie die CSU zumindest ist die Kritik an der Menschenrechtssituation in der Türkei ein Vehikel, um das Land aus der EU herauszuhalten. Sie waren schon immer der Meinung, dass das Land nicht zu Europa gehört. Ein weiterer Konflikt mit der türkischen Regierung steht demnächst an.
Es geht um eine geplante Resolution im Bundestag, in der das Massaker an der armenischen Bevölkerung zwischen 1915 und 1918 als Genozid bezeichnet werden soll. Die türkische Regierung reagiert bereits im Vorfeld mit Protesten[7]. Bereits in den vergangenen Jahren hatten ähnliche Initiativen in Frankreich und anderen Ländern zu Verstimmungen zwischen der Türkei und den jeweiligen Ländern geführt.
Auch hier spielen politische Erwägungen mit hinein, die wenig mit den Menschenrechten zu tun haben. Zunächst wäre es ja gerade für den deutschen Bundestag interessant, die Rolle der damaligen deutschen Führung und ihrer Dependance in der Türkei in den Mittelpunkt zu stellen. Schließlich wäre das Massaker an den Armeniern ohne deren Unterstützung[8] kaum möglich gewesen.
Es gab bereits damals zeitgenössische Stimmen, die davor warnten. Aber sie wurden übergangen oder sogar zum Schweigen gebracht. Wen zudem in der Resolution suggeriert werden soll, dass das Massaker an den Armeniern das erste Genozid des 20.Jahrhunderts gewesen ist, dann wird außer Acht gelassen, dass das Massaker an den Herrero und Nama im Jahr 1904 zeitlich ebenfalls im 20.Jahrhundert liegt. Es wurde von deutschen Kolonialtruppen verübt[9].
Es gibt viele Zeugnisse, die beweisen, dass die verantwortlichen Militärs ein Großteil der aufständischen Bevölkerung bewusst in eine wasserlose Wüste getrieben und der Vernichtung preisgegeben haben.
Seit Jahren gibt es Initiativen, die eine Entschädigung für die Nachkommen der Opfer fordern[10] und die das Massaker als Genozid bezeichnen. Stünde es nicht dem Bundestag gut an, diese Vernichtung als ersten Genozid im 20.Jahrhundert zu bezeichnen, sich dafür offiziell zu entschuldigen[11] und die Nachkommen zu entschädigen?
http://www.heise.de/tp/artikel/48/48147/2.html
Peter Nowak
Anhang
Links
[1]
http://www.taz.de/!p5010/
[2]
http://claudia-roth.de/
[3]
https://www.nadir.org/nadir/initiativ/kombo/k_45/k_45trlib.htm
[4]
http://www.septime-verlag.at/autoren/hunziker.html
[5]
http://www.unrast-verlag.de/neuerscheinungen/protestrecht-des-koerpers-detail
[6]
http://www.heise.de/tp/artikel/11/11433/
[7]
http://www.welt.de/politik/deutschland/article154940380/Tuerkei-warnt-Bundestag-vor-Armenien-Resolution.html
[8]
http://www.deutschlandfunk.de/deutsche-beteiligung-am-voelkermord-an-den-armeniern.730.de.html?dram:article_id=102524
[9]
http://www.spiegel.de/politik/ausland/deutschlands-erster-voelkermord-das-roecheln-der-sterbenden-verhallte-in-der-erhabenen-stille-a-313043.html
[10]
http://www.az.com.na/politik/entschdigung-war-kein-thema.139056.php
[11]
http://genocide-namibia.net/alliance/appellpetition